Medizin aus dem Regenwald

Ein Besuch bei den Emberá-Indios in Panama

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Egal, ob es um Mittel gegen Zahnscherzen geht oder um einen natürlichen Ersatz für Viagra - der Medizinmann Capiamo Clavo Cansari kennt die Geheimnisse des Regenwaldes. Wer ihn in seinem Dorf besucht, dem bietet der Naturheiler eine Dschungelführung der besonderen Art. Rainer Heubeck hat ihn begleitet.

Panama Tanz

Knapp vierzig Minuten Autofahrt von Panama City entfernt beginnt eine andere Welt. Aus der Betonstraße ist längst eine Erdpiste geworden, und bald schon geht es nur noch per Boot weiter. An einer abgelegenen Sandbank, mit Namen Puerto El Corotu, stehen zwei Einbäume bereit. Die Schwimmwesten für die Besucher scheinen übertrieben, schließlich ist der aufgestaute Río Chagres hier ruhig wie ein See. Und tatsächlich heißt der Fluss hier Alajuela See.

 

Wasser für den Panama-Kanal

Panama Rio Chagres

Der Río Chagres versorgt den Panama-Kanal

Der Rio Chagres ist für die Panameños nicht irgendein Fluss, sondern der wichtigste Wasserlieferant für ihre wirtschaftliche Lebensader: den Panama-Kanal. Rund hunderttausend Liter Süßwasser gehen bei jedem Schleusengang verloren. Bei vierzehntausend Schiffen, die im Jahr Panama durchqueren, sind eine Menge Schleusengänge notwendig. Zudem hat jeder Ozeanriese drei Anlagen zu absolvieren: Die Miraflores-Schleusen nahe Panama City, die Pedro-Miguel-Schleusen kurz vor dem Gatún-See und die 26 Meter hohen Gatún-Schleusen auf der Atlantikseite des Kanals - die größten des Landes. Kein Wunder, dass die panamesische Regierung den Rio Chagres unter Naturschutz gestellt hat. Denn ohne das Wasser aus dieser Region gäbe es keinen Kanalbetrieb.

Panama Kanal

Panama-Kanal: Transportweg und Zuschauermagnet

Aus diesem Grund blieb der Regenwald rund um den Fluss nahezu unversehrt. Dass dieses Gebiet einer Gruppe von Indianern, die von den Unruhen in der Nähe der kolumbianischen Grenze bedroht waren, als neues Domizil angeboten wurde, mag man als innenpolitisches Kalkül ansehen, den Emberà-Indios blieb jedoch zunächst keine Wahl. Heute freilich fühlen sie sich, glaubt man ihren Beteuerungen, in ihren neuen Dörfern wohl - auch wenn das Fischen und Jagen innerhalb des Nationalparks strengen Auflagen unterliegt.

Panama Dorfbevölkerung

Die Emberá in ihrem Dorf

Eines ihrer Pionier-Dörfer am Río Chagres heißt Emberá Drua. 1975 von drei Emberá-Familien gegründet, nannten sie es anfangs schlicht 2-60, weil es in der Nähe der meteorologischen Station 2-60 lag, die der Kanal-Kommission gehört. Doch 21 Jahre später hatten die Indios endlich genug von dieser unpersönlichen Bezeichnung. Ihr Dorf war deutlich gewachsen, ihm gebührte ein richtiger Name, und zwar einer, der das neu entstandene Selbstbewusstsein dokumentieren würde: Platz der Emberá.

Balsam für die Seele der Indios

Zu diesem Dorf sind wir im Einbaum von El Corotu aus unterwegs. Etwa eine Stunde soll die Fahrt dauern, immer stromaufwärts. Die ersten Stromschnellen sind noch recht harmlos. Doch der Chagres hat Niedrigwasser. Nach jeder Kurve wird das Navigieren schwieriger und immer öfter läuft das Boot auf Grund. Zwei Männer aus der dreiköpfigen Steuercrew steigen aus, stehen bis zur Hüfte im reißenden Wasser und versuchen, den etwa zehn Meter langen Einbaum Millimeter für Millimeter vorwärts zu hieven. Mehrmals droht das Boot zu kippen, als es von einer Querströmung erfasst wird - doch im letzten Moment gewinnt es wieder an Stabilität. Unser Anerbieten, ihnen helfen zu wollen, lehnen sie lächelnd ab, denn die Indios wissen natürlich, was sie tun. Schließlich fahren sie diese Strecke nicht zum ersten Mal. Nun noch eine Kurve - und das Kanu legt an einer Böschung am linken Flussufer an.

