Verliebt in sieben feurige Schwestern

Die Liparischen Inseln

Text und Fotos: Dagmar Krappe

Vor der Nordküste Siziliens im Tyrrhenischen Meer haben Vulkane sieben Schönheiten geschaffen, die Liparischen Inseln. Jede hat ihren eigenen Charakter und Charme.

Italien - Liparische Inseln - Marina Corta mit Anlegebrücke und der Cosmas und Damian geweihten Kapelle

Marina Corta mit Anlegebrücke und der Cosmas und Damian geweihten Kapelle

Ute Krohmer verliebte sich gleich dreimal: in die Landschaft, in Guiseppe und ins Archäologische Museum. Geschehen vor über 35 Jahren auf Lipari, der größten der äolischen oder liparischen Inseln vor der Nordküste Siziliens. „1979 kam ich mit Berliner Freunden das erste Mal hierher und wäre am liebsten gleich für immer geblieben. Ich war fasziniert von der üppigen Vegetation, der Ursprünglichkeit und davon, wie unterschiedlich die einzelnen Eilande sind, obwohl sie alle von Vulkanen geschaffen wurden“, schwärmt Ute. Ein Jahr später kam sie wieder und begegnete Guiseppe. „Nun hatte ich einen Grund zu bleiben und bin nur noch nach Deutschland zurückgeflogen, um dort meine Zelte abzubrechen.“ Utes Mann ist Fischer aus Familientradition. Mit seinem Boot „Luna“ schippert er vom Hafen „Marina Corta“ aufs Tyrrhenische Meer hinaus und fischt vorwiegend Kalmare. Hin und wieder nimmt er auch Touristen an Bord und zeigt ihnen die schroffe, zerklüftete Westküste Liparis mit ihren Felsnadeln, die wie die „Lange Anna“ vor Helgoland steil aus dem Wasser ragen, oder schaukelt hinüber zu einer der Schwesterinseln.

Italien - Liparische Inseln - Jungsteinzeitliche Messerklingen aus Obsidian im Archäologischen Museum

Jungsteinzeitliche Messerklingen aus Obsidian im Archäologischen Museum

Ute verbringt ihre Zeit lieber mit ihrer dritten großen Liebe, dem Archäologischen Museum auf dem Burgberg der 5.000-Einwohner-Stadt Lipari. Dreistündige Führungen bietet sie durch die Akropolis an. Allein die Vorstellung, Stunden vor verstaubten Vitrinen zu verbringen, löst schon ein gelangweiltes Gähnen aus. Doch falsch gedacht: Zwar liegen und stehen Werkzeuge, Waffen, Schalen, Krüge, Vasen, Schmuck und allerlei Ziergegenstände tatsächlich hinter Glas, aber Utes Vortrag lässt in jedem Raum neues Erstaunen, aber keinerlei Müdigkeit aufkommen: „Das Museum spiegelt 7.500 Jahre Siedlungsgeschichte wider. Seit der Jungsteinzeit war dieser natürliche Festungsberg kontinuierlich bewohnt. Damals verarbeitete man schwarzes, scharfkantiges, aber leicht brüchiges „Vulkanglas“ zu Messerklingen, Äxten und Waffen. Obsidian war das „schwarze Gold“ der Steinzeit und machte Lipari reich. Es entwickelten sich Handelsbeziehungen im gesamten Mittelmeerraum.“

Italien - Liparische Inseln - Griechische Theatermaske im Archäologischen Museum

Griechische Theatermaske

Jahrtausende später hinterlassen Griechen, Römer, Araber, Normannen und Spanier ihre Spuren auf den Liparen. „Die Griechen brachten Kultur auf die Inseln“, berichtet Ute und zeigt den Stolz des Museums, tönerne Theatermasken, die Komik und Tragik verdeutlichen. Im unterwasserarchäologischen Saal stapeln sich 160 aus Schiffswracks geborgene Handelsamphoren bis unter die Decke. In ihnen wurden Öl, Wein, Kapern und Salz transportiert.

