Urlaub an der Ostsee

Von Heiligendamm bis Rostock

Text: Beate Schümann
Fotos: Beate Schümann, Stephan Eigendorf u.a.

Wie schön gleichmäßig die Wellen an den Strand trecken. Ja trecken, so sagt man hier an der Ostsee, wenn das schäumende Wasser ans Ufer schlägt. Klatsch, klatsch, macht es auch unter der Seebrücke von Heiligendamm (1), dem Holzsteg, der zweihundert Meter weit ins Meer führt und verlockt, dem Meer trockenen Fußes näher zu kommen. Am Brückenkopf, den man im Winter ganz für sich haben kann, erfüllen sich Sehnsüchte. Herrlich, diese schwer erklärbare Mischung aus Salzwasser, jodhaltiger Luft und dem sagenhaften Gefühl von Freiheit, das im grenzenlosen Horizont liegt.

An der Seebrücke von Heiligendamm  © Angelika Bentin - Fotolia.com

An der Seebrücke von Heiligendamm © Angelika Bentin - Fotolia.com

Wenn Sommer und Hochsaison vorbei sind, ist Heiligendamm ein Ort der Stille. Die Strandkörbe des Grandhotels sind in ihr Winterquartier geräumt. Am Wellensaum hüpfen kreischende Möwen und ein paar Spaziergänger wandern in Richtung Steilküste. Sonst begegne ich am Strand nur einem Jungen, der mit seiner Schaufel ein Loch in den Sand gegraben hat, das sich langsam mit Wasser füllt. „Die Ostsee ist immer da“, sagt er zufrieden. „Selbst bei Ebbe.“

Im Hintergrund erhebt sich die legendäre „Weiße Stadt am Meer“ wie ein Gemälde. Landseitig vom Buchenwald umrahmt, seeseitig vom Meer – da steht es, Deutschlands erstes Seebad und das berühmteste Grandhotel des Landes. Auch hier herrscht Stille, obwohl die an der Promenade aufgefädelte Perlenkette der klassizistischen Prachtarchitektur seit 1793 bezaubert. Strahlend weiß leuchtet der Komplex aus Kurhaus, Haus Mecklenburg, der zinnenbekrönten „Burg“, Orangerie und Severin-Palais, der 2002 nach langem Stillstand millionenschwer wie Phönix aus der Asche erstanden ist. Ein Gitterzaun mit G-8-Gipfelflair umgibt das Ensemble und ja, er soll abweisen. Die exklusiven Gäste der Nobelherberge mochten es nicht, von Heiligendammbesuchern wie im Zoo bestaunt zu werden.

Dem Hotelgast öffnet sich der Schlagbaum, und auch Restaurantgäste sind willkommen. Schon stehe ich unter dem Baldachin und der Portier in Livree grüßt. In der Nelson-Bar nehme ich zum Aufwärmen eine heiße Valrhona-Schokolade. Das Gourmetrestaurant „Friedrich Franz“ ist das Reich von Sternekoch Ronny Siewert, der französische Küche jeden Tag neu kreiert und mit regionalen Akzenten garniert.

In einem Empire-Stuhl denke ich über das Badeleben vor 200 Jahren nach. Das Seebad hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, und was es noch vor sich hat, ist seit dem Ausstieg der Hotelkette Kempinski mit Gewissheit nicht zu sagen. Schon unter den Großherzögen war das Vorhaben von gigantischer Dimension. Draußen trotzen noch die Logierhäuser, grau und baufällig, dem scharfen Seewind, der Jahr für Jahr seine Klingen an ihren Mauern wetzt. Sie sollen in einer zweiten Phase luxussaniert werden. Die Promenade ist in zehn Minuten gemütlich abgelaufen. Bis zum Restaurant „Medini’s“, das erstklassig italienisch serviert, aber im Winter eine dreimonatige Pause einlegt, wie auch die Eisdiele nebenan. Wenige Strandmeter noch, und dann ist Heiligendamm zu Ende.

Mit Molli nach Bad Doberan

Zug "Molli" verkehrt zwischen Kühlungsborn und Bad Doberan

Zug "Molli" verkehrt zwischen Kühlungsborn und Bad Doberan

Genug gelaufen. Jetzt ist „Molli“ dran. Jeder liebt ihn, und dass „er“ keine „sie“ ist, steht für die Einheimischen fest. Denn „Molli“ ist ein Zug, ein schwarzes Eisenross mit 460 PS, einem Tender und sieben Personenwagen, der seit mehr als 100 Jahren Kühlungsborn und Bad Doberan verbindet. Er wartet schon vor Heiligendamms historischem Bahnhof. Ein Bimmeln, und schnaufend setzt sich die Mecklenburgische Bäderbahn in Bewegung. Molli dampft durch Kurven, passiert mit maximal 40 km/h Felder, Wiesen und Schranken. „Die Fahrkarten bitte“, ruft der Schaffner und knipst zum Entwerten in die alte Edmondsche Pappfahrkarte, die neuerdings wieder gedruckt wird. Die Schmalspurbahn hält an der ältesten Galopprennbahn des europäischen Kontinents und ruckelt an der anerkannt schönsten Lindenallee Deutschlands entlang. Mehr Superlative geht nicht. Sie durchzuckelt die Kopfsteinpflasterstraßen Doberans, an Gründerzeitvillen vorbei und macht nach 6,6 Kilometern Endstation in Bad Doberan (2).

