Bolivien im Überblick
"Bringt den Bergmännern Kokablätter und Zigaretten mit", sagen die lokalen Guides in Potosí und deuten auf Straßenstände mit Kokasäcken, handgedrehten Glimmstängeln, Dynamitstangen und Klumpen, die grauen Kieseln ähnlich sehen. Geschmacksverstärker aus gepresster Asche, die man zusammen mit Kokablättern langsam im Mund aussaugt - für die mineros von heute unverzichtbar.
Auch wenn die Bergleute aus den schmalen Schächten des Cerro Rico, des "Reichen Berges", kein reines Silber mehr fördern, ist es ihre Welt geblieben. Bei geführten Touristentouren - mit Stiefeln, Helmen und flackernden Lämpchen - bleibt kein Zweifel: In den Stollen schinden sich die Indígenas unter Bedingungen wie vor 400 Jahren. Damals, während der Kolonialzeit, zählte Potosí zu den reichsten Metropolen Amerikas. Um 1640 lebten hier über 150.000 Menschen, 50.000 mehr als heute. Heute ist die bolivianische Andenstadt Weltkulturerbe - und bitterarm. Ausgeblutet unter der Kolonialmacht Spanien, die die Reichtümer abschöpfte, flottenweise nach Europa verschiffte, in Prachtbauten steckte und Kriegen verpulverte. Von der vormals reichsten Silbermine der Welt ist der Abglanz von Restmischungen aus Zinn, Silber und Eisen geblieben, die heute von rund 8.000 Bergmännern aus den Stollen geschafft werden. Sie schuften in Kooperativen oder auf eigene Faust und hoffen auf ein neues Silberwunder. An der Minenarbeit verdienen die Trenn- und Purifizierungsfirmen kräftig mit.
Der Cerro Rico bietet einen der beeindruckendsten und - für den, der seine Geschichte kennt: - bedrückendsten Anblicke in Südamerika. Mächtig erhebt er sich über der Andenstadt Potosí. In der glasklaren Höhenluft schaut man durch die Gassenschneisen auf diesen 4.700-Meter-Riesen: ein karger Kegel in Rostrot- und Brauntönen, zerfurcht von hellen Gesteinsadern. Was wohl passiert wäre, wenn ein Schäfer namens Huallpa niemals ein Lama in den Bergen verloren, an den Hängen des Cerro Rico übernachtet, ein Lagerfeuer entzündet und am nächsten Morgen geschmolzenes Silber rund um die Feuerstelle entdeckt hätte? So aber drang die Legende von Huallpas Silberwunder ans Ohr der Spanier. 1545 waren sie zur Stelle, gründeten Potosí und gaben dem Sumaj-Orko-Gipfel einen neuen Namen: "Reicher Berg". Bis zum Ende der Kolonialzeit durchlöcherten sie ihn mit 5.000 Stollen, zogen unvorstellbare Massen Sklaven heran und trieben acht Millionen Indígenas in den Tod. Für die Indios war der Cerro Rico das Tor zur Hölle. Das Silber aus Potosí, so ein Sprichwort, hätte ausgereicht, um eine Brücke nach Spanien zu bauen. Von Potosís Kolonialvergangenheit zeugen wappenverzierte Herrenhäuser, rund 40 reich dekorierte Kirchen sowie die Casa de la Moneda, die zum Museum umfunktionierte Münzwerkstatt. Interessante ab Potosí sind der Salar de Uyuni, ein fast 11.000 km² großer Salzsee, die hochandine Laguna Verde sowie die auf 4.300 Metern und mitten in der Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa gelegene Laguna Colorada.
