Im Rausch des Grünen Veltliners

Mit dem Rad durch das Weinviertel in Österreich (1/2)

Text und Fotos: Beate Schümann

 

Das Weinviertel ist ein Viertel, in dem es an fast jeder Ecke Wein gibt. Es ist ein Genussland, eine sonnenverwöhnte Region in Niederösterreich. Radlern bietet es an die 2.100 Tourenkilometer durch die geschwungene Reblandschaft, durch Dörfer und malerische Kellergassen.

Weinviertel - Blick in die Landschaft

Blick über die Landschaft des Weinviertels

Rebgärten übersäen Ebenen und Hügel. Akkurat gepflanzte Reihen aus Weinstöcken, als wäre ein riesiger Kamm durch die Erde gefahren. Im geometrischen Teppich scheint mal ein Dorf auf, mal eine Straße. Sonst sieht man Grün bis zum Horizont, wo sich im Osten der Manhartsberg erhebt. Eine gekämmte Landschaft, die sich einer Leidenschaft hingibt: dem Wein. Ohne den pfeffrigen Grünen Veltliner sei das Leben ohne Würze, sollen Dichter gedichtet haben. Seit Menschengedanken gehört Wein hier zum Leben wie das tägliche Brot.

Weinviertel - Rebstöcke

Rebstöcke

Und die Wirklichkeit bestätigt das. Mit einer Anbaufläche von 13.300 Hektar ist das Weinviertel Österreichs größter Weinproduzent. Gut zwei Drittel der Fläche ist von Rebstöcken bedeckt. Diese Gegend wollen wir erradeln.

Eine Handvoll Häuser, rundum Rebgärten und Äcker. Das ist Schrattenthal, die kleinste Weinstadt Österreichs. Unterhalb der Burg liegt die Stadtgrabenkellergasse, wo das Weingut Hindler in den historischen Presshäusern drei Apartments hat. Noch am Abend händigt uns der Verleiher Sgrafiti Bike ein leistungsstarkes E-Mountain-Bike und ein normales Rad aus. Mein Mann will „ehrlich“ strampeln.

Weinviertel - DAC-Route

Unterwegs auf der DAC-Radroute

Der erste Tag beschert 56 Kilometer auf der DAC Radtour. Das Kürzel steht für Districtus Austriae Controllatus, ein kontrolliertes Anbaugebiet. Das Weinviertel wurde 2002 zum ersten DAC-Gebiet erklärt. Der Grüne Veltliner dominiert hier; er muss fruchtig-pfeffrig sein, darf keine Holznote, aber bis 13 Prozent Alkohol haben. Also Achtung! In Österreich gilt die gesetzliche 0,5 Promille-Regel, auch auf dem Rad.

Wir orientieren uns ohne GPS. Die Ausschilderung ist exzellent, und wir mögen es, mal die Einheimischen zu fragen, um in Kontakt zu kommen. Bald merken wir, dass der architektonische Star die malerischen Kellergassen sind. Es gibt sie auch in den Nachbarländern Tschechien, Ungarn oder Slowakei, weil sie zur Zeit der Habsburger Monarchie aufkamen. Doch nirgendwo sind sie in einer solchen Dichte anzutreffen wie hier. In rund 550 Winzerdörfern des Weinviertels gibt es an die 700 Kellergassen. Fast jedes Dorf hat eine. Auch Pillersdorf.

Weinviertel - Kellergasse

Kellergasse

 

Der Charme des Morbiden

Von beiden Seiten ist die Öhlbergkellergasse von Presshäusern oder Weinkellern gesäumt. Einfache kalkweiße Häuser, die sich eng aneinander lehnen, winzige Fenster und oft schiefe Lehmwände haben. Sie stehen still am Wegesrand wie Wesen aus einer anderen Zeit. Eine fast archaische Anmutung. Noch am Ortsschild finden wir eine der neuen Radlerrasten, die das Weinviertel auf allen Routen einrichten will. Wir sind längst noch nicht pausenreif. Aber die Liegestühle mit Blick in die Weinberge, der Tisch unterm Apfelbaum und das Himmelbett verlocken.

Wieder im Sattel, nähern uns auf gutem Asphalt dem alten Weinzentrum Retz, das im 16. Jahrhundert durch den Wein reich wurde. Der schöne Marktplatz ist der offizielle Startpunkt der meisten Touren. Die Stadt erkunden wir später. Erstmal wollen wir in die Pedale treten.

Weinviertel - Pfarrkirche Hl. Dreipfaltigkeit in Waitzendorf

Die Pfarrkirche in Waitzendorf mit ihrem schiefen Turm

Jenseits vom Znaimer Stadttor folgen wir den grünen Wegweisern der DAC Radtour in die grüne Reblandschaft. Nach sechs Kilometern winkt uns der Kirchturm von Obermarkersdorf vorbei. In Waitzendorf legen wir einen Halt wegen der Pfarrkirche Hl. Dreifaltigkeit ein. Nicht ganz so schief wie in Pisa, doch der 37 Meter hohe Renaissance-Turm hat auch eine bedenkliche Schräglage.

