Apollos Zeit war abgelaufen

Auf Kalymnos, der Insel der Schwammfischer und der Wohlgerüche

Text und Fotos: Christoph Wendt

Nur eine gute Stunde sind wir unterwegs mit dem Schiff von Kos, da taucht vor uns die gebirgige und wild gezackte Silhouette einer Insel auf. Und schon bald laufen wir in die hufeisenförmig geschwungene Hafenbucht von Pothia ein, dem Hauptort der Insel Kalymnos. Nach Norden und Westen steigen die pastellfarbenen Häuser der mit rund 10.000 Einwohnern nach Rhodos zweitgrößten Stadt der Dodekanesinseln steil zu den Berghängen hinauf. Beherrschend über dem engen Gewirr der Altstadtgässchen ragt eine mächtige silberne Kirchenkuppel auf.

Griechenland - Kalymnos - Pothia

Blick auf Pothia

Pothia hat nichts vom strahlenden Weiß kykladischer Inselhauptorte, mit dem auch manche Dodekanes-Insel aufwartet. Es hat zumindest bei der Hafenfront auch nichts von der niedlichen Verspieltheit einiger Inselstädte hier in der südlichen Ägäis. Bei allem morbiden Charme, der vor allem ältere Häuser umgibt, wirkt Pothia wuchtig, fast aufdringlich. Unübersehbar haben fast 50 Jahre italienische Besatzung in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ihre architektonischen Spuren hinterlassen. Doch nicht nur die Architekten der Besatzer prägen das Bild dieser Hafenstadt, die Architektur spiegelt zudem deutlich den Wohlstand, den Pothia bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Schwammfischerei verdankte.

Was macht der Besucher, der zum ersten Mal nach Kalymnos, nach Pothia kommt? Er versucht das zu finden, um dessentwillen die Insel berühmt ist in der ganzen Ägäis, ja weit darüber hinaus, die Schwammfischerei. Kalymnos gilt immer noch als die Insel der Schwammfischer.

Griechenland - Kalymnos - Bearbeitung der Schwämme

Bearbeitung der Schwämme

Tatsächlich sei Kalymnos heute immer noch die einzige, die letzte Insel, deren Bewohner dem lebensgefährlichen aber lange Zeit sehr einträglichen Gewerbe der Schwammfischerei nachgingen. Das erzählt uns der Wirt in der kleinen Taverne am Hafen, wo es angesichts des frühen Morgens noch recht ruhig ist. Die große Zeit der Schwammtaucher sei allerdings längst vorbei, sagt er. Was die wenigen Männer, die um Ostern mit ihren Booten für bis zu fünf Monate aufs Meer hinaus führen, heute heim brächten, stamme kaum noch aus der Ägäis. Eine bis heute ungeklärte Krankheit habe die einst als besondere Kostbarkeit, ja als Luxusgut gehandelten Schwämme unbrauchbar gemacht. Kalymnos Schwammfischer tauchten heute vor den Küsten Ägyptens und Algeriens, ja sogar vor den Küsten Floridas.

Der Wirt zeigt uns das Gebäude der Schwammfischergenossenschaft. Ein paar Männer sitzen dort in einer großen Halle, in der sich Berge von Schwämmen stapeln. Mit großen Scheren schnipseln sie an den Rohschwämmen jeder Größe herum, bringen sie in das gewünschte, für den Verkauf notwendige Format.  An den Wänden türmen sich die rohen, reichlich unansehnlichen Schwämme; auf Regalen sind die bearbeiteten, verkaufsfertigen gelagert. Auf der anderen Seite stehen Bottiche, aus denen der Atem beklemmende  Geruch von Säuren aufsteigt. Hier werden die Rohlinge in chemischen Bädern behandelt, gebleicht und anschließend gewässert.

Griechenland - Kalymnos - Bearbeitung der Schwämme

Bearbeitung der Schwämme

Heute sind es fast nur noch Touristen, die die Schwämme von Kalymnos als Souvenir kaufen, nicht nur hier in Pothia, sondern auf allen Inseln des Dodekanes, der Inselgruppe, deren Mittelpunkt das große Rhodos ist. Doch mitunter zahlt man für das „weiche Gold des Meeres“ hier in Pothia nur die Hälfte dessen, was die Händler in Rhodos oder Kos verlangen.

„Unser“ Tavernenwirt vom Hafen, bei dem wir am Abend köstlich zarte Kalamari genießen und sie mit Retsinawein begießen, hat uns einen Taxifahrer organisiert, der uns einen ganzen Tag kreuz und quer über Kalymnos fahren soll. Eine Rundfahrt über die Insel ist nicht möglich. Es gibt keine Straße, die rund um die stark zerklüftete Insel führen würde, es gibt nur Stichstraßen.

