Die Ruhe am See

Ein Urlaub am Nordufer des Balaton verwöhnt Rücken und Gaumen

Text und Fotos: Sandra Rauch

Onkel Ferenc flucht. Aber nicht auf das Fass, dem er jeden Tropfen Rotwein einzeln abringen muss. Nein, Ferenc ist Ungar: Er schimpft auf die Mutter des Fasses, so wie jeder Ungar immer die Mutter des Ärgernisses verflucht. Es ist mittags kurz vor zwölf Uhr, ein heißer Tag am Nordbalaton, doch Ferenc‘ Gastfreundschaft lässt sich davon nicht beeindrucken. Nach einem Palinka, dem unvermeidbaren ungarischen Schnäpschen, und Weißwein vom eigenen Weinberg zeigt er seinen Gästen jetzt die aus zugekauften Trauben produzierten Rotweine. Er zeigt sie natürlich nicht nur, nein, jeder muss sie probieren, auch wenn die schweren Eichenfässer in Ferenc‘ Weinkeller schon jetzt manchem eine willkommene Stütze sind. Später führt der weißhaarige Ungar seine Gäste in einen zweiten Keller, hier lagern die Flaschenweine. Riesling, Zweigelt, Tokajer, Stierblut, stolz öffnet Ferenc seine Sammlerstücke, eine Flasche nach der anderen.

Ungarn - Balaton - Weinreben

Weinreben am Balaton

Wein ist sein Hobby, auf winzigen 1000 Quadratmetern zieht er hier in Balatongyörok weiße Trauben der Sorte Chardonnay. Auf das Grundstück hat er vor fünf Jahren noch ein Ferienhaus gebaut, das er vermietet, vor allem an Deutsche. Ein Nebenerwerb, denn eigentlich ist Ferenc Hochschullehrer. Dr. Ferenc Németh lehrt Didaktik und Pädagogik, trotzdem darf man ihn „Onkel“ nennen, es ist die normale Anrede in diesem auf Höflichkeit bedachten Land, wo im Gespräch mit älteren Damen ein „Küss die Hand“ zum guten Ton gehört. Über 60 Jahre ist Ferenc Németh jetzt alt und so langsam zieht er sich aus dem Berufsleben zurück. Der Wein, der Ausblick vom Haus auf den See und den Bergkegel Badacsony und vor allem die Menschen, denen er diese Schätze zeigen kann, werden für ihn immer wichtiger. Gemütlichkeit erwartet seine Gäste – im Haus, bei der Weinprobe oder beim Wandern durch die grünen Hügel des Hinterlands am Nordufer des Balaton. Selbst das Baden im See geht hier wesentlich geruhsamer zu Gange als an den flachen, überlaufenen Stränden des Südbalaton. Zwar ist das Wasser überall seidenweich und angenehm warm: Aufgrund der geringen Wassertiefe von maximal zwölf Metern liegt die Wassertemperatur im Mai schon bei 17 bis 20 Grad Celsius, im Hochsommer sind 28 Grad keine Seltenheit. Doch das Ufer des  mit einer Fläche von knapp 600 Quadratkilometern größten Sees Mitteleuropas fällt im Norden steiler ab als an der Südseite und ist damit für den klassischen Strandurlaub weniger gut geeignet. Emsiges Strandgedrängel bleibt so der Südküste überlassen, am Nordufer dominieren ruhige Buchten, in denen sich höchstens die kleinen Ringelnattern im Schilf tummeln.

Ungarn - Tanzfestival in Balaton

Tanzfestival in Balaton

Das Südufer für Familien und junge Leute, das Nordufer für Menschen, die Ruhe suchen. Über diesen einfachen Kamm lässt sich der Balaton scheren, zumindest in der Sprache der hiesigen Touristikanbieter. Große Hotels muss man suchen, die Mehrheit der Gäste übernachtet in Ferienhäusern unterschiedlicher Größe und Ausstattung. Jeder Einheimische, der es sich leisten konnte, scheint in den letzten zehn Jahren ein Ferienhaus gebaut zu haben. Die Häuser sind modern möbliert, die Küchen komplett mit Kühlschrank, Mikrowelle und Cerankochfeld eingerichtet und trotz Seenähe ist auch ein Swimmingpool im Garten fast schon obligatorisch. Doch vom großen Touristenansturm ist der Balaton bislang verschont geblieben. Außerhalb der Ferienmonate Juli und August geht es beschaulich zu und so mancher, der hier ein Ferienhaus gebaut hat, trennt sich bereits wieder von seiner Investition: „Eladó“ heißt es auf Schildern hier und dort: „zu verkaufen“.

