Waldseer Fasnet – ein Aha-Erlebnis

 

Text und Fotos: Dagmar Krappe

 

Waldseer Fasnet - Schwellköpfe

Bad Waldsee in Oberschwaben ist eine Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Die heiße Phase beginnt am Vorabend des „Gumpigen Donstig“ mit einem schaurigen Hexen-Tanz auf dem Rathausplatz.

Die Turmuhr der nahen Pfarrkirche St. Peter schlägt Mitternacht. Wind pfeift durch die Kopfsteinpflasterstraße. Schneeflocken wirbeln im Feuerschein. Ein, zwei, immer mehr „Schrättele“ in langen grünen Röcken und rotweißen Ringelsocken an den Füßen, die in Strohschuhen stecken, schleichen über den Rathausplatz. Vor einer Feuerschale knien die Hexengestalten nieder, spitzen darin ihre Besenstile an und stecken ihre neuen Reisigbesen auf. „Aha!“ schallt es durch die eisige Nacht, denn es ist Fasnet in Oberschwaben. Nicht „Alaaf“ oder „Helau“, sondern „Aha“ lautet der Narrenruf in Bad Waldsee. Vor wenigen Stunden haben Bürgermeister und Magistrat vom „Gumpigen Donstig“ bis zum Aschermittwoch Narrenrecht und -freiheit ausgerufen und alle Gewalt dem Zunftmeister und seinen Räten übergeben.

Waldseer Fasnet - Schrättele am "Gumpigen Donstig"

Schrättele am "Gumpigen Donstig"

Die Hexen tanzen im Schneetreiben um die lodernden Flammen herum. Ihre Masken sind von einem üppigen roten Kopftuch umhüllt und haben zwei Gesichter: Ein Glubschauge flößt Schrecken ein, das andere grinst verschmitzt. Plötzlich springen die Weißnarren heran: die Narros mit blumigen Gewändern und bunten Straußenfedern auf dem Kopf. Unterstützt vom redseligen Faselhannes mit üppigem Geschell (Glocken) vor Brust und Bauch. Die Weißnarren sollen den Winter und die bösen Geister vertreiben. Letzteres gelingt ihnen schließlich, und es spielt die Prinzengruppe auf. Hofdamen, Hofmarschall, Zunftgarde, Nachtwächter und Zuschauer schunkeln zum Schneewalzer.

Waldseer Fasnet - „Federle“

„Federle“

„Die Waldseer Fasnet hat schon eine Jahrhunderte lange Tradition“, berichtet Hans Funk, der als Ehrenamtlicher durchs Fasnetmuseum in der alten Ölmühle führt: „Die Masken gibt es aber erst seit 1935.“ Er selbst trägt nur einen Dachauer, eine schwarze Melone. Wer sich nicht im Häs (Kostüm) oder mit einer Maske an der Fasnet beteiligen möchte, der ist mit einem Dachauer gut beraten. Die Ausstellung präsentiert die wichtigsten Abläufe der Fasnet und die sechs Waldseer Originalmasken: Da gibt es den Jägersmann, das „Federle“, mit Federn am Hut und grünem Umhang, unter dem er eine rote Strumpfhose trägt. Zurzeit der Hexenprozesse war es der „Böse vom Waldsee“. „Insgesamt gibt es 2.700 Mitglieder in der Narrenzunft und rund 3.000 Masken bei 20.000 Einwohnern, die unser Ort mit Eingemeindungen hat“, verrät Funk: „Nur die Figur des „Federle“ ist rückläufig, da sich die jungen Männer zieren, Strumpfhosen zu tragen. Das „Federle“ springt mit einem gegabelten Stock umher und erschreckt gerne junge Mädchen.“

