REIHE UNTERWEGS

"Kleeß" und "Kließ" und "Glües"

Kulinarische Erkenntnisse im Frankenwald

Text und Fotos: Franz Lerchenmüller

Deutschland Frankenwald  Leckerbissen

Die Steigung zwischen Wellesbach und Wellesberg ist die gerechte Strafe für die Sünden der vergangenen Tage und vorauseilende Buße für die, die noch kommen werden. "Gnade", röchelt die Lunge. "Nichts da", kontern die Geister all der fachgerecht geschmurgelten Tauben, Kaninchen und Frischlinge. "Nie wieder Kalorienbomben", hechelt der Kreislauf. "Ach, jetzt plötzlich", höhnen die Klöße. "Müsli und Quellwasser für immer", versteigt sich das kochende Gehirn. "Wer's glaubt!" tönt es hohl durch den Kopf, wie das Echo aus einem kürzlich geleerten Fass.

Deutschland Frankenwald Schlachtschüssel

Da duckt sich der ganze Mann noch etwas demütiger über den Lenker seines Mountainbikes, flüstert bekennend: "Rehbockkeule, Pfefferhax'n, Pressackteller", und strampelt weiter, wie ein heißgelaufener Motor kurz vor dem endgültigen Crash.

Dabei war die Idee bestechend gewesen: Ein paar Tage lang intensiv den Frankenwald kennenlernen, diese knapp tausend Quadratkilometer im Norden Bayerns, zwischen Thüringen, der A 9, Kronach und Kulmbach - und dies von zwei sehr verschiedenen Seiten: Als Aktivurlaubsziel zum einen, mit endlosen Rad- und Wanderwegen und einem Mountainbikenetz von 300 Kilometern. Andererseits als kulinarische Region. Mit einem Wort: Sich den Bauch vollschlagen und doch nicht aufgehen wie ein Knödel - wer könnte da widerstehen?

Es hatte sich ja auch bestens angelassen, ganz am Anfang, im Landhaus von Christina Schumann und Jürgen Rupprecht. Ein geeistes Gurkenschaumsüppchen hatte der Chef mit dem warmen Lächeln hinter der Designerbrille aufgetischt, einen Salat mit lauwarmen Pfifferlingen gleich danach und schließlich Zanderfilet, die Schwammerl diesmal à la crème. Alles gekonnt, reine Freude jeder Biss - aber halt, was ist das? Mitten aus dem "Ragout von Gemüsen" am Nebentisch spitzt die Scheibe einer Aubergine, die ja nun ganz gewiss nicht im Schatten des Döbraberg herangewachsen ist? "Ach, ich sehe das nicht ganz so eng", gesteht der Herr des Hauses. "Wenn ich exzellentes Gemüse kriege, nehme ich schon auch mal was von außerhalb rein."

Deutschland Frankenwald Wurstplatte

"Macht keine Ideologie daraus, der Frankenwälder", notiert der Genießer als erste kulinarische Erkenntnis. Beschließt, auch selbst keine daraus zu machen. Und löffelt verzückt den Sabayon von Lychees auf Melonen-Carpaccio, der aber nun wirklich auf einem anderen Blatt steht. Ach du süßes Glück... und die inneren Bedenkenträger stimmen wir morgen milde, mit ein bisschen Mountainbiken.

Kulinarische Mirakel

Ach, das bisschen Mountainbiken. Schiebend, keuchend, fluchend ist endlich doch die Anhöhe erreicht. Und während es danach auf fast ebener Straße weitergeht, verstummen die inneren Ankläger allmählich, und als die Lorchenmühle in Wallenfels in Sicht kommt, richtet sich im Herzen des Fahrers ein kleines Teufelchen auf, das die letzten drei Stunden ungewohnt schweigsam dagesessen hat, reibt sich den Bauch und verkündet: "Also, es soll da einen ganz hervorragenden Kalbsrahmbraten geben!"

