Plovdiv

Imperiale Größe auf dem Balkan

Text und Fotos: Helga Schnehagen

 

Uralt und quicklebendig, elegant und hipp. Urgeschichtlich, thrakisch, griechisch, römisch, byzantinisch, osmanisch: Auf sein kulturelles Erbe kann Plovdiv bauen. 2019 glänzte es damit als europäische Kulturhauptstadt.

Bulgarien - Plovdiv, 2019 europäische Kulturhauptstadt

Ein Gang durch Plovdiv ist eine Reise durch Bulgariens Geschichte. Alle Kulturen, die auf bulgarischem Boden im Laufe der Jahrhunderte lebten, hinterließen hier ihre Spuren. An einem Ort – das ist einzigartig. Erst 2019 wurde über den freigelegten römischen Mosaiken einer großen frühchristlichen Basilika ein neues Museum samt Kulturzentrum eröffnet.

Bulgarien - Plovdiv Römisches Theater

Römisches Theater

Plovdiv im Herzen Bulgariens zu Füßen der waldreichen Rhodopen ist mit knapp 347.000 Einwohnern hinter Sofia (1,2 Mio.) Bulgariens zweitgrößte Stadt. Plovdivs kulturelles Erbe konzentriert sich auf das Zentrum, das als große Fußgängerzone per pedes erobert werden will: Grob gesehen mit der Altstadt im Norden und den Römerbauten im Süden. Zahlreiche Hinweisschilder erleichtern die Orientierung.

Bulgairen - Plovdiv Altstadt malerisch mit Stadtmauer, Bürgerhäusern und Kopfsteinpflaster

Die Altstadt malerisch mit Stadtmauer, Bürgerhäusern und Kopfsteinpflaster

Niemand erwartet hier ein kleines Rom. Niemand eine Art Rothenburg aus der Zeit der Wiedergeburt, in der die Bulgaren um 1750 begannen, das 500-jährige „osmanische Joch“ abzuschütteln, bis sie 1878 endgültig davon befreit waren. In dieser Zeit entstand ein neuer bulgarischer Mittelstand, der durch Handel, insbesondere mit den Ländern des Osmanischen Reichs, zu erheblichem Wohlstand kam. Dabei entwickelten sich in der Altstadt Plovdivs Bürgerhäuser zu prächtigen Stadtvillen und wurden zum Inbegriff des Wiedergeburtshauses in Bulgarien schlechthin. Auch nach der Befreiung und Gründung des Dritten Bulgarischen Reichs blieb der Warenhandel als bedeutender Wirtschaftszweig erhalten. In der Folge wurde Plovdiv zur wichtigen Messestadt.

Bulgarien - Plovdiv Einkaufsstraße Jugendstilfassade

Jugendstilfassade in Plovdivs Einkaufsstraße

Und schließlich erwartet niemand ein Feuerwerk an eleganten Fassaden in einer Mischung aus Jugendstil, Wiener Secession und Historismus. Sie sind das Resultat eines Neubauplans für die Stadt nach der Befreiung unter Leitung des im böhmischen Nový Bydžov geborenen tschechisch-bulgarischen Architekten Josef Schnitter (1852-1914), der von 1878 bis 1914 Chefarchitekt und Stadtingenieur von Plovdiv war. Der Lauf der Geschichte beendete die Transformation vorzeitig. In Plovdivs schicker Einkaufsstraße zu beiden Seiten des Rathauses hinterließ Schnitter jedoch ein eindrucksvolles Denkmal, um das sich das antike Erbe gruppiert.

Bulgarien - Plovdiv - Rathaus mit Brunnen

Rathaus mit Brunnen

In den Blickpunkt der Geschichte rückt die Stadt 342 v. Chr., als der Vater Alexanders des Großen, Philipp II. von Makedonien, sie erobert und nach ihm Philippolis bzw. Philippopolis nennt. 400 Jahre später gehört sie den Römern, heißt Trimontium und wird Hauptstadt der Provinz Thrakien. Für den antiken Schriftsteller Lukian von Samosata ist sie „die größte und schönste aller Städte“ in Thrakien. Bis heute steht Plovdiv auf der Liste der schönsten antiken Städte.

Mosaike, Plastiken, Reliefs, Inschriften …. immer neue Funde kommen ans Licht. Erst im Oktober 2010 wurde das Archäologische Regionalmuseum mit einer der bedeutendsten Sammlungen thrakischer und antiker Kunst mit übersichtlichen Vitrinen und zweisprachiger Beschriftung in Bulgarisch und Englisch neu eröffnet.

Es macht daher Sinn, zuerst das Archäologische Regionalmuseum am Platz Saedinenie 1 am Nordrand der Innenstadt zu besuchen. Eine Sammlung antiker Steinfunde vor dem Eingang weist den Weg. Ins Auge springt darunter ein reich bearbeiteter römischer Grabstein, den M. Ulpius Silvanus für seinen Bruder M. Ulpius Statius aufstellen ließ. Laut Inschrift hatte er in der berittenen Leibgarde des Kaisers gedient.