Italien - Liparische Inseln - Ute Krohmer vor Handelsamphoren im Archäologischen Museum

Ute Krohmer vor Handelsamphoren im Archäologischen Museum

Ein steiler Treppenweg führt von der barocken Kathedrale, die dem Inselheiligen Bartolomeo gewidmet ist, zur Via Garibaldi. Hier kehrt Ute nach getaner Arbeit gern mal in die Paninoteca „Gilberto e Vera“ ein, um sich mit einem „Panino“ zu stärken und um einen guten Tropfen äolischen oder sizilianischen Wein zu verkosten. Mit 50 Sorten kann Weinkenner Gilberto Sciacchitano in prall gefüllten Regalen aufwarten. Schon seit 1870 gibt es den Laden. Gilberto betreibt ihn in vierter Generation. „Mit Weinen beschäftige ich mich erst seit 25 Jahren“, meint der Autodidakt: „Zunächst war es ein kleines Lebensmittelgeschäft. Schulkindern, die von den anderen Inseln mit Schiffen nach Lipari kamen, verkauften wir auch belegte Brötchen.“ Inzwischen sind es überwiegend Wanderer, die sich auf ihrem Weg zum Hafen mit „Panini“ bei Gilberto eindecken.

Italien - Liparische Inseln - "Panini"-König Gilberto Sciacchitano vor einem seiner Weinregale

Gilberto Sciacchitano vor einem seiner Weinregale

Die Liparen sind weder Bade- noch Partyinseln. Bettenburgen und Ballermann – Fehlanzeige. Jedes Eiland bietet für eine Abkühlung im türkisfarbenen, klaren Meer nur ein paar schmale Buchten mit schwarzen sandigen oder steinigen Lavastränden. Die Liparen sind ein Paradies für Wanderer. Über 30 Sorten „Panini“ stehen auf Gilbertos Speisekarte. Übersetzt in 18 Sprachen. „Panino „Dario“ war das allererste Brötchen, das wir angeboten haben. Es ist nach einem Schüler benannt“, verrät Gilberto: „Das Geheimnis, dass die „Panini“ auch beim Wandern unter sizilianischer Sonne schön frisch bleiben und nicht durchweichen, liegt darin, dass ich sie nach dem Belegen noch einmal toaste.“

Italien - Liparische Inseln - überwältigend der Blick in den dampfenden Gran Cratere auf der Insel Vulcano

Überwältigend ist der Blick in den dampfenden Gran Cratere auf der Insel Vulcano

Jeden Tag bringen Tragflügel- oder Motorboote Besucher von Lipari aus auf eine der anderen Inseln namens Alicudi, Filicudi, Salina, Vulcano, Panarea und Stromboli. Heute legt die „Zeffiro“ von der Marina Corta nach Vulcano, dem drittgrößten Eiland, ab. Die Fahrt dauert kaum 15 Minuten, denn die „heiße“ Insel ist nur knapp einen Kilometer entfernt. Hier schwitzt der Boden. Weißgelbe Gase entweichen aus Erdspalten. Die giftigen und ätzenden Fumarolen bestehen aus Kohlendioxid, Schwefelgasen und Wasser. An bestimmten Stellen sprudelt auch das Meerwasser. Der Vulkan gilt als der gefährlichste der Inselgruppe. Die letzte Eruption erfolgte 1890, weshalb Vulkanologen einen neuen Ausbruch erwarten. Mit zahlreichen Messinstrumenten überwachen sie Erdbewegungen und Temperaturen. Der ausgeschilderte Pfad auf den 391 Meter hohen „Gran Cratere“ ist zunächst mit kugelförmigen Ginsterbüschen bewachsen, später verläuft er steil über geröllige Aschefelder.

Italien - Liparische Inseln - Schwefelschlammbad auf der Insel Vulcano

Schwefelschlammbad

Nach einer guten Stunde Anstieg steht man auf dem Kraterrand und blickt hinab in den runden 500 Meter breiten, teils braunschwarzen, teils von Schwefelgasen zitronengrasgrün gefärbten Höllenschlund. Es ist ein Gefühl, als sei man auf einem fernen Planeten gelandet. Zurück am Hafen wird der Geruch nach faulen Eiern noch „atemraubender“. Auf dem Weg zur Halbinsel Vulcanello passiert man ein Schwefelschlammbad. Aus dem 30 Grad warmen Fangotümpel ragen die Köpfe einiger Badender. Ein kurzes Eintauchen soll gegen Gicht und Rheuma helfen und der Haut gut tun.

