Der alten „2“ mal richtig einheizen

Heizer-Schnupperkurs auf der Brienz Rothorn Bahn im Berner Oberland – ein Geheimtipp

Text: Dagmar Krappe und Axel Baumann
Fotos: Axel Baumann

Schweiz - Berner Oberland - Dampflok der Brienz Rothorn Bahn

Die Luft riecht nach verbrannter Kohle. Hellbraune Rauchschwaden ziehen Richtung Brienzersee, als die wenigen Fahrgäste den rot-weiß lackierten Luzern-Interlaken-Express im Schnitzerdorf Brienz verlassen. Eingerahmt von mächtigen Holz-Chalets befindet sich nur wenige Schritte entfernt ein unscheinbarer weiterer Bahnhof. Von hier stammt der Qualm, denn hier quietscht und rangiert eine grün-schwarze Dampflok der Brienz Rothorn Bahn.

Schweiz - Berner Oberland - Brienz Rothorn Bahn

Schon vor ein paar Stunden haben Lokführer Kurt Amacher und Heizer Christian Flück die 125 Jahre alte Zahnradlok mit der Nummer „2“ angeheizt. Das Licht der 800-Millimeter-Schienenwelt erblickte die betagte Dame 1891 in der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur. An diesem Frühsommermorgen ist sie für eine besondere Veranstaltung auserkoren: Nicht nur wie üblich ein Heizer, sondern gleich fünf Vertreter der Spezies „Pufferküsser“ werden sie während eines Heizer-Schupperkurses „betütteln“. Als Erstes geht es für die vier Männer und eine Frau ab in die Kleiderkammer, denn eine Dampflok zu fahren und zu heizen, bedeutet Staub, Öl und schwarze Hände. Nach mehreren Anproben haben alle den passenden Blaumann gefunden. Jetzt fehlt nur noch die richtige Kopfbedeckung. Eine Heizermütze ist Pflicht. Leider gibt es sie nur ohne BRB-Logo.

Schweiz - Berner Oberland - Brienz Rothorn Bahn - Heizkessel der Lok

Heizkessel der Lok

Dann heißt es frei nach dem Film die „Feuerzangenbowle“: „Wat is'n Dampfmaschin?“ Kursleiter Kurt Amacher sagt es zwar auf Schweizerdeutsch, aber gemeint ist dasselbe. „Habt ihr schon einmal überlegt, wie eine Original-Dampflokomotive aus dem Jahre 1891 funktioniert? Was man alles beachten muss? Wo man schmieren und ölen sollte? Wie man das Feuer schürt?“ fragt er weiter. Alle Teilnehmer sind süchtig nach Öl und Ruß. Sie haben schon bei anderen Bahnen Erfahrungen gesammelt. Kurt Amacher kennt jede Schraube, jede Niete. Ein Lokführer steht hier nicht nur im Führerstand, sondern pflegt, wartet und prüft die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit seiner Lok eigenhändig. Putzen und Schmieren stehen dabei ganz oben im Pflichtenheft. Auch die Heizer-Neulinge dürfen nach kurzer theoretischer Einweisung gleich Hand anlegen. „60 Prozent des Heizerjobs besteht nicht daraus, Kohlen zu schaufeln, sondern aus Wischen und Polieren“, beendet Kurt seinen Vortrag. Die sauberen Putzlappen, die die Lok auf Hochglanz bringen sollen, liegen schon auf den Holzbänken im Beiwagen bereit. „25 Stellen müssen wir ölen und schmieren“, verrät der Kursleiter: „Das ist „Wellness“ für die alte Dame, damit die Gelenke nicht einrosten. Der Heizer ist sozusagen ihr Masseur. Er spürt jede Verspannung, jedes Wehwehchen und jede Veränderung der Maschine.“ Etwa eineinhalb Liter Öl verbraucht die Zahnradlok für die knapp acht Kilometer lange Fahrt von Brienz aufs Rothorn. „So ist das im Alter – odr! Bei den neuen Baureihen, die dieselgefeuert sind, reicht es wenn wir einmal am Morgen schmieren“, erläutert Kurt und grinst. Ausgerüstet mit Ölkanne und -spritze stürzen sich die fünf Heizer-Lehrlinge auf die Schmierstellen der Lok.