Bulgarien - Plovdiv Römischer Grabstein für den Kavalleristen M. Ulpius Statius, kurz nach 131 n.Chr., vor dem Archäologischen Regionalmuseum

Römischer Grabstein für den Kavalleristen M. Ulpius Statius, kurz nach 131 n.Chr., vor dem Archäologischen Regionalmuseum

Es handelt sich um eine sogenannte Stockwerkstele. Im Giebel steht ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen, der zu beiden Seiten von einem Löwen flankiert wird. Im oberen Bildfeld lagert der Verstorbene auf einer Kline mit einem Kranz in der erhobenen Rechten. Im zweiten Bildfeld hält ein Knappe dessen gesatteltes Pferd am Zügel. Das Grabdenkmal ehrt zweifelsfrei einen Kavalleristen von höherem Rang innerhalb des römischen Heeres. Adler und Löwen mögen dabei die Sieghaftigkeit als militärische Tugend verherrlichen. Der Grabstein wird von Experten auf die Zeit kurz nach 131 datiert. Besonders im 2. und 3. Jahrhundert befanden sich unter den multikulturellen Siedlern in Plovdiv viele Veteranen.

Wahre Hingucker sind die vogelgesichtigen Figurinen aus der Jungsteinzeit im Stil der geheimnisvollen südosteuropäischen Vinča-Kultur. In der Region Plovdiv sind mehr als 150 prähistorische Siedlungen bekannt. Drei davon befinden sich auf dem Territorium der heutigen Stadt. In den letzten 60 Jahren haben Archäologen 25 der prähistorischen Siedlungen untersucht und deren Fortbestehen zwischen 6000 und 1200 v. Chr. nachgewiesen. Plovdivs Anspruch, Europas älteste durchgehend bewohnte Stadt zu sein, steht damit auf wissenschaftlichen Füßen.

Bulgarien - Plovdiv Archäologisches Regionalmuseum vogelgesichtige Idole aus der Jungsteinzeit

Vogelgesichtige Idole aus der Jungsteinzeit

Überwältigend sind die Gold- und Silberschätze. Ihr Höhepunkt ist der Goldschatz von Panagjurischte, ein luxuriöses Tafelset, das aus neun Goldgefäßen in verschiedenen Formen besteht: acht Trink- bzw. Trankopfergefäße, sogenannte Rhyta, und eine Trink- bzw. Trankopferschale voller Köpfe, eine sogenannte Phiale. Die Gefäße wurden Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. in der kleinasiatischen Stadt Lampsakos, heute Lapseki, aus 23 Karat Gold mit einem Gesamtgewicht von 6164 kg hergestellt und mit Reliefszenen aus der griechischen Mythologie verziert.

Bulgarien - Plovdiv Archäologisches Regionalmuseum Goldschatz von Panagjurischte

Goldschatz von Panagjurischte

Es wird angenommen, dass sie den Esstisch eines großen thrakischen Königs schmückten, vielleicht sogar des Odrysenherrschers Seuthes III., dessen Hauptstadt Seuthopolis in der Nähe des Fundorts lag. Der Goldschatz war am 8. Dezember 1949 zufällig von den Brüdern Pavel, Petko und Michail Deikovi entdeckt worden, die ihn ehrlich ablieferten. Schon in der Antike war das thrakische Edelmetall legendär. Aristoteles berichtet: „Im makedonischen Pieria siedelten die Pierianer (ein thrakischer Stamm) in unmittelbarer Nähe des Pangaion-Gebirges, wo Gold gesät, Goldbäume gezogen und Gold geerntet wird.“

Einen Krimi dagegen schrieb die thrakische Helm-Maske aus dem 1. Jh. 1995 war sie bei einem bewaffneten Überfall auf das Museum gestohlen worden. Erst zwanzig Jahre später gelang es dem bulgarischen Geheimdienst sie zu finden und zurückzubringen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Bulgarien

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So viele Ikonen, so viel Joghurt. Fahrradtour in der Grenzregion zwischen Rumänien und Bulgarien

Ein langgezogener, silberner Spiegel in einer welligen Ebene, gerahmt von Pappeln und einer Hügelkette in Blau, unbewegt, fast unwirklich: Die Donau. 781 Kilometer liegen hinter ihr, seit sie sich an der Quelle aufgemacht hat, 1075 muss sie noch bis zur Mündung im Schwarzen Meer zurücklegen und wird dabei Rumänien erst von Serbien, später von Bulgarien und auch der Ukraine trennen. Beinahe glaubt man, sie stehe still. Ein Eindruck, der nicht ganz unrichtig ist, denn der Fluss ist hier, fast bis zurück nach Belgrad, eher See, angestaut vom Kraftwerk "Eisernes Tor" hinter Orsova, etwa 150 Kilometer weiter flussabwärts. Und bis dahin folgen wir ihm.

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