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Das kolonialzeitliche Gepräge verbindet Potosí mit Sucre, der offiziellen Hauptstadt Boliviens; La Paz hingegen dient als Regierungssitz. Wegen der Vielzahl ihrer kalkweißen Hausfassaden wird das 150.000 Einwohner kleine Sucre "weiße Stadt" genannt und gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. An kolonialen Bauwerken stechen die an der Plaza 25 de Mayo gelegene Kathedrale, der Palacio Arzobispal, die Casa de la Libertad, der Palacio del Gran Poder und Kirchen und Konvente wie San Francisco, Recoleta, Santa Clara und Merced hervor. Herrlich bummeln lässt sich in der Fußgängerzone Calle Junín. Hauptziel ab Sucre ist das 64 Kilometer entfernte Tarabuco, allsonntaglich Schauplatz eines landesweit bekannten Kunsthandwerkermarktes.
Bei Erkundungen in La Paz ("der Friede") gibt's nur zweierlei: rauf oder runter. Keine Straße in der Stadt scheint eben zu verlaufen. Und das in dünner Luft zwischen 3.650 und 4.000 Metern. Aus dem Häusermeer der Innenstadt blickt man hinaus auf die grünen Abhänge der Anden und bis hinüber zum ewigen Eis des 6.300-Meter-Riesen Illimani. Dazwischen liegen die Baracken der Ärmsten, die nichts besitzen außer Holzverschlägen - wenn überhaupt. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Das Einkommen der meisten ist der Kleinsthandel. So verwandeln sich weite Teile von La Paz in einen gigantischen Freiluftmarkt. Ein buntes, exotisches Gewimmel aus touristischer Sicht, der tägliche Existenz- und Überlebenskampf für die Bolivianer. Von morgens früh um Sechs bis nach Sonnenuntergang. Aus Bauchläden, Straßenständen und ausgebreiteten Plastikplanen erwachsen unglaubliche Sammelsurien in den Gassenlabyrinthen. Der Kamm neben der Schlangenhaut, Möhrensäcke neben Wollwesten, Zimtstangen neben Plastiktöpfen. Dazwischen rote Bohnen, Schälchen voll gelber Gelatine und grünes Coca-Shampoo. Üble Anblicke bieten die getrockneten Lamaföten, Opfergaben für die Erdmutter Pachamama. Derweil hupen sich Armadas an überfüllten Minibussen durch die Straßen. Nicht minder gefährlich als die Uraltvehikel sind metertief offenstehende Kanäle, die ausreichten, um ganze Großfamilien zu schlucken. Dazwischen überall Farbenpracht. Indiofrauen in ihren bunten Ponchos, schwer verpackt in dicke Röcke und mit Kinderbündeln auf dem Rücken. Von den 450 Jahren Stadtgeschichte La Paz' zeugen bedeutsame Monumente: die Barockkirchen San Francisco und Santo Domingo, die Kathedrale und der Barockpalast Díez de Medina mit seinen herrlichen Patios und Gemäldegalerien. Die Calle Jaén, nahe der Kathedrale, hat sich als Gässchen reinsten spanischen Stils erhalten. Klobiges Pflaster, weiß getünchte Hauswände, Laternchen, schmiedeeiserne Balkongitter, Holztüren, Patios voller Blumentöpfe. In den Kolonialbauten der Calle Jaén sind das Präkolombinische Goldmuseum und das Murillo-Museum untergebracht. Letzteres war einst Wohnhaus von Pedro Domingo Murillo, der hier 1809 mit anderen Verschwörern einen Staatsstreich gegen die Spanier vorbereitete, sich nach dem Putsch ein Jahr an der Macht hielt und von den Königstreuen gehenkt wurde.
Koloniales Flair in La Paz
La Paz dient als Sprungbrett zu höchst interessanten Zielen: nach Tiwanaku, einem heiligen Zentrum prähispanischer Kulturen und das wichtigste archäologische Areal des Landes, sowie an den mit seinen Inseln Sol ("Sonne") und Luna ("Mond") sowie dem malerischen Seerandstädtchen Copacabana, dank seiner Basilika Virgen de la Candelaria gleichzeitig ein wichtiges Pilgerzentrum. Eine ganz besondere Tour führt ab La Paz hinab in die Yungas, tropische Täler im Nordosten von La Paz. Spektakuläre Pisten winden sich rund 2.000 Meter abwärts und erreichen Anbaugebiete von Kaffee und Kakao; bedeutendste Anlaufpunkte der Yungas sind Coroico (Nord-Yungas) und Chulumani (Süd-Yungas).