Auf Kalymnos unterwegs

Wir treffen unser Taxi am frühen Morgen bei der Taverne. Er heiße Stavros, stellt sich der Fahrer vor in fließendem Deutsch mit unverkennbar fränkischem Akzent. „Ja“, sagt er als wir ihn darauf ansprechen, er sei in Nürnberg aufgewachsen.

Stavros erweist sich als Glücksgriff. Er ist nicht nur Taxifahrer, der uns nach unseren Vorgaben fährt, er ist ein exzellenter Führer für diese Insel, die längst noch nicht die Bekanntheit bei Touristen hat, wie manche andere Dodekanes-Inseln, obschon es zauberhafte Badestrände gibt, die wir im Laufe des Tages kennen lernen. In der Antike habe Kalymnos keine große Rolle gespielt, erzählt Stavros, der mit uns zunächst zum Kloster Agios Panton fährt. Faszinierend das Panorama, das sich von hier oben über die Hafenbucht, die Stadt Pothia in der Tiefe und das nach Nordwesten anschließende Chorio bietet. Nahe dem Kloster steht ein gewaltiges Betonkreuz, das nachts angestrahlt wird. Es wurde nach der Vereinigung von Kalymnos und den anderen Inseln im Dodekanes 1946 mit Griechenland errichtet und erinnert daran, dass die Kalymnier trotz aller Versuche der italienischen Besatzung, vor allem während des Faschismus, die Insulaner von ihrer griechischen Kultur und Religion abzubringen, ihre griechische Identität verteidigt und sich auch weiterhin zur griechisch-orthodoxen Kirche bekannt haben.

Am Eingang des noch immer bewohnten Nonnenklosters steht ein Kasten voller Kleidungsstücke, und eine wachsame Nonne achtet mit Argusaugen darauf, dass vor allem keine Besucherin allzu leicht bekleidet das Klostergelände betritt. Shorts werden ebenso wenig geduldet wie nackte Arme oder gar nur das Oberteil eines Bikinis. Ein prüfender Blick der wachhabenden Nonne, wir dürfen eintreten und betreten ein kleines Paradies, eine Idylle. Diese Idylle ist geprägt von Blumenrabatten, von blühenden Schlingpflanzen und Büschen, die die Mauern bedecken oder verdecken, von einer Vielzahl von Blumenkübeln. Dazwischen sind auch ausgediente Speiseöl- oder Schafskäsekanister, in denen die Nonnen ihren Bedarf an frischen Küchenkräutern heranziehen: Basilikum und Thymian, Majoran, Dill, Oregano und manches andere, das wir auf den ersten Blick überhaupt nicht identifizieren können.

Wie in den meisten Nonnenklöstern auf Kalymnos beschäftigen sich die Nonnen auch hier vorwiegend mit Stickarbeiten und der Bienenzucht. Köstlicher Honig und schöne Handarbeiten bieten sich also als Souvenirs für die wenigen Touristen an, die hierher finden. Kalymnos ist noch keine Touristeninsel, abgesehen von Sportkletterern, die immer mehr auf die Insel finden.

Auf den Spuren der Vergangenheit

Später bringt Stavros uns zu einer besonderen Kostbarkeit der Insel, zur Kirche Christos tis Jerusalim oder dem, was von dieser im vierten Jahrhundert erbauten Kirche noch übrig ist. Das ist nicht viel, ein Teil der Apsis nämlich, die besonders eindrucksvoll dadurch wirkt, dass sie sich an einen mächtigen Eukalyptusbaum anzulehnen scheint, in dessen Schatten sie steht. Auf den Ruinen eines antiken Apollotempels wurde die Kirche durch den oströmischen Kaiser Arkadios gebaut. Noch gut erkennbar sind in der Apsis Steine dieses Tempels eingearbeitet, Steine, die mit griechischen Buchstaben und Ziffern verziert sind. Doch alle Steine sind so in das Mauerwerk eingefügt, dass diese Zeichen auf dem Kopf stehen. Stavros meint, auf diese Weise solle damals wohl dokumentiert worden sein, dass Apollos Zeit abgelaufen war. Neben den Resten der Apsis sind noch  Bruchstücke des einstigen Marmor- und Mosaikbodens der Kirche zu sehen. Archäologen vermuten rund um die heute noch sichtbaren Spuren des einstigen Apollotempels noch zahlreiche Schätze, unter anderem ein Theater, vom dem allerdings bislang nur geringe Spuren gefunden wurden.

