Text und Fotos: Winfried Dulisch
Die Wiesen sind hier so grün wie überall auf der irischen Insel. Hier fließen Milch und Honig, Guinness und Whiskey wie in der benachbarten Republik Irland. Und kämpfen müssen die Nordiren nur noch gegen das Image aus den Tagen der „Troubles“. Unser Autor Winfried Dulisch radelte in Belfast, Derry und an der nordirischen Küste durch eine herrlich stressfreie Zone.
Eingang zum Restaurant Laragh Lodge, Glenariff
Die Iren sind freundliche Gastgeber. Davon profitiert vor allem die Republik Irland im Süden der grünen Insel. Northern Ireland (irisch-gälisch: Tuaisceart Éireann) entpuppte sich als touristisch attraktiv erst dann, als die britische Armee das Land 2007 verließ. Aber da waren die Weichen bereits gestellt: Nordirland gilt als Top-Destination für Rucksack-Touristen mit einem Faible für soziale Brennpunkte (die es in Dublin auch gibt), das Image der Republik Irland wird geprägt von international renommierten Golfhotels (die es in Nordirland auch gibt).
Als Kunst-Standort hat aber Belfast die Nase vorn. Das Ulster Museum steht mitten im Botanischen Garten der nordirischen Hauptstadt. Besucher mit museumsdidaktischem Anspruch müssen sich dort erst einmal an das scheinbare Durcheinander von archäologischen Fundstücken, Fashion Design, Renaissance-Malerei und Modern Art gewöhnen. Wer aber sieht, wie vergnügt und unverkrampft sich die Kinder in diesem Musentempel bewegen, der zieht den Hut vor den Planern dieses Museums. Der Eintritt ist frei. Denn Kunst und Kultur sind hier keine Genussmittel, sondern Lebensmittel.
Mammuthirsch im Ulster Museum, Belfast
Ein Spaziergang durch die Außenbezirke der Hauptstadt Belfast macht dem Kunst-Liebhaber immer noch – oder jetzt erst recht – die nordirische Geschichte verständlicher. Vor allem an den Häusern der Belfaster Katholiken erzählen Wandmalereien vom einstigen Konflikt und seiner Bewältigung. „Bitte beachten Sie, dass die hier abgebildeten Kämpfer ihre Waffen heute nicht mehr auf den Betrachter richten“, erklärt Anna Eggert, die sich als Guide auf dieses Genre spezialisiert hat.
Der Straßen- und Häuserkampf hat sich gewandelt zum Wettstreit der Wandmaler. Anna Eggert: „Wenn Sie auf einem Bild den Union Jack sehen, stammt es von einem Protestanten. Katholische Maler verwenden irische Motive.“ Welcher Ausländer kann diese Unterschiede richtig deuten? Schließlich zeigen viele Malereien doch nur noch alltägliche Szenen – zum Beispiel diese garantiert unpolitische Darstellung von spielenden Kindern.
„Irrtum“, erklärt Anna Eggert. „Dieses Bild hat einen durchaus politischen Hintergrund. Es zeigt Gaelic Football und andere irische National-Sportarten, die immer noch beinahe ausschließlich von Katholiken gespielt werden.“ Aber allmählich entdecken auch protestantische Kinder den Reiz der Gaelic games. Und die meisten Wandmaler sind umgestiegen von den tagespolitisch brisanten Themen auf nostalgische Helden-Verehrung.
1:0 für Northern Ireland
Gerne gepflegt wird die Erinnerung an jenen 7. September 2005, als Nordirland gegen England mit 1:0 gewann. Dieses Fußball-Länderspiel hatte für das Selbstbewusstsein der Nordiren eine ähnliche Bedeutung wie 1954 das „Wunder von Bern“ für die Bundesrepublik Deutschland. Das Tor für Northern Ireland erzielte in der 73. Minute David Healy, seitdem gilt der Torschütze zumindest beim protestantischen Bevölkerungsanteil als Nationalheiliger. Nur George Best (1946-2005) verwöhnte die nordirische Volksseele mit noch mehr Streicheleinheiten.
