Belgrad

Stippvisite zwischen Festung und Hyde Park (1/2)

Text und Fotos: Helga Schnehagen

 

Serbien - Belgrad

Straßenszene

Mitten in Belgrad beginnt der Balkan. Die Stadt liegt genau am Schnittpunkt der Pannonischen Tiefebene mit den Dinariden, dem dominierenden Gebirge der Balkanhalbinsel. Belgrad, beziehungsweise Beograd oder die „Weiße Stadt“, so ihr Name übersetzt, hat eine lange, bewegte Geschichte. Sie begann irgendwann vor 7000 Jahren in der Jungsteinzeit und endete vorerst 2006 mit der Gründung der heutigen Republik Serbien. Bis dahin soll die „Weiße Stadt“, so ihr Name übersetzt, 150mal angegriffen worden sein, zuletzt 1999 durch die Nato im Zuge des Kosovokrieges. Oberflächlich sind die Wunden verheilt. Bei genauem Hinsehen sind die Kriegsruinen jedoch nicht gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden und ragen, weder abgetragen noch wiederaufgebaut, mahnend empor.

Serbien - Belgrad

Mahnmale der Bombardierungen von 1999 durch die Nato, das früher vom Zentralkomitee des Bundes der Kommunisten, der späteren Sozialistischen Partei Serbiens, und anderen gesellschaftlichen Organisationen genutzte Bürohaus im Stadtteil Novi Beograd - einstmals höchstes Gebäude der Stadt - heute eine Bauruine

Jeder fünfte Einwohner Serbiens wohnt heute in Belgrad, das mit 1,7 Millionen Einwohnern etwa ebenso viele Einwohner hat wie Budapest. Damit stehen die beiden Hauptstädte unter den Donaumetropolen nach Wien an zweiter Stelle. In dem modernen, mit Hochhäusern versetzten Stadtbild sorgen eine ganze Reihe grüner Oasen und Brunnen mit hoch aufschießenden Fontänen für erfrischende Kontrapunkte. Seinen ganzen Charme versprüht Belgrad jedoch in der Altstadt.

Serbien - Alt-Belgrad, City, Platz mit Monument und Springbrunnen

Platz mit Monument und Springbrunnen in Alt-Belgrad

 

Nationalmuseum am Platz der Republik

Serbien ist eine äußerst reiche Kulturlandschaft, deren Rang erst langsam ins westliche Bewusstsein vordringt. Daher lohnt es sich, als erstes das Nationalmuseum am Platz der Republik zu besuchen. Der Rundgang führt chronologisch von der Vor- und Frühgeschichte über das Mittelalter bis zum Ersten Serbischen Aufstand im Jahr 1804.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Münzen als Zeugen der Geschichte

Geldscheine und Münzen als Zeugen der Geschichte

Parallel dazu zeigt die reich bestückte numismatische Sammlung anhand von Münzen, Medaillen und Geldscheinen die Historie auf ihre Weise. Die ältesten auf dem Gebiet des heutigen Serbiens entdeckten Münzen wurden unter griechischem Einfluss vom autochthonen paionischen Stamm der Derronen Anfang des 5. Jh. v. Chr. geprägt.

 

Von den ältesten Bewohnern des Balkans ….

Gleich zu Beginn fällt der Blick auf das in einen Modell-Kopf eingefügte über 400.000 Jahre alte Kieferknochen-Fragment eines Homo heidelbergensis, der ältesten bisher entdeckten Bewohner auf dem Balkan. Dann taucht man ein in die neolithischen Funde aus Starčevo, 27 Kilometer östlich von Belgrad, Vinča, 16 Kilometer südöstlich, sowie Lepenski Vir am Eisernen Tor an der Donau.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Schädel-Modell des Homo heidelbergensis aus Mala Balanica in Sićevo

Schädel-Modell des Homo heidelbergensis aus Mala Balanica in Sićevo

Hingucker sind die über 8000 Jahre alten Stein-Figuren mit fischähnlichen Menschenköpfen aus Lepenski Vir. Sie gelten als „Europas erste Monumental-Skulpturen“. Gleich als „Wiege des frühen Europa“ bezeichnet sich die nur wenig jüngere Vinča-Kultur mit ihren ungewöhnlichen weiblichen Götterfiguren. Sie beansprucht nicht nur die prächtigste Kultur der Jungsteinzeit in diesem Gebiet zu sein, sondern auch die höchstentwickelte im prähistorischen Europa.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Dupljaja Kultwagen, 16.-13. Jh. v. Chr.

