Reiseführer Andalusien: "Der Maler aller Maler" (Edouard Manet) - Durch das Sevilla des Diego de Silva Velázquez "


Velazquez

Man schrieb das Jahr 1599, wohl wenige Tage vor dem 6. Juni, dem Tag seiner Taufe, als Diego de Silva Velázquez in Sevilla das Licht der Welt erblickte. Diesem Künstler, der neben Rembrandt ohne Zweifel zu den größten Malern seiner Zeit zählt, in seiner Geburtsstadt, die auf ihren bekanntesten Sohn nicht wenig stolz ist, nachzuspüren, mag auf den ersten Blick frustrierend erscheinen. Kaum eines seiner Bilder blieb der Stadt erhalten, obwohl Velázquez bereits in jungen Jahren in Sevilla bedeutende Werke schuf. Fast alle seiner Bilder aus der Sevillaner Schaffensperiode – sein Frühwerk – sind in alle Winde verstreut in den großen Museen der Welt zu finden: in Madrid und Wien, London und Berlin. Von seinen bekannten Frühwerken ist lediglich „Imposición de la casulla a San Ildefonso“ im Museum der Schönen Künste zu bewundern.

Unsere Spurensuche gilt deshalb nicht seinen Bildern – herrliche Bildbände über sein Werk sind in allen Kunstbuchhandlungen zu finden – sondern der Welt von Velázquez, die ihn beeinflusste und formte, dem Sevilla des 17. Jahrhunderts, sowie den Künstlern, die Einfluß auf ihn nahmen und ihrerseits von ihm Anregungen verarbeiteten.

Sevilla war zur Zeit des Velázquez Anfang des 17. Jahrhunderts ein wichtiges religiöses Zentrum Spaniens. Durch Handel mit der sogenannten Neuen Welt war die Stadt zu beträchtlichem Reichtum gelangt, Hintergrund für die große Anzahl an Kirchen und Klöstern und die große Menge an sakraler und profaner Kunst, die von reichen Mäzenen in Auftrag gegeben wurde. Die Kunst erlebte eine Zeit allerhöchster Blüte, die dieser Epoche den Namen "Siglo de Oro", goldenes Jahrhundert, einbrachte. Es war die große Zeit der Sevillaner Malerschule. Zu ihren berühmtesten Vertretern zählten neben Velázquez Francisco de Zurbarán, Juan de Valdés Leal und Bartolomé Esteban Murillo.

Die Taufe von Velázquez am 6. Juni 1599 in der Kirche San Pedro an der heutigen Plaza de San Pedro ist schriftlich fixiert, sein Geburtsdatum muß man wohl einige Tage vorher ansetzen. Sein Geburtshaus stand in der damaligen Gorgojastr., der heutigen Padre Luis María Llop , wo an dem letzten aus dem 16. Jahrhundert erhaltenen Haus eine Tafel an die Geburtsstätte erinnert. In dieser Gegend wuchs Velázquez auf, und noch heute vermitteln hier einige mittelalterlich anmutende Gassen ein wenig vom Ambiente jener Zeit. Architektur und Ausmalung der nahegelegenen Kirchen haben den kleinen Velázquez geprägt: So die nahegelegene Santa Catalina im gotischen Mudejar-Stil des 14. Jahrhunderts, und auch die nicht weit enfernte Kirche San Marcos mit ihrem Turm im Mudejar-Stil stammt aus dem 14. Jahrhundert. Und ohne Zweifel kannte er auch das 1475 errichtete Kloster Santa Paula , mit seinem schönen Tor zum Innenhof aus dem 16. Jahrhundert und seinem außergewöhnlichen Eingang zur Klosterkirche im gotischen Mudejar-Stil aus dem Jahr 1504, verziert mit Fliesen (azulejos) von Nikolaus Pisanus und Andrea della Robbia – das repräsentativste Werk im Stil der Katholischen Könige und die älteste Renaissanceverzierung Sevillas.