Nach diesem Jahrhundert-Kicker und Lebenskünstler („"Ich habe viel Geld in Frauen, Alkohol und schnelle Autos investiert. Den Rest habe ich einfach nur vergeudet.“) wurde der „George Best Belfast City Airport“ benannt. Der Flughafen liegt wenige Taxi-Minuten von Belfast entfernt. Großartig! Hier landen aber nur Inlandsflüge – also Maschinen aus England, Schottland oder Wales. Destinationen außerhalb von Großbritannien (auch die Republik Irland gilt als Ausland) werden bedient vom Belfast International Airport, 40 Bus-Minuten vom Stadtzentrum entfernt.
Nur Busfahren ist schöner
Die Eisenbahn kommt auf der gesamten irischen Insel nur langsam wieder in Fahrt, viele Strecken wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte stillgelegt. Deshalb empfiehlt sich für deutsche Nordirland-Reisende die Zweistunden-Bustour durch sattgrüne Wiesen und malerische Dörfer runter in den Süden zum Dublin Airport (gälisch: Aerfort Bhaile Átha Cliath). Von dort aus werden alle deutschen Regionen täglich angeflogen.
Die Briten haben den Nordiren aber nicht nur einen ungünstig gelegenen internationalen Flughafen hinterlassen – sondern auch Stormont Castle, um das die Republik Irland ihren nördlichen Nachbarn beneiden kann. Wer an einem Frühlingstag die Kinder im Park vor diesem Parlaments- und Regierungsgebäude rumtollen sieht, der kann sich kaum vorstellen, dass hier in den Zeiten der „Troubles“ britische Geheimdienstler ihre Antiterror-Maßnahmen planten.
Rasen betreten erlaubt – vor dem nordirischen Parlaments- & Regierungsgebäude Stormont Castle
Den Engländern verdankt die 100 Kilometer – sorry, im Gegensatz zur Republik Irland heißt es hier: 60 Miles – nordwestlich von Belfast gelegene zweitgrößte Stadt Nordirlands einen immer noch währenden Erbstreit. Über ihren gälischen Namen herrscht Einigkeit: Doire Cholm Chille. Die Stadt wird aber dem jeweiligen politischem Standort ihrer Bewohner entsprechend entweder „Derry“ (katholisch, irisch) oder „Londonderry“ (pro-britisch) genannt.
Die Zeiten des „Bloody Sunday“ (30. Januar 1972) sind in Derry – sorry, Londonderry – kaum noch nachvollziehbar. Seit hier in den Regalen der Tourist-Info die irischen und nordirischen Werbe-Flyer nebeneinander liegen, dürfen Besucher der Stadt sogar das Gefühl genießen, zum friedlichen Zusammenleben der katholischen und protestantischen Einwohner beigetragen zu haben.
Tony Henderson auf der Stadtmauer von Derry
Ein Spaziergang über die Walls of Derry führt vorbei an 24 liebevoll restaurierten Kanonen. Bis weit in das 17. Jahrhundert geht Tony Henderson zurück, wenn er die Ursachen der einstigen Troubles erklärt. Bildhaft und farbiger als dieser Walls-Kenner erzählen nur die Glasfenster in der Guildhall, dem historischen Rathaus von Derry, die Geschichte jenes Staatsgebildes, das seit 1927 als „Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland“ firmiert.
Der fünftschönste Platz der Welt
Das nordirische Landschaftsbild wird geprägt vom Grün der Wiesen und dem Himmel über dem offenen Meer. Nördlich von Belfast verführt die Causeway Coastal Route zum Radeln auf einer der schönsten Küstenstraßen der Welt, der Londoner „Guardian“ zählt sie zu den weltweit sehenswertesten „road trips“. Eine australische Jury wählte dieses Panorama auf den fünften Platz der „most beautiful spots in the world“. Und der “Lonely Planet Guide” der BBC nannte die Berge und Strände der Grafschaft Antrim einfach nur “breathtaking”.
Den Atem raubt im County Antrim auf keinen Fall der meist nur als sanfte Brise wehende Seitenwind. Und auch die leichten Anstiege sind ohne Mountainbiker-Training zu schaffen. Nur die ständig neuen Landschaftsbilder verführen den Radler immer wieder zum Absteigen. Links wechseln schroffe Felsen sich ab mit üppig bewachsenen Hügeln. Zur Rechten liegt die Irische See, deren Wellen ab Ballycastle – dem Badeort an der nordirischen Ostspitze – imposanter ans Ufer rollen und signalisieren: Hier beginnt der Atlantische Ozean.
