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Oldenburg / Niedersachsen

Grünkohl-Praline und Pinkel-Senf

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Grünkohl-Praline, Pinkel-Senf und andere Spezialitäten aus Oldenburg

Die Kohltour-Kultur blüht zwischen Weser und Ems, wenn woanders die Karnevalsjecken und Faschingsnarren ihre Umzüge veranstalten. Und was erfreut den Gaumen, wenn keine Kohltouristen durch das Oldenburger Land ziehen? – Winfried Dulisch besuchte die Kohltourhauptstadt Oldenburg.

Hildburg Abel, Inhaberin vom Bümmersteder Krug, präsentiert ihr deftiges Oldenburger Grünkohl-Essen

Hildburg Abel, Inhaberin vom Bümmersteder Krug, präsentiert ihr deftiges Oldenburger Grünkohl-Essen

Der diplomatische Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten gehört zu den ranghöchsten Terminen im Berliner Veranstaltungskalender. Begehrt sind auch Einladungen zu den abendlichen Banketten bei Staatsbesuchen. Jedoch der Geheimtipp ist eine Veranstaltung, die jedes Jahr an einem Abend zwischen Januar und März in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin stattfindet: Das „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“.

Dieses deftige Oldenburger Grünkohl-Essen für die Polit-Promis verdankt seine Entstehung der schwäbischen Behäbigkeit eines Theodor Heuss. Die Bürger von Oldenburg hatten den ersten Bundespräsidenten dazu eingeladen, mit ihnen eine Grünkohl-Mahlzeit einzunehmen. Doch der asketisch genügsame Mann des Wortes mochte für solch ein leibliches Vergnügen keine Zeit opfern.

Deftig, kräftig, mächtig

Weil Papa Heuss nicht zum Grünkohl kommen wollte, kam Oldenburg zum Präsidenten. Und weil bei diesem „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ auch die übrigen Mächtigen der – damals noch von Bonn aus regierten – Republik gerne kräftig zulangten, wiederholten die Oldenburger dieses Festmahl in der Bundeshauptstadt am Rhein und später dann auch in Berlin. Und zwar jedes Jahr zur Grünkohl-Zeit.

Oldenburg - Grünkohlstrunk und Kartoffeln

„Diese Zeit beginnt, wenn der Grünkohl den ersten Frost abbekommen hat. Und sie dauert ungefähr bis Anfang April“, erklärt Erwin Abel, Senior-Chef im Bümmersteder Krug. „In unserem Gasthof wird der Grünkohl für das Politiker-Festmahl zubereitet und gekocht. Danach transportiert ein Fahrdienst der Stadt Oldenburg das fertige Gericht nach Berlin. Das Küchenteam der Landesvertretung kocht den Grünkohl dort wieder auf.“

Grünkohl-Äquator

Wie bitte? Aufgekocht? – Erwin Abel: „Diese Frage kann aber auch nur jemand stellen, der noch nie ein ordentlich zubereitetes Grünkohl-Gericht genossen hat. So richtig schmackhaft wird der Grünkohl nämlich erst dann, wenn er mindestens einmal wieder aufgekocht worden ist. Das weiß doch jedes Kind nördlich vom Grünkohl-Äquator.“

Oldenburg - Kasseler und Kochwurst

Als „Grünkohl-Äquator“ bezeichnet Erwin Abel den Teutoburger Wald im südlichen Niedersachsen. Im Westen grenzt das Grünkohl-Territorium an Holland und erstreckt sich bis hinauf zur dänischen Grenze. Die Ausflugslokale im Osnabrücker Land oder in Westfalen füllen die gastronomische Marktlücke zwischen weihnachtlichen Betriebsfesten und der Spargel-Saison ebenfalls gerne mit Grünkohl. Erwin Abel fürchtet diese Konkurrenz überhaupt nicht: „Denen fehlt unsere Oldenburger Kohlfahrten-Tradition.“

Kohlfahrt. – Das ist eine mehr oder weniger lange Wanderung zu einem Gasthof, in welchem eine dampfende Grünkohl-Portion auf die Kohlfahrer wartet. Dort kommt außer dem Grünkohl und den Kartoffeln auf jeden Teller noch eine geräucherte Mettwurst, ein Stück Kassler und viel Speck.

Pinkel

Und natürlich Pinkel – eine geräucherte, grobkörnige Grützwurst. Die Grütze wird aus Hafer oder Gerste gewonnen. Weitere Zutaten sind Speck, Rindertalg, Zwiebeln, Schweineschmalz, Pfeffer und Salz. Die Gewürze bleiben das Betriebsgeheimnis des jeweiligen Metzgers.

