REIHE UNTERWEGS

Wo die Kommune den Gerstensaft braut

Urwüchsiges Biertrinken im fränkischen Neuhaus

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Die Neuhauser sind ruhige und kantige Leute mit geröteten Köpfen, jedenfalls wenn sie beim Kommunbrauer Reindl im gemütlichen Gastzimmer sitzen und sich am Henkel des Bierkrugs festhalten. Die süffige Halbe (Bier natürlich) kostet dort 1,60 Euro, und auf der Brotzeitkarte finden sich neben Salzknöchle mit Sauerkraut auch weißer und roter Presssack oder andere Merkwürdigkeiten wie Hirnwurstbrot.

Neuhaus / Gaststube

In der Gaststube beim Kommunbrauer Reindl

Mit dem Pendolino, auch „Regio-Swinger 612“ genannt, ist es ab Nürnberg Hauptbahnhof nur noch ein Klacks. In sanften Schleifen fährt der Zug mit Neigetechnik die Pegnitz entlang über Hersbruck in die äußerste Ecke des Frankenlandes: nach Neuhaus am Rande der Fränkischen Schweiz. Die Kommunbrauer gibt es dort seit dem 16. Jahrhundert, da wurde ihnen von Fürstbischof Weigand von Redwitz das kommunale Braurecht, das auch das Schankrecht beinhaltete, geschenkt. Seit dieser Zeit durfte jeder Bier brauen und in seinem Haus ausschenken und verkaufen. Aus den ehemals 85 Bürgern mit Brauberechtigung, die aber nie alle ihr Recht ausübten, wurden inzwischen vier: drei Familien und die Kaiser-Bräu. Gebraut wird im gemeinsamen Brauhaus, wo dann der Sud unter den „Kommunerern“ auch gleich aufgeteilt wird.

Neuhaus / Gemälde

"Hopfen und Malz Gott erhalts!" Gemälde im alten Brauhaus

Immer dann, wenn das köstliche Nass bei einem aufgebraucht ist, geht die Aufgabe, für den Ausschank dieses in Bayern zu den Nahrungsmitteln zählenden Getränks zu sorgen, an den nächsten weiter. Das Bier-Karussell kommt niemals zur Ruhe!

Immer dem "Zoiglstern" folgen

Neuhaus / Kommunenbier

Das ungespundete, leicht dunkle Kommunenbier, das nahezu ohne Kohlensäure auskommt, rinnt gut durch die Kehle (Infos Kasten unten). Und wie eigentlich kommt der Gerstensaft in den Krug? Die Gerste wird zum Keimen gebracht und gedarrt. So entsteht das Braumalz. Anschließend wird das Malz in der Schrotmühle gequetscht, mit Wasser vermischt, und diese so genannte Maische wird erhitzt. Im Läuterbottich wird der Malztreber von der Maische geläutert, getrennt und die Würze entsteht, die in der so genannten Würzpfanne zum Kochen gebracht wird. Dem Ganzen wird Hopfen zugegeben und ab geht’s in eine Art Whirlpool, um die Würze zu klären, d. h. Hopfen- und Eiweißrückstände abzuscheiden. Im Würzekühler wird nun die Würze abgekühlt und schließlich die Bierhefe hinzugegeben.

Hier setzt sodann die Gärung ein, wo Alkohol und Kohlensäure entstehen. Dieses Jungbier muss nur noch ausreifen und gefiltert werden ... und auf geht’s in die gute Stube!

Was ist eigentlich ... ungespundetes Bier?

Die Zugabe von Kohlensäure nennt man „spunden“. Gespundet wird, um das Bier haltbarer zu machen, was früher nicht möglich war. Da musste es, zum Beispiel in Kellern, kühl gelagert (wie heute noch in den Kellern am Fuße der Neuhauser Burg) und dann schnell verbraucht werden.

Ungespundetes Bier enthält also wenig bis keine Kohlensäure, rinnt von daher besser durch die Kehle hinab und ist angeblich auch in größeren Mengen bekömmlich. Ideal für den sommerlichen Biergarten! Daher sind viele Biere, die man aus den fränkischen Kellern trinkt, von dieser Sorte.

