Herford
Marta
Luigi Colani - Formen der Zukunft bis 23.März 2025
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
„Luigi Colani (*1928 in Berlin als Lutz Colani; † 2019 in Karlsruhe) setzte sich mit seinen stromlinienförmigen und am Vorbild der Natur orientierten Entwürfen von den vorherrschenden geradlinigen Designtrends ab und entwickelte eine eigene, konsequente und innovative Formensprache.“ So las man es im Ankündigungstext zur Ausstellung.
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Angesichts „organischer Designs“ von Charles & Ray Eames, Verner Panton und Arne Jacobsen sowie Bruno Mathsson muss man allerdings anfügen, dass Colani nicht der erste Designer war, der sich der Natur als Vorlage und Formgeber zugewandt hat. Zudem haben der Architekt Victor Horta und andere Vertreter der Art Nouveau vegetabile Formen in ihren Gestaltungen einbezogen, brachten gleichsam die Architektur zum Tanzen. Und auch unter den Bauhäuslern finden sich Vertreter, die dem Organischen zugetan waren, so auch Marianne Brandt.
Luigi Colani, Der Colani, um 1973, Poster (Detail), © Top System Burkhard Lübke
Dass nicht das Eckige, sondern also das Runde, das am menschlichen Körper Orientierte im Fokus von Designs stehen sollte, postulierte Colani von sich selbst überzeugt, so auch in einem zu sehenden Mitschnitt einer Talkshow mit Frank Elstner aus dem Jahr 2005. Doch Colani überschätzte wohl seine Einzigartigkeit und gerierte sich in öffentlichen Auftritten wie ein Popstar. Man vergleiche dazu mal die Entwürfe Brandts für ein Teeservice mit Colanis Entwürfen „Drop“ und „Zen“, fließende Formen hier wie da, oder?
Kojun, Sammelfigur / collectible figure "Prof. Luigi Colani", 2009, Mixed Media: ABS plastic / Fabric materials / Acrylic paints, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Zwei dieser Auftritte sind als Mitschnitte (siehe Links unter Info!) in einer separaten „Medienkabine“ in der Ausstellung zu sehen und zu hören. Zudem zeigt man dort auch einen Mitschnitt, der Colani in seiner Werkstatt zeigt. Dabei arbeiten er und ein Mitarbeiter ohne Schutzmasken beim Schleifen an einem aus Kunststoff erstellten Fahrzeug. Nun ja, bei der Verwendung von Kunststoffen hatte sich Colani über die ökologischen Konsequenzen wohl eher keine Gedanken gemacht, auch nicht bei den Geschwindigkeitsversuchen, die er mit einem entsprechenden „Raketen-Fahrzeug“ unternahm. Auch über die Entsorgung der aus Kunststoffen gefertigten Gegenstände scheint Colani nicht nachgedacht zu haben. Zumindest findet man dazu in der Ausstellung keinen entsprechenden Saaltext.
Luigi Colani,Pierce Arrow, 2007, Fahrzeugstudie, © Marta Herford,
Foto: Besim Mazhiqi
Ob man ihn als Visionär oder Utopisten bezeichnet, ist eine Frage, die sich jeder selbst stellen muss. Dass Colani zu Beginn seiner Laufbahn auf Mobilität setzte und dabei Aerodynamik und Effizienz eine herausragende Rolle spielten, steht außer Frage. Doch daraus gleich den Begriff Biodesign abzuleiten, scheint mehr als fragwürdig, auch wenn er den menschlichen Körper als Vorlage nutzte. Realisierungen fanden diesbezüglich nicht statt und viele seiner Entwürfe mündeten auch nur in Prototypen. Doch in Serie gingen einige seiner Möbeldesigns für flötotto und Interlübke oder seine Badezimmerinterieurs für Villeroy & Boch. Dabei spielte dann für die sogenannten nachwachsenden Kindermöbel der Rohstoff Holz eine entscheidende Rolle. Doch auf Kunststoff verzichte Colani dabei nicht gänzlich, siehe der Kinderstuhl „Zocker“. Aus diesem Kindermöbel entwickelte Colani – durchaus unüblich – dann auch ein entsprechendes Erwachsenen Möbelstück!
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Colanis Ideen und Ideale sind in seinem Design-Manifest „Ylem“ (1971) zu finden. In der Blattsammlung mit Entwürfen und Statements in einem Koffer heißt es etwa: „Erst ein neuer Menschentyp, der in der nächsten Generation die Diktatur des Lineals erkannt und abgeschafft haben wird […], kann sich mit einiger Hoffnung auf Erfolg mit der Erbauung neuer Wohnagglomerationen beschäftigen.“
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Zunächst stoßen wir auf einige Mobilitätskonzepte, vom Go-Kart über den Bob-Schlitten, vom Kalkhoff Fahrrad bis zu einem modifizierten Kleinwagen. Motto: langsam, leise, luftig, Leichtbau. Auch ein gelbes Stadtauto mit E-Motor hatte sich Colani einst erdacht. Das Besondere am Kalkhoff-Rad ist der integrierte Einkaufstrolly am Heck des „Kabinenrades“. Den Sportflitzer mit fließender Form gab es aus dem Hause Colani zum Selbstbau auf dem Fahrgestell eines VW-Käfers. Geschwindigkeitsrekorde erzielte man damit gewiss nicht. Zu sehen ist zudem die Rohkarosserie des Fahrerhauses des Colani-Trucks, der allerdings nie in Serienproduktion ging. Colani feierte in seinen Entwürfen den Kunststoff. Darin war er Kind des Plastikzeitalters, von den Folgen des Mikroplastiks gänzlich nichts ahnend.
