Nächstes Ziel ist Hadres, ein Marktflecken, der für die längste geschlossene Kellergasse des Weinviertels berühmt ist. Rund 400 Presshäuser und Keller stehen beieinander, alle in erstaunlich atmosphärischer Monotonie.
In Hadres
Ein Abstecher bringt uns zu Jessika Wyschkas Weinbergschneckenzucht in Obritz. Die junge Deutsche hatte sich in ein Weinviertler Presshaus und bald darauf auch in die Mitbewohner ihres Ackers verliebt. „Sie lieben das Gleiche wie der Wein - kalkhaltige Böden“, sagt sie. So wurde Wyschka zur Helicikulturin – Schneckenhirtin. Auf ihrer Farm hält sie die delikaten Sorten die Pulkautaler Knopf, die Helix Pomatia und die Maxima, die sie Gourmetrestaurants verkauft, auch als Aufstriche.
Jessika Wyschkas mit gezüchteten Weinbergschnecken in Obritz
Das Pulkautal darf man mit Fug und Recht malerisch nennen. Es ist durch die Verfilmungen von Alfred Komareks Polt-Krimis berühmt geworden, in denen der gemütliche Polizist Simon Polt die Fälle auf seine Art löst. In Untermarkersdorf halten wir am Schauplatz Himmelbauer-Keller, der im Buch der „Höllenbauerkeller“ ist. Elisabeth Himmelbauer schenkt uns einen ihrer kräftigen Bio-Weine ein, schneidet Brot, Schinken und Käse auf. Kurz darauf plaudern wir mit ihrem Schwager Herbert Krautwurm, der von einer Führung zu den originalen Polt-Drehorten zurückkommt - Strohhut mit Feder, Ober- und Unterlippenbart. Er hat als Double selbst mitgespielt.
Elisabeth Himmelbauer in ihrem Weinkeller
Nachdem wir in Hadres die längste Kellergasse des Weinviertels kennengelernt haben, lernen wir in Haugsdorf die steilste kennen. Erst bin ich froh über den Motor, während mein Mann ächzt. Doch ich muss mehrmals runterschalten, was die Kette mit einem Rauswurf quittiert. Obwohl erst der halbe Berg geschafft ist. „Trinkt doch erst mal ein Glaserl“, ruft uns einer aus dem Presshaus zu. Wir danken, wollen aber reparieren und weiter. Am Gipfel angekommen, suchen wir vergeblich nach einem Chardonnay-Wegweiser. Wir müssen zurück.
Herbert Krautwurm
Es ist spät geworden. Die Kellergassen mit den einladenden Heurigen lassen wir links liegen, biegen in Jetzelsdorf auf einen gut befahrbaren Arbeitsweg und radeln zurück nach Retz.
Die Ketten sind geschmiert, die Akkus geladen, der Picknickkorb ist abgeholt und aufgeschnallt. Am Retzer Bahnhof warten bereits der Reblaus-Express und einige Radler auf die Verladung. Über eine Rampe am Fahrradwaggon schieben sie die Räder hinauf, ein Mitarbeiter hängt sie in eine sichere Aufhängung. Pünktlich ertönt das Signal. Die Oldtimer-Diesellok pfeift und startet zur 40 Kilometer langen Fahrt von Retz nach Drosendorf, vom Weinviertel ins Waldviertel.
Fahrradverladung in den Reblaus-Express
Der gemütliche Teil der Radtour beginnt. Bald werden Weingärten von Wäldern abgelöst. Nach anderthalb Stunden ist die Endstation erreicht. Wir satteln auf für die 51 Kilometer lange Reblaus Express Radtour. Nicht ohne vorher Drosendorf zu erkunden, das hinter der erhaltenen Stadtmauer und dem Stadtgraben mit mittelalterlichem Flair becirct.
Marktplatz in Drosendorf mit dem historischen Rathaus
Weitab von Straßen und Siedlungen rollen wir über Hügel in die Flussauen des Thaya-Tals. Mal links, mal rechts die Gleise, passieren wir Achtungsschilder, überqueren Übergänge und hören die Rote in der Ferne pfeifen. Hinter Wolfsbach biegen wir nach Geras ab, wo das Prämonstratenser Chorherrenstift 1153 gegründet wurde.
