Zu Gast im Reich von Rübezahl

Das Böhmische Riesengebirge mit dem Wohnmobil

Text und Fotos: Axel Scheibe

Das Böhmische Riesengebirge hat sich schon seit längerem als ein Winterparadies einen Namen gemacht. Dass Rübezahls Heimat auch in der wärmeren Jahreszeit eine Reise wert ist, hat Axel Scheibe für uns entdeckt.

Riesengebirge / Rübezahlfigur

Der Herbstwind tummelt sich in den Bäumen links und rechts der schmalen Straße. Blätter wirbeln durch die Luft, und am Himmel jagen dunkle Regenwolken tief über die Berge. Regen klatscht an die Frontscheiben unseres Wohnmobils. Die Scheibenwischer leisten Schwerstarbeit. Draußen verschwimmen im diffusen Licht der Dämmerung die Konturen. Es sind nur noch wenige Kilometer bis Paseky nad Jizerou, einem kleinen Riesengebirgsdörfchen, wo wir nach langer Fahrt unsere erste Rast einlegen wollen. Plötzlich, da hinten auf der Lichtung am Hang, der humpelnde Alte mit dem Tragekorb auf dem Rücken – ist da nicht Rübezahl, der mächtige und gefürchtete Herrscher des Riesengebirges? Viel haben wir im Vorfeld über den Geist gelesen, der in immer neuer Gestalt seit Jahrhunderten den Bewohnern und Gästen des Gebirges manch deftigen Schabernack spielt. Doch wollen wir lieber still sein, denn wenn man ihn Rübezahl ruft, was so viel wie geschwänzter Unhold heißt, kann er recht böse werden. Ja, „Herr und Gebieter des Riesengebirges“, so lässt er sich gern nennen. Das erste Konterfei des Berggeistes fand sich übrigens bereits auf einer Landkarte aus dem Jahre 1561. So richtig hof- und literaturfähig machte ihn der 1630 zu Zethlingen geborene Johannes Paul Schultze, der sich selbst Magister Praetorius nannte. Auf dessen Sagen beruhen so ziemlich alle Geschichten und Legenden über das Treiben Rübezahls, die in großer Zahl in den nächsten Jahrhunderten erschienen. Ob im schlesischen oder böhmischen Teil des kleinen Mittelgebirges, Rübezahl tauchte überall auf.

Doch jetzt, der Regen läßt etwas nach, ist der Alte wie ein Schatten im dichten Wald verschwunden. Hat er uns gesehen, plant er einen Streich oder hat uns nur die schummrige Lichtstimmung des Herbstabends getäuscht? Eines steht fest, ob geschnitzt, gemalt oder gebastelt, in den nächsten Tagen unserer Fahrt durch das böhmische Riesengebirge wird uns der alte Mann immer wieder begegnen. Rübezahl ist zu dem Markenzeichen und zum beliebtesten Souvenir des Riesengebirges geworden.

Riesengebirge / Wohnmobil

Mit dem Wohnmobil durch das Böhmische Riesengebirge/p>

Das Riesengebirge selbst übertreibt natürlich mächtig, denn mit einer Länge von 40 Kilomtern und einer Breite von nur 20 Kilometern gehört es zu den kleinsten Mittelgebirgen Europas. Über viele Jahrzehnte war es das beliebteste Mittelgebirge Deutschland. Bis zum 2. Weltkrieg waren es besonders die Berliner, die mit Begeisterung ins Böhmische reisten. Nach den Visaerleichterungen für DDR-Bürger Anfang der 70er Jahre gehörte das Riesengebirge erneute zu den Topp-Reisezielen der Ostdeutschen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Kamen Anfang der 90er Jahre neue Ziele ins Blickfeld der Sachsen und Preussen, haben sie sich mittlerweile wieder auf alt Bekanntes besonnen. Ob Harrachov, Spindleruv Mlyn, Pec pod Snezkou, deutsche Autokennzeichen sind unsere treuen Begleiter.

Von weiten Sprüngen und zauberhaftem Glas

Während es im schlesischen Teil des Gebirges eher sanft zu geht, lebt die böhmische Seite von der herben Ausstrahlung tiefer Täler und weiter Seitenkämme. Auf einer Höhe von rund 700 Metern liegt mit Harrachov (Harrachsdorf) einer der Orte, die zum Synonym für das Wintersportzentrum Riesengebirge geworden sind. Uns erwartet noch kein Schnee. Zwar tragen die Bäume schon die Farben des Spätherbstes, doch die mächtige Schanzenanlage, Harrachov besitzt eine der größten Flugschanzen der Welt, liegt noch im schmutzigen Oktobergrün. Doch man braucht keinen Schnee, um sich hier zu erholen. Schöne Wanderwege, gemütliche Gaststätten mit den bekannt günstigen Preisen und auch der eine oder andere Park- und Übernachtungsplatz für unser Womo lassen den Herbst zu einer idealen Reisezeit werden. Neben dem Wintersport sind es die hochwertigen Glaserzeugnisse, die den Namen Harrachovs in die Welt hinaus tragen.

