Reiseführer Prag Tour 7: Durch die südliche Kleinseite



Über den Malteserplatz geht es zur romantischen Halbinsel Kampa. Die Nerudova mit ihren sehenswerten Bauten führt direkt zur Burg hinauf.

Die Kleinseitner Brückentürme bilden den Ausgangspunkt des Spaziergangs durch die südliche Kleinseite. Nach wenigen Metern auf der Mostecká biegt nach links die kleine Lázenská ab. Das Haus im Bad (U lázních; Nr. 6), dessen Name auf seine Funktion als Badehaus im Mittelalter hinweist, war im 19. Jh. ein vornehmes Hotel, in dem u.a. Zar Peter I. von Russland und der französische Dichter René Chateaubriand abstiegen. Ein Konkurrenzunternehmen lag gegenüber: das Haus zum Goldenen Einhorn (U zlatého jednorozce, Nr. 11) wählte Ludwig van Beethoven 1796 als Unterkunft, im Gesellschaftssaal soll er gar seine Fähigkeiten als Pianist unter Beweis gestellt haben. Ein Relief erinnert daran.

Wenige Meter entfernt steht die Kirche der Jungfrau Maria unter der Kette (Kostel panny Marie pod retezem). Von einem ursprünglichen romanischen Bau aus dem 11. Jh. blieb nur wenig erhalten, doch auch der gotische Umbau im 13. und 14. Jh. blieb unvollendet. Nur die Stirnseite mit zwei nicht vollendeten Türmen wurde errichtet sowie das später von Carlo Lurago barockisierte Presbyterium, das heute die eigentliche Kirche bildet. Woher der Name "unter der Kette" kommt ? Die Ansichten gehen auseinander: Von einer Muttergottes-Statue in der Kirche unter einer goldenen Kette? Von den Ketten, mit denen man im Mittelalter den Fluss sperrte, um von vorbeifahrenden Schiffen Zoll zu erheben?
Daneben erhebt sich der Malteser Großprioratspalast, einer der prächtigsten Barockbauten der Kleinseite.

Nach dem Edelrestaurant U Malíru ("Zu den Malern"), einem barockisiertem Renaissancebau aus dem 16. Jh., öffnet sich der Malteserplatz (Maltézské námestí). Die Fiturengruppe mit Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron der Johanniter, im Zentrum schuf F.M.Brokoff im Jahre 1715. Ursprünglich krönte sie eine Brunnenanlage. Den reichen Sagenschatz der Stadt bereichert das Haus Zu den Sieben Teufeln (Strakuv palác, Straka-Palast, Haus Nr. 14), heute eine Musikschule für Sehbehinderte. Ähnlich wie im Fausthaus soll hier ein Doktor gelebt haben, der, um seine alchimistischen Experimente erfolgreich durchführen zu können, mit dem Teufel paktiert haben soll. Das Turba-Palais (Nr. 6), heute die japanische Botschaft, mit seiner Rokokofassade aus dem Ende des 18. Jhs., sticht aus den übrigen Gebäuden des Platzes heraus.

Mehrere Künstlergenerationen gestalteten die Fassade des frühbarocken Palais Nostitz (um 1660). So stammen die Statuen an der Fassade von F.M.Brokoff aus dem Jahre 1720, das Hauptportal im Stil des Rokoko wurde von Anton Haffenecker 1765 hinzugefügt. Die ehemalige Nostitz-Bibliothek mit 15 000 zum Teil sehr wertvollen alten Bänden teilt sich das Gebäude mit der Niederländischen Botschaft.

Am Großprioratsplatz (Vilkoprevorské námestí), fast etwas verträumt und versteckt abseits der großen Touristenrouten, hat sich die französische Botschaft im Palais Buquoy (Anfang 18. Jh., Architekt F.M.Kanka) niedergelassen. Die gegenüberliegende Wand ist mit zahllosen Graffiti bedeckt, die sich um den schon etwas in die Jahre gekommenen John Lennon scharen: in den Zeiten des Sozialismus war er ein Symbol des jugendlichen Widerstands.