Deutschland Frnakenwald Fachwerkhaus

Abends hat der kleine Racker längst wieder Oberwasser. Der Landgasthof Haueis in Hermes ist ein großes, gelb gestrichenes und gut besuchtes Ausflugslokal. Hans-Georg Haueis, der Inhaber mit den flinken blauen Augen und dem sorgfältig gezwirbeltem Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart, hat nicht nur "Greenfleisch mit Meerrettich" und "Hermeser Mangoldsüppchen" auf der Karte, sondern auch kulinarische Mirakel wie die "linksgerollte Rinderrouladen". Wie das? Schon wieder einen Trend verpasst? "Kennen Sie nicht?", fragt er erstaunt. "Rechtsrum schneiden, linksrum rollen, rechtsrum anbraten, so heißt das ganze Geheimnis - mit den Gästen ins Gespräch zu kommen." Die Franken, heißt es, seien "die Gewürfelten" unter den Bayern: Kantig, schwer ausrechenbar, für jede Überraschung gut. Was sind dann erst die Frankenwälder für welche?

Deutschland Frankenwald Suppenteller

Frisch aus dem Frankenwald kommt das "Wildschweinmedaillon". Es kommt gleich in vierfacher Ausgabe, dümpelt nebst ein paar Kartoffelbällchen in einer deftig-sahnigen Thymiansoße und verhilft dem Genießer unmittelbar zur zweiten Erkenntnis in Sachen Frankenwald-Küche: "Satt werden will er, der Frankenwälder, da versteht er keinen Spaß."

Deutschland Frnakenwald  kulinarische Kreation

Am nächsten Morgen die bange Frage: Wie weit hat er sich mittlerweile in den Raum vorgeschoben, der Friedhof der Kuscheltiere hinterm Hosengürtel? Besser mal wiegen? Besser gleich wandern! Zum Beispiel auf dem Mühlenweg: Elf ehemalige Getreide-, Säge- oder Hammermühlen, heute meist Wohnhäuser oder Ruinen, an einem Rundweg von 18 Kilometern, der durch wellig-flaches Hügelland, liebliche Flusstäler und dunklen Fichtenforst führt.

Knödel in allen Dimensionen

Deutschland Frankenwald Knödel

Erlen säumen den großen Rehbach, indisches Springkraut macht sich breit. Diese Flusstäler, die heute allmählich verbuschen, weil niemand mehr die Wiesenfetzen mähen will, waren einst die Heimat der Handweber. Der letzte von ihnen, Andreas Will, arbeitete in einem Haus neben der Vollaufmühle und ist vor einigen Jahren gestorben. Es war ein ärmliches Leben: vorwiegend Kartoffeln, Hauptnahrungsmittel aller niederen Stände: Mit Quark wurden sie gereicht. Als "Schnitz und Backes", eine Kartoffelsuppe, in der ein Schinkenknochen köchelte, während man den Schinken natürlich verkaufte. Als Backala, Kartoffelpuffer. Und natürlich als "Kleeß", als "Kließ", als "Glües": Knödel in allen Größen, Zusammensetzungen und lokalpatriotischen Dimensionen.

Den Rest gaben Wald und Wiesen: Pilze über Pilze für die "Schwammabrieh". Eingemachte Blaubeeren als Dessert, getrocknet halfen sie gegen Durchfall. Und auch "Küll", den Wiesenknöterich, der, zubereitet wie Spinat, das erste Frühlingsgemüse der Weber war.

"Frankenwald-Küche war immer eine Arme-Leute-Küche", bestätigt Kuno Körber in der Neumühle. Er pflegt ein eher prosaisches Verhältnis zu traditionellen Schmankerln wie etwa "Gänseschwarz": "Viele sind richtig verrückt danach. Ich sag, ich koch's euch. Aber nehmt es mit nachhause und esst es dort." Vermutlich zu Recht. Denn gegen das von Bauer Weiss gelieferte Täubchen, das er jetzt wohlgefüllt und von Pfifferlingen umkränzt auf den Tisch zaubert, fällt die mysteriöse Melange aus Gänseschlund und Gänseleber, Gänseherz und Gänseblut wahrscheinlich ein wenig ab - zumindest vom Standpunkt heutiger Gaumen aus.