Eine gute Adresse für Kohl und Pinkel ist die Fleischerei Monse in Oldenburg

Eine gute Adresse für Kohl und Pinkel ist die Fleischerei Monse in Oldenburg

„Kohl und Pinkel ist ein Fest für die ganze Familie“, hat Erwin Abel im Laufe seiner Gastronomen-Laufbahn beobachtet. Da offenbart jede Generation ihre besonderen Vorlieben. „Auf Wunsch serviere ich jedem Gast einen Grünkohl-Teller nach seinen jeweiligen Wünschen. Aber ich beobachte noch lieber dieses alljährlich wiederkehrende Zeremoniell: manche Kinder mögen keinen Speck und tauschen ihn gegen den Pinkel ihrer Großeltern ein.“

Rotwein zu Grünkohl

Was trinkt man zu einer opulenten Grünkohl-Mahlzeit? – Christian Abel, Junior-Chef im Bümmersteder Krug, bevorzugt „ein Pils, aber auf keinen Fall ein süßes Weizenbier.“ Sein Vater widerspricht: „Das Bier macht eine Grünkohl-Mahlzeit nur noch schwerer verdaulich. Der Grünkohl wird erst dann zu einer Delikatesse, wenn man dazu einen trockenen Rotwein trinkt – so wie es die Großherzöge von Oldenburg bei ihren Festlichkeiten im Schloss getan haben.“

Schlossturm in Oldenburg

Schlossturm in Oldenburg

Und welchen Senf reicht man zu Grünkohl und Pinkel? – Detlev Grunwald hat eigens dafür einen „Oldenburger Pinkel-Mostrich“ kreiert. Neben Senfmehl und Branntweinessig verwendet er dafür Wasser, Zucker, Salz und … „die Kräuter und Gewürze bleiben geheim.“

Pladdütsch

Aber kein Gehemnis macht der Senfmüller aus den Zutaten seines Bestseller-Produkts „Freesen Mustert“. Auf dem Etikett von diesem Friesen-Mostrich hat Detlev Grunwald penibel sämtliche Zutaten aufgelistet: hellilges Sempmehl, duster Sempmehl, Wienetig, Woter, Peper, Solt, Kapern, Sardellen. Sogar das „Holtbaarkeetsdatum“ ist dort angegeben.

„Die Gewerbeaufsicht hat von mir verlangt, dass ich diese Inhaltsangabe in Deutsch übersetzen soll. Dabei hat bislang jeder Kunde verstanden, was da drin ist – helles und dunkles Senfmehl, Weinessig, Wasser, Pfeffer, Salz, Kapern und Sardellen.“ Der plattdeutsche Dialekt seiner Heimatstadt bleibt also weiterhin eine wesentliche Zutat für regionaltypische Produkte des Oldenburger Senfmüllers.

Detlev Grunwald experimentierte 1970 mit dieser Kaffeemühle. Heute arbeitet er mit seiner elektrisch betriebenen Steinmühle

Detlev Grunwald experimentierte 1970 mit dieser Kaffeemühle.

Heute arbeitet er mit seiner elektrisch betriebenen Steinmühle.

Oldenburg - Detlev Grunwald mit Mühle

Detlev Grunwald mahlt Senfkörner besonders langsam, damit kein Tropfen von dem wertvollen Senföl verloren geht. „So sieht zum Beispiel fein gemahlener Dijon-Senf aus“, zeigt er den Besuchern seines kleinen Mühlenbetriebs. „Und dermaßen grobkörnig sieht er aus, wenn die Senfkörner als industriell gefertigtes Massenprodukt nur noch zu groben Stückchen gebrochen werden.“

Vor dem Mahlen achtet Detlev Grunwald auf die Herkunft seiner Rohstoffe. „Einst wurden in Frankreich die meisten Senfkörner geerntet. Heute deckt Kanada 80 Prozent des Weltbedarfs – mit verheerenden Folgen. Dort werden riesige Felder vom Flugzeug aus mit Chemikalien besprüht, die lassen sich anschließend immer noch in unseren Senftöpfen nachweisen.“

Bio-Senfkörner

Deshalb kauft Detlev Grunwald seine Rohstoffe bei einem Händler, der die Senfkörner aus Israel und Indien bezieht. „Demnächst bekommen wir auch qualitativ hochwertige Senfkörner aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien geliefert. Aber in diesen Ländern gibt es bislang noch kein einheitliches Bio-Zertifikat.“