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Colani konzipierte eine Art Aquamobil als Kinderspielzeug, das zu Wasser und zu Land fahren konnte. Beim Anblick muss man an das legendäre Amphicar der 19960er Jahre denken, heute ein Oldtimer. Und auch der burgunderrote schnittige Flitzer namens Pierce-Arrow wurde von Colani entwickelt, dabei an das legendäre Automobil gleichen Namens anknüpfend. Markant sind nicht nur die „Fahrzeugflossen“, sondern auch die Spoiler-Figur, eine Bogenschützin.
Luigi Colani, Lernei, 1971 ,Glasfaserverstärkter Kunststoff, Metall, Diaprojektor, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiq
Zu sehen ist zudem Mobiliar wie Liegen, die auf drei Beinspitzen stehen oder aber gesäß- und rückenfreundliche Schalen-Stühle sowie ein sogenannter Blütensessel in einem Stahlrohrgestell. Auch Freischwinger fehlen nicht – das Bauhaus lässt wohl grüßen. Ob der High Heel, den wir sehen, alltagstauglich ist, fragen wir uns angesichts der blütenförmigen Gestaltung der Hackenpartie. Alltagstauglich jedoch waren und sind Babywanne und Töpfchen, die wir außerdem zu Gesicht bekommen. Und was ist das Besondere an dem Colani-Kinderwagen? Er ist schlicht hoch gestellt, sodass man ihn nicht wie die traditionellen Wagen gebeugt schieben muss.
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Colani verdanken wir auch die Einheit fürs Kinderzimmer, die Schrank, Hochbett und Arbeitsplatz auf engem Raum in einer Art „Wohnschachtel“ vereint. Und auch fürs Badezimmer sorgte Colani für Neuerungen. Das Pissoir hat Ausbuchten, in die Mann seine Oberschenkel anlegen kann. Dem menschlichen Körper ist durch eine schwungvolle Gestaltung auch die Waschbeckenkonsole angepasst.
Ausstellungsansicht, Luigi Colani – Formen der Zukunft, 1.12.2024 - 23.3.2025, Marta Herford, © Marta Herford, Foto: Besim Mazhiqi
Hinzuweisen ist abschließend auf die Aktion „Bring Your Own Colani“. Hier werden in einem Hochregal eigene Colani-Objekte von Besuchern ebenso wie persönliche Texte zur Geschichte der Gegenstände präsentiert. Da ist eine rote Wäschewanne zu sehen, die einst ein nützliches Hochzeitsgeschenk war. Die Besitzerin fügte in einem Text an, dass die Ehe nicht gehalten habe, aber die Wanne. 43 Jahre ist das Kindertöpfchen im Besitzer einer Familie, wegen der damit verbundenen Erinnerungen aufbewahrt und bei allen drei Kindern sehr beliebt, wie man einem entsprechenden Text entnehmen kann. Und dann sei noch auf das Highscreen Notebook verwiesen, das zu sehen ist. Colani hat es in Blau konzipiert, nicht nur funktionell, sondern auch ein Eyecatcher, wie der Besitzer es in einem Text formuliert.
Luigi Colani, Rosenthal Sofa POOL, 1970-71, Textil, © Marta Herford,
Foto: Besim Mazhiqi
Übrigens, beim Besuch sollte man sich auch unbedingt die Zeit nehmen und sich die aufschlussreichen Interviews mit dem Ehepaar Lübke, den Sammlern Hans Schalück und Gerd Siepmann sowie der Meisterschülerin Hellen Westerhof anzuschauen. Sie zeichnen ganz unterschiedliche Bilder von dem „Zampano des Designs“. Da ist dann auch von Colanis Charisma die Rede, von seiner verbindlichen Art, aber auch von seiner Unnachgiebigkeit und von Verwürfnissen, je nachdem wer Auskunft über seine Begegnung mit Colani gibt.
Text © ferdinand dupuis-panther
Info
https://marta-herford.de
SWR Interview Frank Elstner mit Prof. Luigi Colani (2005) Lebenswerkausstellung Karlsruhe
https://www.youtube.com/watch?v=kboeXuaAjA0
Luigi Colani über Design, Politik und die Welt in Art n Talk
https://www.youtube.com/watch?v=cnlDgok-3H0