Text und Fotos: Dagmar Krappe
Tschechien: Im südostmährischen Zlin liegen die Wurzeln des Schuhkönigs Tomas Bata. Dort errichtete er eine funktionalistische Stadt.
Büro in der Tomas-Bata-Villa
Adrett sehen sie aus, die Schuhverkäuferinnen in den lichtdurchfluteten, mit vielen Spiegeln und Werbeplakaten verzierten Bata-Filialen. Sowohl in Prag am Wenzelsplatz als auch 300 Kilometer entfernt im ostmährischen Zlin tragen sie die gleichen hellbraunen Schürzen mit roten Bändern und dem leuchtenden Aufdruck „Bata“. „Ich bin stolz darauf, für dieses fast 130 Jahre alte Unternehmen arbeiten zu dürfen“, sagt Blanka Slobodianova und räumt ein Paar bunte Ballerinas zurück ins Regal. Die Kundin hatte sich dann doch für goldfarbene Sandalen entschieden. Seit 25 Jahren ist Blanka Schaufensterdekorateurin und Verkäuferin im vier Stockwerke zählenden Schuhgeschäft der 75.000-Einwohner- und Studentenstadt Zlin.
Bata-Dekorateurin und Verkäuferin Blanka Slobodianova
Schon Ende des 16. Jahrhunderts spielte die Schuhmacherzunft eine wichtige Rolle in dem einst winzigen Ort am Fluss Drevnice (Drewnitz). Die Familie Bata vererbte dieses Handwerk über Generationen weiter. Als sich der 18-jährige Tomas und seine beiden nur wenig älteren Geschwister Anna und Antonin 1894 entschlossen, eine Schuhfabrik zu gründen, waren sie bereits die achte Generation in der Familie. „Man begann mit alten Werkzeugen und Maschinen des Vaters. Beschäftigte ein Dutzend Arbeiter, die walachische Filzpantoffeln herstellten“, erzählt Zdenek Pokluda, Historiker der Tomas-Bata-Universität: „Wenige Jahre später wurden erste dampfbetriebene Maschinen installiert. Der Durchbruch kam mit Leder besohlten Leinenschuhen, den „Batovky“.“ Sie verkauften sich bald bis in den entlegensten Winkel der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, zu der das heutige Tschechien bis nach dem Ersten Weltkrieg 1918 gehörte.
Tomas-Bata-Universität
Der umtriebige Tomas verfügte über Organisationstalent und schaute über den Tellerrand. In den USA inspirierte ihn die Fließbandarbeit beim Automobilkonzern Ford und beim Schuhhersteller Endicott-Johnson. Der Mann, der nach dem Motto lebte, „der Tag hat 86.400 Sekunden“, studierte dort eingehend die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern und setze viele der gewonnen Erkenntnisse später in seinem eigenen Werk um. Natürlich gab es Rückschläge, Streiks, Entlassungen, den Tod seines Bruders Antonin im Jahre 1908, der ihn zum alleinigen Chef des Unternehmens machte. Und die Konkurrenz schlief nicht. „Nach 1907 gab es fünf Schuhfabriken und 125 selbständige Schuhmachermeister bei rund 3.500 Einwohnern“, informiert Pokluda: „Den ersten großen Auftrag für 50.000 Paar Soldatenstiefel bekam die Bata-Fabrik von der österreich-ungarischen Armee.“ Doch der rastlose Chef konzentrierte sich nicht nur auf Schuhe. Er setzte auf Diversifikation. Investierte in Ländereien, eine Gerberei, die Textil-, Holz- und Gummiwarenindustrie und in die lokale Eisenbahn. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Lager randvoll mit Schuhen. Niemand hatte Geld, sich neues Schuhwerk zu leisten. So griff Rebell Bata 1922 zu einer riskanten, aber erfolgreichen Maßnahme: Er bot die Ware zum halben Preis an und reduzierte gleichzeitig die Löhne um 40 Prozent, um den Verlust einigermaßen aufzufangen. Die Lager leerten sich. Neue Kunden kamen hinzu. Bata setzte sich gegen die Mitbewerber durch. Eroberte neue Märkte in Europa, Afrika und Asien. Baute weitere Fabriken und vor allem den Vertrieb aus.