Griechenland - Kalymnos - Christos tis Jerusalim

Christos tis Jerusalim

Die Johanniter, die manchen Dodekanesinseln ihren noch heute deutlich sichtbaren Stempel aufgedrückt haben, hatten seit dem 11. Jahrhundert auch auf Kalymnos eine Burg, die Burg Kastro, auf deren verfallene Ruinen uns unser Führer bei der Weiterfahrt aufmerksam macht.

Natürlich zeigt uns Stavros auch Myrties, das sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Ferien- und Badeort auf Kalymnos entwickelt hat. Eindrucksvoll ist der Blick von der Küstenstraße hinab auf das am Meer gelegene Dorf, das sich an schönen Stränden entlang zieht und auf die gegenüber liegende Insel Telendos.

Badeort Myrties

Alle halbe Stunden pendelt ein Motorboot von Myrties zu dieser vorgelagerten Insel.  Doch Stavros rät uns, nicht mit dem Motorboot zu fahren, sondern ein privates Boot zu mieten. Dann sollten wir den Bootsführer bitten auf halbem Weg anzuhalten und auf den Grund des seichten Sundes schauen. Der Aufwand würde sich lohnen.

Er lohnt sich tatsächlich. Wir können auf dem Meeresboden die Umrisse von Ruinen erkennen, die Ruinen einer im Meer versunkenen Stadt. Es sei die Stadt Potäa gewesen, die hier im Jahre 554 untergegangen sei, erklärt uns der Bootsführer, der wohl oft für seine Gäste an dieser Stelle halten muss. Damals riss ein furchtbares Erdbeben die Halbinsel Telendos vom Festland ab, Potäa versank im Meer. Heute seien die Strände von Telendos die schönsten von Kalymnos, und in den Tavernen des gleichnamigen Inseldorfes gäbe es jeden Tag den besten frischen Fisch. Das ist in der ‚Ägäis, die weitgehend leer gefischt ist, schon etwas Besonderes. Doch die Buchten von Kalymnos gelten immer noch als fischreich.

Griechenland - Kalymnos - Taxifahrer Stavros mit einem Strauß frischer Kräuter und Blumen

Taxifahrer Stavros mit einem Strauß frischer Kräuter und Blumen

Als wir zu unserem Taxi zurück kommen empfängt uns Stavros mit einem Strauß frischer Kräuter und Blumen. Thymian und Oregano, Salbei, Majoran und Lavendel hat er zusammen gesucht und hält uns das duftende Präsent unter die Nase. Die Wohlgerüche dieser Kräuter erfüllen überall die Luft über der Insel. Kein Wunder, dass der Honig von Kalymnos, nicht nur der, der in den Nonnenklöstern erzeugt wird, nicht erst heute ein beliebtes Mitbringsel ist. Schon in der Antike galt er als einer der besten Griechenlands.

Zu den Mandarinenhainen von Vahti

Griechenland - Kalymnos - Bucht von Vahti

Blick auf die Bucht von Vahti

Es hilft leider nichts, wir müssen nach Pothia zurück, um im Spätnachmittag noch den schönsten Flecken der Insel kennen zu lernen, wie unser Führer meint, Vahti. Hinter einer scharfen Kurve wird plötzlich der Blick frei auf einen der schönsten Ausblicke im  gesamten Bereich der griechischen Inselwelt. Am Ende eines fruchtbaren Tales, das vom Inselinneren schlauchförmig zum Meer führt, liegt das kleine Dorf Vahti an einer tief eingeschnittenen und von schroff und steil aufragenden Felsen gesäumten Bucht. Diese Bucht erinnert eher an einen norwegischen Fjord im Kleinformat als an eine griechische Inselbucht. Gerade diese herbe Schönheit von Kalymnos macht die Insel landschaftlich zu einer der attraktivsten im Dodekanes. Den Talgrund überziehen auf weiten Strecken Tausende von Orangen- und Zitronenbäumen, vor allem aber mehr als 30.000 Mandarinenbäume. Dass diese durstige Art der Zitrusfrüchte hier gedeihen kann ist dem Wasserreichtum der Insel zu verdanken. Wir verstehen, dass heute die Landwirtschaft, insbesondere der Anbau von Zitrusfrüchten, längst vor der Schwammfischerei ein zentrales wirtschaftliches Standbein für die Insulaner ist. Und die fast senkrechten Felswände gerade dieser Vahtibucht machen uns deutlich, warum Kalymnos heute weltweit als Ziel für Sportkletterer bekannt ist, obschon die Felsberge hier kaum mehr als 600 Meter über den Meeresspiegel aufragen.

 

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