Italien - Liparische Inseln - auf der grünen Insel Salina

Auf der grünen Insel Salina

Am folgenden Morgen nimmt die „Zeffiro“ Kurs auf die fruchtbare Nachbarinsel Salina. Rund um den erloschenen, grün bewachsenen Monte Fossa delle Felci, mit 962 Metern die höchste Erhebung aller Inseln, wachsen Wein und Kapern. Vornehmlich ist es die Malvasia-Traube, die zu honigfarbenem Dessertwein gekeltert wird, hatte Gilberto Sciacchitano erzählt. Der Weg von der Wallfahrtskirche Madonna del Terzito in Valdichiesa nach Rinella ist von Reben, Erdbeerbäumen, Kaktusfeigen, Granatapfelbäumen und Wermut gesäumt. Immergrüne Kapernsträucher wuchern wie Unkraut aus Mauerritzen. Kultiviert angebaut werden sie im Örtchen Pollara. Die Ernte der grünen Knospen beginnt vor der Blüte ab April. In großen Wannen werden sie mit grobem Salz vermischt, das ihnen die Bitterstoffe entzieht und sie haltbar macht.

Italien - Liparische Inseln - Kapernstrauch, Ernet der Knospen von April bis August, auf der Insel Salina

Kapernstrauch

Ins Mekka der Schickeria, aufs luxuriöse Panarea, zieht es Italiens Reiche und Schöne. Im Sommer dümpeln im Hafen die teuersten Yachten. Doch in der Vor- und Nachsaison ist es kein Problem, in der Bar „da Carola“ eine bezahlbare kühle „Granita“ Gelsi (Maulbeeren) oder Mandorla (Mandel) zu bekommen. Das ideale Getränk nach einer schweißtreibenden Wanderung: eine Art Sorbet, ein Eis auf Wasserbasis mit Fruchtsaft und viel Zucker. Gratis gibt es den Ausblick auf den aktiven Vulkan Stromboli, über dem sich nach jeder Eruption weiße und schwarze Dampfwolken auftürmen. Schmale Gassen, durch die Elektroautos und Mopeds sausen, schlängeln sich zwischen weißen Villen mit blauen Türen und Fensterläden durch den Hafenort San Pietro. Hier gedeihen und duften Hibiskus, Oleander und Bougainville noch üppiger als auf den größeren Schwestern. Über den dunklen Sandstrand Caletta die Zimmari stapft man zur Halbinsel Capo Milazzese. 23 bronzezeitliche Hütten wurden hier vor Jahrzehnten freigelegt. Die Ausgrabungsfunde befinden sich ebenfalls im Archäologischen Museum auf Lipari.

Italien - Liparische Inseln - Capo Milazzese, Siedlungsplatz aus der Bonzezeit auf der Insel Panarea

Blick Capo Milazzese, einen Siedlungsplatz aus der Bonzezeit

Es gurgelt und grummelt. Schon spuckt er glühende Lava. Eine über hundert Meter hohe glutrote Feuerfontäne schießt in den abendlichen Himmel. Nach wenigen Sekunden ist der Spuk vorbei. Wenn „Iddu“, Europas einziger ständig aktiver Vulkan, gut gelaunt ist, wiederholt er das Spektakel für seine Zuschauer mehrmals pro Stunde. „Iddu“ heißt „Er“. So nennen die Einheimischen ihren Stromboli, mit dessen Wut- oder Glutausbrüchen sie zu leben gelernt haben. 900 steile Meter führen zum Kraterrand. Die gemächliche Variante ist ein mit Canna-Gras bewachsener Panoramaweg mit Aussichtsplattformen. Perfektes Vulkan-Kino bietet auch Roberto Acquaro auf der Terrasse seiner Pizzeria „Osservatorio“. „Jeden Abend schiebe ich einen mit feuriger Salami belegten Teig nach dem anderen in den Steinofen, während die Gäste draußen den Funkenregen beobachten“, sagt der kreative Pizza-Bäcker: „Ein zerlaufenes Spiegelei in der Mitte der Pizza symbolisiert den Stromboli-Ausbruch.“

Italien - Liparische Inseln - Blick auf den Vulkan Stromboli

Blick auf den Vulkan Stromboli

Alle Wege zu „Iddu“ beginnen oberhalb des Hafens nahe der Bar „Ingrid“. Benannt nach der Schauspielerin Ingrid Bergman. Schon drei Jahrzehnte vor Ute und Guiseppe verliebte sich ein anderes Paar auf den Liparen. Während der Dreharbeiten zum Film „Stromboli – Terra di Dio“, der in den 1950er Jahren die Inseln bekannt machte und den Tourismus ankurbelte, erlag die blonde Schwedin dem Charme des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini.

 

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