Kräuterpfarrer Benedikt vor dem Prämonstratenser Chorstift in Geras
Hinter den hohen Klostermauern ist die 900-jährige Tradition in allen Winkeln zu spüren. Hätten wir Zeit, würden wir die Stiftskirche, das barocke Neugebäude und Paul Trogers prächtiges Deckenfresko anschauen. Doch Kräuterpfarrer Benedikt wartet, der Besucher gern in die Geheimnisse seines Gartens einweiht und Rezepte für Heil, Gewürz- und sogar Giftpflanzen verrät. Im Klostershop kann man Benedikts Salben erwerben.
Picknick an Fischteichen
Über Langau erreichen wir Hessendorf, wo wir an den Fischteichen unseren Picknickkorb auspacken – Tischdecke, Brettchen und Messer, Brot, Käse, Mettwurst und Schinken, pikante Aufstriche und Wasser. Während des Essens schauen wir den Karpfen, Hechten und Welsen beim Springen zu. So idyllisch es ist, der Blick auf die Uhr verlangt Aufbruch.
Blick aus der Ferne auf Schloss Fronsburg
Als die unbequeme Schotterpiste endet, schiebt sich langsam Schloss Fronsburg ins Bild. Die Mittelalterburg wurde im 18. Jahrhundert in ein beachtliches Renaissanceschloss umgewandelt. Dass es sich in Privatbesitz befindet, radeln wir weiter nach Pleißing. Eigentlich ein unspektakuläres, typisches Straßendorf, das aber durch schöne Stuckaturen an den Bauernhäusern auffällt.
Pause im Heurigen von Weingut Bergmann an der Mühle von Retz
Fast fünf Kilometer rollen unsere Räder auf bestem Asphalt, ständig abwärts. Hinter einem Hügel tauchen erst nur die Flügel auf, dann sehen wir die Retzer Windmühle ganz. Auf dem Kalvarienberg ist sie das weit sichtbare Wahrzeichen von Retz, das seit über 180 Jahren das Weinlaub überragt. Im Schatten des denkmalgeschützten Holländers pausieren wir im Heurigen von Weingut Bergmann. Vor der großen Glasfront breiten sich die Retzer Rebgärten wie eine Liebeserklärung an den Wein aus. Zum Wein bestellen wir regionale Blutwurst, Weinviertler Prosciutto und diverse Käsesorten.
Die Hauptstadt der Region glänzt am Markt mit prächtiger Renaissance-Architektur. Auf der einen Seite das Verderberhaus, gegenüber das Sgraffitohaus. Dazwischen schieben sich die barocke Dreifaltigkeitssäule, der Brunnen und die Kirche, die ab 1568 zum Rathaus umgebaut wurde. Bei der Stadtführung mit Georg Brandstetter erfahren wir, dass Retz vor zwanzig Millionen Jahren am Meer lag. Aus dieser Zeit stamme auch der gute Weinviertler Boden aus Sand, Quarz und Glimmer. „Perfekte Voraussetzungen für die Unterkellerung der Stadt“, sagt er.
Verderberhaus
Eine lange steile Treppe führt in den Untergrund, den größten historischen Weinkeller Österreichs. Unten verzweigt sich ein labyrinthisches Kellersystem aus Röhren und Stollen, das die Retzer bis zu 30 Meter tief in den Meeressand gruben. Es hat eine Länge von 20 Kilometern, länger als das oberirdische Straßennetz. Die Blüte verdanken die Bürger einem kaiserlichen Privileg aus dem 15. Jahrhundert, das erlaubte, dass jeder mit Wein handeln durfte.
Barocke Dreifaltigkeitssäule
Über die Anfänge des Weinbaus kennt Brandstetter eine amüsante Geschichte: Ein Vogel ließ im Flug eine Weinbeere fallen. Ein Mönch sah das und sagte: Was vom Himmel fällt, ist etwas Göttliches, ein Schatz. Also grub er die Weinbeere in der Erde ein. Im folgenden Jahr wuchs ein Rebstock daraus. Und so ist vor vielen Jahren einmal das Weinviertel entstanden.