Riesengebirge / Glas

Kunstvoll geschliffenes Glas

Zu den großen Meistern dieser Kunst gehört Frantisek Strelec, ein gemütlicher Böhme so um die Fünfzig. In einem romantischen Tal, unweit der weltberühmten Skiflugschanze, betreibt er gemeinsam mit seiner Frau Sonja eine gemütliche Pension, in deren Untergeschoss sich seine Glasschleiferwerkstatt befindet. Klar, dass er die Übernachtungsgäste seines Hauses gern zu einer Besichtigung seines Reiches einlädt. Und wer wollte sich die Chance entgehen lassen, einem Glasschleifermeister über die Schulter zu schauen. Ein Erlebnis, das übrigens nicht nur seine Hausgäste genießen können, Besucher sind bei Frantisek immer willkommen. Der Meister versteht nicht nur sein Handwerk perfekt, wie man an Exponaten, die in seiner Werkstatt auf den Versand warten, sehen kann, sondern er erzählt auch gern und interessant von seiner Arbeit und über seine Heimat, das Riesengebirge, das ihn im Winter immer mal wieder vom Schleifteller auf die Schier lockt.

Für Frantisek Strelec, dessen Vorfahren ebenfalls dieses Handwerk betrieben, war der Werdegang zeitig klar. Über viele Jahre lernte er bei seinem Vater die Kunst des Glasschleifens. Selbst jetzt, wo er seit Jahrzehnten selbst ein Meister seines Faches ist, kommt der an die 90 Jahre zählende Senior noch immer ab und an und schaut, ob der „Junge“ auch alles richtig macht. „Glasschleifer wird man nicht in drei Jahren Lehrzeit,“ so Frantisek, dessen böhmischer Dialekt unweigerlich an Schwejk erinnert. „An die acht Jahre dauert es schon, ehe man ein richtig fertiger Geselle ist. Und ein gutes Stück Talent braucht man sicher auch,“ so der Meister, während er einem kunstvollen Römer im wahrsten Sinne des Wortes den letzten Schliff gibt. „Um dieses Resultat zu erreichen, kommen rund 60 verschiedene Schleifscheiben zum Einsatz.“ Das Glas funkelt im Licht der Arbeitsleuchte so, wie die Augen von Frantisek, wenn er von seiner Arbeit schwärmt. Immer wieder neue Gefäße mit immer wieder neuen Mustern entstehen unter seinen geschickten Händen. Seine Kundschaft reicht bis nach Amerika und so mancher Sammler seiner zerbrechlichen Schätze ist regelmäßiger Gast in Pension und Werkstatt und verlässt das Riesengebirge nie, ohne das eine oder andere neue Stück von Meister Strelec mit auf die Heimreise zu nehmen.

Riesengebirge / Meister bei der Arbeit

Besuch beim Glasschleifer Frantisek Strelec in Harrachov

Die Familientradition der Strelecs ist auch für die nächsten Jahrzehnte gesichert. So wie vor ihm sein Vater, lernt Frantiseks Sohn jetzt die Grundlagen der Kunst des Glasschleifens. In einigen Jahren wird auch er ein Meister seines Faches sein. Vielleicht kommt dann in vierzig Jahren Frantisek Strelec ab und an in die kleine Werkstatt, um zu sehen, ob der „Junge“ auch alles richtig macht.

Wo die Elbe ihren Lauf beginnt

Der bekannteste und auch bei deutschen Touristen beliebteste Ferienort ist Spindleruv Mlyn (Spindlermühle). Hier findet der Gast die beste touristische Infrastruktur der Region, und wenn man Vrchlabi (Hohenelbe) dazu rechnet, durch die man als Tor des Riesengebirges nach Spindlermühle fährt, gibt es reichlich Interessantes zu sehen, das selbst bei schlechtem Wetter für Abwechslung sorgt.

Der Autocampingplatz Medvedin am nördlichen Ortsrand gehört zu den wenigen ganzjährig geöffneten Stellplätzen der Region und ist gleichzeitig ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für Wanderungen zu den reizvollen Zielen der Umgebung. Weißwassergrund, Elbquelle, Wiesenbaude und Schlüsselberg wurden schon von Generationen deutscher Urlauber erwandert und haben bis heute nichts von ihrer landschaftlichen Schönheit eingebüßt. Als kleiner flacher Fluss fließt die Elbe durch Spindlermühle und Hohenelbe. Doch das in 1386 Meter Höhe ausgemauerte Wasserloch, an dessen Mauer die Wappen aller 24 großen Städte angebracht wurden, die am Lauf der Elbe bis in die Nordsee liegen, ist nur eine symbolische Quelle. Die Elbe selbst wird von zahlreichen kleinen Gebirgsbächen gespeist. Zur Elbquelle und der nur etwa einen Kilometer entfernt gelegen Elbfallbaude führt ein blau markierter Wanderweg. Einer der schönsten des gesamten Riesengebirges.

