Vom Ende der Welt zum Mittelpunkt der Erde

Unterwegs in den Westfjorden von Island

Text und Fotos: Uwe Lexow

Island? Klar, kennt man doch! Das ist die kleine Vulkaninsel zwischen Europa und Amerika, auf der es immer regnet, die Einwohner an Trolle und Elfen glauben und es überall Geysire gibt. Sicherlich: Island liegt im Nordatlantik und insbesondere das Gebiet an der Südseite des Vatnajökull kann man mit Niederschlägen von bis zu 4000 mm im Jahr nicht gerade als trocken bezeichnen. Auch richtig, dass der Glaube an Überirdisches aus der Gedankenwelt selbst der modernen Isländer kaum wegzudenken ist, und natürlich gibt es auch Geysire. Aber Island hat weit mehr zu bieten.

Island Küste arktischer  Mohn

Schönheit in der Steinwüste: arktischer Mohn

Island ist ein aufgeschlagenes Lehrbuch der Geologie, geprägt von Vulkanismus und Eiszeiten, ein Land, das immer noch in der Entstehung begriffen ist und in dem sich die Landschaft tagtäglich verändert. Island, das sind nicht nur Springquellen, Thermalgebiete und bizarre Felsformationen, sondern auch grüne Wiesen mit Millionen weißer Wollgasköpfchen, tief eingeschnittene Fjordlandschaften im Westen und Osten, Steinwüsten und die eisige Welt des drittgrößten Plateau-Gletschers der Erde. Eine unbeschreibliche landschaftliche Vielfalt, die man nach flüchtigem Studium gängiger Kurzreiseführer gar nicht erwartet.

Geheimnisse der Erdgeschichte

Mit rund 300.000 Besuchern pro Jahr übersteigt die Zahl der Touristen inzwischen die Einwohnerzahl des Landes, wovon man allenfalls bei der Ankunft auf Islands internationalem Flughafen in Keflavik, in der überfüllten Fussgängerzone von Reykjavik zur Zeit des Midsummer und dem Landstrich zwischen Gullfoss und Geysir etwas zu spüren bekommt. Im Übrigen verteilt sich der Touristenstrom per Bus, per Allradfahrzeug und auch per Rad angenehm über die Insel, so dass man nicht das Gefühl hat, von einem Highlight zum anderen geschoben zu werden. Freilich: Etwas Zeit sollte man für einen Island-Trip schon mitbringen und vor allem die Bereitschaft, die Stimme der Natur zu hören und sich der Erdgeschichte mit ihren großen und kleinen Geheimnissen zu öffnen.

Glaubt man der Edda, so lebt unter den Meeren die weltumschlingende Midgard-Schlange, von er es heißt, ihr Rücken rage nur an einer Stelle der Erde aus dem Wasser, und dort wurde Island aus Feuer geboren.

Island Weide Islandpferde

Sicher vor der Midgard-Schlange: Islandpferde auf der Weide

Tatsächlich begann Islands Entstehungsgeschichte durch vulkanischen Aufbau vor etwa 25 Millionen Jahren. Nach der inzwischen anerkannten Theorie der Kontinentalverschiebung driften die Kontinente unaufhaltsam in Ost-West-Richtung auseinander. An der Bruchkante befindet sich ein aktives submarines Gebirge – der mittelatlantische Rücken. Island entstand an der Stelle, an der Lava aus einem Vulkan dieser Gebirgskette an die Wasseroberfläche trat und dort erstarrte. Der Riss zwischen der amerikanischen und eurasischen Platte durchzieht Island von Nord nach Südwest. Entlang dieses Risses befindet sich eine aktive vulkanische Zone. Durch aufsteigendes Magma wächst die Insel etwa zwei Zentimeter pro Jahr.