Kurz vor Pulkau nehmen wir die Anhöhe, auf der die mächtige Pfarrkirche St. Michael thront. Als einstige Wehrkirche stand Pilgern immer offen. Heute sind die Pforten geschlossen, weshalb wir nur über den Friedhof und zum Karner, dem gotischen Beinhaus, schlendern. Pilger zog es vor allem wegen der Wallfahrtskirche „Pulkauer Bründl“ ins Pulkautal. Ein gutes Stück Wald mit steilen Passagen liegt vor uns, ehe wir die denkmalgeschützte Kapelle finden, bei der die Menschen um 1680 Hilfe vor der Pest suchten.

Weinviertel - Pfarrkirche St. Michael bei Pulkau

Pfarrkirche St Michael

In Röschitz treibt uns der Hunger mit Schwung die Kellergasse hinauf. Oben landen wir auf der Terrasse des schicken Restaurants w4. Gestärkt peilen wir Platt an. Als wir in die Kellergasse einbiegen, sehen wir vor einem Presshaus vier gut aufgelegte Herren. „Setzt Euch“, ruft uns Weinbauer Johann Pazelt zu, verschwindet er in seinem Keller und kommt mit einer Flasche Wein hervor. Er öffnet sie, füllt die Gläser mit Grünem Veltliner, nimmt einen Schluck und nickt anerkennend.

Weinviertel - Weingut Gruber Röschitz

Ein Besuch auf dem Weingut Gruber Röschitz

Früher saßen die „Köllemona“, wie die Winzer einer Kellergasse heißen, oft so zusammen, erzählen die Männer. Das war, als jeder noch seinen eigenen Wein machte. Man presste die Trauben in der Holzpresse, zog den Saft auf Flaschen und lagerte sie im unterirdischen Keller. Der Wein war besser oder schlechter, egal. Man war stolz darauf. „Heute gibt es nur noch sechs aktive Winzer im Dorf“, sagt Pazelt. Der Umbruch kam in den 1980er Jahren. Seit der Wein in überirdischen Stahltanks lagert, haben die Kellergassen ihre Funktion verloren. „Den Ernst des Lebens wollen wir aber lieber nicht zu ernst nehmen“, sagt Pazelt und prostet.

Weinviertel - Pause bei einem Glas Wein

Gastfreundliches Quartett mit Radelnden bei einem Glas Grünem Veltliner

Ein genussvoll geleertes Glas später und um einige Weinviertler Einsichten reicher, steigen wir auf die Räder. Gut 20 Kilometer liegen vor uns und die Sonne sinkt schon. Zudem wartet in Zellerndorf noch ein besonders idyllisches Beispiel gewachsener Weinarchitektur, die Kellergasse Maulavern. Ein Ensemble, dessen morbider Charme auch hier einen Hauch von Melancholie hinterlässt. Zurück in Schrattenthal ziehen wir abends mit einer Flasche Riesling auf den Kalvarienberg, wo wir auf den Sonnenuntergang prosten.

Weinviertel - Sonnenuntergang auf dem Kalvarienberg

Ein Gläschen Wein zum Sonnenuntergang auf dem Kalvarienberg

 

Chardonnay oder doch Grüner Veltliner?

Orange oder bräunlich. Am zweiten Tour-Tag zeigen die Schilder des Weinradweges Chardonnay den Weg. Die Hügel im Osten von Retz erscheinen sanft, haben es aber in sich. Wir kommen durch die Kellergasse von Oberretzbach, halten uns an der Landbachbrücke aber rechts, um zum Kultplatz „Heiliger Stein“ zu gelangen. Der prähistorische Schalenstein gilt wegen der gut erkennbaren napfförmigen Vertiefungen als einer der schönsten Österreichs. Auf den ersten Blick sticht eher der gemauerte Grundriss der gotischen Kirche ins Auge, die „Unsere Liebe Frau zum Stein“ heißt, was sich auf den vorchristlichen Opferstein bezieht. Auf die ab 1647 bezeugten Heilungen wurde beim alten Nussbaum erst eine Kapelle, dann eine Wallfahrtskirche gebaut. Auf einem elliptischen Steg, der das einstige Gotteshaus halb umrundet, verschaffen wir uns einen Überblick über das Areal und die Umgebung.

Weinviertel - Schilderbaum mit Weinradweg Chardonnay

Gut ausgeschildert

Die Route ist kaum befahren, und so lassen wir uns treiben durch Weingärten und Felder mit Kurs auf Tschechien. Bei Mitterretzbach erinnert der alte Grenzübergang an frühere Feindseligkeiten. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, soll nun die moderne Sitzgruppe aus Granit ein Symbol für gute Nachbarschaft sein.

Weinviertel - Mitterretzbach, alter Grenzübergang zu Tschechien

Sitzgruppe am ehemaligen Grenzübergang zwischen Österreich un Tschechien

Auf der schattenlosen Strecke wird es unterm Helm verdammt heiß. Am Grenzverlauf entlang, radelt man gefühlt immer aufwärts. Die Arbeitswege führen durch einen Felder-Mix aus Korn, Mais, Sonnenblumen, Kürbissen, Zuckerrüben und Weingärten. Ob hier wohl Chardonnay wächst? Oder doch wieder Grüner Veltliner?

Weinviertel - Rast

Rast mit guter Aussicht

Endlich wieder eine Radlerrast. Im nagelneuen Holzhäuschen versorgen wir uns mit gekühlten Softdrinks, die Kasse des Vertrauens klingelt. Unter einem Sonnenschirm sitzend, legt uns das Hochplateau die Pulkautaler Weinberge zu Füßen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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