Panama Einbaum

Ankunft bei den Emberá

Für die Dorfbevölkerung sind die Ankömmlinge keine Sensation. Sie sind an Touristen gewöhnt - in der Hochsaison sogar mehrmals pro Woche. Natürlich bestreitet ihr Dorfsprecher den Verdacht, dass eine Beschädigung ihrer Kultur der Preis für diese Darbietungen sei. Schließlich hätten die Dorfbewohner nach ihrer Flucht aus dem Darien-Gebiet, wo Frauen und Kinder nicht mehr in Sicherheit waren, sich bewusst dafür entschieden, weiter abseits der Zivilisation im Dschungel zu leben - statt ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben und sich in Panama City mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten. Das Interesse der Europäer und Amerikaner an ihrer Kultur ist Balsam für die Seele der Indios. Denn in Panama werden sie als underdogs behandelt. Selbst andere Indianergruppen, etwa die weit stärker assimilierten Kunas, deren Kinder häufig Hochschulen besuchen, sehen in ihnen einfach nur die zurückgebliebenen Wilden aus dem Wald.

Schlangenserum aus dem Kräutergarten

Panama MedizinmannDie einfachen Holzhäuser der Emberás sind allesamt auf Stelzen gebaut, erst ein bis zwei Meter über der Erde findet sich der Eingang. So schützen sich die Bewohner vor wilden Tieren - und von denen lauern viele im Regenwald. Am gefährlichsten für den Menschen sind jedoch nicht die mächtigen Jaguare, sondern die oft unauffälligen Schlangen. Nicht einmal der Häuptling ist vor ihnen gefeit. Euclides Ruiz, der Anführer, der Noko, hat leidvolle Erfahrungen gemacht. Neun Mal haben sie ihn bereits gebissen. Sogar Giftschlangen waren darunter - doch das notwendige Gegengift konnte jedes Mal schnell beschafft werden. Und zwar nicht per Helikopter aus Panama City, sondern aus einem Kräutergärtchen (Foto rechts). Der hiesige Medizinmann hatte es angelegt, im Regenwald gleich hinter dem Dorf. „Zwar wachsen all die Pflanzen, die wir für die Heilkunst brauchen, auch wild, aber gerade wenn in der Nacht etwas passiert, ist das Gärtchen sehr praktisch. Wir wissen dann genau, wo wir die benötigten Kräuter schnell finden können“, erläutert Capiamo Clavo Cansari - und läuft barfuss in den Regenwald, um den Besuchern die verschiedenen Heilpflanzen zu demonstrieren.

Diese Pflanze hat Blätter scharf wie Rasierklingen, erläutert er, und hält sich demonstrativ eines der Blätter ans Kinn. Aus einer anderen Frucht kommen kleine Kügelchen zum Vorschein. „Ideal bei Zahnscherzen, denn die örtliche Betäubung wirkt nahezu sofort.“ Und der Regenwald liefert ihm noch mehr: Mittel gegen Fieber lassen sich dort finden, aber auch gegen Harnwegsentzündungen und Gonorrhöe. Capiama Clavo Cansaris Wissen ist gefragt. Der Medizinmann weiß, wie der Mond stehen muss, wenn die Pflanzen geerntet werden. Er kennt ein Kraut, das den Rheumatismus vertreibt - wenn man es in warmes Wasser legt und mindestens vier Mal darin einweicht.

Panama Kräutergarten

Heilkraft aus der Dschungel-Apotheke

Eine andere Pflanze, so berichtet Cansaris, diene als natürlicher Ersatz für Viagra - die Wirkung trete allerdings erst etwa fünfzehn Tage nach der Einnahme ein. Darüber hinaus gäbe es auch eine Pflanze, die sich die Männer um den Hals hängen können, um die Frauen beim Tanz zu betören, und ein weit stärkeres Gewächs, das vorsorglich geheim gehalten wird. Schließlich führe es dazu, dass ein Mann allein durch seinen Atem die von ihm begehrte Frau geradezu hörig machen kann.

Auch die Farben für ihre Körperbemalungen liefert den Emberá der Dschungel. Die nussartige Jagua-Frucht wird zu einem feinen Farbpulver zerstoßen, das, mit Wasser angerührt, etwa acht Tage lang auf der Haut haften bleibt. Selbst ihr berüchtigtes Pfeilgift stellen die Indios pflanzlich her. Doch, auch wenn Häuptling Euclides Ruiz den Besuchern gerne noch mit Pfeil und Bogen entgegentritt, ist diese Art der Jagd inzwischen Folklore.

