Gotland

Raue karge Schönheit

Text und Fotos: Beate Schümann

Am besten nähert man sich von der Seeseite, mit der Fähre oder dem Kreuzfahrtschiff. Dann wirkt die kinoreife Silhouette von Visby richtig. Man sieht sie, wie Kaufleute, Seeräuber und andere Ankömmlinge die Stadt zur Hansezeit sahen, als sie der wichtigste Handelsstützpunkt im Ostseeraum war. Eine hohe, blitzend weiße Stadtmauer mit Türmen, Zinnen, Wächtergängen, Wallgraben und gut verschließbaren Doppeltoren – eine Drohgebärde.

Die Altstadt von Visby, alte Hansestadt, seit 1991 Welterbestätte, Hauptstadt von Gotland, Schweden

Blick auf die Altstadt von Visby

Vermögende kaufen heute eine Villa, eine Yacht, einen Privatjet. Damals bauten sie Handelshäuser mit Treppengiebeln und schicken Blendfassaden, Kirchen und eine ordentliche Stadtmauer. Die wehrhaften Steine strotzen nur so vor Macht und Überlegenheit, aber auch vor Angst. Schließlich war Visby die reichste und größte Hansestadt im Norden, noch vor Lübeck, und hatte allen Grund sich aufzurüsten. Und an Steinen mangelte es der Kalkinsel nicht. Solche Mauern waren der Tresor des 13. und 14. Jahrhunderts.

Die Altstadt von Visby, alte Hansestadt, seit 1991 Welterbestätte, Hauptstadt von Gotland, Schweden

Unterwegs in der Altstadt

Auf gut dreieinhalb Kilometern kann man das fast vollständig erhaltene Bollwerk mit noch 27 intakten Türmen umrunden, und es fühlt sich wie pures Mittelalter an. Doch am Uferweg plötzlich kommt das blaue Bähnlein mit den Touristen angetuckert und holt die Verträumten in die Gegenwart zurück. Man schlendert auf dem historischen Areal von 195 Hektar, auf dem sich zweihundert Gebäude und elf Kirchenruinen verteilen; nur der Dom Sankta Maria ist noch in Funktion. Verzaubert geht man durch alte Gassen voll farbiger Häuser und blühender Rosenstöcke. Die Kaufmannshäuser ähneln jenen in Lübeck, Wismar oder Stralsund, weil der Handel zeitweise in deutscher Hand war. Nur ihr Prunk ist weniger filigran, weil Visbys Stern früh unterging. Die Hanseschwester Lübeck half dabei nach Kräften und brannte die Rivalin 1525 nieder. Der alte Groll ist längst verraucht. Heute sind sie Partnerstädte.

Die Altstadt von Visby, alte Hansestadt, seit 1991 Welterbestätte, Hauptstadt von Gotland, Schweden

Blühende Rosen in den Gassen

Der weiter zurückreichenden Vergangenheit widmet sich das Gotland Museum, in dem Besucher auch mehr über die Wikinger- und Hansezeit erfahren können. Ein eigener Raum präsentiert die seltenen aus der Eisenzeit stammenden Bildsteine. Die bis drei Meter hohen Kolosse sind mit kunstvollen, teils figürlichen, teils ornamentalen Darstellungen verziert. Megalithische Zeitzeugen, die von Landleben, Schifffahrten und Tod erzählen.

Außerhalb von Visby zeigen sich noch andere Reichtümer. Gotland rühmt sich der 92 mittelalterlichen Gotteshäuser, und das auf nur 3000 Quadratkilometern, einer Fläche so groß wie das Saarland. Eine Fülle, die ihr den Namen „Insel der Kirchen“ eintrug. Sie sind gebaute Frömmigkeit und belegen den Wohlstand der Wikingerzeit, etwa die Kirchen von Fröjel, Gammelgarn und Stenkyrka. Oder die 1164 von Zisterziensermönchen errichtete Klosterruine Roma. Die Brüder flüchteten nach der Reformation, die Dimension der Anlage samt gepflegtem Kräutergarten lassen sich an den gestutzten Grundmauern nur noch erahnen.

