Text und Fotos: Beate Schümann
Askese ist nicht jedermanns Sache. Nicht, wenn es um Süßes geht. Und erst recht nicht, wenn es um zuckersüße Teilchen aus Portugal geht. Wer je die Gebäckauslagen der Lissabonner Cafés bestaunt und eines dieser Meisterwerke probiert hat, wer je „pastéis de nata“ (Blätterteigpastetchen mit Sahnecremefüllung), „Barrigas de Freiras“ (Nonnenbäuche), „Toucinho do Céu“ (Himmelsspeck) oder „papos de anjo“ (Engelsbäckchen) gekostet hat, der kennt den spontanen Wunsch, Backschüler oder wenigstens Importeur zu werden. Um den Genuss nach der Rückkehr aus Portugal zu verlängern.
Selber backen ist nun nicht mehr nötig. Denn mit den süßen Sünden, den bemerkenswerten Kaffeevariationen und dem Flair des südeuropäischen Lebensstils – die Italiener nennen das „dolce vita“, die Franzosen „savoir vivre“ und die Portugiesen „bem estar“ - haben die portugiesischen Cafés in Deutschland einen Siegeszug angetreten. Verzicht nicht nötig. Wo Portugiesen leben, werden Cafés, Confeitarias und Pastelarias (Konditoreien) eröffnet. Besonders in der Nähe von Universitäten wie in Hamburg, Berlin und Stuttgart explodieren diese Stätten der Sinnenfreuden.
67 portugiesische Cafés!
Überhaupt in Hamburg, der unerreichten Hochburg. Allein 67 portugiesische Cafés werden für die Hansestadt an der Elbe gelistet, natürlich nicht eingerechnet die vielen Restaurants. Das Uni-Viertel zählt sechs „Galão“-Stationen, das alternative Szene-Viertel Schanze ganze neun. Die Straße Schulterblatt kursiert mit ihren vier Cafés und wegen ihrer Nähe zur Reeperbahn gar als „Galão-Strich“. Allerdings ist die Ditmar-Koel-Straße im Hamburger Hafen mit vier Cafés auch nicht schlecht dran.
Traditionell leben in Hamburg die meisten Portugiesen in Deutschland. Aber nicht immer sind es hier wirklich Portugiesen, die portugiesische Cafés betreiben. Die Namen der Pastel-Meister wie Oliveira, Veloso und Cardoso sind in aller Munde. Doch die Mode schwappt in Hamburg auch auf deutsche Café-Gründer über. Nicht immer ganz identisch mit dem Original. Aber immerhin: Ein Stück Urlaub zuhause.
Kaum etwas ist typischer für die portugiesische Lebensphilosophie als die „bica“, der schwarze Espresso in der kleinen Tasse. Schon um 1900 tranken Literaten, Künstler und Intellektuelle wie Fernando Pessoa und Almada Negreiros, denen die Cafés Stammkneipen waren, an kleinen Tischen eine „bica“, kippten dazu ein paar Gläser Schnaps und schmiedeten Ideen für neue Welten. Heute treffen sich auch bei uns Freunde auf eine „bica“, erledigen Studenten ihre Arbeit an den Tischen mit den dünnen Rohrbeinen oder lehnen Geschäftsleute am Stehtisch und überfliegen brandaktuelle Börsennotizen. Selbstverständlich werden Fußball-Übertragungen vor dem Café-eigenen Fernseher verfolgt. Das sagenhafte Geklapper, das an der Espresso-Maschine, mit Geschirr und Löffelchen produziert wird, stört hier wie dort niemanden.
Das Café als zweites Zuhause!
Um sich das portugiesische Café als zweites Zuhause zu erobern, müssen ein paar Geheimnisse gelüftet werden. Es genügt nämlich nicht, einfach „Einen Kaffee, bitte!“ zu bestellen. Außer dem normalen Espresso, also der „bica“, muss man aus einer großen Bandbreite wählen. Die „bica“ gibt es auch als „café duplo“, in doppelter Ausführung. Kompakter und stärker ist der „italiano“ oder auch „café curto“, schwarz wie die Nacht. Milder als die starken Schwarzen ist dagegen „carioca de café“, eine mit Wasser verdünnte „bica“. Das „de café“ ist beim „carioca“ wichtig, weil sonst plötzlich Zitronentee vor einem steht, jedenfalls in Portugal. Einer weiteren Nuance kommt man auf die Spur, verlangt man einen „café cheio“ - ein Bohnengetränk, nicht so stark wie die „bica“, doch wieder etwas schwärzer als der „carioca“.
