REIHE UNTERWEGS

In Ruhe reifen

Ammerländer Schinken: eine wiederbelebte Delikatesse aus Niedersachsen

Text: Winfried Dulisch
Fotos: Ammerland-Touristik

Es ginge auch einfacher. Doch ein Metzger im nordwestlichen Niedersachsen macht sich wieder die Mühe, einen Schinken herzustellen, der uns an die Zeit erinnert, als noch kein Turbo-Schwein die Geschmacksgewohnheiten prägte. Noch ist dieser Ammerländer Schinken eine köstliche Rarität - wir haben sie aufgespürt und verraten, wo sie zu finden ist.

Ammerland

Das Ammerland: auch ohne Schinken ein reizvolles Urlaubsziel - etwa auf dem Bauernhof

Autofahrer rasen vorbei an der Adresse: Hauptstraße 212 in Apen, Kreis Ammerland in Niedersachsen. Und natürlich übersehen sie das Hinweisschild: „Museum“. Radwanderer jedoch, die vom ostfriesischen Emden oder Leer nach Südosten ins Oldenburger Land wollen, steigen ab und klingeln bei der „Schinkenräucherei im Museum“.

Schinken für Seefahrer

Der Metzger Arnd Müller öffnet freundlich, obwohl er eigentlich keine Zeit hat. Denn er ist gerade bei der Arbeit, schließlich ist dies ein „working museum“, und der Metzger meint: „Mein Haus ist museal im Beibehalten des eigentlichen Zwecks.

Ammerland / Schinkenhaus

Arnd Müllers Arbeitsplatz: Das "working museum" in Apen

Bitte kommen Sie doch während der offiziellen Öffnungszei…“ Aber dann nimmt er sich doch die Zeit für einen kleinen Rundgang: „Wir befinden uns hier in der ältesten Schinkenräucherei des Ammerlandes. Sie wurde 1748 gegründet. Damals erlebte unser Schinken seinen ersten Boom. Die Seefahrer benötigten für ihre zunehmend länger werdenden Reisen rund um die neu entdeckte Welt Nahrung, die ohne Kühlung für mehrere Monate haltbar war. Die hiesige Region mit ihren großen Buchenwäldern konnte das wertvolle Holz zum Räuchern verfeuern, während es woanders als Baumaterial benötigt wurde.“

Heute ist Ammerländer Schinken eine europaweit geschützte Herkunftsbezeichnung für haltbar gemachte Schweinskeulen aus dem Landkreis Ammerland. Arnd Müller bedauert: „Es ist leider nur eine Herkunftsbezeichnung, kein Gütesiegel. Dem Gesetzgeber ist es egal, wie der Schinken hergestellt wird.“ Wenn ein aktueller Trend es wünscht, hängen manche Schinken-Fabrikanten das Fleisch in ihre Klimakammern, geben im Steuerungs-Computer „mediterrane Temperatur, salziger Seewind“ ein und verkaufen das Ergebnis anschließend als Original Ammerländer Luftgetrockneten. „Dabei weht eine zum Trocknen geeignete Seeluft erst fünfzig Kilometer weiter nördlich“, betont Arnd Müller. „Hier wurden die Schweinskeulen früher mit Salz und Rauch konserviert.“ Und wie schmeckte diese Seefahrer-Delikatesse? – Arnd Müller: „Für unseren heutigen Geschmack ungenießbar."

Ammerland / Aalräucherei

Hier wird allerdings Rauch gebraucht: Das Ammerland ist auch ein Mekka der Aal-Räucherei

Vor allem der Speck!

Erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckten die Ammerländer Räuchereien das anspruchsvolle Bürgertum als Klientel. Diese 150 Jahre alte Tradition pflegt Arnd Müller und schneidet dem Besucher ein Stück davon ab: „Kosten Sie mal!“ – Auch den Speck? – „Vor allem den Speck! Sogar erfahrene Hausfrauen haben bei mir zum ersten Mal in ihrem Leben ein Stückchen Speck so richtig genossen.“ Weil moderne Schweine nur mageres Fleisch produzieren, degenerierte das Fett zum Abfall. Müller aber verarbeitet Keulen von Landhaus-Schweinen, wie sie vor fünfzig Jahren verbreitet waren. Für die Zukunft plant er mit dem Bentheimer Hausschwein, das zurzeit seine Renaissance als Fleischlieferant für die Edel-Gastronomie erlebt.

Zum Einkaufen fährt Müller nach Lingen an der Ems. „In meiner Nachbarschaft liefert noch kein Bauer die notwendige Qualität.“ Erst spät hatte das Ammerland die Massentierhaltung übernommen, mit der gleichen Verspätung kommt nun die Rückbesinnung auf bleibende Werte. Nach diesem agrarökonomischen Einführungskurs führt Müller den Besucher in das eigentliche Herz dieses arbeitenden Museums.

Ammerland / Schinkenhimmel

Die gute Stube im Schinkenmuseum: Arnd Müller prüft den Reifegrad seiner Schätze

Im Gegensatz zu anderen Fleisch verarbeitenden Betrieben fehlen in seiner Räucherkammer die Fliesen an Boden und Wänden, denn „ich gehe da nicht mit dem Hochdruckreiniger durch.“ Seine Räucherkammer ist kein steriler Operationssaal, wo „der nächste Schinken bitte“ behandelt wird. Hier kann jede Schweinskeule in Ruhe reifen. Das dauert zwölf bis zwanzig Monate.