Von Wind und Wetter geformte Kalksteinsäulen, sogenannte Raukar oder auch Raukfelder, im Langhammars Naturreservat auf Farö, Gotland, Schweden.

Von Wind und Wetter geformte Kalksteinsäulen, sogenannte Raukar oder auch Raukfelder, im Langhammars Naturreservat auf Farö

Die „Gutar“, wie die Gotländer sich selber nennen, finden ihre Insel klein. Aber man kann 800 Kilometer an der Küstenlinie entlang fahren und immerzu aufs Meer schauen. Den Wikingern dürfte das gefallen haben. An den Kieselstränden zählen die Raukar zu den ältesten Bauwerken. „Zu Stein gewordene Geister“, sagen die Gutar und haben sie zu ihren Wahrzeichen erklärt. Wind, Wellen und die Salzluft frästen so lange am Gestein, bis sich Kolonnen aus bizarren Kalksteinsäulen bildeten. Geologen schätzen ihr Alter auf 543 Millionen Jahre. Von Korallen und Moos bewachsen, sind die fossilen Skulpturen in den Raukarfeldern des Naturreservates Langhammars auf der Nachbarinsel Fårö die wohl imposantesten. Man setzt sich in den Sand, fantasiert Gesichter in sie hinein, kann Nixen, Hunde und ganz bestimmt auch Geister erkennen.

Von Wind und Wetter geformte Kalksteinsäulen, sogenannte Raukar oder auch Raukfelder, im Langhammars Naturreservat auf Farö, Gotland, Schweden.

Nur ein schmaler Sund trennt das kleine Eiland vom großen Gotland. Das Übersetzen mit der gelben Fähre ist gratis, weil die Strecke zum öffentlichen Straßennetz gehört. Die meisten haben Fahrräder dabei.

Fårö hat 450 Einwohner, 250 Häuser, 1000 Ferienhäuser und keine Schule. Menschen begegnet man seltener als den schwarzen Schafen, die in der Lüneburger Heide wohl Verwandte haben, und Trottellummen wie auf Helgoland.

Landschaft auf Farö, Nachbarinsel von Gotland, Schweden

Landschaft auf Farö, Nachbarinsel von Gotland

Das Land ist flach, wie überhaupt alles flach ist – Kiefern, Birken, der Krüppelwacholder und Heidekraut, alles duckt sich am Boden, auch Fischerhütten und Bruchsteinmauern. Das macht das Radeln gemütlich, erholsam. Auch die höchste Erhebung ist leicht zu bewältigen; sie misst nur achtundzwanzig Meter. Wahrscheinlich hat der stramme Wind das Häuflein aufgetürmt. Man radelt gefühlte zwanzig Minuten ins Binnenland, und schon sieht man das Meer wieder. Nur der Fåröer Leuchtturm ragt heraus und ja, die bis zu zehn Meter hohen Raukar.

Grabstein von Ingmar und Ingrid Bergman bei der Dorfkirche von von Dämba auf Farö, Nachbarinsel von Gotland, Schweden

Grabstein von Ingmar und Ingrid Bergman bei der Dorfkirche von von Dämba auf Farö

Die Idylle hat auch Ingmar Bergman umgehauen. Der bekannte Filmemacher schwärmte für den abgeschiedenen Ort weit weg von Lärm und Trubel. „Hier will ich leben, hier will ich sterben“, sagte er über seinen Lieblingsplatz in Dämba. Und so war es. Mit seiner Frau Ingrid Bergman, die nicht die gleichnamige Schauspielerin, aber die große Liebe seines Lebens war, ruht er auf dem Friedhof der Fåröer Kirche. Immer liegen frische Blumen davor. Das schlichte Grab ist zur Pilgerstätte geworden.