Blick vom Veraltungsgebäude 21 auf die funktionalistische Fabrikstadt im Grünen
Langsam wuchs im Westen Zlins eine „Fabrikstadt im Grünen“ heran. Es entstanden lange Reihen standardisierter Gebäude mit einem Stahlbetonskelett, Ziegelausmauerung und großflächigen Fenstern – Funktionalismus in Reinkultur: einfach, klar, funktionell. Nach und nach wurden Maschinen elektrisch angetrieben, Fließbänder installiert. „Sein erstes im funktionalistischen Stil errichtetes mehrstöckiges Schuhgeschäft oder „Haus der Dienstleistungen“ eröffnete 1929 am Wenzelsplatz in Prag“, weiß Historiker Pokluda: „Hier verkaufte man neben Schuhen auch Strümpfe, Socken und Schuhcreme aus eigener Produktion. Zum Service gehörten Reparaturen und Pediküre.“
Bata-Infopoint, Musterhaus und Ausstellung
„Gebäude, das sind nur Massen von Ziegelsteinen und Beton. Maschinen, das sind viel Eisen und Stahl. Zum Leben werden sie erst durch Menschen erweckt“, so ein Slogan des Hundertprozentigen, der viel von seinen Arbeitern forderte, aber mit unermüdlichem Beispiel voranging. Er konzipierte ein Prämiensystem mit Beteiligung der Mitarbeiter an Gewinn und Verlust. Er führte Behindertenarbeitsplätze ein und ließ ein Krankenhaus sowie eine Schuhmacherfachschule bauen. „Nicht nur die Aussicht auf Arbeit, sondern auch die Möglichkeit, eine Wohnung zu bekommen, trieb die Menschen zu Bata. Seit 1923 war er Bürgermeister von Zlin. Es entstanden ganz neue Stadtviertel“, erklärt Designer Jan Pavezka im Bata-Informationszentrum, in dem er über die Architektur Zlins Auskunft gibt und das in einem der typischen roten Backsteinhäuser eingerichtet ist. „Außer Wohn- und Schulgebäuden kamen nach 1930 direkt vor dem Werkstor ein riesiges Warenhaus und ein Kino für über 2.200 Zuschauer hinzu“, sagt Pavezka: „Gleich dahinter erstreckte sich das Gemeinschaftshaus, das „Spolecensky dum“, das heutige Hotel Moskva.“ Den besten Überblick über die Stadt hat man vom sechs Jahre nach Tomas Batas Tod errichteten „Wolkenkratzer“, dem „Verwaltungsgebäude 21“. Vor einigen Jahren zogen Bezirksverwaltung und Finanzbehörde ein. Auf der fast 80 Meter hoch gelegenen Dachterrasse gibt es ein kleines Café.
Funktionalismus - Verwaltungsgebäude 21, der Wolkenkratzer von 1939
Am 12. Juli 1932 herrschte dicker Nebel in der Region. Trotzdem befahl der damals 56-jährige Bata seinem erfahrenen Piloten Jindrich Broucek, Richtung Schweiz zu starten. Er wollte nach Möhlin östlich von Basel, wo er zusammen mit seinem 18-jährigen Sohn Tomas J. Bata den Aufbau einer weiteren Fabrik koordinierte. Nur wenige Minuten nach dem Start stürzte die Junkers F13 ab. Tomas Bata war der zweite Tote, der auf dem von ihm initiierten neuen Waldfriedhof bestattet wurde. Seit 1931 war die stetig wachsende Firma Bata eine Aktiengesellschaft. Dem Verwaltungsrat gehörte auch sein 22 Jahre jüngerer Halbbruder Jan Antonin an, der bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sein Nachfolger in Zlin blieb. Eine technische Kuriosität für die damalige Zeit war sein Büro in einem der Aufzüge des „Verwaltungsgebäudes 21“, das besichtigt werden kann. Ausgestattet war es mit zwei Telefonen, Waschbecken und Klimaanlage. Benutzt hat Jan Antonin es allerdings nicht mehr. Vor der Fertigstellung war der Zweite Weltkrieg bereits ausgebrochen. Im Verwaltungsrat saß nun ein deutscher Parteibonze, der die Geschäfte überwachte. Familie Bata emigrierte in die USA und nach Kanada.
