Auferstanden aus Ruinen
Breslau hat sich zur lebensfrohen Kulturmetropole gewandelt
Text und Fotos: Robert B. Fishman
Blick vom Dom über die Altstadt von Breslau / Wroclaw
Polens viertgrößte Stadt entwickelt sich zur Kreativ-Metropole. Gleichzeitig entdeckt Schlesiens Hauptstadt ihr deutsches und jüdisches Erbe wieder. Die vom Architekten Max Berg 1913 erbaute Jahrhunderthalle - seinerzeit die größte freitragende Eisenbetonkonstruktion der Welt und inzwischen Weltkulturerbe - ist frisch renoviert. Als Kulturhauptstadt-Projekt entsteht WuWa 2, der Nachfolger der legendären Wohn- und Werkraumausstellung WuWa von 1929. Damals bauten schlesische Architekten Ikonen der heute klassischen Moderne. Während sich in der wieder aufgebauten Altstadt die Touristen tummeln, eröffnen junge Kreative in vergessen geglaubten Altbauquartieren wie Nadodrze Galerien, Designerläden und ausgefallene Cafés. Das neue junge Breslau bevölkern mehr als 100.000 Studenten und mehr als 300 Zwerge.
Betonkuppel der 1913 erbauten Jahrhunderthalle
Einer sitzt hinter Gittern, ein anderer hängt an einer Straßenlaterne ein Dritter bewacht den Zugang zur Unterwelt. Mehr als 100 Zwerge verstecken sich auf Gassen und Plätzen der Stadt. Die rund 30 Zentimeter kleinen Bronzefiguren erinnern an die jungen Leute, die in den 80er Jahren mit anarchischen Protestaktionen die Staatsmacht provozierten. Als Gnome verkleidet machten sie das Regime lächerlich. Inzwischen haben es die Wichte zum Wahrzeichen geschafft.
„Noch nirgends habe ich so viele Schichten der Vergangenheit ineinander verwoben gesehen“, staunt die Fotografin Verena Blok. Als Gastkünstlerin der Europäischen Kulturhauptstadt 2016 lebt die 25jährige für ein paar Monate in Breslau.
„Zeitschichten“ nennt sie den Kontrast der vielen Architekturstile in Wroclaw: Hier ein klassisch-moderner Bau aus den 1920ern wie das Sparkassengebäude am Salzmarkt, daneben detailgetreu restaurierte österreich-habsburgische Bürgerhäuser. Stadtteile wie Nadodrze oder das so genannte Bermudadreieck an der Straße der Pariser Kommune erscheinen wie vor 50 oder 60 Jahren schockgefroren. Seit dem Ende des Sozialismus tauen die grauen Viertel mit ihren fünf- und sechsstöckigen preußischen Mietskasernen der Gründerzeit wieder auf.
Altbauviertel Nadodrze
Oberbürgermeister Rafal Dutkiewicz regiert die rund 680.000 Worclawer seit 13 Jahren. Gerne erzählt er vom Breslauer Wirtschaftswunder: Viele internationale Unternehmen haben sich angesiedelt - auch wegen der Nähe zu Deutschland. Die Arbeitslosigkeit ist nach offiziellen Angaben auf unter vier Prozent gesunken. Dutkiewicz, Jahrgang 1959, studierte Mathematik und Philosophie, ging in die Wirtschaft, wurde Headhunter, schließlich Politiker.
Giebelhäuser am Marktplatz (Rynek)
Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus mit seinen Straßencafés und Restaurants plätschert ein moderner Brunnen. Ein junger Mann zaubert mit einem Seil an zwei Stöcken Seifenblasen in den blauen Himmel, manche groß wie ein Auto. Kinder springen jauchzend in die glitzernd durch die Luft wabernden Ballons. Die Klänge eines Liedermachers mischen sich mit den Pop-Songs einer Band auf der anderen Seite des Platzes. Die vielen Cafés wie das PRL, einst die offizielle Abkürzung der polnischen Volksrepublik, sind gut besucht. Die Ostalgie-Welle hat Breslau erfasst. Die Kellnerinnen bedienen in einer Art Pionieruniform mit rotem Tuch um den Hals. Drinnen hängen Bilder von Stalin, den Führern des sozialistischen Polens und Propagandaplakate. Der untergegangene real existierende Sozialismus ist zur Touristenattraktion geworden.
