Text und Fotos: Andreas Lörcher
Es war mal wieder Anfang März, als Jakob mit dem selbstgebauten Schlitten aus Birkenholz, seinen zwölf Leika-Hunden und seinen sieben Sachen per Hubschrauber aus seiner Siedlung Tymlat nach Esso, einem Ort im Süden Kamtschatkas, eingeflogen wurde. Jedes Jahr um diese Zeit findet er sich mit seinem Anhang dort ein, zusammen mit weiteren Mushern aus ganz Kamtschatka, um gemeinsam in fünfzehn Tagen die 950 Kilometer von Esso nach Assora zurückzulegen. Dieses Hundeschlittenrennen, die Beringia, ist das Wintersportereignis schlechthin auf der Halbinsel im fernen Osten Russlands.
1991 von Alexander Pechen ins Leben gerufen, hat sie jedes Jahr Teilnehmer wie auch Anwohner der verschiedenen Siedlungen begeistert und schaffte 1995 sogar einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde: als längstes Rennen der Welt, denn die Musher mussten damals in dreißig Tagen eine Distanz von mehr als zweitausend Kilometern zurücklegen. Darauf verweist man hier immer wieder mit Stolz, hat doch Kamtschatka sonst nicht so viel zum zentralen Weltgeschehen beizutragen.
Mit Robbenfett und Trockenfisch
Auch Jakob war schon mehrere Male mit von der Partie, gewonnen hatte er noch nie, was er mit seinen 67 Jahren auch nicht mehr erwartete.
So wirkte er recht entspannt, verbrachte die Tage vor dem Rennen viel mit seinen Hunden, verpackte und ordnete Robbenfett und Jukola, (getrockneter Fisch, den die Hunde den Winter über zum Fressen bekommen) und vertrieb sich mit den anderen Teilnehmern die Zeit bis zum großen Rennen, indem sie immer wieder kleine Runden mit Ihren Gespannen drehten, um die Hunde wenigstens ein bisschen zu besänftigen. Die Tiere hechelten dem Ereignis ebenso gespannt wie die Musher entgegen.
Insgesamt hatten sich 16 Musher eingefunden, allesamt aus Kamtschatka. Größtenteils waren sie Korjaken, eine ethnische Gruppe aus dem Norden, die traditionell von Fischfang und Seesäugerjagd lebt oder seinerzeit mit ihren Rentieren durch die Tundra streifte, bevor sie durch die Sozialisierung des Landes in verschiedene Siedlungen gepfercht wurden, die nun die Strecke der Beringia säumen. Aber auch die Russen haben dort Elemente der korjakischen Kultur übernommen, und so sieht man einige von ihnen ebenso in Rentierfelljacken - die Kuchljankas - und Fellstiefel gekleidet, die sie vor Kälte und Schnee schützen.
Start bei minus 35 Grad
Der Morgen des 7. März, dem Starttag der Beringia, war ein kalter Morgen. Nachts kühlte es auf minus 35 Grad ab, und so waren die Hunde von Frost überzogen, als es endlich losgehen sollte. Vor den Mushern und den Hunden lagen 950 Kilometer Eis und Schnee, und nur hin und wieder sollte eine an der Strecke gelegene Siedlung Wärme und Unterhaltung spenden. Die Bewohner dieser Orte bereiteten sich schon lange auf das Ereignis vor, und so gibt es fast in jeder Siedlung eine Tanzgruppe, die in traditionellen Gewändern ihre alten Lieder und Tänze zum Besten gibt.
Traditionell gekleidete Einwohnerin
Leider sieht man bei manchen von Ihnen, dass Kultur und Tradition schon lange dem meist billigen Alkohol die Oberhand überlassen haben. So wirken traditionelle Vorführungen bisweilen eher wie pflichtbewusste Handlungen. Besonders schlimm erscheint dies im Winter, wenn die Männer allgemein wenig zu arbeiten haben, den achtzig Prozent von ihnen leben vom Fischfang. Im Winter gibt es da nicht viel zu tun. Hinzu kommt im Nordosten auch eine extrem hohe Arbeitslosigkeit und die miserable medizinische Versorgung, die die Menschen nicht selten in eine tiefe Hoffnungslosigkeit treiben.