Wie werden die Kinder einmal leben?

Bei den Tänzen, die auf selbst gebastelten Holzflöten begleitet werden, ist das hingegen nicht so. Denn an Festtagen zelebrieren die etwa neunzig Bewohner von Emberà Drua ihre Tänze auch ohne Besucher. Doch der Ethno-Tourismus ist den Emberá willkommen: Landwirtschaft, so sagen sie, ist im Nationalpark schließlich verboten - also brauchen sie andere Einnahmen.

Panama Tanzgruppe

Die Emberá beim rituellen Tanz

Panama Indio-MädchenZum Beispiel den Verkauf von Souvenirs: kleine Skulpturen aus Tagua, einer nussartigen Frucht mit einer Konsistenz ähnlich dem Elfenbein, kunstvolle Flechtarbeiten aus Palmblättern, Halsketten und Musikinstrumente stehen zur Auswahl. Abends, wenn die Besucher weg sind, wird die traditionelle Stammeskleidung gegen T-Shirts vertauscht - diese sind zum Basketball-Spielen einfach praktischer. Manche Dorfbewohner versammeln sich dann auch um den einzigen Fernseher des Ortes. Zumindest bis es dunkel wird, und der mit Solarstrom betriebene Generator keine Leistung mehr bringt.

Gut acht Jahre ist es nun her, dass sich die Emberá nach langen Debatten zur Öffnung für den Tourismus entschieden haben. Noch leben sie einfach, ohne Stereoanlagen und ohne Kühlschrank. Für welches Leben die Kinder, die in der kleinen Dorfschule des Ortes von einer von außen kommenden Lehrerin auf Spanisch unterrichtet werden, künftig führen werden ist allerdings offen. Der Kontakt zur Moderne nimmt ihren Biographien die Selbstverständlichkeit.

Vor wenigen Jahrzehnten, so berichten die Dorfbewohner, sei es üblich gewesen, dass die Jugendlichen bereits im Alter von dreizehn oder vierzehn geheiratet hatten. Heute sind Eheschließungen unter Minderjährigen verboten. Auch die traditionelle Naturreligion hat Konkurrenz bekommen. Seit ein Missionar im Ort war, sind die Indios offiziell zum christlichen Glauben konvertiert. Doch der Respekt vor der „madre de agua“, der Göttin des Wassers, ist ungebrochen.

 

Reiseinformationen

Panama KinderspielAnreise

Von Panama City aus organisieren mehrere Touranbieter den Besuch bei den Emberá-Indianern. Empfehlenswert ist Eco-Circuitos (www.ecocircuitos.com).

Ein- und Ausreise

Die Einreise nach Panama ist visumfrei (bis zu einem Monat), der Reisepass muss noch mindestens 6 Monate gültig sein. Bei der Ausreise ist eine Ausreisegebühr zu entrichten.

Gesundheit

Impfungen sind nicht vorgeschrieben, je nach Reisezeit und besuchter Region kann Malaria-Prophylaxe sinnvoll sein. Nähere Infos hierzu im Tropeninstitut oder beim Hausarzt.

Auskünfte

Botschaft der Republik Panama, Wichmannstraße 6, 10787 Berlin, Tel.: +49 30 226 058 11, Fax: +49 30 226 058 12, www.botschaft-panama.de

www.visitpanama.com.

Hintergrundinformationen über die Kultur der Emberá finden sich unter www.nativeplanet.org/indigenous/embera/emberadrua.htm.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Panama

Es war ein verwegener Plan und ein alter Traum der seefahrenden Menschheit: Atlantik und Pazifik mit einem Schifffahrtskanal miteinander zu verbinden. Nach einem gescheiterten Projekt der Franzosen nahmen die US-Amerikaner die Sache zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Hand. 1903 schlossen die Nordamerikaner mit Panama einen Vertrag ab, der sie ermächtigte, den Panamakanal durch den Isthmus von Panama zu bauen. Bis zur offiziellen Freigabe 1914 beschäftigte das titanische Werk Heerscharen von Ingenieuren und Arbeitern und forderte - angesichts all der Unfälle, Gelbfieber-, Malaria- und Ruhrepidemien - sage und schreibe 25.000 Menschenleben.

Panama

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