Deutschland Fran kenwald Terrassencafé

Nichtsdestotrotz entfaltet sich am Tisch plötzlich regste Gedankentätigkeit: Die Hiesigen kramen in den hintersten Winkeln ihres Gedächtnisses nach Erinnerungen aus der Kindheit: "Milchbrieh mit Birn und Kleeß." "Krumba: Schweinebraten mit gebackener Leber, gebackenem Blut und Graupen." "Schwarzfleisch." "Was war das?" "Sauerbraten aus altem Geräucherten". "Genau. Mit Eierschmalzsoße dazu."

Enten, selber hochgepäppelt

Derart mit frischem Brennstoff für Körper und Geist versehen, wandert die Gruppe auch noch die letzten paar Kilometer von Mühle zu Mühle, um schließlich in Buchenreuth zu enden, bei einem Glas frischer "Goaßmilch" und der einleuchtenden Erklärung des smarten Junglandwirts: Biobauern seien sie geworden, weil sie die Sache mit der Chemie einfach nicht hingekriegt hätten. Auch Richard Lentz, Wirt der Harmonie zu Lichtenberg, hat die eine oder andere Preziose aus dem Schatzkästlein der Frankenwald-Küche beizusteuern: "Ströbela: Hefegebäck, das überm Knie geformt wurde. Holunderküchlein. Auch ein Zicklein hatte fast jeder. Und damit Quärkla und Käsla."

Deutschland Frankenwald Wirtshausschild

Noch mehr aber brilliert er an diesem Abend mit einer wirklichen Kostbarkeit auf seiner Karte: Frankenwälder Schiefertrüffel. Kürzlich wurde sein Waldgänger endlich wieder einmal fündig: Die zwei grauschwarzen Klumpen erinnern ein wenig an reife Feigen. Doch aus ein paar Splittern davon, ein bisschen Brühe, Cognac und Sahne zaubert Herr Lentz ein Süppchen mit grauem Schaum und gelbem Körper von geradezu deliziösem schiefertrüffeligem Geschmack. Auch der Waller im Wurzelsud ist auf den Punkt. Perfekt. Punktum.

Deutschland Frankenwald Bienenstöcke

Die Harmonie mit ihrem runden Kachelofen und der dunklen alten Holztäfelung wurde 1823 gegründet "für Männer mit Geld und unbescholtenem Rufe." Heute gebe man sich da zumindest in einer Hinsicht etwas großzügiger, lächelt der leise, grauhaarige Chef. Und erzählt dann voller Enthusiasmus von den Enten, die er hochpäppelt, den Schafen, die er selber schert, dem Anbau, den er, der gelernte Bauschlosser, hochgezogen hat, und von Kalkskopf mit Hummer, den er geradezu liebt.

Deutschland Frankenwald  Eintopf

"Bescheiden, aber nicht intolerant" seien sie, die Bewohner des Landes, heißt es in einem "Kulinarischen Streifzug durch Franken". Sie zeigten "Individualismus, ohne ins Querköpfige zu verfallen", und paarten "Enge mit Weltläufigkeit." Nun denn: Hier sitzt einer von ihnen. Und auch auf all die anderen Meister mit Mütze traf dies irgendwie zu: Schlitzohren und Enthusiasten waren darunter, bodenständige Handwerker und weitgereiste Zampanos, stille Künstler und beredte Vertreter ihrer selbst. So verschieden wie die Köpfe auch ihre Küche: Von der Holzofenbrotsuppe bis zur gefüllten Wachtel reichte das, von geräucherten Forellenfilets über Linseneintopf bis zur Sauersülze - und ganz allmählich, beflügelt von einem hausgemachten Aufgesetzten mit Kräutern, schält sich aus der Vielfalt der geschmacklichen Erfahrungen auch die dritte kulinarische Erkenntnis heraus: "Ist ja verdienstvoll, dass sie ihre versprengten Klassiker unter neuem Namen zusammenfassen, die Frankenwälder. Aber was die kreative Weiterentwicklung angeht - da könnten die meisten doch ein wenig mehr riskieren."

 

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