Bereits mit 11 Jahren begann Velázquez eine Lehre in einer Malerwerkstatt – nichts Ungewöhnliches für die damalige Zeit. Eine Zeitlang war er, auch wenn das in der Forschung als nicht ganz gesichert gilt, Schüler bei Francisco Herrera dem Älteren (1590 ? – 1654). Doch seine eigentliche Ausbildung erhielt er bei Francisco Pacheco (1564 – 1644). Pacheco war ein humanistisch gebildeter Lehrer mit einer großen Bibliothek, sein Haus diente als Treffpunkt von Dichtern und Theologen, Malern und Gelehrten, so dass Velázquez in den Genuß einer umfassenden Bildung kam und die Diskussionen und Auseinandersetzungen der Zeit intensivst erlebte, denn wie damals üblich wohnte er gegen Kost, Logis und Kleidung im Haus seines Lehrmeisters. Dabei lernte er intensiv das nahe Viertel San Vicente kennen, das in Teilen bis heute eine fast dörfliche Atmosphäre bewahrt hat. An der Plaza del Duque de la Victoria steht heute eine Statue von Velázquez (s. Foto), angefertigt von Antonio Susillo und auch die südlich davon wegführende Straße ist nach dem großen Künstler benannt. Ohne Zweifel kannte er auch die nahe Alameda de Hércules , benannt nach den Säulen eines römischen Tempels, auf denen man die Skulpturen des Herkules und des Julius Cäsar plaziert hatte.

Velázquez war noch keine 18 Jahre alt, als er am 14. März 1617 nach Ablegung einer Prüfung in die Malergilde von San Luca aufgenommen wurde. Verbunden damit waren Privilegien wie die Erlaubnis, eine eigene Werkstatt einzurichten, Gehilfen einzustellen sowie Aufträge für öffentliche Einrichtungen und Kirchen zu übernehmen. Am 23. April 1618 heiratete er Juana Pacheco, die Tochter seines Lehrmeisters. Die Mitgift von mehreren Häusern in Sevilla wird ihm dabei sicherlich nicht ungelegen gekommen sein. In der heutigen Conde des Barajas besaß er ein Haus, in einer Zeit, in der er schon zu den angesehen Künstlern der Stadt zählte.

In einer Biographie aus dem 18. Jahrhundert von Palomino heißt es über die ersten Jahre des Künstlers: „Mit einer außerordentlichen Originalität und mit bemerkenswertem Talent begann Velázquez mit dem Malen von Tieren, Vögeln, Fischständen und bodegones in einer vollkommenen Nachahmung der Natur und mit wunderbaren Landschaften und Figuren, dazu verschiedene Speisen und Getränke, ferner Früchte und bescheidenes, einfaches Mobiliar, die er mit einer solchen Meisterschaft in Zeichnung und Kolorierung wiedergab, dass sie wirklich schienen. Er erreichte auf diesem Gebiet eine solche Höhe, daß niemand ihm gleichkam, und gewann auf diese Weise großen Ruhm sowie ein wohlverdientes Ansehen dank seiner Werke.“ Und weiter heißt es an anderer Stelle: „ Velázquez war gut bewandert im Studium verschiedener Autoren, von denen ausgezeichnete Vorschriften für das Malen zusammengestellt worden sind: er hatte die Proportionen des menschlichen Körpers bei Albrecht Dürer studiert, Anatomie bei Andreas Vesalius, Physiognomie bei Giovanni Battista Porta, Geometrie bei Euklid, Arithmetik bei Moya, Architektur bei Vitruv und Vignola sowie anderen Schriftstellern. Bei jenen wählte er mit Bienenfleiß und sorgfältig zu seinem eigenen Nutzen und zum Vorteil für die Nachwelt aus, was besonders gut und vollkommen war.“

Schon zu Lebzeiten ist Velázquez aufgrund seiner Fähigkeiten bewundert worden, die Natur realistisch zu beobachten und diese Eindrücke auf der Leinwand in genialer Form neu wiederzugeben. Ungefähr 20 Werke schuf Velázquez in den Jahren 1617 bis 1622 in Sevilla. Neun davon waren sogenannte bodegones, wie das „Emmausmahl“ oder „Christus im Hause von Maria und Martha“. Allgemein versteht man heute unter bodegones Stilleben, doch viel trefflicher ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, Schenke oder Garküche, was auf seine Darstellung einfacher Leute mit Speis und Trank hinweist. Auch bei den allerersten von ihm erhaltenen Bildern handelt es sich um bodegones: „Drei Musikanten“ und „Drei Männer am Tisch“. Schon bei diesen frühen Werken war Velázquez bemüht, eine individuelle Gestaltung der Personen deutlich werden zu lassen, ähnlich den beiden Bildern „Alte Frau beim Eierbraten“ und „Christus im Hause von Maria und Martha“ aus dem Jahre 1618. Zu den in Sevilla entstandenen Werken zählt auch ein halbes Dutzend Portraits von Männern und Frauen, darunter das sehenswerte Bild der „Mutter Jerónima de la Fuente“.