Waldseer Fasnet - „Schorrenweible“

„Schorrenweible“

Größeren Zulauf haben die beiden Weißnarren „Narro“ und „Faselhannes“ und ganz besonders das „Schrättele“. „Wer im Alter nicht mehr hüpfen und springen kann, der wechselt zum humpelnden „Schorrenweible“, informiert Funk: „Einem gutmütigen, runzeligen Waldgeist aus dem nahen Wald Schorren. Aus seinem Korb verschenkt er während des Narrensprungs, dem Fasnetumzug, Kräuter, Schnäpse und Säfte gegen diverse Zipperlein.“ Als sechste Maske kommt „Werners Esel“ hinzu. Als Erinnerung an einen störrischen Esel eines früheren Waldseer Bürgers. „Masken können nur Einheimische beim Brauchtumsausschuss beantragen“, erklärt der Museumsführer: „Man muss manchmal einige Jahre warten. Von 40 Anträgen für ein Schrättele werden höchstens zehn pro Saison zugelassen. Alle Masken sind nummeriert, sodass man sie den jeweiligen Trägern zuordnen kann. Der Ausdruck „Gumpiger Donstig“, der in anderen närrischen Regionen die Weiberfastnacht ist, geht übrigens auf das Wort „gumpen“ zurück, was so viel wie „springen“ bedeutet.“

Waldseer Fasnet - Schrättele-Tanz um Mitternacht vor dem Rathaus

Schrättele-Tanz um Mitternacht vor dem Rathaus

Die Nacht nach dem Schrättele-Tanz ist kurz. Am frühen Morgen des „Gumpigen“ stürmt die Narrenzunft die Schulen des Ortes, der seit 1956 den Zusatz „Bad“ trägt. Schüler werden aus den Klassenräumen befreit und ziehen Richtung Gut-Betha-Platz vors ehemalige Haus des Wachsziehers Alois Albrecht. In den 1880er Jahren hatten seine Frau und er sich Schwellköpfe übergestülpt und Kindern und Jugendlichen Wecke (Brötchen), Äpfel und Süßigkeiten zugeworfen. So ist es heute noch.

Waldseer Fasnet - Narren mit Schwellköpfen verteilen Brezeln, Wecke und Würste

Narren mit Schwellköpfen verteilen Brezeln, Wecke und Würste

Mittlerweile erscheinen vier Narren mit riesigen Köpfen an den Fenstern. Horchen hinunter zu den Narrensprüchen, die ihnen im Chor entgegenschallen: „Hoorig, hoorig, hoorig isch dr Bär, und wenn dr Bär id hoorig isch, dann war er beim Frisör!“ Dann prasseln Brezeln, Wecke und Landjäger (Würste) auf die Menge herunter. Kurz darauf begibt sich der Jungelferrat, eine Nachwuchsorganisation des Zunftrats, auf den Weg, um einen Narrenbaum auf der Hochstatt aufzustellen. Eine Woche vor dem „Gumpigen“ wird der bis zu 25 Meter hohe Baum im Stadtwald gefällt. „Zimmerleute“ und „Landvermesser“ hieven ihn auf ein Langholzfahrzeug, vor das zwei Pferde gespannt sind. Immer wieder müssen sie umständlich ausmessen, ob der Baum um die nächste Biegung passt. Hin und wieder halten sie an, um einem Waldseer, der im vergangenen Jahr unrühmlich aufgefallen ist, die Leviten zu lesen.

Waldseer Fasnet - Der Jungelferrat liest unrühmlichen Bürgern die Leviten

Der Jungelferrat liest unrühmlichen Bürgern die Leviten

Einer, der die Waldseer Masken schnitzt, ist Ernst Bendel. In seiner Werkstatt im nahen Bad Wurzach sind die Wände mit Köpfen aller Art verziert. Rund 150 entstehen jedes Jahr für unterschiedliche Vereine, 35 davon für Bad Waldsee. Auch christliche und Krippenfiguren für Kirchen und Privatpersonen sowie Holzclogs gehören zu seinem Repertoire. „Vor der Saison ist nach der Saison“, sagt der Schreiner. Gerade hobelt er an einem „Schrättele“.

Waldseer Fasnet - Ernst Bendel bei einer Schnitzarbeit in seiner Werkstatt

Ernst Bendel bei einer Schnitzarbeit in seiner Werkstatt

Die Nase ist noch zu dick. Da müssen noch ein paar Späne fallen: „Ich fertige die Masken aus Lindenholz. Zwölf bis 14 Stunden benötige ich für ein Exemplar.“ Bemalt werden sie mit Acryl- und Ölfarben. Diese müssen zehn Tage lang trocknen. Dann werden die Masken zweimal innen und außen lackiert. Deshalb ist es nicht tragisch, wenn sie beim Narrensprung mal nass werden. Für die Bemalung ist Ehefrau Doris zuständig, eine gelernte Zahnarzthelferin mit Feingefühl. Heute tupft sie mit schmalem Pinsel an einer „Gutsle-Dose“: „Das ist eine Holzschatulle für den „Faselhannes“, in der sich der Narrenspiegel und Süßigkeiten für die Zuschauer am Rand des Umzugs befinden.“