Kultwagen aus einem Fund bei Dupljaja, 16.-13. Jh. v. Chr.

Emblematisch für die Bronzezeit ist nicht der großartige Goldschmuck aus verschiedenen Fundstätten, sondern ein mit Vogelsymbolen versehener tönerner Kultwagen aus dem 16. bis 13. Jh. v. Chr., der beim Dorf Dupljaja, 95 Kilometer östlich von Belgrad, gefunden wurde. Selbst der Lenker besitzt ein Vogelgesicht.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Bronzekrater aus Trebeništa am Ohrid See, ehem. Königreich Serbien, heute Nordmakedonien, 6.-5. Jh. v. Chr.

Funde aus der vermeintlichen Königs-Nekropole von Trebeništa am Ohrid-See

Die Eisenzeit beeindruckt mit den Funden der vermeintlichen Königs-Nekropole von Trebeništa am Ohrid-See, heute Nordmazendonien. Der Bronzekrater aus dem 6. bis 5. Jh. v. Chr. gehört neben dem Krater von Vix im archäologischen Museum von Châtillon-sur-Seine/Frankreich zu den besten seiner Art. Die goldene Totenmaske erinnert an die der Makedonen-Könige.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Schmuck, Novi Pazar, 6.-5. Jh. v. Chr.

Schmuck aus dem Fürstengrab von Novi Pazar, 6.-5. Jh. v. Chr.

Eindrucksvolle Begleiter in die Unterwelt sind auch die etwa gleichalten Bernsteinfiguren aus dem Fürstengrab von Novi Pazar in Südserbien. Herausragend sind die dreieckigen Platten mit eingravierten mythologischen Szenen, die als Kopf- oder Brustschmuck getragen wurden. Der Bernstein kam aus dem Baltikum, Hersteller waren vermutlich Griechen aus Süditalien.

 

… bis in die Römerzeit

Die Sammlung aus der Römerzeit gipfelt zweifelsohne in dem Bronzekopf von Konstantin dem Großen und der Belgrader Kamee, auf welcher der Imperator zu Pferde über gefallene Barbaren triumphiert. Serbiens größter Schatz aus der Zeit Konstantins, drei vergoldete spätrömische Prunkhelme, wird dagegen nicht in Belgrad, sondern im Vojvodina-Museum von Novi Sad ausgestellt.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Porträt-Kopf von Konstantin dem Großen, römischer Kaiser von 306-337 n.Chr.

Porträt-Kopf von Konstantin dem Großen, römischer Kaiser von 306-337 n.Chr.

In der Spätantike war das heutige Serbien ein wichtiges Grenzgebiet des Römischen Reichs. Entlang des Donaulimes entstand eine Vielzahl befestigter Militärlager, an den Kreuzungen der Handelsstraßen erwuchsen reiche Städte und mindestens 16 römische Kaiser, vor allem des 3. und 4. Jahrhunderts, erblickten hier das Licht der Welt. Zu ihnen gehörte auch Konstantin der Große, der um 280 in Niš geboren wurde. Die „Ferien-Straße der Römischen Kaiser“ zwischen der antiken Kaiserresidenz Sirmium im Norden und der römischen Provinzhauptstadt Justiniana Prima im Süden folgt eindrucksvoll ihren Spuren.

Serbien - Belgrad - Nationalmuseum, Belgrader Gemme, 4. Jh. n. Chr. (334-337), Kusadak, möglicherweise mit dem Triumph Konstantins über die Goten und Sarmaten(331-334), nach dem er kurz Dakien zurückgewann

Belgrader Gemme, 4. Jh. n. Chr. (334-337), Kusadak, möglicherweise mit dem Triumph Konstantins über die Goten und Sarmaten(331-334), nach dem er kurz Dakien zurückgewann

Belgrads römische Geschichte begann im 1. Jh. v. Chr. mit der Eroberung der keltischen Siedlung Singidunum. Mit dem Einzug der IV. Legion des Flavius im Jahr 86 erlebte die römische Stadt ihre größte Blüte. In dieser Zeit wurde auch die erste Festungsanlage aus Stein errichtet. Bis ins 18. Jahrhundert wurde das Bollwerk vielschichtig ausgebaut.