Außerdem ist das Ungespundete häufig unfiltriert, d.h. Hefe und Schwebeteilchen bleiben im Bier. Eine gesunde Sache, die schmeckt!

Zu finden ist das kommunale Bier anhand des Zeuglsterns, eines Zeigers aus Holz oder Metall, sicher ein Zeichen für gutes Bier, der dort, wo gerade ausgeschenkt wird, an der Hauswand ausgeklappt ist. Der „Zoiglstern“, wie er in Neuhaus auch geschrieben wird, sieht aus wie ein Davidstern, ist aber keiner. Zwei gleichschenklige Dreiecke durchdringen einander gegenseitig und zeugen nach alchimistischer Auffassung von der Chemie, die nötig ist, um gutes Bier zu brauen: das obere Dreieck symbolisiert das Feuer, das untere das Wasser. Beides ist fürs Brauen nötig!

Neuhaus / Zeuglstern

Zeuglstern an einer Hauswand

Die gute Zoiglstube ist nun brechend voll, der Lärmpegel steigt, die Temperatur auch, und einige fangen schon mal an zu singen. Das Bier fließt in Strömen. Doch sollte jemand meinen, dass hier kein Platz mehr sei, so hat er sich getäuscht: Man kann immer noch zusammenrücken! Fremd fühle ich mich schon lange nicht mehr. Das Bier tut außerdem seine Wirkung. Mein Banknachbar aus dem nahen Lauf meint, das Ganze hier habe schon was von einer Skihütte. Im Gastzimmer im Schatten der Veldensteiner Burg mit ihrem weithin sichtbaren Bergfried (Foto unten) dampft´s. Wieder gehen fünf frisch Gezapfte über den Tresen. In den Krügen das schäumende Nass.

Neuhaus / Burgfried

Die stolze Burg Veldenstein (einst die Amts- und Residenzburg der Bamberger Fürstbischöfe) wurde erstmals im Jahre 1008 urkundlich erwähnt und war ein Bollwerk gegen Slawen und Wenden aus dem Osten. Im vorletzten Jahrhundert jedoch bot sie Bauern und Handwerkern, die sich hier angesiedelt hatten, Schutz. Und heute? Heute kann man sie selbstverständlich besichtigen und den weiten Rundblick genießen. Sie beherbergt außerdem ein romantisches Hotel und ziert die Bieretiketten der ansässigen Kaiser-Bräu, die ebenfalls aus der Tradition der Kommunbrauer hervorging. Dem Hotel angeschlossen ist ein Restaurant: Dinieren im Rittersaal zwischen Rüstungen aus vergangenen Jahrhunderten.

Neuhaus / Blick von der Burg

Blick von der Burg Veldenstein hinunter auf Neuhaus/Pegnitz

Für den anspruchsvollen Gaumen gibt es zum Beispiel Zanderfilet. Oder Schlemmen wie im Mittelalter? Die Ritterpfanne, bestehend aus zwei Steaks mit Pilzen, Gemüse, Bratkartoffeln und Salat macht´s möglich! Dazu, sollte man des Bieres wirklich einmal überdrüssig sein, fränkische und andere Weine.

„Des war scho immer so!“

Rund um den Burgberg herum, in ihn hineingehauen, befinden sich 38 Keller. Einer davon ist heute noch für die Kommunbrauer in Betrieb: Drinnen ist alles hochmodern. Stahltanks, Alufässer, im Becken gärt das Bier, und Paul Reindl der Ältere kontrolliert mit dem Thermometer den Gärungsprozess. Doch zurück zu seinem Kommungasthaus. Ein Neuhauser Kommungänger würde nie sagen, dass er zum Reindl geht! Alle diese kommunalen Gaststätten haben nämlich außerdem Hausnamen: So ist man hier nicht beim Reindl, sondern beim Hombauer. Außerdem kann man sein bierisches kommunales Glück auch bei Familie Benaburger, also beim Plumburger finden, und obliegt der Ausschank gerade der Familie Döth, so trinkt man beim Schaffer. Warum das so ist? „Des weiß ma ned. Des war scho immer so!“ Eben.

