Kreta im Winter

Wanderungen und Besichtigungen im Bezirk Rethimnon

Text: Judith Weibrecht
Fotos: Judith Weibrecht u.a.

Im geschäftigen Busbahnhof von Rethimnon will ich ein Taxi nach Plakias bestellen. „Parakaló, taxi!“, „Bitte, Taxi!“, versuche ich mich bei drei Männern am Fahrkartenschalter, die in ein tiefergehendes Palaver vertieft zu sein scheinen. Einer ist sofort sehr hilfsbereit, lädt zum süßen griechischen Kaffee ein und telefoniert nach einem Taxi. Die Weihnachtsplätzchen meiner Mutter helfen mir aus der Verlegenheit: Zwar klopfen die meisten sich ein-, zweimal auf ihre beachtlichen Ranzen, doch es wird wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass ich „auch was zu bieten“ habe. - Judith Weibrecht ist im Winter in Griechenland unterwegs

Das Taxi kommt, es fährt die Frau des Anrufers, und los geht´s durch wilde Gebirge, vorbei an Ziegen und Schafen, die Serpentinen hinunter, durch die imposante Kourtaliotis-Schlucht und immer wieder vorbei an Olivenhainen in Richtung Südküste.

Blick auf die Südküste mit der Stadt Chóra Sfakion, Foto: C. Antelmann

Olivenbäume wohin man schaut

16 Millionen Olivenbäume soll es auf Kreta geben und jeder Kreter pro Kopf und Jahr 33 Liter Olivenöl verbrauchen. Aha, da wundert es ja nicht, dass auch der Wanderweg von Damnoni nach Plakias durch ausgedehnte Olivenhaine führt. Unter den Bäumen am Boden sind Netze gespannt, um die gerade stattfindende Ernte zu erleichtern. Doch meine gefräßige Neugier wird im wahrsten Sinne des Wortes „bitter“ bestraft, und ich spucke die Frucht aus.

Kreta / Olivenhain

Olivenbäume mit Schafen, Foto: H. Weiss

Winter mit Regenbogen

Der Wind peitscht vom Meer her, Sonne, Nieselregen und ein überdimensionaler Regenbogen über den grauen Bergen begleiten mich den ganzen Tag.

Kreta / Regenbogen

Plakias, ein im Sommer gut besuchter Ferienort, schmiegt sich lang gezogen in eine Bucht. Gänse laufen die Dorfstraße entlang und ein rostiges Mofa trotzt dem Wind, der die Regentropfen verwirbelt.

Heiligabend

Es ist Heilig Abend mittags in Plakias. Gegen den Wind kämpfe ich mich in eine Seitengasse, in der Taverne brennt ein Licht. Ich trete ins Restaurant ein, besser gesagt ins Wohnzimmer der Familie. Fünf Personen sitzen am Tisch und kämpfen mit einem gekochten Ziegenkopf, der scheinbar ständig zu mir herüberglotzt. Ich will nicht stören, doch man bedeutet mir, ich solle bleiben. Ich bleibe auf ein Bier, dann suche ich weiter.

Die Männer lächeln selig

In der nächsten Kneipe meine ich mehr Glück zu haben. Schon von weitem höre ich Musik und Gesang, da werde ich nicht stören. „Ela, ela!“. „Komm rein! Was willst du?“ Einen Kafedaki will ich, griechischen Kaffee, mittelsüß, denn die griechische Süße ist für mitteleuropäische Gaumen nur schwer auszuhalten. „Und einen Rakí?“. “Nein, nein!“, will ich nicht. “Ooch!“, er ist enttäuscht. Die Männer am Nebentisch lächeln selig und haben verdächtig glasige Augen. Etliche leere Flaschen und einige mit klarer Flüssigkeit zieren die Tafel, außerdem frittierte Sardinen, Oliven, Weizenbrot. Einer steht auf und schießt sein Revolvermagazin durch einen Spalt in der Verandatür leer. Echte Kugeln! Gejohle der Männer! Die Kinder halten sich die Ohren zu. Übertroffen wird der Erste von einem mit einer Pistole und dieser von einem mit einem wahrhaftigen Schrotgewehr. Geschossen wird selbstverständlich einhändig. Die Kinder werden nach Hause geschickt, denn die Männer wollen Heiligabend so feiern wie sie wollen. Die Frauen verziehen sich in die Küche und essen Süßes.

