Auf dem Weg nach Vicopisano mit den Pisaner Bergen im Blick
In Lucca möchte man länger bleiben. Doch wir wechseln nach Vicopisano, dem mittelalterlichen Dorf am Fuße der südöstlichen Pisaner Berge. Alessandro ist ein versierter Trekking Guide, vermeidet verkehrsreiche Hauptstraßen, bevorzugt ruhige Nebenstraßen und Ackerwege. Trotzdem lassen sich das Gewerbegebiet und die Autobahnbrücke nicht vermeiden. Jenseits der Via Teresa Bandettini wird es ruhiger. Bald steigt vor uns das Acquedotto del Nottolini mit seinen rund 460 Backsteinbögen imposant aus dem Erdboden. Die Pipeline wirkt antik, stammt aber aus dem 19. Jahrhundert.
An der Zisterne von Guamo und das Acquedutto del Nottolini mit 460 Backsteinbögen, die zwölf Meter Höhe erreichen
Wo das Aquädukt in der Zisterne von Guamo verschwindet, geht es steil den Berg hoch. Hinter Gattaiola erblicken wir auf einer Lichtung die schlichte Kirche Sant‘Andrea Apostolo mit ihrem hohen Glockenturm: Gut elfhundert Jahre alt, aber alles steht noch. Überwältigend. Sonst sind Kirchen meist geschlossen. Doch diese Tür ist angelehnt. „Treten Sie nur ein“, sagt eine Frau, die beim Saubermachen ist. „Unsere Kirche ist uralt und die Fresken sind wunderschön.“
Bei Cerasomma kommen wir auf bekanntes Terrain: das Südufer des Serchio und Ripafratta, wo die Grenze der Provinzen Lucca und Pisa verläuft. Der nächste größere Ort ist San Giuliano Terme. Das Thermalbad stammt aus der Römerzeit, die Quellen sind im historischen Spa-Hotel Bagni di Pisa gefasst. Lust auf eine Massage? Oder hungrig? Ventil defekt? Auf geht’s zum Bike Village in Gabella, ein Boxenstopp mit Bistro und Werkstatt an der SP30.
Bezauberndes Burgdorf Vicopisano am Fuße der Pisaner Berge
Alessandro lenkt uns nach Mezzana und Caprona, wo uns zwischendurch der Arno-Fluss immer mal zublinzelt. An der breiten SP 2 führt nun aber kein Weg vorbei. Am Ende empfängt uns Vicopisano mit einer prächtigen Pinien-Allee und der alten Festung Rocca di Vicari, deren Ursprünge Jahrhunderte zurückliegen. Raus aus den Radel-Klamotten, rauf auf den Burghügel zur Erkundungstour. Unten besuchen wir die erstaunliche Kirche Santa Maria Addoborata e Giovanni Apostolo, natürlich romanisch, und lassen uns in der Osteria La Scudo mit warmem Pulpo-Salat und fangfrischer Dorade verwöhnen.
Ausblick in die Umgebung von der Burg Rocca di Vicari aus dem 12. Jh. in Vicopisano
Der Morgen beginnt mit einem Frühstück im Café Cavallini, das alle Qualitäten für ein Stammcafé hat: Chefin Valeria Rosati ist reizend, der Americano aromatisch, der Toast saftig. Fröhlich schwingen wir uns in den Sattel, nehmen am Westtor die SP38 und radeln nordwärts in die Pisaner Berge. Regenkleidung ist eingepackt; es soll nass werden.
Die Via di Tiglio führt in eine ländlich-rustikale Gegend mit verschlafenen Bergdörfern. Auffällig sind die markanten Speicher, deren Ziegelbau für Durchlüftung sorgt. Eine Erinnerung an Zeiten ohne Strom. Die Region heißt Compitese, weshalb alle den Zusatz Compito im Namen tragen. Auch San Ginese, San Giusto und Sant’Andrea, noch drei reizende Dörfer mit alten Kirchen und moosbewachsenen Mauern. Viele von ihnen sterben. In diesen ist noch Leben. Auf dem Rückweg biegen wir nach Castelvecchio ein, wo sich in der Ferne die Gipfel des Apennin und der See Padule di Bientina zeigen.
