Schnecken, Bier und Honigkuchen

Regionale Leckereien in der belgischen Wallonie

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Die belgische Wallonie ist hierzulande eine wenig bekannte Region. Zu Unrecht. 22 Gemeinden haben sich dort inzwischen zu einer Vereinigung der schönsten Dörfer zusammengeschlossen und pflegen traditionelle Dorfstrukturen und das kulturelle Erbe des ländlichen Raumes. Drei von ihnen - Crupet, Celles und Falaen - hat unser Autor besucht. Besonders beeindruckt war er von den kulinarischen Spezialitäten, die hier liebevoll bereitet werden.

Blick auf Celles, Foto: Belgisches Verkehrsamt

Wer die Nationalstraßen links liegen lässt und sich auf Landstraßen durch die Provinz Namur bewegt, der wird nicht nur kleine Brauereien entdecken, die sich wie du Bocq und Caracole auf süffigen Gerstensaft jenseits des traditionellen Pils spezialisiert haben. Die Fahrt führt durch verwunschene schmale Täler mit rauschenden Bächen und schnell fließenden Flüsschen. Im Vorbeifahren werfen wir einen Blick auf schmucke Dörfer mit Häusern aus grauem Kalkstein und hellem Sandstein.

Bei du Bocq braut man dieses herrliche Bier.

Frischer Ziegenkäse von Patrice

Am Dorfrand von Gesves machen wir an der Käserei von Samson halt, die von Patrice Sellier und seiner Frau betrieben wird. In einem großen Bottich wird unter Zusetzung von Fermenten die Milch fermentiert. Dann schöpft man mit einer Kelle die festen Bestandteile ab und füllt sie in zylindrische Gefäße, deren Außenwände kleine Perforationen aufweisen. Durch diese kann die noch vorhandene Flüssigkeit entweichen. Einen Tag und eine Nacht lang muss sich der Käse setzen, ehe man ihn weiterverarbeiten oder als Ziegenfrischkäse vermarkten kann.

Nicht nur Käse gibt es in der Käserei Samson, sondern auch leckere Wurst, nicht nur aus den wallonischen Ardennen

Hergestellt werden zwölf verschiedene Käsesorten wie Maigrelou , Gesvois und Brie belge, die einige Tage, andere einige Wochen in einer Reifekammer verbringen, ehe sie in den Kühlraum gestellt werden, um die Vollreifung zu erhalten.

In der Käserei Samson

Da eine solch geringe Menge an Käse nicht ausreicht, um die Nachfrage aus der Umgebung zu befriedigen - an Vermarktung jenseits eines Umkreises von dreißig Kilometern ist nicht gedacht -, hat man im angeschlossenen Laden auch Käse aus anderen Regionen wie Cheddar oder Käse von Shropshire ins Verkaufsangebot aufgenommen. Zudem verkauft man hier auch Honigbier der Brauerei Saint-Monon aus Ambly, ein süffiger Tropfen aus Flaschengärung. Dass dieses Bier aus ländlicher Gegend stammt, zeigt das Etikett: ein fröhlicher Mönch mit einem Humpen in der Hand vor zwei fetten rosa Schweinen und einem Kirchlein im Hintergrund.

Der schönste Kahlkopf von Crupet

Die ursprünglich romanische Kirche von Crupet

Crupet erstreckt sich nicht nur im Tal, sondern auch auf einer lang gezogenen Anhöhe. Im Tal residierten einst die Herren von Carondelet, die sich ein trutziges Wasserschloss mit Kerker errichten ließen. Auf der Anhöhe ragt das Kirchlein des Ortes in den Himmel. Ursprünglich als romanische Wehrkirche mit Schießschartenfenstern erbaut, wurde sie zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert barockisiert und verlor ihr wehrhaftes Erscheinungsbild. In unmittelbarer Nachbarschaft hatte ein frommer Kirchenmann im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Grotte als Pilgerstätte des heiligen Antonius erbauen lassen. Dreihundert Tonnen Gestein waren für den Bau notwendig, die mühselig aus der Umgebung herbeigeschafft werden mussten. Vor seiner Grotte kniet der fromme Mann bis heute, hat man doch die Grotte mit allerlei kitschig anmutenden Skulpturen versehen. So nimmt es nicht Wunder, neben dem heiligen Antonius als Ausgeburt der Versuchung auch Luzifer zu begegnen.