Schließlich sind da noch die Varianten mit Milch. Sie sind in Deutschland besonders beliebt. Einen Tropfen Milch nur? Dann bitte eine „bica pingada“ bestellen. Oder lieber einen „garoto“? Dafür wird die „bica“ mit einem Schuss Milch versetzt und stilgemäß aus der Espresso-Tasse getrunken. Anders der „galão“ (Foto oben) . Ihn bekommt man nur im Glas - endlich mal eine vernünftige Portion, wird der Durstige vielleicht denken. Aber von Kaffee kann kaum mehr die Rede sein: 80 Prozent Milch und nur 20 Prozent Espresso.
Kaffee ohne Zucker ist ungenießbar!
Nun zum Thema Zucker. Den ungesüßten Kaffee halten Portugiesen für ungenießbar oder wenigstens für unvollkommen. Das ist auch in portugiesischen Cafés bei uns so. Deshalb wird ein kleines Knisterpäckchen mit dem Aufdruck von wohlklingenden Kaffeeherstellernamen wie Nicola, Chave d’Ouro oder Delta, eingeklemmt zwischen Untertasse und Tasse, mitgeliefert. Vor dem Öffnen muss man es mehrmals gegen Tisch- oder Tresenrand klopfen, um den Inhalt zu lockern und gut zu entbröckeln. Ein Ritual, und erst jetzt können die süßen Kristalle gleichmäßig raschelnd in die Tasse fließen. Das Tütchenpapier wird zerknüllt, bleibt neben der Tasse liegen oder fällt zu Boden. Daran kann man sich schnell gewöhnen. Endlich werden Kaffee und Zucker mit dem Miniaturlöffel ausgiebig verrührt, den Duft genießerisch eingesogen und getrunken.
Nach portugiesischen Maßstäben ist ein Kaffee nur mit einer chamoisfarbenen Schaumhaube gut, die auf dem schwarzen Trunk durch den Druck der Espresso-Maschine entsteht, „espuma“ oder, noch raffinierter, „crème“ genannt. Eine Kaffeemarke ohne ordentliche Schaumentwicklung könnte sich in Portugal niemals durchsetzen und würde wohl nicht mit nach Deutschland gebracht.
Das ganze Repertoire!
In besonders spezialisierten Cafés, in denen Kenner verkehren, spielt der Gastronom das ganze Repertoire durch. Wenn es echte Passion ist, darf ein „cheirinho“, etwas Hochprozentiges, nicht fehlen. „Bagaço“, Tresterschnaps, oder „aguardente“, Weinbrand, führen mit der „bica“ eine symbiotische Beziehung. Der Glasinhalt landet in der Tasse, und ein kräftiges, heißes Duftgemisch steigt in die Nase. Algarve-Fans bevorzugen dazu den „medronho“, einen Schnaps, der im Süden Portugals aus der Baumerdbeere gebrannt wird. Doch der „cheirinho“ hat sich bei uns noch nicht richtig durchgesetzt.
Eine der Hauptattraktionen der portugiesischen Café-Kunst sind die kleinen süßen Kalorienbomben. Zuckerreiche Süßspeisen mit viel Eigelb sind ein nationales Laster, das natürlich auch im Ausland gepflegt wird. Wie in Portugal rangiert bei uns das „pastél de nata“ in der Beliebtheitsskala ganz oben.
Dann kommen all die anderen verlockenden Gebäcke „queijadinhos de ovos“, „truxas de ovos“, „fios de ovos“ etc. Das Wort ‚ovos’ (Eier) taucht in den Namen so oft auf, weil die meisten Rezepte für die süßen Teilchen aus der Klosterküche stammen. Auch Namen wie „Nonnenbäuche“ oder „Himmelsspeck“ weisen in diese Richtung.
Bei Zisterziensern, Benediktinern und Klarissen erblühte die Zuckerbäckerei zur Perfektion. Nonnen benötigten enorme Mengen Eiweiß, um die Krägen ihrer Tracht zu stärken. Und Mönche, um Wein zu klären. Das Gelbe vom Ei blieb übrig und wurde, zunächst noch mit Honig, später mit Rohrzucker, in süße Gaumenträume verwandelt. Zum Glück sind sie jetzt auch bei uns zu haben, diese himmlischen Versuchungen. Und da kann man mit Oscar Wilde sagen, dass das Schönste an der Versuchung ist, ihr nachzugeben.
Portugiesische Cafés in Hamburg:
Café Algarve
Hamburg Eppendorf, Eppendorer Weg 285.
Café-Pastelaria Portugal
Hamburg Uni-Viertel, Rentzelstr. 11.
Caravela
Hamburg Uni-Viertel, Grindelallee 168.
Pastelaria & Café Veloso
Hamburg St. Pauli, Ditmar-Koel-Straße 8.
Pastelaria M.I.P
Hamburg Schanze, Schulterblatt 98.
Transmontana
Hamburg Schanze, Schulterblatt 86.
Website der Autorin: http://www.beate-schuemann.de
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