Romanische Kirche San Michele Apostolo in San Andrea di Compito
Über die SS39 erreichen wir Cascine di Buti und Buti, römische Gründungen, aufgerüstet mit Wehranlagen für Kirchen und Paläste. Kurz vor Vicopisano schwenken wir zur Ölmühle Frantoio del Rio Grifone, wo Alessandro Scotti viele Geheimnisse um die Olive lüftet. Aus der Sorte Frantoio wird ein besonders pikantes Öl hergestellt.
Endlich knallblauer Himmel. Die Nase ist eingecremt, wir brechen zum Mittelmeer auf. In Lugnano überqueren wir den Arno. Von nun an können wir der Ciclopista Arno fast blind folgen. Wenn uns nicht wie in Cascina eine Kirche mit kunstvollen Blendbögen und Reliefs¸ die Pieve di San Giovanni e Santa Maria Assunta, zum Halten bringt.
Radfahrerbrücke über den Arno bei Lugnano
Der Ride ist eine angenehm flache Angelegenheit. Links landwirtschaftliche Flächen, vor uns die Berge. Ohne große Aufregungen kurven wir in Richtung Pisa, mal am rechten, mal am linken Arno-Ufer, und ohne das Rasseln von Alessandros Bike wäre unsere Welt nicht in mehr Ordnung. Der Uferweg bringt uns mitten in die Stadt der Medici und Borghese. Plötzlich gibt es sogar richtige Fahrradwege.
Jugendstil-Bahnhof von Marina di Pisa am Anfang der Ciclovia del Tramino, einem Fahrradweg auf den Gleisen einer stillgelegten Zugstrecke
Die Mittagssonne brennt, weshalb wir lieber erst ans Meer wollen. Alessandro fährt auf die 2022 eröffnete Ciclopista del Trammino, eine asphaltierte ehemalige Bahnstrecke nach Marina di Pisa. Das einstige Fischerdorf an der Arno-Mündung hat sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einen lebendigen Badeort verwandelt. Doch eine Sattelpause an der Basilika San Pietro a Grado muss sein. Das frühchristliche Gotteshaus ist ein Schatz aus Fresken und Säulen. Fast fühlt man sich in der Mezquita von Córdoba versetzt.
Basilika San Pietro a Grado
Möwen kündigen das nahe Mittelmeer an. In einem der vielen Promenaden-Restaurants essen wir frischen Fisch, steigen aber bald wieder auf. Denn Pisa wartet. Am Jugendstil-Bahnhof von Marina di Pisa folgen wir der Ciclopista del Trammino. Nach gut zwölf Kilometern ist das Zentrum erreicht. Wir nehmen die Ponte Solferino, um im Norden der 90.000-Einwohner-Stadt dorthin zu kommen, wohin alle wollen: zum „Platz der Wunder“, wo der berühmte schiefe Turm, die Kathedrale, das Baptisterium und der Friedhof Camposanto ab 1064, ohne an Material und Dimension zu sparen, erbaut wurden. Eingerahmt von einer Mauer, steht das Ensemble aus weißem Marmor fast surreal auf der gepflegten grünen Wiese. Zur Bauzeit war Pisa eine der mächtigsten, glanzvollsten Seerepubliken in Italien, und das sollte hier demonstriert werden. Viele Besucher wollen nur ein Foto und posieren, die Schräge abstützend, vor der 55 Meter hohen Campanile. Tatsächlich ist der Turm 2001 stabilisiert worden, so dass die Schieflage für die nächsten 300 Jahre gesichert ist.