 

Knez Mihailova, die Fürst-Michael-Straße

Vom Platz der Republik mit dem Reiterstandbild von Fürst Michael, dem endgültigen Bezwinger der Osmanen, bummelt man über die Fürst-Michael-Straße direkt zum Kalemegdan. Die Fußgängermeile Knez Mihailova ist Belgrads Prachtstraße. Die prunkvollen Fassaden ihrer Gründerzeit-Bauten, die zwischen 1870 und 1925 entstanden, zeugen vom Reichtum ihrer Erbauer und Bewohner. Hier flanieren nicht nur Einheimische entlang eleganter Geschäfte und zahlloser Restaurants, hier folgen auch Touristengruppen aus der ganzen Welt aufmerksam ihrem jeweiligen Stadtführer, darunter viele deutsche.

Serbien - Alt-Belgrad, Knez Mihailova Straße

Prunkvolle Fassaden in der Knez Mihailova Straße

 

Kalemegdan – Park und Festung

An ihrem Ende muss man nur die Straße überqueren, um in den Kalemegdan einzutauchen, Belgrads größten Stadtpark rund um die Festung, dem bekanntesten Symbol der Stadt. Besonders im Sommer spenden die Bäume des Parks wohltuende Kühle, was nicht nur Touristen, sondern auch viele Belgrader auf die schattigen Bänke zieht. Von dort aus schweift der Blick über die zahllosen Statuen, Büsten und Monumente, die sich über die gesamte Anlage verteilen.

Serbien - Alt-Belgrad, Kalemegdan Festung

Kalemegdan Festung

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Serbien

Massentourismus wie an den Stränden der Bruderstaaten Slowenien, Kroatien und Montenegro hat es hier nie gegeben, nicht vor der „Wende“ und auch nicht danach. Serbien ist ein Binnenland, ein unentdecktes zudem, das mit ganz anderen Attraktionen aufwarten kann. Mit einer draufgängerischen, energiegeladenen Hauptstadt etwa, wie geschaffen für Kulturenthusiasten und Nachtschwärmer oder mit stillen, weiten Naturlandschaften, wo Luchs und Wildkatze, Schwarzstorch und Großtrappe unterwegs sind.

Serbien

Felix Romuliana © Pavle - Fotolia.com

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Mit der Donau durch Serbien

Eine Reise entlang der Donau in Serbien ist vor allem eines – eine Grenz-Erfahrung. Egal, ob Besucher mit der Flusskreuzfahrtschiff an den wichtigsten Häfen Station machen oder ob sie mit dem Drahtesel auf dem Eurovelo Weg 6 unterwegs sind, einem neuen Abschnitt des populären Donauradwegs, dessen meistbefahrene Etappen bisher noch in Deutschland, Österreich und Ungarn liegen – wer Serbien besucht, lernt ein Land kennen, in dem lange Zeit die Grenze zwischen der Herrschaft der Habsburger und des osmanischen Sultans verlief.

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Auf den Spuren des Regisseurs Emir Kusturica

Eine nostalgische Attraktion befindet sich in der Nähe der bosnischen Grenze, nordwestlich von Zlatibor: die Schmalspurbahn Sargan 8. Sie stand 2004 in Emir Kusturicas Film „Das Leben ist ein Wunder“ im Mittelpunkt, in dem es mit viel Klamauk um eine Liebesgeschichte und die Absurdität des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren geht. Von 1925 bis 1974 war die Strecke durch das Tara-, Zlatibor- und Sargan-Gebirge ein Teilstück des 760-Milimeter-Spurnetzes zwischen Belgrad und Dubrovnik. „Knapp 16 Kilometer wurden 1999 zwischen Mocra Gora und Sargan-Vitasi reaktiviert“, berichtet Milic Simic, der zwei Jahre lang Direktor der Sargan 8 war und ihre touristische Vermarktung förderte.

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