Oldenburg - selbst hergestellter Senf

Bärbel Grunwald präsentiert Senf-Creationen ihres Mannes

Das klingt nach einem globalisierten Geschäftsbetrieb. Beliefert der Senfmüller auch Kunden in aller Welt? – „Nein. Ich stehe mit unserem Verkaufswagen regelmäßig auf einem Wochenmarkt in Bremen, außerdem auf einigen Traditions- und Handwerker-Märkten in Norddeutschland. Für ein Produkt wie unseren klassisch gemahlenen Senf ist das Versandgeschäft weniger gut geeignet.“

Teelöffel im Handschufach

Er bemüht sich auch nicht, den Geschmack seiner Produkte zu beschreiben. Detlev Grunwald lässt seine Kunden probieren, probieren und nochmals probieren. „Auf dem Wochenmarkt kommen zu mir Stammkunden, bei denen liegt im Handschuhfach ein Teelöffel. Die kaufen eine Senfsorte, die sie vorher nicht kannten, und löffeln das Glas auf der Heimfahrt leer. Anschließend rufen sie mich an und fragen, ob ich ihnen für die kommende Woche davon zwei Gläser reservieren kann.“

Oldenburg ist nicht nur die Kohltourhauptstadt, sondern auch eine Radtour-Metropole

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Im Gegensatz zu Großbetrieben, die ihren Senf am Fließband produzieren und verpacken, kann Detlev Grunwald auch Sonderwünsche erfüllen. „Viele meiner Kunden haben sich an die scharfen Gewürze der asiatischen Küche gewöhnt und fragen mich nach immer neuen Geschmacksnervenkitzlern.“ Kein Problem. Für diese Zielgruppe komponierte der Oldenburger aus Senfkörnern, Knoblauch, Chilli und Ingwer seine „Senfonie Oriental“.

Be-senf-tigung statt Augenwäsche

Ein TV-Journalist bot diesen „Höllensenf“ vor laufender Kamera den Passanten in einer Fußgängerzone an. Drei bayrische Naturburschen verwechselten die Oldenburger Spezialität mit Weißwurst-Senf und gönnten sich davon mehr als nur eine Löffelspitze – mit durchschlagendem Erfolg. „Ich warne meine Kunden immer ausdrücklich vor solchen Senfsorten, die ihnen das Wasser in die Augen treiben.“ Er selbst ist kein Freund von einer derartigen „Augenwäsche“. Detlev Grunwald bevorzugt Rezepturen, „die meine Geschmacksnerven be-senf-tigen.“

Oldenburg - Oldtimer

Mit diesem Oldtimer beliefert Christian Klinge seine Kunden

Christian Klinge kreierte das Oldenburger Gourmet-Souvenir „Grüne Praline“ und macht aus den Zutaten ebenfalls kein Geheimnis. Neben der Sahne, einer weißen und einer dunklen Schokolade verwendet der Konditormeister für diese „kohlinarische Köstlichkeit“ eine alte italienische Grünkohlart. „Die habe ich im Botanischen Garten in Oldenburg entdeckt.“

Und wie harmoniert der Zucker-Anteil dieser Praline mit dem Grünkohl? – „Das ist eine Hommage an unsere nördlichen Nachbarn, die Schleswig-Holsteiner bestreuen ihre Kartoffeln gerne mit Zucker.“ Als wäre es ein deftiges Grünkohl-Gericht, bestreut Christian Klinge die Praline außerdem mit einer Prise rosa Pfeffer. „Und weil der Grünkohl schnell verblasst, füge ich der Füllung ein wenig Spinat hinzu, wie ihn die Pastamacher für ihre grüne Nudeln verwenden.“

Oldenburg - Praline

Hergestellt wird diese winterliche Konditorei-Spezialität jedes Jahr ab Ende September. „Wenn sie ausverkauft ist, dann ist sie ausverkauft. Die nächste Grüne Praline biete ich erst wieder an, wenn die neue Grünkohl-Saison beginnt.“ Das ist Slowfood im besten Sinne: ein handgefertigtes Produkt aus den regionalen Zutaten der jeweiligen Jahreszeit. Christian Klinge sieht diesen Trend weniger dogmatisch und beschreibt es viel einfacher: „Alles, was ich gerne esse – das ist Slowfood.“

Oldenburg - Christian Klinge

 

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