Orangen zu Weihnachten

Anderntags wandere ich ins Bergdorf Myrthios, ehemals ein Dorf der Alternativtouristen. Wieder geht es durch Olivenhaine, vorbei an Orangenbäumen, die vor Früchten nur so strotzen. Von den umliegenden Hügeln grüßen diverse Kapellen herüber.

Kreta / Myrthios

Pension in Myrthios mit traumhaftem Blick hinweg über Olivenhaine auf das unten in einer Bucht gelegene Plakias, Foto: C. Antelmann

Leider hat das Kafenion in Myrthios geschlossen. Das ganze Dorf scheint wie ausgestorben, nur eine Frau in Gummistiefeln schlurft vorbei und grüßt: „Kalimera!“. Die Dame vom Reisebüro in Fürth mag wohl recht gehabt haben: „Im Winter wollen die Kreter die Insel für sich. Darum gibt es auch keine Charterflüge.“

Kretische Weihnachtsplätzchen

Eine andere Wanderung führt von Damnoni über Lefkogia nach Preveli. In Lefkogia weist ein Schild in Richtung Bäckerei. Gleich nach dem Eintreten bekomme ich kretische Weihnachtsplätzchen aus Mürbteig und mit jeder Menge Puderzucker bestäubt geschenkt. Ich kaufe viel. Der Vater des Bäckers sitzt in Schlafanzug und Bademantel im Eck und wünscht mir auf deutsch: „GutenTag!“.

Kreta / Berge bei Preveli

Von Dorf zu Dorf durch die Berge bei Preveli

Die Oma liegt im Freien auf dem Sofa

Weiter geht´s den Berg hinauf an dicht behängten Orangen- und Mandarinenbäumen vorbei nach Gianniou, einem echt kretischen Dorf, in dem die Leute ganz freundlich grüßen. Eine Oma grinst zahnlos. Opa liegt im Hof im Freien auf etwas, das aussieht wie ein fünfziger-Jahre-Sofa und hat einen Lappen über die Augen gebreitet. Die Wintersonne blendet!

Kreta / Gianniou

Blick auf das Dorf Gianniou

Buße tun

Als ich das fantastisch auf einer Anhöhe über dem libyschen Meer gelegene Kloster Preveli erreiche, habe ich wohl endlich alle meine Sünden abgebüßt. Im Klosterhof steht ein Brunnen, der daran erinnert, dass die Mönche hier im 2. Weltkrieg britische, neuseeländische und australische Soldaten versteckten, bis sie endlich evakuiert werden konnten. Darüber kann man sich auch in dem kleinen, angegliederten Museum informieren.

Kreta / Kloster Preveli

Kloster Preveli

In der vom Baustil der Venezianer beeinflussten Kapelle aus dem 17. Jahrhundert hängen Ikonen im Stil der kretischen Schule. Die Hauptikone heilt angeblich Augenleiden. In der Kirche unterhält man sich lautstark, auch die zwei Mönche in schwarzen Kutten.

Stätte eines kollektiven Massenmordes

Kloster Arkadi, die blutige Wallfahrtsstätte der Kreter (ca. 20 km südöstlich von Rethimnon), steht einsam auf einem kahlen Hochplateau, über das der Wind pfeift. Hier begingen während des Widerstandskampfes gegen die Türken im November 1866 an die 1000 Kreter kollektiven Massenselbstmord: Als klar war, dass das Kloster von den Türken eingenommen wird, schoss der Freiheitskämpfer Konstantin Giamboudakis in die aufgestapelten Fässer mit Schießpulver. Eine gewaltige Explosion riss Frauen, Kinder und Verteidiger in den Tod.

