Wo der Teufel seine Suppe kocht

Eine vulkanische Exkursion zum Myvatn-See in Island

Text und Fotos: Uwe Lexow

Island Myvatn Tafelberg

Es stinkt bestialisch nach verfaulten Eiern, weißer Dampf mischt sich mit dem Blau des Himmel. Es brodelt und zischt aus blau-grauen Schlammtümpeln – viel anders kann es in der Hölle auch nicht sein. Wir sind am Myvatn, genauer gesagt im Bereich des Námajfall, ein paar Kilometer östlich des Mückensees.

Hier befindet sich - genau auf dem Mittelatlantischen Rücken gelegen - eines der geologisch aktivsten und vulkanologisch interessantesten Gebiete Islands. Geologisch gesehen ist Island ein sehr junges Land: die ältesten Gesteine, die sich im Osten und Nordwesten des Landes befinden, sind nur etwa fünfzehn Millionen Jahre alt, während die Entstehung der Erde 4,6 Milliarden Jahre zurück liegt.

Island Myvatn Schwefelhang

Dampfender Schwefelhang

Seine Existenz verdankt Island der Tatsache, dass es sich zum einen zwischen zwei tektonischen Platten und zum anderen auf einem aktiven "hot spot" befindet. Genauer gesagt liegt die Insel zwischen der nordamerikanischen und der eurasischen Kontinentalplatte, die entlang des Mittelatlantischen Rückens auseinander driften, und zwar im Durchschnitt um zwei Zentimeter pro Jahr. Die Insel wird praktisch auseinander gerissen, die Nahtstelle jedoch von der aus dem Erdinneren aufsteigenden Lava stets wieder gefüllt. Die Nahtstelle zwischen den beiden Platten durchzieht Island von Südwesten nach Nordosten und bildet einen breiten Gürtel, der Riftzone genannt wird und auf dem ohne Ausnahme alle aktiven Vulkane der Insel liegen.

Island Myvatn Schlammloch

Brodelnder Schlammtümpel

Námafjall - das bedeutet „Mienenberg“. Bis zum Jahr 1860 wurde hier Schwefel abgebaut und über den Hafen Husavik in alle Welt verschifft, bis sich der Abbau nicht mehr lohnte. Heute findet sich hier eine gelb-rot-weiß gefärbte Hexenküche, in der es brodelt und gurgelt, zischt und stinkt: Aus dem Untergrund dringt vulkanisch erhitzter und mit gelösten Mineralien gesättigter Dampf nach oben. Der mitgeführte Schwefelwasserstoff verbreitet einen Geruch nach faulen Eiern. Er verbindet sich in der Lösung mit Metallionen, die vom Dampf nach oben transportiert werden. Es entstehen Metallsulfide, die in den Tümpeln ihre charakteristische graue Farbe annehmen.

Der Feuerriese legt Briketts nach

Die Schlammtümpel unterliegen einem Gleichgewicht von Energie- und Wasserzufuhr aus der Tiefe und Energieabgabe an der Oberfläche. Wird zuviel Energie zugeführt, muss der Schlammtümpel durch heftiges Überkochen einen Gleichgewichtszustand herstellen. Es ist, als ob der Tümpel nach Luft schnappt, oder Surtur, der isländische Feuerriese der Unterwelt, wieder ein paar Briketts nachgelegt hat.

Island Myvatn Mondlandschaft

Die Landschaft dampft ...

Auch wer sich nicht für Physik interessiert, wird in den Bann der unterirdischen Kräfte gezogen. Das Farbspiel zwischen Schwefelgelb, Himmelblau, Weiß und Grau und die hautnahe Begegnung mit den Kräften der Natur faszinieren jeden, auch wenn man sich an den Gestank zweifellos gewöhnen muss.

Island Myvatn Dampflöcher

... und dampft

Wir gehen ein Stück den Schwefelhang hinauf und haben nach Osten hin einen herrlichen Überblick über die Solfataren-Landschaft und überdies das Glück, dass der Wind die Schwaden von Schwefelwasserstoff in die entgegen gesetzte Richtung treibt, so dass man etwas durchatmen kann. Die Erdkruste ist in diesem Bereich sehr dünn: Die Magmakammer liegt hier in einer Tiefe von ca. 3000 Meter. Unter der Oberfläche sieht es aus wie in einem Stollensystem, das von unten mit Magma gespeist wird. Steigt der Druck in der Magmakammer an, laufen zunächst die Gänge und Stollen voll, und wenn diese überquellen, kommt es zu den für Island typischen Spaltenausbrüchen. Die bekanntesten in dieser Gegend waren die berühmten „Myvatn-Feuer“, eine Ausbruchsserie zwischen 1724 und 1729, die große Gebiete um den Myvatn verwüstete. Schwefel und Ascheregen ließen die ohnehin spärliche Vegetation verderben, und wer nicht den giftigen Gasen zum Opfer fiel, verhungerte.

Riesige Mückenschwärme

Island Myvatn Erdwärmeleitung

Bis heute ist Sutur, der Riese der Unterwelt, nicht besiegt: In den siebziger Jahren trieben die Isländer 22 Bohrlöcher bis 2.200 Meter in die Erde, um Erdwärme im Bereich der Krafla zu gewinnen (Foto rechts), die für ein Kraftwerk genutzt werden sollte, was zum damaligen Zeitpunkt eine Pionierleistung darstellte. Die Folge der Arbeiten war eine neue Ausbruchsserie mit allein acht Eruptionen zwischen 1975 und 1984. Seit 1984 wurden die Berge , die immerhin Höhen zwischen 700 und 1000 Meter aufweisen, um fünf Zentimeter nach Osten verschoben, der See senkte sich in dieser Zeit um ca. dreißig Zentimeter. Erdbeben sind seither an der Tagesordnung.