Von der anschließenden kleinen Brücke blickt man direkt auf die Großprioratsmühle, deren Mühlrad sich jedoch nur noch selten bewegt. Diese Brücke über den Teufelsbach (Certovka) - ein weitaus weniger wilder Nebenarm der Moldau als der Name suggeriert - bildet eine der Verbindungen mit der Halbinsel Kampa, deren Parkanlagen zu den erholsamen Fleckchen der Kleinseite zählen. Erst ab dem 15. Jh. wurde die Flussinsel bebaut, doch lediglich in ihrem nördlichen Teil. Mehrere Mühlen nutzten die Wasserkraft, von denen nur zwei bislang wieder indstand gesetzt wurden. Das Liechtenstein-Palais am Ufer der Moldau ist der einzige Palast, der direkt am Wasser errichtet wurde. Vermutlich hatten die Prager zu viele schlechte Erfahrungen mit dem Hochwasser der Moldau. Lange Zeit wohnten daher eher ärmere Leute auf der Kampa, Adel und reiches Bürgertum bevorzugten das "Festland".

Um den malerischen Platz Na Kampe gleich unterhalb der Karlsbrücke, durch eine Treppe mit ihr verbunden, gruppieren sich mehrere sehenswerte kleine Häuschen. So das barocke Haus Zum blauen Fuchs (U modré lisky; Haus Nr. 1) mit seinem eigentümlichen Hauszeichen aus dem 17. Jh. - ein Fuchs mit einer Feder im Maul - oder das Haus zum weißen Stiefel (U bílé boty; Haus Nr. 13) mit Rokokostuck.

Wenige Schritte vom Platz entfernt lassen sich vom Ufer der Moldau aus Karlsbrücke und Neustadt aus reizvoller Perspektive betrachten. In der Parkanlage im südlichen Teil der Insel finden sich bei gutem Wetter Liebespaare und alte Prager ein.

An der Südspitze der Kampa gelangt man über die Rícni zur Kirche St. Johannes an der Bleiche (Kostel sv. Jana na Prádle). Sie geht auf eine der ältesten Kirchen Prags zurück und fand als Pfarrkirche der Gemeinde Újezd bereits 1142 Erwähnung. In ihrem Inneren blieben noch Reste gotischer Wandmalereien erhalten. Die Kirche wurde 1784 aufgehoben und zeitweise als Wäscherei genutzt, was ihr den heutigen Namen einbrachte.

Die Rícní mündet in die Újezd, ursprünglich der Name einer der ältesten Ortschaften vor den Toren der Kleinseite. Nach wenigen Schritten nach rechts hat man die Standseilbahn erreicht, die auf den Petrín hinaufführt, der über zahlreiche Pfade natürlich auch zu Fuß erklommen werden kann.

An den ehemaligen Michna-Palast (Nr. 40), 1580 im Stil der Renaissance für die Familie Kinský erbaut und später von Michna von Vacínov, einem Kriegsgewinnler des Dreißigjährigen Krieges, umgestaltet, schließt sich eine große Gartenanlage an, die bis zur Kampa-Halbinsel reicht.

Die belebte Újezd geht in die Karmelitská über, in der sich wieder mehrere Palais aneinander reihen. Doch zunächst passiert man an der Ecke zur Hellichova das heutige Staatliche Zentralarchiv, im 14. Jh. noch ein weitläufiger Klosterkomplex mit Kirche, in der die beiden großen Baumeister Christoph Dientzenhofer und sein Sohn Kilian Ignaz beigesetzt wurden. Vorbei am Palais Rohan (Nr. 8,) 1838 im Empirestil errichtet, gelangt man zur Kirche der Jungfrau Maria Victoria (Kostel Panny Marie Vítezné). Die Aufmerksamkeit der zahlreichen Besucher des düsteren Innenraums gilt in erster Linie dem Prager Jesulein, einer 45 cm großen Wachsfigur aus dem 16. Jh. Eine spanische Prinzessin brachte sie als Brautausstattung mit, später gelangte sie in den Besitz des an die Kirche anschließenden Karmeliterklosters. Dem Jesuskind wurden bald allerlei Wundertaten nachgesagt. Mit der Verehrung der Wachspuppe wuchs auch die Spendenflut, Wallfahrer aus ganz Europa brachten kostbare Votivgaben; eines der wertvollen Kleider soll Kaiserin Maria Theresia eigenhändig (!) bestickt haben.