Kreta / Kloster Arkadi

Kirche vom Kloster Arkadi

Seither ist Kloster Arkadi zum bedeutendsten Nationalheiligtum Kretas geworden. Weil damals auch fast alle Ikonen zerstört wurden, sind in der Klosterkirche (Foto oben) mit der schönen Renaissancefassade nur modernere Ikonen zu sehen.

Vier Märtyrer

Eine Statue des Freiheitskämpfers Giamboudakis steht in der orientalisch anmutenden Stadt Rethimnon. Schräg gegenüber befindet sich die griechisch-orthodoxe Kirche der vier Märtyrer, ebenfalls ein Symbol des Widerstands der Kreter gegen die Türken. In der Kirche werden die sterblichen Überreste von vier Märtyrern, die während der türkischen Herrschaft zum Islam übergetreten, aber heimlich ihrem christlichen Glauben treu geblieben sind, aufbewahrt. Natürlich flog die Sache auf, und die vier wurden gehängt.

T-Shirts und Sesamkringel

Es nieselt stetig, sodass sich der Marktplatz in eine Zeltstadt verwandelt hat. An einem Fahrradstand gibt es Sesamkringel, von einem Kleinlaster herunter werden Auberginen, Broccoli, Orangen und Honig verkauft, woanders gibt es T-Shirts und billige Jeans. Niemand scheint sich ernsthaft um Käufer zu bemühen.

Kreta / Rethimnon Markt

Markt in Rethimnon

Katerstimmung

Im Kafenion beim Marktplatz sind die Scheiben dampfig beschlagen. Trübe Stimmung. Man blickt dumpf in Richtung Marktplatz. Ein Alter mit hohen, schwarzen Lederstiefeln und gehäkeltem schwarzen Kopftuch betritt das Lokal und spielt mit seinem Kettchen. Alle kennen ihn, doch mir gibt man keine Auskunft über ihn. Es riecht nach Rakí, Bier und Salbeitee. Im Hintergrund spielt leise orientalisch anmutende Musik und am Nachbartisch wird lauthals Tavli, das griechische Backgammon, gespielt.

"Aegyptoblatt gegen vertopfung"

Ich gehe derweil zum Salbei-kaufen. Im Kräuterladen Kondojanni in der Altstadt. Auf einer Tafel werden die Wirkungen der kretischen Kräuter auch in Deutsch erklärt: „Aegyptoblatt gegen vertopfung“ und „Cypresse herausziehen Das stein von Nierenstein“ lese ich dort.

Leidenschaftliche Schützen

Auf der Heimfahrt fallen die Einschusslöcher in den Straßenschildern auf. Eine Anhalterin erklärt mir, das sei eine Leidenschaft kretischer Männer nach einigen Rakí: Straßenschilder abschießen. Die kleinen Gedenkhäuschen am Straßenrand zeugen außerdem von der riskanten Fahrweise. Die Cola- und Mineralwasserfläschchen darin sind aber keine Opfergaben, sondern enthalten das Öl für die Lämpchen.

Darauf einen Schuss!

Das Jahr klingt aus bei geöffnetem Fenster: um das alte Jahr hinaus und das neue hereinzulassen. Und der Silvesterkuchen enthält eine eingebackene Münze. Wer sie findet, hat im nächsten Jahr Glück. Soso, dann kann ja noch mal geschossen werden!

Reiseinformationen zu Kreta

Informationen:

Griechische Zentrale für Fremdenverkehr
Neue Mainzer Str. 22
60311 Frankfurt/M
Tel. 0 69/23 65 61/2/3
Fax 0 69/23 65 76
E -Mail: info@gzf-eot.de
Internet: www.gnto.gr (englisch)

 

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