Sonnenuntergang auf Farö, Nachbarinsel von Gotland, Schweden

Sonnenuntergang auf Farö

Die vielen Sonnenstunden sorgen auf Gotland für ein ungewöhnlich mildes Klima. Allerdings wird niemand die Insel verlassen, ohne den Gotländer Regen kennengelernt zu haben. Denn sonst wüsste man ja nicht, was richtiger Regen bedeutet. Kübelweise prasselt er, hart und mit unvorstellbarer Ausdauer. Durch den Regen kann man eben noch die Konturen der Inselgruppe Kasrlsö erkennen, das zweitälteste Naturschutzgebiet der Welt. Wanderern oder Radlern bleibt nur, das Weite und das nächstbeste Café zu suchen, um eine Fika einzulegen. Zur typischen Gotländer Kaffeepause gibt es starken Kaffee und Safrankuchen. Man sitzt gemütlich und lässt das garstige Wetter einfach draußen.

Spezialität Gotlands: Safrankuchen mit Beerenkompott und Sahne, Gotland Schweden

Spezialität Gotlands: Safrankuchen mit Beerenkompott und Sahne

 

Informationen

Anreise

Mit dem Auto und der Fähre von Rostock nach Trelleborg (ca. 6 Std.). Weiter nach Kalmar und mit einer weiteren Fähre nach Gotland (3,5 Std.), z.B. bei Ferryexperts, www.ferryexperts.com.

Schneller geht es mit dem Flugzeug, z.B. mit SAS über Stockholm nach Visby, www.flysas.com. Für beide Varianten braucht man unterwegs eine zusätzliche Übernachtung.

Gelbe Fähre nach Fårö: ab Fårösund, kostenlose Überfahrt, Dauer: 6 Min., www.trafikverket.se/farjerederiet/Information-in-english/about-the-sta-road-ferries2/.

Nacht

Villa Alma, Visby, www.villaalma.se/en. Gemütliches Luxus-Quartier mitten im historischen Zentrum.

Hotel Warfsholm, Klintehamn, www.warfsholm.se/en/hotell-eng/. Sensationell der Meerblick, legendär der Safrankuchen.

Essen & Trinken

Värdshuset Lindgarden, Visby, www.lindgarden.com. Man sitzt gemütlich und eng, es wird gotländisch-saisonal gekocht.

Smakrike, Ljugarn, www.smakrike.se. Treffpunkt für Gourmets.

Auskunft

www.visitsweden.de/gotland

 

Website der Autorin: www.beate-schuemann.de.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Das könnte Sie auch interessieren

.

Reiseveranstalter Schweden bei schwarzaufweiss

 

Ales stenar, das schwedische Stonehenge

Das hätte auch Obelix gefallen: 59 Hinkelsteine, schön aufgestellt im Kreis. Ein kunstvoll angerichtetes Gebilde, eine Art Stonehenge, nur nicht in England, sondern in Südschweden: Ales stenar bei Kåseberga gilt als die größte noch erhaltene Schiffssetzung Skandinaviens – und lockt jedes Jahr mehr als 500.000 Touristen an. Doch was hat es eigentlich damit auf sich – und was bitteschön ist eine Schiffssetzung?

Ales Stenar

Mehr lesen ...

Unterwegs auf dem St. Olavsleden

Wer in Sundsvall beginnt, vor dem liegen einige Hundert Kilometer, ehe Trondheim und der Nidaros-Dom erreicht sind, wo Olav Haraldsson nach der legendären Schlacht von Stiklestad seine letzte Ruhe fand. Der Weg folgt dabei dem, den der spätere heilige Olav mit seinem Heer genommen hat, als er, einer Vision folgend, sein russisches Exil verließ, um Norwegens Klans unter seiner Herrschaft zu vereinen. Möglicherweise hat Olav Haraldsson, der in verschiedenen Heeren in Europa gekämpft hatte und wohl auch an Raubzügen der Wikinger beteiligt war, Schiffe teilweise über Land ziehen lassen, um dann über den Ljungan und Indalsälven seinen Vormarsch gen Westen zu Wasser fortsetzen zu können.

Unterwegs auf dem St. Olaysleden

Mehr lesen ...

 

Ein Besuch in Malmö

Sie hat den Imagewandel erfolgreich bewältigt, von der Arbeiterstadt zur modernen Wirtschaftsmetropole. Schwedens drittgrößte Stadt ist jung, voller Überraschungen und höchst kreativ. Ein Wochenende in Malmö reicht aus um verzaubert zu werden.

Malmö

Mehr lesen ...