Die geologische Wiege des Landes

Wir beginnen unsere Exkursion in Thingvellir, wo die Bruchkante zwischen den Platten deutlich sichtbar ist. 930 gründeten die Isländer hier ihr Althing, einen Zusammenschluss der Wikinger-Häuptlinge - Grundstein für die wohl älteste Demokratie der Welt. Ein besserer Platz als die geologische Wiege des Landes hätte sich für eine Staatsgründung kaum finden lassen. Die Geländegängigkeit unseres Fahrzeuges können wir während der Weiterfahrt auf der Kaldidalur-Hochlandpiste ausprobieren. Das „kalte Tal“ macht seinem Namen alle Ehre: Ein eisiger Wind fegt Staub und Geröll vor sich her, als wir zwischen den Gletschern Langjökull und Ok nordwärts fahren, vorbei an blau schimmernden Gletscherzungen, die uns erahnen lassen, welche Gewalt von den Eisriesen droht, von denen unaufhörlich trübe , sedimenthaltiges Gletscherwasser ins Tal fließt.

Island Snaefells Schafe

Auch sie sind Bewohner der Snaefells Halbinsel

Kurz vor Husafell ändert sich das Landschaftsbild: Die unwirtliche Geröll-Landschaft wird durch grüne Flecken verdrängt. Der Grund: „Laugarvatn“, heißes Wasser, mit denen Gewächshäuser beheizt werden, in denen Gurken und Tomaten gezogen werden. Über das Örtchen Borganess gelangen wir auf die Snaefells Halbinsel. Vorbei an dem 5000 bis 8000 Jahre alten Vulkan Eldborg, dessen Ringkrater aussieht wie eine Schutthalde, fahren wir nach Westen. Es beginnt zu regnen, wird diesig. Im grauen Schleier lassen die Felsformationen links und rechts der Straße viel Raum für Phantasie. Mit einem Male sind wir gar nicht mehr so sicher, dass es hier keine Gebirgsriesen und Trolle gibt. Schon ein wenig unheimlich ist es hier, zumal von anderen Fahrzeugen weit und breit nichts zu sehen ist.

Wo geht´s zum Mittelpunkt der Erde?

Am nächsten Morgen hat der Regen aufgehört und wir blicken auf die drei Spitzen des 1446 m hohen Snaefellsjökull. Unter der elf Quadratkilometer großen Eiskuppe verbirgt sich ein heute erloschener Zentralvulkan, dessen drei Eruptionen während der letzten tausend Jahre das Landschaftsbild geprägt haben. Dem Berg werden magische Bedeutungen beigemessen. Nicht umsonst lässt Jules Verne seine Reise zum Mittelpunkt der Erde gerade hier beginnen.

Island Arnastapi Felsenküste

Die Felsenküste bei Arnastapi

Die schwarze Landkirche von Budir aus dem Jahr 1947 auf einem Lavafeld ist ein schönes Fotomotiv. Leider zeigt die Küstenseeschwalbe für unsere fotografischen Gelüste wenig Verständnis: Mit wildem Geschrei fliegt sie Sturzangriffe auf uns, um im letzten Moment abzudrehen, um dann erneut anzugreifen, obwohl wir für sie und ihre Nester keine Gefahr darstellen. Das Örtchen Arnastapi ein paar Kilometer weiter ist berühmt für seine Vogelkolonien. Hier brüten Dreizehenmöwen, Eissturmvögel und Seeadler, deren Nester allerdings geheim gehalten werden. Eine Wanderung an der Küste bis nach Hellnar führt uns vorbei an bizarren Felsen über ein Lavafeld. Wolken verdecken die drei Spitzen des Snaefells als habe er in den Morgenstunden genug seiner Pracht offenbart.

Isländisches Gewichtheben

Hinter Dritvik – ein kleiner Fischerort mit 600 Einwohnern – fahren wir zum Djupalonsandur hinunter. Überreste eines Schiffswracks stehen hier am Strand als Erinnerung und sehen aus wie moderne Kunstwerke. Und da liegen die „Kraftprobesteine“, die früher die Seeleute stemmen mussten, um für die Fischfangsaison eingestellt zu werden. „Der Fullsterkur“-Stein wiegt 154 kg, „Halfsterkur“ 100 kg, und „Halfdraettungur“ ( frei übersetzt: halbe Portion ) hat ein Gewicht von 54 kg. Der leichteste der Steine, Amlodi = Versager, ist nicht mehr da. Vielleicht hat ihn jemand aus Wut, nicht eingestellt zu werden, im Meer versenkt – denn wer nicht mindestens den 100-Kilo-Stein heben konnte, bekam keinen Job an Bord..