Die Hymne des schönsten Kahlkopfs von Crupet an der Auberge Dol Besace

Bis heute gibt es im Ort eine Kneipe, die ursprünglich dem kauzigen Volkssänger Joseph Collot gehörte. Hinterlassen hat er an der l’Auberge dol Besace einige Verszeilen, in denen er, der schönste Glatzkopf der Gegend, wie er schreibt, seine Nachbarn zum Besuch seines Estaminet auffordert. Ohne dass sie bei ihm mit dem einen oder anderen Schnaps ihre trockenen Kehlen befeuchteten, so die Verse, würde Collot ja sterben müssen. Und wer wollte denn auf den schönsten Kahlkopf von Crupet verzichten?

Volkskunst in der Grotte zu Ehren des heiligen Antonius

Bummelt man durch den Ort, so stößt man auf zahlreiche Mühlen im Tal, die einst als Korn- und Ölmühlen dienten. Doch keine ist mehr funktionsfähig. Längst sind sie umgewidmet worden und dienen als Wohnhäuser oder, im Falle der Moulin des Ramiers, als Hotel.

Kleine, graue Schnecken

Ein romanisches Kleinod: Die Kirche von Celles

In Celles, einer Niederlassung aus römischer Zeit, wird bis heute der Heilige Hadelin verehrt – seine sterblichen Überreste ruhten einst in der Krypta der romanischen Kirche. Einen Heiligen in seinem Ort zu beherbergen, war im Mittelalter die Garantie dafür, ein angesehener Wallfahrtsort zu sein. Als die Mönche der ewigen Drangsal durch die Herren von Celles jedoch überdrüssig waren, kehrten sie dem Ort den Rücken zu und siedelten nach Visé bei Lüttich über. Selbstverständlich nahmen sie auch die Reliquie mit. Doch an der Verehrung für den heiligen Hadelin hat sich in Celles nichts geändert. Sehenswert ist nicht nur das geschlossene, von grauem Kalkstein dominierte Ortsbild, sondern außerdem die Einsiedelei des heiligen Hadelin, ursprünglich eine Klause aus dem 14. Jahrhundert, die im Laufe der Zeit zu einem Kloster ausgebaut wurde.

Im alten Bahnhof von Warnant - auf dem Weg von Namur nach Maredsous gelegen - werden Verwandte der Weinbergschnecken gezüchtet. Dieser Zuchtbetrieb von »Kleinen Grauen« ist eine von sieben belgischen Schneckenfarmen. Fabienne Brandt, begrüßt die Besucher im kleinen Farmladen, der nicht nur eingelegte Schnecken verkauft, sondern auch das Bier der Brauerei Caracole: Nostradamus und Caracole.

In einem Nebenraum warten in Styroporkartons die Hauptakteure des Tages auf unseren Besuch: Schnecken, die aus der Winterstarre geholt, ihre ersten Erkundungen unternehmen und sich paaren. Diese schleimigen Waldbewohner halten bis Anfang April Winterstarre, doch auf der Schneckenfarm werden sie bereits Anfang Februar aus ihren Schneckenträumen geholt. Wie geschieht das? Da Schnecken eine bestimmte Wärme, Licht, Wasser und Futter benötigen, wird ihnen dies alles geboten. Zwölf Stunden am Tag werden sie dem Licht ausgesetzt. Dabei achtet man auf eine Raumtemperatur von 15 bis 18 Grad Celsius. Alle zwei Tage werden die Schneckcn ausgiebig mit einem harten Wasserstrahl besprüht, was auch der Beseitigung von Parasiten dient. Als Futter dient unter anderem Maismehl. Zudem brauchen die Schnecken Kalk, um bei Beschädigung ihres Schneckenhauses, eine neue Schale aufbauen zu können. Diese ist dann allerdings ohne Farbzeichnung, sondern schlicht grauweiß.

Paarung im Schneckentempo

Sobald Fabienne den Deckel der Styroporbehausungen öffnet, regt sich Leben, wenn auch im Schneckentempo. Einige der zwittrigen Gesellen paaren sich, andere erobern neues Terrain und kriechen alsbald über den Boden des Raums. Nach der Paarung erfolgt die Eiablage und nach vier bis sechs Monaten sind aus den Eiern ausgewachsene Schnecken herangereift. Wie man nicht anders erwarten kann, sind Schnecken bei der Paarung nicht sehr flott: Zehn Stunden dauert diese, die allerdings nur ein bis zweimal im Jahr stattfindet. Eine Schnecke legt etwa 120 Eier in 24 bis 28 Stunden in kleine Erdlöcher. Um in der Farm die Eier nutzen zu können, hat man spezielle Kartons mit derartigen Löchern präpariert. 15 Tage dauert es, bis die Nachkommen geschlüpft sind. Erhöht man die Raumtemperatur, dann geschieht dies schneller. 10.000 der dicksten Schnecken werden jedes Jahr für die Zucht aussortiert, die übrigen 380.000 werden verarbeitet und vermarktet

Vor der Verarbeitung versetzt man die Schnecken von Warnant durch Entzug von Nahrung, Licht und Wasser in eine künstliche Winterstarre und dann geht es an die Arbeit des Ausweidens – bei 400 000 Schnecken eine Sisyphusarbeit. Wer nun glaubt, dass alle Schnecken, die in Knoblauchbutter eingelegt und in belgischen Restaurants serviert werden, aus Belgien stammen, den belehrt Fabienne eines Besseren. Nur zwei Prozent des Marktes wird mit den Verwandten der Weinbergschnecke abgedeckt. Überwiegend werden aus Indonesien importierte Afrikanische Riesenschnecken verarbeitet.