Vor diesem Hintergrund ist die Beringia ein kleiner Lichtblick, der den Menschen für einen kurzen Moment Abwechslung bietet. Sie ist nicht nur ein sportliches Ereignis.
Vielmehr ist sie außerdem eine soziale Veranstaltung, bei der Alexander Pechen mit vielen Firmen zusammenarbeitet, um die Bewohner der verschiedenen, weit abgelegenen Siedlungen mit Medikamenten und Gebrauchsgegenständen auszustatten. Kinder bekommen Spielsachen und Schulhefte, Post wird verteilt, und es gibt ein offenes Ohr für Sorgen und Probleme, denen man versucht so gut wie möglich Herr zu werden.
Über eine zwei Meter hohe Schneedecke
Das Rennen verläuft zum Teil auf einer Winterstrasse entlang des Ochotskischen Meeres welches zu dieser Zeit zu einer einzigen Eisdecke erstarrt ist. Hier draußen klingt kein Laut an das Ohr. Die knorrigen Steinbirken recken ihre kahlen Äste in den Himmel, das Land schläft unter einer zwei Meter hohen Schneedecke, die Flüsse sind vereist, die Vögel ausgeflogen, und die Bären schlafen in ihren Erdlöchern und Höhlen ihren gerechten Winterschlaf.
So gleiten die Musher mit ihren Schlitten durch das schlafende Land, jeden Tag eine Distanz von 60 bis 120 Kilometer zurücklegend. Das einzig störende Geräusch sind die Motorschlitten und das Knattern des gewaltigen Wesdechods, dem „Allesgeher“, einem alten umgebauten Transportpanzer. Sie begleiten das Rennen und verteilen Versorgungsgüter - meistens gefrorenen Fisch - von den verschiedenen Lagern aus auf die Checkpoints.
Wenn man Jakob nach seinem Wohlbefinden fragt, dann lächelt er zufrieden. Wie die anderen auch ist er stolz auf sein Land, stolz auf die Beringia, und es herrscht ein harmonisches Miteinander. Kein Konkurrenzgedanke, wer denn nun gewinnt, nein, man fährt gemeinsam ein Rennen und wer der Sieger sein wird, das wird sich am Ende herausstellen.
Einige Hunde geben auf
Zur Zeit etabliert sich der 26-jährige Michail Sacharov aus Karaga. Ein junger kräftiger Mann der von allen der „Lächelnde Läufer“ genannt wird, rennt er doch mehr seinem Schlitten hinterher, um seine Hunde zu entlasten als dass er sich von Ihnen ziehen lässt. Er führt das Feld an, aber nur knapp hinter ihm liegt Jakob, der nun auch langsam anfängt, an etwas ganz Großes zu glauben.
Sollte er es tatsächlich schaffen, die Beringia zu gewinnen? Den ersten Preis, einen neuen Motorschlitten mit nach Tymlat zu nehmen? Aber solche Gedanken sind erst einmal Spekulation, denn Jakob weiß, dass es noch so einige Etappen zu bestehen gilt. Vor allem steht die Überquerung des Sredinni-Gebirges an, bevor man schließlich nach Assora, dem Zielort des Rennens am Pazifischen Ozean, gelangt.
Am 14. März ist Halbzeit. Die Trophäe, ein kunstvoll verzierter Walrosszahn, für den „Halben Sieger“ geht an Michail Sacharov. Jakob konnte die Distanz zu ihm halten. Immer noch ist er ihm dicht auf den Fersen. Und es sieht gut für ihn aus. Während Michail schon drei von seinen zehn Hunden zurücklassen musste, fährt er noch immer mit elf, und das Rennen soll ja noch einmal so lange gehen. Wer mit weniger als sechs Hunden fahren muss, ist aus dem Rennen. Das weiß auch Michail und so sieht man ihn des Abends öfter wie er aus seiner Kleidung Stofffetzen herausschneidet, um daraus Schühchen für seine Hunde zu nähen, damit ihre Pfoten nicht ganz so anfällig gegen die Kälte sind.