Das 1975 errichtete Geothermal-Kraftwerk arbeitet nur mit einem Bruchteil der Kapazität, und das ein paar Kilometer in Richtung Westen liegende Kieselgurwerk steht genau auf einer Erdspalte – im Ausbruchsfall soll es als „Wellenbrecher“ den Lavastrom aufhalten. – Katastrophenmanagement made in Island. Für die nächsten 3 Jahre sind übrigens weitere Bohrlöcher in diesem Bereich geplant, jedes wird etwas 3,5 Millionen Euro kosten – und wie Surtur auf die neuen Angriffe auf sein Feuerreich reagiert, weiß bisher niemand.

Die Strassen im Bereich der Krafla sind auffallend breit: Die vornehmlich in Richtung Husavik ausgelegten Evacuation-Routes ermöglichen die Evakuierung der Bevölkerung in weniger als zwei Stunden. Vor diesem Hintergrund ist uns schon ein wenig mulmig, als wir zwischen den dampfenden Schlammtümpeln und kochend heissen Solfataren herumwandern und später auf der breiten Strasse nach Westen zum See hinunter fahren. Von einem Aussichtspunkt öffnet sich der Blick auf den Myvatn, neben den geologischen Aktivitäten der zweite Anziehungspunkt der Region.

Islanfd Myvatn Pseudokrater

Ein "Pseudokrater" am Rand des Sees

Der Myvatn, Islands viertgrößter See, entstand vor etwa 3.500 Jahren bei einem Ausbruch des Schildvulkans Ketildyngja. Vor 2000 Jahren kam es in der Myvatn-Region zu einem weiteren großen Ausbruch der Vulkane Lúdentsborgir und Threngslaborgir, deren Laven den ursprünglichen See überflossen und die heutige Form des Myvatn schufen. Er ist mit seiner Fläche von 37 qkm nicht nur Islands viertgrößter See, sondern auch zugleich der flachste: Er hat eine Tiefe von ein bis fünf Meter, was zur Folge hat, dass sich das Wasser des Sees im Sommer schnell erwärmt. Die hohen Temperaturen fördern das Wachstum der Algen, an diesen legen die Mücken ihre Larven ab, die wiederum Forellen und Vögeln ideale Nahrungsbedingungen bieten. Seinen Namen erhielt der See wegen der Mückenschwärme, die während der Sommermonate in riesigen nebelähnlichen Wolken über dem Wasser schweben.

Schneegestöber im August

Island Myvatn Schafauftrieb

Wir haben Glück: Die Mücken mögen keine Kälte, und es ist saukalt an diesem Tag im August. Weit und breit ist von den Staubmücken nichts zu sehen, als wir durch die Pseudokraterlandschaft von Skútustadir wandern. Pseudokrater – auch dies ist eine geologische Besonderheit in der Myvatn-Region: Sie entstanden, als glutflüssige Lava ein Sumpfgebiet überfloss. Das Wasser verdampfte, der Dampf sammelte sich unter der Lava und durchbrach schließlich explosionsartig die Lavadecke, wobei kraterförmige Öffnungen in die Lavadecke gesprengt wurden. Kontakt zur Lava des Erdinneren hatten die Psyeudokrater nie.

Am nächsten Morgen trauen wir unseren Augen kaum: Die schwarzen Vulkane am Ostufer des Myvatn – allen voran der Hverfjall, ein 160 m hoher Ringwallkrater, der vor 2.500 Jahren bei einem einzigen Ausbruch entstand und der aussieht wie eine riesige Schutthalde, auf den wir heute eigentlich hinaufklettern wollten, sind schneebedeckt - und das Ende August. Wie sage ich immer zu Beginn der Reise: Auf Island haben wir vier Jahreszeiten, aber alle an einem Tag. Wir müssen die Tour umplanen. Bei Schneegestöber auf einen Schlackekrater hinauf zu klettern, bringt nun wirklich nichts - aber auf das nächste Highlight brauchen wir nicht lange zu warten.

Island  Myvatn Schafe

Im Getümmel von Schafen und Menschen

Während der letzten Tage haben die Isländer in Kenntnis der Wetterlage die im Sommer frei laufenden Schafe zusammen getrieben. Nun werden sie aufgrund ihrer Brandzeichen bzw. Ohrmarkierungen in speziellen Pferchen sortiert – ein Schauspiel, an dem nicht nur die Bauern der Gegend, sondern der ganze Ort teilnimmt, und ein paar Touristen fallen in dem Getümmel von Schafen und Menschen nicht auf. Es sind farbenfrohe Bilder vor der Kulisse der dunklen Vulkane und den rot-gelben Schwefelbergen. Und der erste Schnee des Jahres verzaubert die bizarre Gegend noch mehr. Schon bald wird der Myvatn zufrieren, während Surtur weiter das Feuer im Erdinneren speist, die Erde erzittern lässt, und erst Anfang Mai wird das Eis den See wieder freigeben.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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