Drei Stunden dauert die Überfahrt von Stykkisholmur auf die andere Seite des Fjordes. Die Fähre stoppt an der größten Insel im Fjord, Flatey, deren bunte Häuschen nur im Sommer bewohnt sind. Hier befindet sich Islands älteste und mit 16 Quadratmeter kleinste Bibliothek. Der Schatz der Bibliothek, die Pergamentschrift „Buch von Flatey“ aus dem Jahr 1394, befindet sich seit 1971 allerdings im Nationalmuseum in Reykjavik.

Vorbei an Gestellen, auf denen Stockfisch getrocknet wird, Bauernhöfen und grünen Weiden fahren wir weiter nach Westen. Unser Ziel ist der hundert Kilometer entfernte Vogelfelsen Latrabjark, wobei die Bezeichnung „Vogelfelsen“ eigentlich falsch ist, auch wenn sie sich fast in jedem Reiseführer finden lässt: Latrabjark ist ein Steinküstenmassiv, 14 km lang und 444 m hoch, das den westlichsten Punkt Europas bildet. Von hier sind es nur 300 km bis zur Küste Ostgrönlands.

Ein natürliches Hochhaus für die Vogelwelt

Island Vogelfelsen Papageientaucher

Zuhause in Latrabjark: der Papageientaucher

Die Grasnarbe ist nass und durchlöchert, aber es lohnt sich schon, vom Leuchtturm den Weg zu den Vogelkolonien anzutreten. Zu Tausenden nisten hier – sauber wie in einem Hochhaus nach Etagen getrennt – Papageientaucher, Eissturmvögel, Trottellummen, Tordalke, Dreizehenmöven und Kormorane, die im Sommer hier brüten. Island ist auch ein El Dorado für Ornithologen, Aber selbst, wer kein begeisterter Vogelkundler ist, kann sich dem Charme der lustigen, hühnergroßen Papageientaucher nicht entziehen. Das Geschrei der Seevögel mischt sich mit dem Heulen eines aufkommenden Sturms – vielleicht sind die Vögel deshalb so aufgeregt und kreischen, was der Schnabel hergibt. Der x-te Film kommt in die Kamera, Latrabjark ist eines der Ziele, wo man sich hoffnungslos „verschießt“.

Auf der Rückfahrt halten wir im privaten Heimatmuseum von Hnjotur. Neben technischem und medizinischem Gerät findet man die Nachbildung eines Wikingerschiffes und einen Seemannsfriedhof. Besondere Attraktion ist ein Film der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger über eine Rettungsaktion des britischen Trawlers Dhoon aus dem Jahr 1947 vor Latrabjarg. Eigentlich sollte eine ähnliche Szene für einen Film nachgestellt werden, als plötzlich ein echter Alarm ausgelöst wurde, und es entstand eine ergreifende Dokumentation über eine der dramatischsten Rettungsaktionen vor Islands Westküste.

Isländisches Strandleben 

Nicht weniger begeisternd sind die kilometerlangen feinen Sandstrände gegenüber dem Örtchen Patreksfjördur, die in Anbetracht des vulkanischen Ursprungs der Insel hier niemand vermutet hätte.

Island Strand Muschelkalk

Feinster Strand aus Muschelkalk

Feinster gelber Muschelkalk und tiefblaues Wasser schaffen Südseeatmosphäre – zumindest bis zu dem Moment, in dem man Hände oder Füße ins Wasser hält. Bei Temperaturen von nur fünf Grad wird einem schnell klar, warum sich niemand im Wasser tummelt.

Das Wetter schlägt um. Böse Zungen behaupten, in Island erlebe man alle vier Jahreszeiten an einem Tag. Der Sturm peitscht Regenwolken vor sich her, die Lufttemperatur fällt von 18 Grad auf unter 10 Grad und lässt jeden Gedanken an Strandleben vergessen. Der Rückweg ist mühsam, die Straße und der Pass Kleifaheidi sind kaum zu erkennen und wir sind froh, als wir schließlich unsere Unterkunft in Flokalandur erreichen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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