Bier und Käse in der Abtei

Tyxpische Dorfarchitektur in der wallonischen Provinz Namur

Über eine schmale Straße entlang der Molignée setzen wir unsere Reise von Dorf zu Dorf fort. Unterwegs passieren wir die imposanten Burgruinen von Montaigle, ehe wir zur Rail-Bike-Station im Tal der Molignée gelangen. Wer sich ein wenig bewegen will, steigt auf eine der Raddraisinen, um zum Bahnhof von Maredsous zu radeln oder aber in die Nähe der Burgruine von Montaigle. Nach einer strammen Tour bergan zum Bahnhof Maredsous und zurück - insgesamt sechs Kilometer - kann man sich beim Besuch des neogotischen Klosters Maredsous bei einem Abteibier Maredsous mit Maredsouskäse stärken.

Auf dem Weg nach Maredsous: die Burgruine Montaigle

So gerüstet macht man sich auf nach Falaën, dessen imposanter Wehrbauernhof aus dem 12. Jahrhundert einen Besuch wert ist. In dieser Vierflügelanlage residiert die gastronomische Bruderschaft Li Crochon, die darüber wacht, dass die Tradition des Brauens von dunklem und hellem Li Crochon erhalten bleibt, und dass das Regionalgericht Le Crochon, ein mit Käse und Speckwürfeln gefülltes und mit Rahm überbackenes Brötchen nicht in Vergessenheit gerät. Die ortsansässige Brauerei aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat längst geschlossen und wartet auf ihre Renovierung. Andere Häuser im Dorf - typisch für Falaen sind die kubischen Hausformen - sind mit ihren Kalksteinfassaden bestens erhalten.

Eine trutzige, wehrhafte Vieflügeanlage: der Schlossgutshof von Falaen

Das ortsansässige Restaurant La Fermette verführt mit Gaumenkitzlern wie einem Töpfchen Spargelsuppe mit Lachs, Anchovis und einem kleinen Schälchen Spinat mit gestocktem Ei. Täubchen im Karamellmantel auf Hirse folgt als nächster Gang, ehe als Hauptgericht Lammrücken mit klein geschnittenem Gemüse serviert wird. Zum Abschluss lässt man sich einen verfeinerten »Armen Ritter« munden - in Milch und Ei getauchtes, gebratenes Honigbrot mit Vanilleeis.

Honiggebäck aus dem Maastal

Honigkuchen aus Dinant, Foto: Belgisches Verkehrsamt

Wer noch Zeit hat, sollte das an der Maas gelegene Städtchen Dinant besuchen, das von einer Zitadelle beschützt wird. In der Abtei von Leffe wurde einst Bier gebraut, woran ein schmiedeeisernes Emblem an der Abteitür erinnert. Der berühmteste Sohn der Stadt, der Erfinder des Saxofons Adolph Sax, wird in Dinant gleich mit zwei Denkmälern geehrt. Eines zeigt das berühmte Blasinstrument und das andere den auf einer Bank sitzenden Instrumentenbauer. Eine regionale Leckerei ist Couques de Dinat, ein harter, lange haltbarer Honigkuchen. Kaufen kann man dieses Gebäck in Form eines Fischs, einer Katze, einer Pferdekutsche, eines Flugzeugs oder der Stadtansicht von Dinant.

Blick auf die Kirche und Zitadelle von Dinant

Es geht die Mär, dieses Gebäck hätten die Einwohner der Stadt im 15. Jahrhundert aus der Not heraus entwickelt. Als die Truppen von Kaiser Karl V. die Stadt belagerten, hätte man nur noch Mehl und Honig gehabt, um daraus als Grundnahrungsmittel Couque zu backen. Eine schöne Geschichte, doch nur eine Geschichte, da derartiges Gebäck auch in Südamerika bekannt ist. Und ob nicht vielleicht die Römer dieses Gebäck in eine der drei Provinzen von Belgica gebracht haben, lässt sich mit Gewissheit auch nicht sagen.

 

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