Schweiz - Berner Oberland - Nrienz Rothorn Bahn - Ausbilder und Lokführer Kurt Amacher zeigt, wo geölt werden muss

Ausbilder und Lokführer Kurt Amacher zeigt, wo geölt werden muss

1892 ging die Zahnrad-Bahn aufs Brienzer Rothorn in Betrieb. In nur 15 Monaten wurde die 7,6 Kilometer lange Strecke auf den 2.350 Meter hohen Berg gebaut. Die größte Steigung beträgt 250 Promille. Noch heute bestehen Teile des Schienenmaterials und die Zahnstangen aus den Anfangsjahren. „Eine Elektrifizierung hat auf dieser Linie nie stattgefunden“, so Simon Koller, Direktor der Brienz Rothorn Bahn: „Da die Gäste während des ersten Weltkriegs und in den darauffolgenden Jahren ausblieben, fehlte das Geld für diese Investition. Heute betrachten wir es als große Chance, denn die BRB ist die einzige Zahnradbahn der Schweiz, die planmäßig von Mai bis Oktober mit Dampf fährt.“

Schweiz - Berner Oberland - Brienz Rothorn Bahn

Blick auf eine Teilstrecke von der Station Planalp

Die vierzehn Dampflokomotiven aus drei Generationen werden im Winter von den jeweiligen Lokomotivführern gewartet. Jeder ist für seine Maschine verantwortlich. „Es würde wenig Sinn machen, die Experten nur für die Sommersaison einzustellen und sie im Winter an eine andere Bahn auszuleihen“, meint Simon Koller: „Also bleiben sie als festes Stammpersonal auch während der kalten Jahreszeit beschäftigt und bringen den Fuhrpark wieder auf Vordermann.“

Schweiz - Berner Oberland - Nrienz Rothorn Bahn - Kursteilnehmer

Teilnehmer des Schnupperkurses mit Kurt Amacher beginnen Trainingseinheiten

Auf dem Bahnsteig beginnen inzwischen erste Trainingsübungen. Die richtige Haltung und der Bewegungsablauf des perfekten Schaufelns wollen gelernt sein. Bei viel Platz im Freien sieht alles ganz einfach aus, aber im schmalen Führerhäuschen ist es neben dem Lokführer reichlich eng. Wenn dieser die Feuerklappe öffnet, hat einer der Heizer-Lehrlinge mit Schwung eine Ladung Kohlen ins Innere der Lok zu befördern und an der richtigen Stelle zu platzieren. 550 Kilogramm faustgroße polnische Kohlenstücke fasst der Tender. Über ein Kohlennachschubloch fällt das schwarze Gold direkt in den Führerstand.

„Lehrling“ Aliran wagt sich als erster in die Lok und schaufelt mit Feuereifer Kohle auf den Rost. Allerdings nicht so schön säuberlich wie Kurt Amacher es demonstriert hatte. „Das ist ganz wichtig“, wiederholt dieser: „Wenn es nicht der Fall ist, brennt das Feuer ungleichmäßig. Es strömt kalte Luft hinzu. Das Feuer fällt in sich zusammen. Als Folge verliert die Lok an Kraft.“ Während die übrigen vier Teilnehmer im angehängten Wagen entspannt die Fahrt mit Aussicht auf den blauen Brienzersee und schneebedeckte Zweitausender wie Schwarzhorn und Wildgärst genießen, wischt sich Aliran den Schweiß von der Stirn. Schaufel um Schaufel schiebt er in den nimmersatten, heißen Schlund, bis die Lok ein Ausweichgleis auf halber Strecke zur Mittelstation Planalp erreicht. Profi-Heizer Christian Flück hat alles im Blick und leitet mit einer Kurbel den Bremsvorgang ein. „Für eine komplette Fahrt hinauf zum Rothorn-Gipfel benötigt die Lok 200 bis 250 Kilogramm Kohle oder 40 Schaufeln und 1.500 bis 1.800 Liter Wasser“, erklärt Kurt Amacher während des kurzen Stopps, um den planmäßigen roten Zug, der hinunter Richtung Brienz zuckelt, passieren zu lassen: „Bergab genügen ein paar wenige Schaufeln. Gerade so viel um das Feuer am Brennen zu halten.“