Das Palais Vrtba (Nr. 25), um 1630 aus mehreren Häusern entstanden, ist wegen seines Barockgartens von Interesse, den F. M. Kanka um 1730 als wahres Kleinod der Gartenbaukunst mit Treppen, Terrassen und verschlungenen Wegen angelegt hat. Die zahlreichen Skulpturen, darunter ein Atlas mit Weltkugel und zwei Frauengestalten, die den Eingang schmücken, stammen aus der Werkstatt Matthias Berhard Brauns. Die Sala terrena, den "Gartensaal", malte Wenzel Lorenz Rainer mit mythologischen Szenen aus.

Bevor man nun die Nerudova hinaufsteigt, bietet sich ein Abstecher in die Straßen Trziste, Vlasská und die abzweigenden Gässchen an. Verzierungen mit Muscheln und Blumenkörbchen an der Fassade des Hauses Der Große Wagen (Nr. 11) weisen das Gebäude als einen der wenigen Umbauten im Stil des Empire (1. Hälfte des 19. Jhs.) aus. Vorbei am Palast des Vratislav von Mitrovic (Nr. 13), Ende des 17. Jhs. oberster böhmischer Kanzler, gelangt man zum mächtigen Palais Schönborn, einem Frühbarockbau aus der Mitte des 17. Jhs. Um 1715 von G. Santin-Aichel umgebaut, beherbergt er heute die schwer bewachte US-Botschaft. Dieser Tatsache ist es auch geschuldet, dass der große Garten zum Petrin hin der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Franz Kafka bewohnte zeitweise zwei Zimmer in einem Seitenflügel des Palastes.

Der alte Eiermarkt, die Trziste, gabelt sich bei der Hausgruppe zum Jesuskind (Nr. 2). Die folgenden Häuser in der Vlasská bewahrten zum Teil noch ihre alten Hauszeichen - etwa Haus Nr. 7 mit einem weißen Löwen oder Nr. 9 mit drei Rosen.

In der Vlasská Nr. 19 residiert die Deutsche Botschaft im Palais Lobkovitz. Das im 1705 für die Familie Prehorovský erbaute Barock-Palais - die Pläne stammen von G.P. Alliprande - ging nach wenigen Jahrzehnten in die Hände der Familie Lobkowitz über, die es umbauen ließ. Bemerkenswert ist vor allem die bewegt gesaltete Fassade mit dem vorspringenden runden Mittelbau zur Gartenseite hin (über einen kleinen Weg westlich des Palais erreichbar). Ein Trabbi auf Beinen erinnert an die DDR-Bürger, die die Botschaft 1989 als Sprungbrett in den damals noch verschlossenen Westen nutzten.

Das Welsche Spital (Vlasský spitál) gegenüber mit der anschließenden Kirche St. Borromäus verweist auf eine nicht unbeträchtliche italienische ("welsche") Kolonie. Vor allem Künstler und Handwerker hatten sich im 16. Jh. in Prag niedergelassen. Heute hat sich hier das italienische Kulturinstitut etabliert. Wer will, kann von hier aus am Petrin-Krankenhaus vorbei auf einem reizvollen, aber steilen Weg den Petrín erklimmen oder in den Gässchen Sporkova, Janská und Janský vrsek der Atmosphäre des 19. Jhs. nachspüren.