Fahrstuhlbüro, das Jan Antonin Bata nicht mehr benutzte
Ein Jahr zuvor vollendete Jan Antonin noch das Vorhaben seines Bruders, zwischen Rohatec und Otrokovice einen Kanal entlang des Flusses Morave (March) mit staatlicher Hilfe bauen zu lassen. Er diente dazu, Braunkohle aus Rohatec zu den Bata-Werken zu befördern und zur landwirtschaftlichen Bewässerung. Die industrielle Schifffahrt endete Anfang der 1960er Jahre. „Erst viele Jahre nach der Wende entdeckte man das 80 Kilometer lange technische Denkmal für touristische Zwecke“, erzählt Skipperin Vendula Manowa: „Zirka 53 Kilometer der nur elf Meter breiten Wasserstraße sind inzwischen wieder für Freizeitkapitäne schiffbar.“
Vendula Manowa schippert Gäste über den Kanal
Vor der Schleuse Hustenovice staut es sich. Vor der Schleuse Hustenovice staut es sich. Bevor das hellblaue Ausflugsboot „Pannonia II“ einfahren kann, müssen zwei Hausboote passieren. 13 Schleusen gibt es. Bis auf zwei arbeiten alle vollautomatisch. Viel Schilf säumt den Kanal. Dahinter erstrecken sich verblühte Rapsfelder. Am rechten Ufer verläuft ein ehemaliger Treidelpfad. „Bis in die 1950er Jahre zogen Pferde die Transportboote“, informiert Manova. Heute sausen Radtouristen darauf vorbei.
Bata-Kanal, 1934-38 erbaut, heute Revier für Freitzeitkapitäne
Bei Stare Mesto beginnt die Weinregion Mährens. Hier geht der Kanal für einige Kilometer wieder in den Fluss March über. Unweit der Anlegestelle Uherske Hradiste thront ein junger Mann als Denkmal oberhalb der Böschung. „Das ist der 14-jährige Jan Antonin Bata vor seinem Geburtshaus“, erklärt die Skipperin.
Denkmal für Jan Antonin Bata vor seinem Geburtshaus in Uherske Hradiste
Zurück in Zlin. „Nach dem Zweiten Weltkrieg endete die Ära Bata in der Tschechoslowakei“, berichtet Gästeführerin Marie Koutna im Südostmährischen Museum, das sich in der dritten Etage des Bata-Instituts im „Gebäude 14“ befindet: „Vom Kriegsende bis zur Wende diffamierte die kommunistische Führung die Familie Bata als Ausbeuter und Volksfeinde. Heute wird sie verehrt.“ Damals verstaatlichte man den Betrieb. Produzierte fortan unter dem Namen „Svit“ und exportierte in andere kommunistische Länder. „Zlin hieß bis 1990 Gottwaldov. Benannt nach dem tschechoslowakischen Kommunisten Klement Gottwald“, erwähnt Koutna: „Nach der Wende verlor die Firma Svit viele Kunden und stellte schließlich die Schuhproduktion ein.“ Aber aus Zlin wurde keine Geisterstadt. Viele moderne Betriebe haben sich in den renovierten Bata-Blöcken angesiedelt. Über 650 Schuhe aus fünf Kontinenten und verschiedenen Jahrhunderten präsentiert das Museum in seiner Dauerausstellung „Das Bata-Prinzip - Heute Fantasie - Morgen Wirklichkeit“. „Natürlich gibt es eine Svit- und eine Bata-Kollektion. Nur „Batovky“ können wir leider keine zeigen“, bedauert die Museumsführerin.