Die Piazza del Duomo mit dem Baptisterium, dem Dom und dem schiefen Glockenturm
Für die 1343 gegründete Universität, die pompösen Paläste der herrschenden Dynastien reicht die Zeit nicht. Im milden Abendlicht werfen wir von der Ponte della Fortezza noch einen Bilderbuch-Blick auf die Altstadt und sagen Ciao Toscana.
Die Altstadt von Pisa von der Brücke Ponte della Fortezza gesehen
Fazit:
Man muss gewiss nicht jede romanische Kirche besuchen, auch wenn sie in ihrer Vielfalt überwältigen. Unter den Gipfeln der Pisaner Berge gibt es daneben die herrliche Welt der Oliven, Zypressen und Pinien. Lucca und Pisa sind unbedingte Hotspots.
Charakterisierung
Die ausgewählten Strecken richten sich an gemütliche Kulturradler. Ausgesprochen sportliche Kondition ist keine Voraussetzung. Die Ausschilderung unterwegs ist oft dürftig. In den höheren Lagen setzt manchmal das Netz aus. Fahrradwege sind selten. Verkehrsreiche Straßen, besonders die Strada Statale (SS) sollte man meiden. Viele haben nur einen schmalen oder fast keinen Seitenstreifen.
Fitness: *-**
Kultur: ***
Natur: *****
Wegqualität: ****
Familie: ***
Etappen:
Lucca – Massaciuccoli See - Lucca (51,5 km, 106 Höhenmeter)
Lucca – Montecarlo - Lucca (53,4 km, 319 Höhenmeter)
Lucca – Vicopisano (52 Km, 53 Höhenmeter)
Vicopisano – Sant’Andrea di Compito - Vicopisano (46,6 km, 155 Höhenmeter)
Vicopisano – Pisa - Vicopisano (77 km, 42 Höhenmeter)
Unterkünfte:
Palazzo Tucci B&B, Lucca, www.palazzotucci.com. Ein barocker Palast wie im Traum. Die komfortablen Zimmer sind alle verschieden. Das Frühstück ist reichhaltig.
Brunelleschi Holiday Homes, Vicopisano, www.brunelleschiholidayhomes.it. Das Appartmenthaus war Teil der Burg und bewahrt den historischen Charme. Moderne Zutaten sind Kaffeemaschine, Fernseher und Pool.
Essen & Trinken:
Restaurante Peperosa, Lucca, www.peperosaristorantebistro.it. Auf Feinschmeckerniveau speisen im Amphittheater.
Tenuta Cantine Mariani, Massaciuccoli, www.tenutamariani.it. Weingut mit üppigen Antipasti, auf Voranmeldung.
La Buca del Norcina, Montecarlo, www.labucadelnorcino.com. Kleines Restaurant mit großem Ambiente und toskanischen Gerichten.
Bike Village, Gabella, www.bikevillage.eu. Das Bistro serviert Salate, Burger oder Gnocchi mit Thunfisch.
I Tre Tigli, San Andrea di Compito, Tel. +39 353 436 2140. Belebtes Café-Restaurant, wo man schmackhafte Hausmannskost bekommt.
Osteria La Scudo, Vicopisano, www.osterialoscudo.it. Restaurant mit familiärem Ambiente, vorzüglicher Küche und sehr freundlicher Bedienung.
Café Cavallini, Piazza Cavalca 18, Vicopisano. Gutes Frühstückscafé und Treffpunkt im Dorf.
Veranstalter:
Montepisano, info@montepisano.travel, www.montepisano.travel. Der Veranstalter organisiert Fahrradreisen, auch mit Guides. Alessandro Salvaggio, www.asimismo.eu.
Fahrradverleih:
Tourist Center Lucca, Piazzale Ricasoli, Lucca, www.touristcenterlucca.com/rent-bike-lucca.php
Auskunft:
Infos: ENIT – Staatliche Italienische Touristeninformation, Frankfurt, frankfurt@enit.de, www.enit.de sowie www.visittuscany.com und www.discovertuscany.com.
Website der Autorin: www.beate-schuemann.de.
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