Schaffner im Zug "Molli"

„Alle Aussteigen“ ruft der Schaffner. Ich springe über das Trittbrett auf den Perron. Das Münster? „Der Menge nach“, knurrt der Lokführer, der sich aus dem Fenster seiner 99 2323-6 lehnt. Zwischen Sumpfdotterblumen und hoch gewachsenen Buchen erhebt sich die gewaltige gotische Backsteinbasilika. „Ora et labora“ lautet der Leitspruch der Zisterzienser – bete und arbeite. Und was für eine Klosterkirche sie bauten! Ein Triumph des Glaubens mit eigener Parklandschaft. „Die Zisterzienser waren geniale Ingenieure“, bestätigt Ursula Gühler, die Führerin im Münster ist. Putzsucht war den Mönchen fremd, doch mit dem Raum, der hier in den Himmel wächst, wucherten sie. Unter dem Kreuzgewölbe erheben sich 24 Pfeiler, die eine Höhe von 26 Metern messen und auf einem fünf Meter tiefen Steinfundament in der Erde stehen. „Man braucht fünf Erwachsene, um die Säule zu umfassen.“ Die kundige Frau weiß auch, dass fünf Millionen Backsteine verbaut sind. Wer die wohl gezählt hat, frage ich mich, doch so wird Geschichte greifbar.

Backsteine für die Ewigkeit, und seit einer Ewigkeit steht das Münster schon da, mehr als 700 Jahre. Die ersten Zisterzienser ließen sich 1171 in der verwunschenen Flusslandschaft nieder, um auch die letzten unchristlichen Gegenden Deutschlands zu missionieren. Doch die Slawen, Vorfahren der Mecklenburger und Vorpommern, verehrten eigene Götter, die Swantevit, Rugivit oder Porenut hießen, und wehrten sich. Nach der Zerstörung des ersten Klosters sahen sich die Zisterzienser mit ihrem Latein aber noch nicht am Ende. Zeit und Geld spielten im Mittelalter kaum eine Rolle, wenn fromme Brüder dem Himmel einen Palast und der Christenheit ein Denkmal errichten wollten. Fast 200 Jahre später waren Kirche, Kreuzgang, Konventräume und Wirtschaftshöfe fertig. Ein Meisterwerk. Nein, solche Kirchen können wir heute nicht mehr bauen. Staunend stehe ich vor dem wohl schönsten und besterhaltenen Klosterbau des Ostseelandes, ach was: Europas!

Das Münster von Bad Doberan © Rico K. - Fotolia.com

Das Münster von Bad Doberan © Rico K. - Fotolia.com

Nach so viel Großartigem meldet sich mein Magen. So fahre ich weiter durch die weite, sanft geschwungene Endmoränenlandschaft südlich von Bad Doberan, nicht gerade aufs Geratewohl, sondern gezielt nach Hütten bei Parkentin, nur wenige Kilometer. Zwischen Wald und Wiesen des Hütter Wohld liegen die einstigen Fischteiche der Doberaner Klosterbrüder, die heute Berufsfischer Leif Detlefsen samt Räucherei und Restaurant betreibt. Aal, Hecht, Karpfen, Barsch, Flusskrebs, Lachs und Zander kommen fangfrisch auf den Tisch. Kurz besinne ich mich der strengen Ordensregeln der Zisterzienser, bestelle dann aber einen ordentlichen Gemischten Fischteller. Vom Karpfen sind zart geräucherte Filets dabei, köstlich. „Räuchern ist Tradition in Mecklenburg, Warm- und Kaltrauch“, erklärt der Chef des Hauses. Von November bis April hat Karpfen Saison.

„Unsere Landschaft ist „von oben““ hatte mir Leif Detlefsen noch mit auf den Weg gegeben. Und so ist sie, himmlisch.

Rostock und Warnemünde

Rostock - Giebelhäuser am Neuen Markt

Giebelhäuser am Neuen Markt in Rostock © Stephan Eigendorf

Nun fahre ich aber erstmal in die Stadt, nach Rostock (3). HRO – Hansestadt Rostock, steht auf den Autokennzeichen. Da schwingt Stolz mit, auch wenn die Hansezeit längst passé und der Schiffbau in der Krise ist. Die Hanse war im Mittelalter ein mächtiger Städtebund zur Sicherung des Fernhandels, dem Rostock 1259 beitrat. Die Kaufleute monopolisierten den Handel mit Tuch, Pelzen, Salz und Honig, was der Stadt Macht und Reichtum brachte. Im alten Stadtkern erinnern imposante Patrizierhäuser, das Rathaus, Klöster, Stadttore, Wehranlagen und drei Großkirchen daran. Zu den Schätzen gehört die Marienkirche mit der astronomischen Uhr von 1472. Schlag 12 Uhr bin ich da, um die Apostelfiguren in Bewegung zu sehen.