Breslaus Zukunft beginnt im Stadtteil Nadodrze hinter der Uni. Konrad, Hipster-Bart und gegelte Haare, sitzt auf einem Stapel Holzbretter neben einem ausrangierten Fernseher im Hinterhof eines unsanierten Altbaus aus preußischer Zeit. Der 28jährige nennt sich Marketing-Manager des Start-Up-Unternehmens Panato. Seine Kolleginnen und Kollegen entwerfen drinnen vor Computerbildschirmen Designs für Beutel und andere stabile Modeaccessoires für den Alltag. Das Leben vor der Haustür liefert ihnen die Ideen. „Wenn Du mit über die holprigen, löchrigen Pisten radelst, brauchst Du Taschen aus festem Material“, erklärt Konrad. Die Räume teilt sich Panato mit dem gleichnamigen Café, in dem die Gäste für die Zeit bezahlen, die sie dort verbringen. Umgerechnet 2 Euro 88 kostet die Stunde inklusive Kaffee, Kuchen oder Suppe.
Designerladen und Cafe Panato im Stadtteil Nadodrze
Bevor der Wandel begann galt Nadodrze als gefährliches Glasscherbenviertel, »wo die Zigeuner wohnten«. Neuerdings ziehen immer mehr Studenten in die günstigen Wohnungen des Viertels. Künstler und junge Unternehmer gründen Cafés, Galerien und Läden wie das Panato mit seinen Design-Produkten.
Marketing-Manager Konrad liebt das Quartier mit den alten Gebäuden, versteckten Hinterhöfen und „den vielen coolen Leuten“. Auf den Straßen liegt das deutsche Kopfsteinpflaster der vorletzten Jahrhundertwende. Seitdem ergrauen die bröckelnden Fassaden der vier- und fünfstöckigen Mietshäuser. An einem Platz überdauert ein kreisrunder Weltkriegs-Hochbunker nutzlos die Zeiten. Graffity-Künstler haben Einfahrten mit leuchtend-bunten Wandbildern dekoriert.
Im Info-Büro, das die Stadt in der Erdgeschosswohnung eines Altbaus eingerichtet hat, siztzt Edward Skubisz an einem der rohen Holztische. Der 65jährige ist in Holland aufgewachsen. Sein Vater war im Krieg Soldat der Polnischen Heimatarmee. Auf Seiten der Briten kämpfte er gegen die Nazi-Besatzung und blieb nach 1945 in Breda. Erfahrungen, die Edward prägten. Er gründete die Stiftung Dom Pokoju, Haus des Friedens, die in Polen, den Niederlanden und Deutschland Versöhnungsprojekte fördert. Die Stiftung hat zwei Tagebücher von Holocaustüberlebenden herausgegeben und organisiert Bildungsprogramme an Schulen. In Nadodrze richtet sie zusammen mit Senioren aus dem Viertel ein Nachbarschaftsmuseum ein.
Auch Edward lobt seine Wahlheimat. Die Stadt kümmere sich um die große Kultur wie um die kleine in den Vierteln. Überall sehe man in Wroclaw die Spuren der österreichischen, deutschen und der polnischen Geschichte. Inzwischen hätten die Nationalitäten und Religionen ihren Frieden miteinander gefunden.
Innenraum der Synagoge zum Weißen Storch
Am Südrand der Altstadt hat diese Toleranz sogar ein eigenes Quartier. Das ehemalige jüdische Areal hat die Stadt zum „Viertel des gegenseitigen Respekts“ erklärt. Rund um die frisch restaurierte Synagoge zum Weißen Storch beten Juden, Christen aller Richtungen und Muslime gemeinsam. Dazwischen haben sich ein Fahrradvermieter mit Café, Kneipen und Clubs angesiedelt. Breslau ist auf einem guten Weg.