In Tigil ist noch einmal Rast, bevor sich die Männer wieder zu ihren Schlitten begeben, um an einem schönen Wintertag weitere hundert Kilometer hinter sich zu bringen. Langsam zeichnen sich am Horizont die ersten Berge ab, ganz in weiß gekleidet stehen sie da, und jeder weiß, das dies die Richtung ist, die es einzuschlagen gilt: der Weg über den Pass, der jetzt noch in unerreichbarer Ferne liegt.
Tee trinken und abwarten
Doch zuerst fahren sie noch nach Palana der Hauptstadt des Autonomen Korjakischen Bezirks, der die traditionellen Gebiete der Korjaken und anderer ethnischen Gruppen vereint. Hier ist wieder große Medienpräsenz. Das Radio und der lokale Fernsehsender sind da, in den Straßen warten die Bewohner der Stadt, und die Musher genießen sichtlich das Interesse der Menschen an den Hunden und an ihnen selber. Interviews werden gegeben und Fotos gemacht, es gibt eine Führung für alle Beteiligten in das Museum. Dann wird reichlich zu essen aufgetischt, und am Abend finden sich viele Menschen in der Stadthalle ein, um bei der Preisverleihung für so allerlei dabei zu sein. Für Jakob ist dies ein besonderer Tag. Er hat nicht nur die heutige Etappe gewonnen, sondern auch die Gesamtführung des Rennens übernommen, und so sahnt er einen Preis nach dem anderen ab. Vier Tage sind es nun, an denen er weiterhin souverän fahren muss, um dann am Ende vielleicht doch...
Aber in vier Tagen kann viel passieren, also abwarten und Tee trinken. In Russland trinkt man ständig zu jeder Zeit Tee. Wenn man Tee trinkt, gibt es auch immer irgendetwas zu essen, und das war die Hauptbeschäftigung, der wir in den nächsten Tagen nachgehen sollten.
Wird der Vorsprung reichen?
Zu dritt wurden wir mit dem Hubschrauber in eine kleine Basis unterhalb des Passes eingeflogen, um Vorbereitungen für die Ankunft der Musher mit ihren Teams zu treffen, die auf dem Weg von Palana in die Basis der Rentierhirten, die „Basa Alenjevoda“, waren. Umgeben von herrlichen Bergen fanden wir uns in absoluter Stille bei bestem Wetter zu Füßen des Passes wieder. Wir richteten eine kleine Hütte ein, die nachher zwanzig Leuten Unterschlupf gewähren sollte.
Schneebedeckt und mit vereisten Schnauzen
Als wir am nächsten Tag die Beringia erwarteten, wehte draußen bereits ein ansehnlicher Wind, der sich bald zu einem wüsten Schneesturm entwickeln sollte. Und daraus tauchten im Laufe des Nachmittags die einzelnen Gespanne auf. Die Hunde mit vereisten Schnauzen, über und über mit Schnee bedeckt, die Musher in alles gehüllt, was sie zu bieten hatten. So pflügten sich ihren Weg zur Hütte.
Das Wetter wurde noch schlechter. So pferchten wir uns zwei Tage und Nächte zusammen, tranken ständig besagten Tee, aßen, was es zu essen gab, und warteten auf besseres Wetter, um die Schlussetappe über die Berge in Angriff zu nehmen.
Jakob, der Sieger
Am morgen des dritten Tages wurde die Sicht ein bisschen klarer, und die Beringia nahm ihren Lauf: hoch hinein ins Gebirge und weitere 150 Kilometer quer durch das Land über Flüsse und durch Wälder, dem Zielort Assora entgegen, in dem Jakob als strahlender Sieger einen nagelneuen Motorschlitten entgegennehmen durfte.
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