Zurück zum Kleinseitner Ring: Mit der Nerudova, die steil hinauf bis zum Burgplatz führt, betritt man eine der stimmungsvollsten Kleinseitner Gassen. Einst Teil des feierlichen Krönungsweges, erhielt sie ihren heutigen Namen von dem tschechischen Schriftsteller Jan Neruda (1834-91), der hier lebte und mit seinen "Kleinseitner Geschichten" dem Alltag des 19. Jhs. ein liebenswertes Denkmal setzte. Wie kaum sonst in der Stadt reihen sich an barocken Hausfassaden malerisch die Hauszeichen aneinander, die im Mittelalter der Unterscheidung der Häuser dienten. Auch als schon längst Hausnummern eingeführt waren, bedienten sich die Eigentümer noch gern dieses Schmuckwerks, um ihre Stellung und Bedeutung zu demonstrieren. Wegen der zahlreichen Touristen, die hier täglich gen Burg ziehen, beherrschen heute Andenkenläden, Galerien, Cafés und Restaurants das Bild.

Das Haus zu den drei Geigen (Nr. 12) beherbergte über mehrere Generationen hinweg die Werkstatt einer Prager Geigenbauerfamilie. Das Emblem des Hauses Zum goldenen Kelch (Nr. 16) erinnert an die Werkstatt eines Goldschmieds. Zwei einander fast gegegüber liegende Paläste unterbrechen die Front der bürgerlichen Wohnbauten. Der Morzin-Palast (Nr. 5), heute Sitz der rumänischen Botschaft, wurde 1714 nach einem Entwurf von Johann Santin-Aichel (G.Santini), einem der großen Barock-Baumeister Prags, errichtet. Auffallend sind vor allem die den Balkon stützenden Mohren (eine Anspielung auf den Namen des Hausherrn: Morzin=Mohr) von F. M. Brokoff, der auch den übrigen Skulpturenschmuck - Darstellungen von Tag und Nacht sowie der damals bekannten vier Erdteile - schuf. Das Palais Thun-Hohenstein wurde, ebenfalls von Santin-Aichel, in den Jahren 1710-1720 für die Familie Kolovrat errichtet und ist heute Sitz der italienischen Botschaft. Zum Komplex des ehemaligen Theatinerklosters (Nr. 24) gehörte auch die um 1700 erbaute Kajetanerkirche St. Maria. Die kleine Treppe rechts von der Kirche führt übrigens über die Zámecké schody auf kürzestem Wege zur Burg.

Vorbei am Haus zum Wiegenesel (Nr. 25), Schauplatz von Nerudas Erzählung "Eine Woche in einem stillen Hause" und am Haus zum Goldenen Löwen (Nr. 32), einer alten Apotheke aus dem 18. Jh., erreicht man den Bretfeld-Palast (Nr. 33), eines der wenigen Rokoko-Gebäude (1756). Unter den Gästen der prunkvollen Bälle der Bretfelds waren Berühmtheiten wie Wolfgang Amadeus Mozart und Giacomo Casanova, die sich angeblich hier sogar getroffen haben.

Am Frühbarockbau Zu den zwei Sonnen aus dem Jahr 1673 erinnert ein riesiges Relief an seinen berühmtesten Bewohner: Jan Neruda wohnte hier von 1845-1859. Weitere Hauszeichen begleiten uns auf dem letzten Stück der Gasse: eine weiße Rübe, ein Lamm mit Kelch, ein weißer Schwan sowie ein kleiner Hirsch.

In einer steilen Ostkurve mündet die Nerudova in die Burgrampe (Ke Hradu), auf der man nach wenigen Metern die Burg erreicht, während die Rathausstiege (Radnické schody) zur Wallfahrtsstätte Loreto führt. Die Nepomuk-Statue aus dem Jahre 1709 am Fuß der Treppe wird im allgemeinen als Werk Johann Josef Brokoffs angesehen, des älteren Bruders des bekannteren Ferdinand Maximilian.


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