Blick über den Platz mit Brunnen
Informationen:
Es gibt zehn gut ausgeschilderte Radrouten, die sich für Tagestouren und Sternfahrten eignen. Sie verlaufen überwiegend auf den asphaltierten Arbeitswegen der Winzer und Bauern. Einige ausgefahrene Feldwege oder Schotterpisten sind darunter. Geeignet sind Gravel-, Trekking- und Mountainbikes. Rennräder sind nicht empfehlenswert. Obwohl der Schwierigkeitsgrade der meisten Routen mit „mittel“ ausgewiesen sind, stellt die Hügellandschaft sportliche Herausforderungen.
An- und Abreise
Das Auto mit Fahrradanhänger ist bequem. Ökologischer geht es mit dem Zug, z.B. über Wien, dann weiter nach Retz. Die Deutsche Bahn, www.bahn.de, und die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), www.oebb.at, nehmen Fahrräder in speziellen Fahrradwagen mit. Das Radticket gilt in Nah- und Fernverkehrszügen. Weitere Infos: Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), www.adfc-radtourismus.de.
Fahrradladen
sgrafit-bike, Hauptplatz 15, 2070 Retz, www.retzer-land.at. Radverleih, kompetente Beratung, Reparaturen, Picknickkorb auf Bestellung.
Fahrrad-Taxi
Regionaltaxi Schneider, Pulkau, Tel. 0043-664-35 600 78.
Übernachtung
Weinviertler Kellerstöckl, Schrattenthal, www.weingut-hindler.at.
Landgut & Spa Althof, Retz, www.althof.at.
Gästehaus Elisabeth, Bio-Weingut Rücker, Unterretzbach, www.elisabeth-ruecker.at.
Gästezimmer auf Weingut Lust, Alberndorf, www.lustweine.at.
Essen & Trinken
Wein wird überall ausgeschenkt. Wo „ausgesteckt“ ist, also ein Strohbündel hängt, wird der Heurige, der junge Wein, ausgeschenkt.
Radlerrasten: Entlang der Routen wird derzeit ein Netz von Raststationen, Selbstbedienungskellern und Trinkbrunnen aufgebaut, die meist von den ortsansässigen Winzern betrieben werden. Sie sollen flächendeckend auf den Radstrecken im Weinviertel zur Verfügung stehen, www.weinviertel.at/radler-rast.
Angebot zur Selbstbedienung
Retzbacherhof, Unterretzbach, www.retzbacherhof.at.
Retzerlandhof, Zellerndorf, www.retzerlandhof.com
Windmühlheuriger, Retz, www.windmuehle.at.
w4, Röschitz, www.w-4.at.
Weinterrasse Pulkau, www.weinterrasse-pulkau.at.
Veranstalter
z.B. www.tourradar.com, www.austria-radreisen.at, www.radreisen.at.
Allgemeine Infos/Tipps
Genussmarkt in Retz. Jeden Samstag, 9-14 Uhr.
Holländer Windmühle, Retz. Führungen ca. 30-45 Min., buchbar bei Gäste-Info in Retz, www.retzer-land.at/retzer-windmuehle.at.
Kellermuseum Retz, Führung buchbar bei Gäste-Info Retz, www.retzer-land.at/retzer-erlebniskeller.
Kellergassentour mit Elisabeth Himmelbauer (0043-677-616 28 555) und Poltführung mit Herbert Krautwurm (0043-676-77 34 963), www.weingut-himmelbauer.at/web/index.php/de/home-de-at/polt.
Weinbergschnecken-Führung mit Jessica Wyschka, Obritz, www.weinviertler-weinbergschnecke.at.
Kräutergartenführungen Pater Benedikt, Stift Geras, www.stiftgeras.at.
Reblaus Express, www.niederoesterreichbahnen.at
Website der Autorin: www.beate-schuemann.de
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