Riesengebirge / Kutsche

Doch uns zieht es, nach sonnigen Tagen sorgt Regen für Wanderfrust, nach Hohenelbe. Mit seinen fast 14.000 Einwohnern ist das Tor zum Riesengebirge der größte Ort der Region. Hier kann man einkaufen und mit dem Riesengebirgsmuseum, das Führungen auch in deutscher Sprache anbietet, etwas für das geschichtliche Hintergrundwissen rund um unsere Urlaubsregion tun. Unweit von Hohenelbe, mit dem Womo nur einige Minuten Fahrt entfernt, liegt in landschaftlich reizvoller, ruhiger Umgebung die Lisci (Fuchs) Farma. Ein Eurocamp, der mit Stellplätzen, Bungalows und einem angeschlossen Hotel für ausgezeichnete Übernachtungsmöglichkeiten auf hohem Niveau sorgt. So mancher Wohnmobil-Tourist verbringt den gesamten Riesengebirgsurlaub hier. Die Entfernungen hinein ins Gebirge sind so kurz, dass die Fuchs Farm ein günstiges „Standquartier“ ist.

Riesengebirge / Fuchs Farm

Eurocamp Fuchs Farm

Jilemnice (Starkenbach), nur wenige Kilometer westlich von Hohenelbe, ist das zweite Tor zum Riesengebirge. Natürlich findet man auch hier ein Riesengebirgsmuseum. Dabei ist die Ausstellung „Anfänge des Skifahrens in Böhmen“ sicherlich ebenso ein Besuchermagnet wie die berühmte Weihnachtskrippe in der Weberstube. Von 1883 bis 1913 hat der damalige Schuldirektor Jachym Metelka an diesem Wunderwerk gearbeitet. Über 140 Figuren können 350 verschiedene Bewegungen ausführen. Die ständige Instandhaltung der komplizierten Mechanik dieser Weihnachtskrippe ist aufwendig und teuer. Aus diesem Grund wird sie nur an festen Zeiten in Bewegung gesetzt. Zwar gibt es in diesem Museum keine deutschsprachige Führung, doch kann man an der Kasse einen sehr informativen deutschen Begleittext ausleihen. Interessant ist übrigens nicht nur die Sammlung des Museums, sondern auch deren Unterbringung. Das Museum hat im Schloss des Grafen Harrach (16. Jh.) seine Heimstatt gefunden, liegt in einem kleinen Park und ist ein wahres Schmuckstück.

In Starkenbach lockt noch ein weiteres touristisches Ziel, die Zvedava Ulicka. Nur fünf Minuten vom Marktplatz entfernt, stehen in dieser Straße rund ein Dutzend Häuser in der typischen hölzernen Blockbauweise, wie sie im Riesengebirge über Jahrhunderte üblich war. Die Häuser stammen aus dem 18. Jahrhundert und sind bestens restauriert, sie werden bis heute als Wohngebäude genutzt.

Riesengebirge / typisches Haus

Haus in der typischen hölzernen Blockbauweise

Ganz hoch hinaus

Wer dem Riesengebirge so richtig aufs Dach steigen will, der muss nach Pec pod Snezkou (Petzer) fahren. Über teils schmale, aber landschaftliche schöne Straßen rollen wir von der Fuchs Farm über Hohenelbe, Cerny Dul (Schwarzes Tal) und Svoboda nad Upou (Freiheit an der Aupa) hinauf nach Pec. Im Ort selbst herrscht absolutes Parkverbot, doch zumindest im Herbst findet sich auf den bewachten Parkplätzen immer ein guter Platz auch fürs große Womo. Eine halbe Stunde Wanderung bis zur Talstation des Sesselliftes kündigt der Reiseführer an. Einmal mehr ist regenfeste Bekleidung unser Begleiter. Schon bei der Fahrt ins Gebirge verschwand die Sonne. Jetzt ziehen tiefe Regenwolken durchs Tal und hängen sich an den Bergen fest. Nieselregen, der alles durchdringt, setzt ein. Pünktlich nach 30 Minuten sind wir an der Seilbahnstation. Aus dem Nieselregen ist ein schöner satter Landregen geworden und selbst im Tal legt sich dichter Nebel auf die Hänge. Die Wettertafel am Lift bestätigt unsere Befürchtungen. Auf der Schneekoppe herrschen Sturm, Nebel und Regen. Auch die angekündigten vier Grad sind nicht verlockend. Unter diesen Umständen verzichten wir lieber auf den „Aufstieg“.

Die dadurch ungeplant übrige Zeit ist schnell verplant. Bei unserer Fahrt von Hohenelbe nach Spindlermühle hatten wir am Straßenrand das Hotel Pivovarska Bastai gesehen. Ein tolles Restaurant mit Gasthof-Brauerei und leckeren Spezialitäten aus Küche und Brauhaus, so hatten uns Freunde gesagt und einen Besuch dringend ans Herz gelegt.

Riesengebirge / Sudhaus

Kupferne Sudpfannen im Brauhaus des Hotels Pivovarska Bastai

Genau der richtige Platz, um unsere Urlaubstage im Riesengebirge ausklingen zu lassen. Und die Schneekoppe? Was solls! Ein guter Grund zum nächsten Besuch in Rübezahls Reich.

 

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