Von männlichen Hexen
Am nächsten Vormittag ist der Sturm vorbei und der Breidafjördur glatt wie ein Spiegel. Wir fahren nach Osten und umrunden einen Fjord nach dem anderen, bis wir zur Abzweigung der Strasse 608 nach Holmavik kommen, dann über eine ca. 500 m hohe, fast vegetationslose Hochebene und nach drei Stunden Fahrt erreichen wir den Steingrimsfjördur und schließlich Holmavik, ein 400-Seelen-Dörfchen, in dem es seit einigen Jahren ein Hexenmuseum gibt - das einzige auf Island.
Der isländische Hexenglauben unterscheidet sich massiv vom europäischen Hexenszenario: Weder glaubten die Isländer, dass Hexen auf ihren Besen durch die Luft flogen, um sich zum Hexensabbat zu treffen, noch wurde der Hekla-Vulkan, der eigentlich als Tor zur Hölle galt, mit Hexen in Verbindung gebracht. Auch waren es in Island nicht besonders hübsche oder alte, hässliche Frauen, die man mit geheimem Wissen um Heilkunde und Teufelsmagie in Verbindung brachte. Vielmehr waren es meist Männer, die man im einzelnen der Schadenmagie und der Anwendung geheimer Zauberformeln oder alter Wikingerkultrituale bezichtigte.
Kein Ort für Hexen: die Kirche von Arnes im Bezirk Strandnir
Die isländischen Hexenprozesse drehten sich meist um die Anwendung von Magie, um Krankheiten heraufzubeschwören, Schafe zu töten, Wetter und Klima zu beeinflussen oder Menschen in Abhängigkeiten zu bringen. Meist war die Hexerei-Anklage mit einer Anklage wegen Gotteslästerung verbunden. Insgesamt wurden in Island 170 Menschen der Hexerei angeklagt und davon 21 auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die meisten im Gebiet Strandir. Die Zauberer des Bezirkes Strandir waren berüchtigt. Es galt das ungeschriebene Gesetz, „sich nicht mit den Männern von Strandir anzulegen, weil man nicht wusste, welche Zauberkräfte sie zur Rache einsetzen könnten.“
Der Hering verschwand – die Menschen auch
Wir fahren auf der engen Piste an der Küste nach Nordwesten. Verlassene Ortschaften und Höfe kennzeichnen das Landschaftsbild, am Strand türmen sich Berge von Treibholz.
Treibholz an der Küste von Strandnir
Ein Polarfuchs hat offenbar einen Seevogel ergattert und zottelt mit seiner Beute den Hang hinauf. Angst zeigt er nicht. Kaum jemand, der in diesem Teil Islands unterwegs ist.
Das alte Hotel in Djupavik war früher die Herberge für die Arbeiterinnen der Fischfabrik, die heute wie ein verlassenes Monument dasteht und langsam vor sich hin rottet. Ab 1950 blieb der Hering an der Küste aus - niemand weiß warum, und mit den Heringen verschwanden auch die Menschen aus der Gegend. Nur wenige haben hier durchgehalten. Im Sommer bei blauem Himmel und strahlender Sonne, sicherlich, da kann man es hier gut aushalten. Aber im Winter, wenn es dunkel und grau ist, wenn der Sturm heult und schwere Brecher an den Strand donnern, da muss man schon physisch wie psychisch sehr stabil sein, um hier zu leben.
Vor zweihundert Jahren war Gjögur das Zentrum des Haifischfangs: 15 bis 18 Ruderboote mit je sieben bis elf Mann Besatzung gingen von hier aus auf Haifischfang.
Der kleine Hafen von Gjögur
Heute leben 36 Menschen in Gjögur, davon fünf Kinder. Fische fängt man hier immer noch: Eishai, Seehase, und es ist mühsam. Zweimal wöchentlich kommt das Flugzeug von Reykjavik und bringt die Post, Passagiere sind selten.
Am Ende der Welt?
Auf der Weiterfahrt grüßt das Weiß des Drangajökull herüber: Islands fünftgrößter Gletscher, fast unberührt, beherrscht das Landschaftsbild von Strandir. Wir erreichen die Bucht von Trékyllsvik, von Hexen ist weit und breit nichts zu sehen, ein idyllischer Flecken Erde, ein wunderhübscher Platz zum Wohnen – wenn es nur den Winter nicht gäbe. Hinter Krossnes hört die Piste auf. Wenn hier Schild „Ende der Welt“ stünde, würde es jeder fotografieren.
Walwirbelknochen am Ende der Welt
Eigentlich braucht man kein Schild. Treibholz, ein paar Schafe, grüne Wiesen, mehr oder weniger verlassene Höfe, und weit und breit keine Menschenseele, das Handy hat zuletzt zwölf Kilometer vor Holmavik funktioniert. Man kann die Einsamkeit hören. Ablandiger, kühler Wind kommt auf, mit einem Mal ist die Sonne hinter tief liegenden Wolken verschwunden, die vom Drangajökull herüber jagen. Es ist plötzlich kalt. Schluss mit der Idylle. Es ist, als ob der Sommer zu Ende wäre, jetzt mitten im August. Als wir wieder Holmavik erreichen, schneit es sogar. An der Tankstelle halten drei weitere Fahrzeuge – wir haben das Gefühl, als würden uns die Menschenmassen erdrücken.
Reiseveranstalter Island bei schwarzaufweiss
Seit der politischen Annäherung von Gorbatschow und Reagan, die im Oktober 1986 in Reykjavik ihren Anfang nahm, weiß eigentlich jeder, wo Island liegt. Vom „Grossen Geysir“ hat man auch schon mal was gehört, ja, und natürlich vom „Island-Tief“, das uns immer regnerisches Wetter bringt. Damit sind dann meist die Landeskenntnisse erschöpft, was eigentlich jammerschade ist – gehört die Insel doch zu den schönsten, aufregendsten und vor allem touristisch nicht überlaufenen Landschaften, die wir auf der Welt noch erleben können.
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Die Luft ist klar, die Sicht nahezu grenzenlos, wären da nicht die majestätischen Vulkane, deren einstige Lavaströme die Landschaft hier am Myvatn gestaltet haben. Stille und ein Hauch von Wehmut liegen über dem Land. Der Sommer ist vorbei, die Touristenströme weg. In der Nacht hat es gefroren.
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