Altstadtcharme wie in Italien

Eine Weltkulturerbe-Tour durch Tschechien

Text und Fotos: Ulrich Traub

Telc

Herausgeputzt wie bei einem Schönheitswettbewerb: Kein Wunder, dass der Marktplatz in Telč häufig als Kulisse für Historienfilme dient

Dutzende kleiner Bürgerhäuser reihen sich auf diesem lang gestreckten Platz aneinander. Cremig-bunte Schmuckfassaden und abwechslungsreich gestaltete Ziergiebel präsentieren sich prächtig herausgeputzt - als gelte es, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. Gotik, Renaissance, Barock – alle Stile verbinden sich hier zu einem verblüffend harmonischen Gesamtkunstwerk. Kein Wunder, dass der Marktplatz von Telč häufig als Kulisse für Historienfilme dient. Er gehört zu den stimmungsvollsten Architektur-Ensembles in Europa.

Tschechien - Telc - Blick auf das Weltkulturerbe: Die Altstadt von Telc ist von kleinen Seen umgeben

Blick auf das Weltkulturerbe: Die Altstadt von Telc ist von kleinen Seen umgeben

„Bei uns gibt es genauso schöne Altstädte wie in Italien“, erklärt Stadtführerin Jana stolz. „Unser Städtchen ist natürlich das allerschönste“, sagt sie lächelnd, „aber Sie werden in Tschechien noch viele, erstaunlich gut erhaltene historische Orte finden.“ Bei der Unesco ist das schon länger bekannt. Das seit Jahrhunderten kaum veränderte Telč mit seiner malerischen Altstadt, die sich zwischen zwei Seen erstreckt, mit dem Renaissance-Schloss und dem Landschaftspark wurde bereits 1992 zum Weltkulturerbe erhoben – zusammen mit den historischen Stadtkernen von Prag und Český Krumlov.

Tschechien - Krumlovs - Café mit Aussicht: Auf einem Felsen oberhalb der Moldau dominiert die Burg von Krumlov (hier der Schlossturm) das Panorama

Café mit Aussicht: Auf einem Felsen oberhalb der Moldau dominiert die Burg von Krumlov (hier der Schlossturm) das Panorama

Das südböhmische Städtchen an den Ufern der noch jungen Moldau bietet sich als Ausgangspunkt für eine Tour zu Weltkulturerbestätten in Tschechien an. Wer durch die alten Gassen Krumlovs spaziert, wird bald vor einem riesigen Tor stehen, dem Eingang zu einer der größten Burganlagen Europas. Hunderte Meter geht man von Innenhof zu Innenhof, überwindet mittels einer imposanten, dreigeschossigen Brücke eine Schlucht, um schließlich im barocken Garten zu verschnaufen. Die Burg kündet aber nicht nur von Macht und Reichtum, sondern auch vom Kunstsinn ihrer Bewohner. Im Theater staunt man über Kostüme, Kulissen und Bühnentechnik – alles original aus der Zeit des Barocks. Eigentlich möchte man hier gar nicht so schnell wieder weg. Aber eine weitere Gruppe Interessierter begehrt Einlass.

Tschechien - Krumlov - Hingucker: Fassadenschmuck an Schlossgebäuden

Hingucker: Fassadenschmuck an Schlossgebäuden

Weniger touristisch geht es im unweit von Krumlov gelegenen Holačovice zu. Hier entsteht ein ganz anderer, längst vergangener Kosmos vor den Augen der Besucher: die bäuerliche Welt des frühen 18. Jahrhunderts. Das fast komplett erhaltene Dorf ist ein beeindruckendes Beispiel für den so genannten Bauernbarock, der in dieser Homogenität nirgends sonst zu finden ist. Reich geschmückte und stuckierte Giebelwände der Höfe, die den ausgedehnten Dorfanger mit kleiner Kapelle und Fischteich säumen, erzählen vom Selbstbewusstsein der bäuerlichen Bauherren.

„Wir sind hier die meiste Zeit unter uns“, berichtet der Mann am Tresen der Dorfkneipe, der wie viele in dieser Gegend ganz gut Deutsch spricht. Der Weltkulturerbe-Titel locke bisher nur wenige Touristen. Es scheint nicht so, als würde ihn das sonderlich stören. Dass Besucher das Gefühl beschleicht, ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein, liegt auch daran, dass die Aneignung westlicher Kommerzstrategien den Ortsbildern noch nicht den Stempel aufgedrückt hat.