Rund 240 Kilometer südöstlich von La Paz, auf 3.700 Metern Höhe, liegt die 200.000-Einwohner-Stadt Oruro, die vor allem wegen ihrer Minen und ihres ausgelassenen Karnevals bekannt geworden ist. Dann ziehen die Tänzer in ihren Teufelsmasken durch die Straßen. Interessant zu jeder Jahreszeit sind die belebten Freiluftmärkte in der City. Naturfreaks zieht es von Oruro in den Parque Nacional Sajama, der sich rund um den Sajama-Vulkan legt. Mit seinen 6.542 Metern formt er die höchste Erhebung des Landes, doch auch die beiden Payachatas-Gipfel - der 6.222 Meter hohe Pomarape und der 6.132-Meter-Riese Parinacota - erreichen beträchtliche Höhen.
Eine gut ausgebaute Asphaltstraße - die gibt's nicht überall in Bolivien! - führt von Oruro 230 Kilometer nordöstlich nach Cochabamba. Mit ihren 500.000 Einwohnern ist es die drittgrößte Stadt des Landes. Wegen ihres jahresdurchgängig angenehmen Klimas (Durchschnittstemperatur: 18° C) kündigt sie sich als "Stadt des ewigen Frühlings" an und hat als Besuchsziele den Hauptplatz (Plaza 14 de Septiembre), die Kathedrale, den Palacio Portales, das Archäologische Museum, die bunten Märkte sowie die Kirchen San Francisco, Santa Teresa, Santo Domingo und El Hospicio zu bieten. Auf einem Hügel über der City erhebt sich das weiße Monumentalbildnis des Cristo de la Concordia, Beschützer Cochabambas. Abenteuerlustige zieht es ab Cochabamba in Naturschutzgebiete wie den Parque Nacional Carrasco (viele Orchideenarten), in den von zahlreichen Wasserstraßen durchzogenen Parque Nacional Isiboro Sécure (Größe: 1,2 Millionen Hektar) und in den Parque Nacional Torotoro (Höhlen; überschwemmte Zufahrtswege in den Regenmonaten Dezember bis März).
Straßenverkäuferinnen in La Paz
Von Cochabamba windet sich eine spektakuläre Trasse weiter ostwärts ins 500 Kilometer entfernte Santa Cruz und fällt von 2.500 auf rund 450 Meter ab. Grüne Hügel, Steinwände, Canyons, Maisfelder und eine immer tropisch werdendere Vegetation ziehen vorbei. Santa Cruz hat es auf eine enorme Zahl von 800.000 Einwohnern gebracht und bietet Besuchern seine Kathedrale, das Altstadtviertel, die Straßenmärkte, die Plaza 24 de Septiembre sowie den Parque El Arenal. Lohnende Ziele ab Santa Cruz sind die prähispanische Festungsanlage Samaipata (rund 120 km südwestlich) und der von dort aus erreichbare Parque Nacional Amboró (Heimat von 600 Vogelarten sowie des Jaguars und des Ozelots) sowie die "Che-Guevara-Route" durch Valle Grande und La Higuera (hier kam der kubanische Guerillaführer Che Guevara im Oktober 1967 zu Tode). Expeditionen führen in den Parque Nacional Noel Kempff Mercado, ein wasserreiches amazonisches Gebiet mit Süßwasserdelfinen und Pirañas. Besser zugänglich ist das Gebiet der Chiquitania mit ihren alten Missionsstationen der Jesuiten (reducciones"), so wie jene von San Javier und Concepción. Pure Friedensoasen.
Andreas Drouve
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