Irish Whiskey und/oder Scotch
Nicht nur die Irische See und der Atlantik fließen an der nordirischen Ostküste zusammen. Hier rinnen auch Scotch Whisky und irischer Whiskey gleichberechtigt durch die Kehlen. Das heimische Malz-Destillat wird allerdings offiziell bevorzugt: Als 2008 die nordirische Staatsbank neue Sterling-Banknoten druckte, ersetzte sie eine bis dahin verwendete Abbildung der Queen’s University of Belfast durch die eines legendären Whiskey-Herstellers – die 1608 gegründete Old Bushmills Distillery.
Von den 1.700.000 Nordiren sprechen knapp 100.000 irisches Gälisch. 35.000 beherrschen das Ulster Schottisch ihrer Vorfahren aus Schottland, das bei klarem Wetter von einigen Punkten der nordirischen Ostküste mit bloßem Auge zu sehen ist. Donnell O' Loan: „Ich bevorzuge Scotch Whisky“ – was durchaus auch ein politisches Statement ist. Der ehemalige Lehrer mit den schottischen Wurzeln betreibt in seinem unscheinbaren Bungalow das Sanda B&B.
Frühstücksraum im Sanda B&B, Glenariff
Dieses – eigentlich recht unscheinbare – Bed-and-Breakfast wird von Michelin-Testern und anderen Kennern empfohlen. Denn hier genießt der Gast beim Frühstück einen herrlichen Blick auf Glenariff, die ‘Queen of the Glens’. Alle neun Glens der Halbinsel Antrim eignen sich mit ihren Wasserfällen und bewaldeten Hängen für genussvolles Wandern. Der Besucher sollte im County Antrim seine Fähigkeit zum Staunen aber noch aufsparen für andere Attraktionen.
Zum Beispiel für das UNESCO-Weltnaturerbstück „Giant's Causeway“. Dieser „Damm des Riesen“ besteht aus ungefähr 40.000 gleichmäßig geformten Basaltsäulen, die sich vor 60 Millionen Jahren aus abkühlender Vulkanlava gebildet haben. Die Märchenerzählerin Liz Weir kennt für dieses Natur-Phänomen eine völlig andere Entstehungsgeschichte: Der Riese Fionn mac Cumhaill soll diese Basaltsäulen in das Meer geworfen haben, damit er trockenen Fußes nach Schottland gelangen konnte; dort wollte er die Tochter eines befreundeten Riesen heiraten.
Giant’s Causeway
Einst arbeitete Liz in der Kinderbuch-Abteilung der Belfaster Stadtbibliothek. Inzwischen ist sie selbst eine erfolgreiche Buchautorin. Außerdem verbreitet sie neue und alte Geschichten bei Storytelling-Festivals in der gesamten englischsprachigen Welt oder im Radio und auf CD. Ab und zu steht ihr Name auch im Vorlesungsverzeichnis einer deutschen Universität, wo sie in der Heimat der Brüder Grimm über die Märchen ihrer eigenen Heimat spricht. Liz Weir ist also ein Star. – „Böldsinn. Hier im County Antrim kann jeder Stein wunderschöne Geschichten erzählen.“
Sprechende Steine
Liz betreibt nicht weit von den „Riesenschritten“ entfernt in Cushendall eine Herberge, die beliebt ist als Startplatz für Exkursionen in die neun Glens. „Dort erzählt jeder Stein und jeder Baum sein Fairy Tale. Ich bin doch nur einer von diesen Steinen.“ Abends geht Liz gerne in das Public House von Cushendall. Dort wird sie nicht bewundert als Weltreisende in Sachen Märchen und Mythen, sondern einfach nur herzlich begrüßt als „our local story teller“. Zuhörer – und vor allem Geschichten-Erzähler – aus fremden Ländern sind hier ebenfalls gern gesehene Gäste.
Reiseveranstalter Irland bei schwarzaufweiss
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