Neuhaus / Bierlagerung

Ein Opa mit Cordhose und roten Hosenträgern zahlt also beim Reindl, Verzeihung Hombauer, am Tresen seine Zeche. Man kennt sich: Hier zapft der Sohn, von allen nur Paulus, aber von der Familie Pauli genannt (Foto unten). Die Mutter kocht und bedient. Immer noch – schließlich ist sie über siebzig Jahre alt! Ihr werden die Krüge entgegengestreckt, die leeren. Und der Vater? Er sitzt in der Küche, rollt das Besteck in Servietten ein und erzählt. „Aber aufpassen!“, sagt Paulus mit einem schelmischen Grinsen zu mir, „Der Vater lügt!“.

Neuhaus / Paul Reidl

Zwei bis zweieinhalb Hektoliter schenkt er am Tag aus, so sagt er. „Also 500 Halbe!“, fügt er noch hinzu, falls das „Madla“, das ihm gegenübersitzt, nicht rechnen kann. Er strahlt, genauso wie die anderen Neuhauser auch, eine Ruhe aus, die man auch nicht überlisten kann, indem man vorgibt, keine Zeit zu haben und zum Beispiel auffällig unauffällig von einem Bein auf's andere tritt. Dabei sind die Neuhauser offen. Offener als man denken mag: „Wos, du bisd a Journalistin?“, fragt er ganz direkt. „Ja, warum?“ - „Schausd gor ned su aus!“ - „Warum, wie sieht denn eine Journalistin aus?“ - „Na, anderschd hald!“ - Aha!

„Drei mit Kraut“

Neuhaus / Speisekarte

Brotzeit- und Getränkekarte mit Zoiglstern vor dem Kommunwirtshaus Reindl

Paul Reindl erzählt mir so manche Geschichte. Vom „Krieg der Sterne“ etwa, als seinerzeit die Nachbarin gemeint hat, sie könne auch einfach einen Zeugelstern raushängen und das Geschäft mitnehmen. Neid! Unter dem Deckel der friedfertigen fränkischen Gastfreundschaft brodelt´s. Ein Krimi in der Provinz. Doch Streit um den Göttertrank der Germanen gab es schon immer: Prozesse um die Schank- und Braurechte zwischen Bürgern, zwischen Bürgern und Obrigkeiten, angeblich sogar zwischen den Obrigkeiten selbst.

Neuhaus / Kommunwirtshaus Reindl

Im Kommunwirtshaus Reindl

Jetzt geht´s ans Futtern. Der neben mir isst „drei mit Kraut“, Bratwürste natürlich, und lächelt zufrieden vor sich hin. Ich auch! Das Sauerkraut schmeckt leicht zitronig, angemacht mit einem Lorbeerblatt und einer Knoblauchzehe und nur leichtem Kümmelgeschmack, ist sehr hell und sehr weich. Sauerkraut war eigentlich nie so mein Ding, aber das hier zergeht mild auf der Zunge. Dazu die „Brodwürschd“ mit würzigem, ehrlichem Geschmack. Ein Gedicht nach den ausgedehnten Wanderungen auf der Frankenalb, die man hier überall unternehmen kann. Oder doch lieber den Brotzeitteller mit den Ausmaßen einer ausgewachsenen Platte? Auf jeden Fall ein lohnendes Ess- und Trinkvergnügen!

Neuhaus / Landschaft

Wanderungen sind reizvolle Umwege zu Wirtshäusern – damit und mit 120 Kilometer IVV-Rundwanderstrecken und 200 Kilometer markierten Wanderwegen durch den Veldensteiner Forst und das romantische Pegnitztal, vorbei an wild zerklüfteten Felsen und Berghängen, wirbt man hier. Zu recht! Ein Wanderparadies! Mit diesen Pfunden können die Neuhauser wuchern, und das zahlt sich aus. Neuhaus, ein Bier- und Wanderort!

So bringt das süffige Erbe des Bischofs neuerdings auch Touristen ins Land, vor allem, seit es den Pendolino gibt. Aber ein bisschen suchen müssen´s schon nach dem, der heute gerade geöffnet hat, sonst ham`s schließlich keinen Durst!

 

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