Schuhmuseum im Gebäude 14: Fliessbandproduktion
Weitere Exponate sind alte Werkzeuge, Maschinen und eine Produktionsstraße. Im Filmkabinett werden schwarzweiße Werbespots gezeigt. Die Firma Bata unterhielt einst ein eigenes Filmstudio, in dem man Werbe- und Lehrfilme für Mitarbeiter drehte. In den 1990er Jahren besuchte der Sohn des Firmengründers, Tomas J. Bata, der Jahrzehnte den weltweit operierenden Konzern von Toronto aus leitete, seine einstige Heimatstat Zlin. „Er kehrte zurück in sein Elternhaus, eine Villa, die sein Vater 1911 vom Prager Architekten Jan Kotera entwerfen ließ“, sagt Marie Koutna: „Seit mehr als 20 Jahren ist das Gebäude Sitz der Tomas Bata Stiftung, die der 2008 mit 94 Jahren verstorbene Firmennachfolger gründete, um das Erbe der Familie in Zlin zu bewahren und um Jugend- und Kulturprojekte zu fördern.“
Zlin - Tomas-Bata-Villa, errichtet 1911 von dem Architekten Jan Kotera
Auf einer der zahlreichen Informationstafeln im Museum findet sich ein Auszug aus einer New Yorker Zeitung. 1932, nach dem Tod Tomas Batas, schrieb ein amerikanischer Journalist: „Jedes Land hat seine Helden. In der Tschechoslowakei war es ein Schuster.“
Informationen auf Deutsch über Zlin und Südostmähren
Ausflugstipps
Südostmährisches Museum – Schuhmuseum “Das Bata-Prinzip - Heute Fantasie - Morgen Wirklichkeit“ im Gebäude 14/15, dem Bata-Institut in Zlin. Ausstellung auf Tschechisch und Englisch www.muzeum-zlin.cz/cs
Bata-Informationszentrum, Ausstellung über die unterschiedlichen Mitarbeiterwohnhäuser, die während der Bata-Ära in Zlin entstanden.
Tomas-Bata-Villa – ehemaliges Wohnhaus von 1911, seit 1998 Sitz der Tomas-Bata-Stiftung
Waldfriedhof „Lesni Hrbitov“ in Zlin, Grab von Tomas Bata und weiteren Familienangehörigen
Bata-Kanal - Rad- oder Bootstouren: www.batacanal.cz
Anbieter von Hausbooten und Ausflugsfahrten: Pristav in Stare Mesto: www.pristavstaremesto.cz, Kromerizska plavebni an der Schleuse Hustenovice: www.plavebni.cz, Hamboot in Spytihnev: www.hamboot.cz
Heilbad Luhakovice – viertgrößter Kurort Tschechiens. Ca. 25 km von Zlin entfernt. Am Rande der Weißen Karpaten. Im Ort gibt es 13 Mineralquellen. Mehrere imposante Häuser entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts der slowakische Architekt Dusan Jurkovic (Mischung aus Jugendstil und walachischer Volksarchitektur). Berühmt ist Luhacovice auch für Oblaten von süß bis pfeffrig: www.luhacovice.cz, www.lazneluhacovice.cz
Unterkunft
Hotel Moskva in Zlin: www.hotelmoskva.cz
Ruhig gelegenes Vier-Sterne-Hotel im Zentrum. Mehrere Restaurants, Bar. 1933 als Gemeinschaftshaus „Spolecensky dum“ im Stil des Funktionalismus errichtet.
Hotel Alexandria in Luhacovice: www.hotelalexandria.cz
Ruhiges Vier-Sterne-Spa- und Wellness-Hotel im 25 Kilometer entfernten Heilbad Luhacovice. Restaurants, Bar.
Allgemeine Informationen
Tschechische Zentrale für Tourismus – Czech Tourism
Wilhelmstr. 44
10117 Berlin
Tel.: 030 2044770
E-Mail: berlin@czechtourism.com
www.czechtourism.com
Die Reise wurde von der Tschechischen Zentrale für Tourismus - Czech Tourism – in Berlin unterstützt.
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