Kultur in Keszthely

Ein bisschen Strand, ein bisschen Pool, vielleicht eine Radtour am See und durch die Hügel. Wem das ein wenig zu viel Ruhe ist, kann am Nordufer des Balaton auch Kultur entdecken. Gleich am westlichsten Zipfel liegt Keszthely, die nach Siófok zweitgrößte Stadt am Balaton. Hauptattraktion Keszthelys ist das komplett restaurierte Schloss der Familie Festetics. Mit seinem Bau wurde 1745 begonnen, seine jetzige Form erreichte es um 1885. Wertvollster Schatz des heute dem Staat gehörenden Bauwerks ist die Helikon-Bibliothek. Fast 100.000 Bände füllen ihre Regale, darunter seltene Handschriften und Erstausgaben von Voltaire, Descartes und Rousseau.

Ungarn - Keszthely - Schloss

Das komplett restaurierte Schloss der Familie Festetics

Kuren in Hévíz

Nur ein paar Kilometer nördlich von Keszthely führen wieder Ruhe und Erholung Regie. Hier liegt das Kurbad Hévíz mit seinem Thermalwassersee, der mit einer Oberfläche von 44.000 Quadratmetern der größte natürliche Thermalwassersee Europas ist. Sein Wasser enthält Kohlendioxyd, Schwefel, Kalzium und Magnesium, außerdem ist es leicht radioaktiv. Den Seeboden bedeckt eine Schlammschicht, die reich an therapeutisch wirksamen organischen und anorganischen Stoffen ist. Bereits 1795 ließ Graf György Festetics das erste Badehaus über dem See errichten. Heute empfängt den Besucher am Hévízer See eine mondäne Anlage, aufwändig restauriert und um ein modernes Therapiezentrum ergänzt. Durch das Badehaus führt ein langer Holzsteg zu einer Plattform im See. Hier döst man auf Sonnenliegen vor sich hin.

Ungarn - Kurbad Heviz - See

Hévízer See

Wer baden will, nimmt sich einen Gummireifen und klettert über eine kleine Leiter in das graue Wasser. Die Arme auf die Reifen gestützt, schweben kleine Grüppchen von Badenden durchs Wasser. Man plaudert mit den anderen, genießt die Leichtigkeit des Körpers und umschifft mit einer Armbewegung die roten Lotus-Wasserrosen, die ganzjährig auf der Wasseroberfläche wachsen. Das Wasser ist im Sommer mit bis zu 38 Grad Celsius so warm wie in der Badewanne, im Winter fällt seine Temperatur nicht unter 22 Grad.

Ungarn - Bad Heviz - Seereosen

Seerosen auf dem Hévízer See

Hévíz-Besucher – zumeist  Deutsche, deren Kinder längst erwachsen sind – schwören vor allem auf die heilsame Wirkung des Wassers bei Krankheiten und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und des Bewegungsapparats. Eine fast schon glückselige Stimmung verbindet die Badenden, jeder hat nur gute Erfahrungen gemacht. So wie der Mann aus Sachsen, der schon seit Jahren unter Rückenschmerzen leidet. „Durch das Wasser wird es jedes Mal besser“, sagt er. Schon zum dritten Mal macht er mit seiner Frau in Hévíz Urlaub, sie schätzen die Ruhe, die Erholung vom Stress zu Hause und vor allem auch ein Wellness-Angebot, das man sich bequem leisten kan. Praktisch alles kann man haben, nur eines nicht: Eine Diät, die ist hier praktisch unmöglich, bei dem guten Essen, dem Wein, der Ruhe.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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