Der Schinken bestimmt den Rhythmus

Arnd Müller sieht sich nicht als Herr im Haus, sondern „der Schinken ist mein Arbeitgeber und bestimmt den Rhythmus.“ Manchmal muss er nachts den Reifeprozess überprüfen, „dann wieder kommt der Schinken 14 Tage ohne mich aus“. Es ginge auch einfacher. Und vor allem mit weniger Schwund. In schlechten Jahren arbeiten die Reife-Bakterien intensiver als normal und zerstören bis zu 90 der von Müller eingesalzenen 180 Keulen. Ein guter Jahrgang bringt 93 % Ausbeute.

Ammerland / Mühle

Auch eine Frage des Rhythmus: Hengstforder Galerieholländer - Station an der Mühlen-Radroute

Als verkaufsfördernde Maßnahme verabreichen Müllers Mitbewerber ihrem Schinken oft eine Überdosis Salz. Das schenkt eine lebendige Farbe, bedeutet aber geschmacklich den Garaus. Trotzdem reagieren manche Gourmets enttäuscht auf die blasse Optik von Müllers Produkten. Das Auge isst mit. Aber die eigentlichen Genießer sind der Gaumen und die Zunge, und mit deren Hilfe erinnern sich Müllers Besucher an den Schinken aus ihrer Kindheit. Das war vor mehr als dreißig Jahren, als noch kein Turbo-Schwein die Schmeck- und Riechgewohnheiten prägte. Museums-Besucher schnalzen mit der Zunge: So schmeckt nur Bio-Fleisch.

Denkste. Die Viehfütterung ist nur zu einem Drittel für den Schinken-Geschmack verantwortlich. Wichtiger ist die Rasse. Diese Meinung teilen nicht alle Züchter, die das Museum besichtigen. Müller fragt dann: „Warum habt ihr für euren Eigenbedarf andere Schweine im Stall als für den Verkauf?" Betretenes Schweigen.

Ammerland / Maxwald-Park

Erholung jenseits der Hektik und zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert: Der Maxwald-Park in Westerstede

Der Schinken als Kulturgut

Auch von den Schlachtern kann Müller kaum Hilfe bei der Pflege des Kulturguts „Ammerländer Schinken“ erwarten. Die Großeinkäufer der Wurstfabriken beurteilen Rohware nach pH-Wert und der elektrischen Leitfähigkeit des Muskelfleisches; Gewürze und Geschmacksverstärker sorgen schließlich für das immer gleiche Endprodukt. Als Arnd Müller Anfang der neunziger Jahre Schweinskeulen „mit richtig viel Speck“ verlangte, wollte man ihm erst einmal minderwertiges Fleisch andrehen. Denn auch viele Fleischer betrachten die Speckschwarte am Schinken als so überflüssig wie die Dornen an der Rose.

Neben dem Fleisch ist die wichtigste Zutat in den Produkten aus Müllers „arbeitendem“ Museum die Zeit. Einfach nur Zeit. Und sein Gespür für den jeweils erreichten Schinken-Reifegrad. Müller vergleicht die Veredelung von Schweinskeule-Individuen mit dem Entschärfen einer Bombe: „Wenn ich nicht ständig auf Überraschungen gefasst bin, bestraft mich der Schinken.“

Ammerland / Schloss Rastede

Schloss Rastede: Radeln durch den Schlosspark

Dieses Brot, dieser Schnaps, und dazu der Schinken ...

Versuche, die Zeit und andere Reifefaktoren nach dem Salzen und Räuchern des Fleisches zu beeinflussen, hat Müller aufgegeben. Seine letzte diesbezügliche Fehlinvestition war 1993 eine Vakuum-Maschine. Nach einer Saison hat er sie abgeschaltet, weil „der Schinken sich in seiner Vielfalt und Feinheit unter Luftabschluss nicht mehr präsentieren konnte.“ Arnd Müller wünscht sich, dass auch andere Hersteller im Ammerland mit seinem Traditionsbewusstsein ihre Schweinskeulen veredeln. „Nicht, damit alle den gleichen Schinken herstellen - sondern um Vielfalt und Individualität zu fördern. Wie bei den Winzern, die es uns doch vorgemacht haben."

Außerhalb der Fleischer-Branche hat Arnd Müller bereits Mitstreiter gefunden. Und zwar einen Bäcker, der ebenfalls nach einem alten Ammerländer Rezept ein Schwarzbrot liefert, das sich wunderbar mit dem milden Schinken verträgt. Außerdem einen Schnapsbrenner, dessen Korn auch ohne Kühlung samtig weich schmeckt. Zum Beweis holt er eine Flasche aus dem Anrichteschrank und lässt den Besucher einmal kosten. - Stimmt. Dieses Brot. Dieser Schnaps. Und als Fingerfood dazu ein Scheibchen Ammerländer Schinken.

Ammerland / Zwischenahner Meer

Und hinterher ein Verdauungsspaziergang am Zwischenahner Meer bei Bad Zwischenahn

Informationen

Ammerland-Tourist-Information
Tel. 0 44 88 / 56 30 00
www.Ammerland-Touristik.de

 

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