Waldseer Fasnet - „Gutsle-Dose“

Doris Bendel bemalt eine „Gutsle-Dose“

Man muss schon eine echte Närrin sein, wenn man sich entschließt, am Rosenmontag zu heiraten. Mit Maske und im Häs. Sie als „Faselhannes“. Ihr Mann Stefan als „Schrättele“. So geschehen im Jahr 2007. „Auch alle Hochzeitsgäste waren verkleidet“, erzählt Uta Kessler, bevor sie sich wie damals die „Faselhannes“-Maske überstülpt und sich für den Narrensprung bereit macht. Das weiße Häs ist mit unterschiedlichen Blumen- und Vogelmotiven bestickt. Zwei Fuchsschwänze umrahmen das Gesicht. In der Hand hält sie eine lederne Narrenwurst. „Es ist ein verlängerter Zeigefinger, denn dem „Faselhannes“ obliegt das Rügerecht“, so Uta Kessler. Das Geschell an ihrem Gürtel scheppert als sie mit all den anderen kostümierten Narren fröhlich durch die Straßen springt und bunte Bonbons aus ihrer „Gutsle-Dose“ an die Umstehenden verteilt. Aha! tönt es durch die Gassen, denn es ist Fasnet in Bad Waldsee.

Waldseer Fasnet - Faselhannes Uta Kessler schwingt die Narrenwurst

Faselhannes Uta Kessler schwingt die Narrenwurst

 

Informationen

Hochfasnet in Bad Waldsee: von Mittwochabend vor dem „Gumpigen Donstig“ bis Fastnet-Dienstag: www.narrenzunftwaldsee.de

Ansehen

Fasnetmuseum in der Waldseer Ölmühle
Bleichestraße
Führungen Mi 14-tägig um 14:30 Uhr und nach Vereinbarung
http://www.bad-waldsee.de/fasnets-und-oelmuehlemuseum.html
Geschichte und Brauchtum der Waldseer Fasnet und Masken

Unterkunft

Stadthotels Bad Waldsee „Grüner Baum“
Hauptstr. 34
88339 Bad Waldsee
Tel. 07524 9790-0
E-Mail: info@baum-leben.de
www.baum-leben.de
3-Sterne-Hotel/Gasthaus „Grüner Baum“ und Gästehaus „Altes Tor“ mitten in der mittelalterlichen Altstadt. Restaurant mit schwäbischer Küche.

Gasthof „Kreuz“
Gut-Betha-Platz 1
88339 Bad Waldsee
Tel. 07524 3927
E-Mail: info@kreuz-gasthof.de
www.kreuz-gasthof.de
Traditionsgasthof seit 1870. Mitten in der Altstadt Nähe Pfarrkirche St. Peter. Restaurant mit regionaler Küche.

Auszeit von der Fasnet gefällig?

Erwin Hymer Museum
Robert-Bosch-Str. 7
88339 Bad Waldsee
Tel. 07524 976676-00
www.erwin-hymer-museum.de
Entdeckungstour durch Geschichte, Gegenwart und Zukunft des mobilen Reisens. Über 80 historische Wohnwagen und Reisemobile sind in eine interaktive Erlebniswelt eingebunden. Das Museum eröffnete 2011 am Rande Bad Waldsees.
Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr
Eintritt: Erw. 11,50 €, Kinder/Jugendliche bis 18 Jahre frei

Waldsee-Therme
Bade-, Sauna-, Wellnesslandschaft im Kurgebiet Bad Waldsee
www.waldsee-therme.de
Öffnungszeiten: täglich 9 bis 22 Uhr

Allgemeine Informationen

Tourist-Information Bad Waldsee
Ravensburger Str. 3
88339 Bad Waldsee
Tel. 07524 941342
E-Mail: touristinfo@bad-waldsee.de
www.bad-waldsee.de

 

Die Reise wurde von der Tourist-Information Bad Waldsee unterstützt.

 

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