Rostock - Orgel in der Marienkirche

Orgel in der Marienkirche © Stephan Eigendorf

Der Zweite Weltkrieg hat im Stadtbild bittere Wunden hinterlassen, so dass Rostock auf die Unesco-Würde, die die Hansekolleginnen Wismar und Stralsund längst haben, vergeblich hoffen dürfte. Den Kahlschlag erkennt man deutlich in der breiten Langen Straße. Die DDR-Regierung war darüber womöglich nicht unfroh, denn sie eignete sich bestens für Aufmärsche. Heute ist Rostock die größte und aktivste Stadt Mecklenburg-Vorpommerns, zwar nicht Regierungssitz, aber doch eine quirlige Studentenstadt.

An der Uferpromenade eine fast lückenlose Zeile von Giebelhäusern, im Stadthafen an der Warnow inszenieren sich alte Kräne und moderne Yachten. Es riecht nach Algen, Diesel und Fernweh.

Kräne und Museumsschiff im Rostocker Stadthafen

Kräne und MS Stubnitz im Rostocker Stadthafen © Stephan Eigendorf

Doch der eigentliche Zugang zum Rostocker Hafen liegt gut zehn Kilometer nordwärts, in Warnemünde (4). Um ihren Koggen die ungehinderte Einfahrt von der Ostsee in die Warnow zu sichern, kauften die reichen Rostocker Handelsfamilien 1323 das kleine Fischerdorf an der Mündung gleich ganz. „Die Warnemünder fühlen sich bis heute verschachert“, erklärt Stadtführer Klaus-Dieter Laas auf der Brücke über den Alten Strom. Wenn hier einer ins Wasser fällt, sagen sie: „Lass ihn treiben, es ist ein Rostocker.“

Blick auf Warnemünde

Blick auf Warnemünde

Alter Strom, so hieß die frühere Mündung des Warnow-Flusses. Als die Seefahrt zunahm und die Schiffe wuchsen, wurde um 1900 ein größerer Seekanal gebaggert, der Neue Strom. Im historischen Kern sorgen heute puppige Kapitänshäusern und Seemannskneipen für maritimes Flair. Am Kai dümpeln Barkassen für Hafenrundfahrten und Angel-Ausflüge. An den fest vertäuten Kuttern verkauft mir ein ostdeutsches Original ein frisches Fischbrötchen auf die Hand.

Warnemünde - Restaurierte Fachwerkhäuser in der Alexandrinenstraße

Restaurierte Fachwerkhäuser in der Alexandrinenstraße

Am alten Leuchtturm von 1898, dem Wahrzeichen von Warnemünde, beginnt die breite Strandpromenade. Einige Gebäude tragen noch den Stil der Bäderarchitektur, auch Haus Nr. 10, das von Wilhelm Bartel, der 1882 den Strandkorb erfand. Ohne das Rattanmöbel ist kein Ostseebild komplett. Auf dem Meer tanzen mutige Kiter, und manche nutzen die von den Fähren produzierte Bugwelle zum Surfen. „Früher waren die Schiffe aus Holz und die Männer aus Eisen“, sagt Laas. Früher? Wenn man die Sportler beobachtet, stimmt es zumindest für sie.

Warnemünde - Alter Leuchtturm von 1898

Der alte Leuchtturm von 1898 und der Teepott

Das Filet vom Mecklenburger Weiderind zerschmilzt auf der Zunge, als plötzlich die großen Bullaugen vorüberziehen. Eine weiße Schiffswand von bestimmt 30 Metern Höhe schiebt sich zügig an den Fenstern vom Restaurant „Der Butt“ vorbei, so dass ich mich für einen Moment auf See wähne. Doch ich sitze gepflegt auf dem Festland, einer schmalen Halbinsel namens Hohe Düne, am Neuen Strom gelegen, auf dem die großen Ostseefähren Kurs auf Dänemark nehmen. Küchenchef Tillmann Hahn hat den “Butt“ zur besten Gourmetadresse des Landes gemacht. Der Plattfisch ist nicht nur ein Ostseefisch, sondern auch ein Fabelwesen im ursprünglich vorpommerschen Märchen der Brüder Grimm „Vom Fischer und seiner Frau“, wo der Butt als verwunschener Prinz erscheint. „Es ist ein Plädoyer gegen Maßlosigkeit“, sagt der Sternekoch, der in der Erzählung eine Parabel zur gesunden Ernährung sieht. Für ihn entscheiden Qualität und möglichst regionale Produkte von Produzenten, die nicht in Masse, sondern in Maßen produzieren.

Warnemünde - Fähre mit Leuchtfeuer an der Hafeneinfahrt

Fähre mit Leuchtfeuer an der Hafeneinfahrt

Das Ende der Landzunge markiert ein kleiner Leuchtturm. Eine scharfe Brise weht, der die Poren im Gesicht zum wohligen Prickeln bringt und an den Haaren zupft. Typisch Ostsee. Stundenlang kann ich hier so im Wind stehen, das Kommen und Gehen der Fährschiffe beobachten und, wenn man Glück hat, auf dem Meeresgrund einen Butt vorbeischwimmen sehen.

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