In Sevilla entstand auch Velázquez‘ erstes großes Meisterwerk, der um 1620 angefertigte „Wasserverkäufer“. Dieses grünlich schimmernde Bild zeigt einen Wasserverkäufer, der einem Jungen ein mit einer Feige ‚versüßtes‘ Glas Wasser reicht.

Ohne Zweifel war Velázquez anfangs stark vom neuen Stil und Naturalismus Michelangelo da Caravaggios beeinflusst, seiner Fähigkeit, Menschen und Gegenstände aus dem Dunkel hervortreten zu lassen und in einem neuen, grellen Licht erscheinen zu lassen. Mit der Zeit treten bei ihm jedoch die Licht-Schatten-Kontraste in den Hintergrund, die Töne werden differenzierter und feiner, was im „Wasserverkäufer“ erstmals deutlich zum Ausdruck kommt.

Für die Entwicklung von Velázquez‘ Künstlerpersönlichkeit müssen zwei Gebäude genannt werden, neben vielen, die hier unerwähnt bleiben müssen. Zum einen die Kathedrale. Für Velázquez und seine Zeitgenossen stellte sie eine Art Museum dar mit ihrer Sammlung von Kunstwerken aus dem 16. Und 17. Jahrhundert aus unterschiedlichsten Ländern. Vor allem die in der Sacristía Mayor zu findende „Kreuzabnahme“ von Pedro de Campana aus dem Jahre 1548 beeindruckte die Sevillaner Künstler beträchtlich. Zum anderen der Alkazar , dessen Umbau durch den Mailänder Architekten Vermondo Resta zwischen 1603 und 1625 Velázquez unmittelbar verfolgen konnte.

Mit seinem naturlistischen Stil beeinflusste Velázquez zahlreiche seiner Sevillaner Zeitgenossen wie die Maler Francisco Zurbarán (1598 – 1644) und Alonso Caro (1601 – 1667), deren Werke u.a. im oben erwähnten Museum der Schönen Künste und in der Kathedrale zu finden sind. In beiden Gebäuden, vor allem jedoch im Museum, kann man einen Blick werfen auf Werke weiterer Zeitgenossen von Velázquez, eine gute Möglichkeit, den Künstler besser in seine Zeit einordnen zu können. Hier findet man Werke von Juan Martinez Montanés, Juan des Roelas, Juan des Uceda, Francisco Varela, Juan del Castillo und Juan de Oviedo.

Man kann nicht von Velázquez sprechen, ohne auf seine Nach-Sevilla-Zeit einzugehen, der Phase seines künstlerischen Schaffens, die seinen späteren Ruhm im wesentlichen begründete. Am 6. Oktober 1623 wurde er in Madrid zum Hofmaler ernannt, der königliche Hof und seine Welt bestimmte in der Folgezeit sein Schaffen im Wesentlichen. Zwar fehlen auch bei ihm die religiösen Motive nicht, wie bei jedem anderen spanischen Maler, doch seine religiösen Bilder sind eher von kalter Feierlichkeit, von verweltlichtem Ausdruck gekennzeichnet. Damals hatte das absolute Königtum die Macht der Kirche bereits übertroffen, die sich zunehmend in seinen Dienst stellen mußte. Unterstrichen wurde Würde und Macht der Herrscher auf Velázquez‘ Bildern durch die Kontrastierung mit der Häßlichkeit der auf vielen Bildern zu sehenden Hofzwerge.

Naturalismus und Lebendigkeit kennzeichnen weiterhin sein Werk, berühmte Portraits wie das der Infantin Margarita und des Infanten Philipp Prosper zeugen von einer subtilen Malweise. Den Höhepunkt seiner Kunst erreichte Velázquez in seinen Werken „Die Teppichwirkerinnen“ und „Las Meninas“. In letzterem ist erstmals ein Werk entstanden, das den Vorgang des Malens zum Thema hat. In einer Art Vexierspiel läßt er den Betrachter erraten, dass er sich dabei malt, wie er die Familie des Königs malt, die wiederum nur in einem kleinen Spiegel zu erahnen ist und damit relativiert wird. Wie bei den Teppichwirkerinnen, wo das mythologische Thema fast beiläufig im Hintergrund abgehandelt wird, treten auch hier die Nebenfiguren in den Vordergrund. Ein vieldeutige Betrachtung wird möglich, vielleicht als Hinweis zu deuten auf eine Nation, die sich noch als Großmacht dünkt, aber bereits auf dem Weg in die Dekadenz ist.


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