Tschechien - Krumlov - Fürstliche Aussicht: Blick vom Hochschloss auf Krumlov und die umliegenden Hügel des Böhmerwaldes

Fürstliche Aussicht: Blick vom Hochschloss auf Krumlov und die umliegenden Hügel des Böhmerwaldes

Die Reise zum Weltkulturerbe entfaltet eine abwechslungsreiche Geschichtserzählung, die nicht nur von den Herrschern und ihren Künstlern geschrieben worden ist, die aus den europäischen Kunstzentren - vor allem aber aus Italien - an die böhmischen und mährischen Höfe eingeladen wurden. Auch andere Kapitel werden aufgeschlagen, in denen vermeintlich weniger bedeutende Darsteller auftreten.

In der Stadt Třebíč, östlich von Telč, findet sich eine weitere städtebauliche Rarität: eines der größten ehemaligen jüdischen Wohnviertel. Mit der nur wenige Meter entfernten romanischen St.-Prokop-Basilika, die ebenfalls zum Weltkulturerbe zählt, sind die 120 Gebäude zu steinernen Zeugen für das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen über Jahrhunderte geworden. Verwinkelte Gassen führen durch das dicht bebaute Viertel zur Synagoge, die heute als Museum fungiert. Jüdisches Leben gibt es in Třebíč seit dem Holocaust nicht mehr. Die Erinnerung daran wach zu halten, ist eine Verpflichtung.

Tschechien - Lednice - Sommerresidenz der Adelsfamilie Liechtenstein: Blick auf Teile der neogotischen Schlossanlage in Lednice

Sommerresidenz der Adelsfamilie Liechtenstein: Blick auf Teile der neogotischen Schlossanlage in Lednice

Die Fahrt geht weiter nach Osten, wo das nächste, umfangreiche Kapitel ein gänzlich anderes Geschichtspanorama ausbreitet. Die Gartenlandschaft um die Orte Lednice und Valtice ist ein romantisches Reich, das den Vergleich mit englischen Anlagen nicht zu scheuen braucht. Man sollte sich Zeit nehmen, um ziellos durch die Gärten und Wälder zu streunen – am besten mit dem Fahrrad, Überraschungen sind garantiert.

Was sich die Fürsten der Familie Liechtenstein, die zu den mächtigsten in der Donaumonarchie gehörte, rund um ihre zwei Residenzen im Barock- und Neogotik-Stil und zahlreiche Seen und Teiche anlegen ließ, ist eine Landschaft, deren Angebote zur romantischen Stimmungsmache noch heute gerne angenommen werden. Abseits der Schlossanlagen ragt auf einer Lichtung ein Triumphbogen empor, etwas weiter krönt eine Kolonnade einen Höhenzug. Plötzlich steht man im dichten Wald vor einer Ruinenburg und entdeckt überrascht sogar ein Minarett (mit Aussichtsplattform): Bauten, die keinem anderen Zweck dienen sollten, als anmutige Kulissen für einen Ausflug in die Natur zu sein.

Tschechien - Lednice - Ungewöhnlicher Gartenschmuck: das 63 Meter hohe Minarett im Schlosspark von Lednice

Ungewöhnlicher Gartenschmuck: das 63 Meter hohe Minarett im Schlosspark von Lednice

Die Stille dieser Landpartie wird allenfalls durchbrochen vom Getrappel der Pferde, die Reiter über die Wiesen tragen, oder vom sanften Ächzen eines der Ruderboote. Der Weg führt schließlich nach Valtice, einer Winzergemeinde, die einlädt, den Tag bei einem Schoppen ausklingen zu lassen. Dass schon die Liechtensteiner Weinbau betrieben haben, daran erinnert die Weinstube im Schloss. Auch Winzer Tomas kann bestätigen, dass das tschechische Weltkulturerbe ein echter Geheimtipp ist. „Zu uns kommt man wegen des Weines – weniger wegen der Schlösser und Gärten.“ Die Kulturtouristen machen sich noch rar.

Reiseinformationen zum Weltkulturerbe Tschechien

Informationen:

Tschechische Zentrale für Tourismus: 030/2044770 oder 089/54885914, www.czechtourism.com (Hier kann man eine sehr informative Broschüre über das Weltkulturerbe bestellen.)

Mehr zu Weltkulturerbe in Tschechien: www.weltkulturerbe-online.info

Routenempfehlung:

Ein- oder zweitägige Stationen in Krumlov, Telč und Lednice; Rückfahrt über die Autobahn (mautpflichtig) Richtung Prag.

Tipp:

Weitere Orte, die bei der Tour passiert werden und einen Besuch lohnen, aber nicht zum Weltkulturerbe gehören: z.B. Budějovice, Třeboň, Slavonice, Mikulov.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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