Schweiz - Berner Oberland - Nrienz Rothorn Bahn - der Wassertank wird befüllt

Der Wassertank wird befüllt

Nachdem die reguläre Brienz Rothorn Bahn den Heizertrupp, der eifrig, aber mit System die Lok wienert, passiert hat, stellt Christian Flück die Weichen wieder um. Weiter geht die Fahrt des Trainings-Express bis zur Planalp. Nun kommt ein Hut ins Spiel, den Ausbilder Kurt bei der morgendlichen Einweisung kurz erklärte: „Diese Haube wird jedes Mal vor einem Tunnel über den Kamin gezogen, damit der Qualm sich nicht an der Tunneldecke sammelt, sondern nach unten gedrückt wird. So verhindern wir, dass Rauch und Asche zu den Passagieren in den Wagen gelangen.“

Schweiz - Brienz Rothorn Bahn in voller Fahrt

Die Brienz Rothorn Bahn in voller Fahrt

Am Ziel angekommen, darf die „alte Dame“ ihren Durst am Wasserkran stillen. „Lehrling“ Stephanie dreht den Arm des Krans über die Lok. Aliran führt den Schlauch über den Einfüllstutzen: „Wasser marsch!“. „Wir brauchen kaltes Wasser“, informiert Kurt: „Bei der Talfahrt wird die Dampfmaschine als Luftpumpe betrieben. Sie bremst den gesamten Zug. Darum müssen wir zur Kühlung kaltes Wasser einspritzen.“

 Schweiz - Berner Oberland - Nrienz Rothorn Bahn - Lok 2 über dem Schlackekasten

Lok 2 über dem Schlackekasten

Drei weitere Male zuckelt die alte „2“ noch bis zur Planalp. Bei jeder Fahrt haben die Hilfsheizer die Chance, ihre Schaufelhaltung zu verbessern. Vor der letzten Abfahrt zeigen alle fünf vollen Einsatz: Mit einem Besen fegen sie Asche und Kohlestückchen vom Dach und Heizkessel und ölen die Lok wieder kräftig. Doch es riecht noch nicht nach Feierabend. Nach der Ankunft im Bahnhof in Brienz gibt es weiter alle Hände voll zu tun. Zunächst schiebt die Lokomotive den Beiwagen in die Waggonhalle. Danach beginnt Stephanie damit, die Asche aus der Rauchkammer zu kratzen. Alle anderen Kursteilnehmer dürfen schließlich noch einmal der Hauptbeschäftigung des Heizers frönen und die Maschine rundum auf Hochglanz polieren. Geschafft! Kurt Amacher rangiert Lok „2“ auf ihren Schlafplatz, wo sie auf den nächsten Einsatz wartet.

Schweiz - Berner Oberland - Brienz Rothorn Bahn - Säubern der Rauchkammer

Säubern der Rauchkammer

Als wohlverdienter Lohn winkt ein „Heizerwürstli“, die Spezialität des Hauses direkt aus der Dampflok. Diese hat außen an der Seite einen zylinderartigen Minikessel, der über dem heißen Dampfkessel erwärmt wird. So haben früher Lokführer und Heizer ihre Mahlzeiten aufwärmen können.

Schweiz - Berner Oberland - Brienz Rothorn Bahn - Kurt Amacher verteilt die Urkunden für die frisch gebackenen Heizer

Kurt Amacher verteilt die Urkunden für die frisch gebackenen Heizer

Schon rollt der mit einem Joystick gesteuerte Elektrozug der Zentralbahn aus Interlaken Richtung Luzern auf dem Bahnhof gegenüber ein. Unter den Passagieren fünf erschöpfte, aber glückliche Hilfsheizer – ausgestattet mit Diplom und schwarzer Mütze.

Für wahre „Pufferküsser“ die exakten Maße der „alten Dame“: Spurweite: 800 mm, Achsfolge: 2zz1', Raddurchmesser: Laufräder 653/520 mm, Zahnrad-Triebräder 573 mm), Achsstand fest: 1.410 mm, Achsstand total: 3.000 mm, Dampfdruck: 14 atm, Leistung: ca. 170 kW, Gewicht dienstbereit: 16,5 Tonnen, Länge über Puffer: 6.100 mm, Höchstgeschwindigkeit: 10 Kilometer/Stunde

 

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