Europas Kultur-Party im Süden Irlands

Cork: Vom stillen Kloster zur Kulturhauptstadt 2005

Text und Fotos: Robert B. Fishman

Cork

Cork - Europas Kulturhauptstadt 2005: Unser Autor war dort und hat nachgeforscht, warum die Kommission gerade diese Stadt im irischen Süden ausgewählt hat. Er stieß dabei auf Rebellen und Mönche, auf Kirchen und Kneipen, auf Musiker und Maler, auf James Joyce und Rory Gallagher. Und auf jede Menge Menschen, die der Stadt ein jugendliches Flair verleihen

Cork - River Lee

River Lee

Der schwarze Fluss Lee hält Cork in seinen Armen, umspült sie von allen Seiten und badet sie in seinen Wellen. So schwer fällt ihm der Abschied, dass er sich auf seinem Weg zum nahen Meer windet, Seen bildet und so den zweitgrößten natürlichen Hafen der Welt angelegt hat.Darin ankerte einst die Titanic auf ihrem Weg ins Verderben. Fast alle Ozeanriesen machten hier Station und Tausende von Auswandererschiffen nahmen die Menschen auf, die vor Hunger und Not nach Amerika flohen. Die britische Flotte brach von hier aus auf, um die Spanische Armada zu besiegen und um Nordamerika zu erobern. Als die Siedler dort um ihre Unabhängigkeit kämpften, halfen die Corker, wo sie konnten. Den in Cork an Land gebrachten Kriegsgefangenen steckten sie Brot und Geld zu.

Cork - ehemaliger

Ehemaliger Abfertigungsterminal der White Star Line (Titanic), heute Titanic Bar-Restaurant, Biergarten am Meer

Stadt der Rebellen

„Wir sind die Rebellenstadt“, erklärt Stadtführerin Noreen. Stolz blitzt für einen Moment in ihren blauen Augen auf, bevor sie wieder in einen sachlichen Ton wechselt. Sie erzählt von den Kanälen unter dem Straßenpflaster, den Dichtern, den Künstlern, Seefahrern, Hugenotten, jüdischen Einwanderern und vom irischen Schicksalsjahr 1920.

Cork - Innenraum e. Synagoge im Jüdischen Viertel

Synagoge im Viertel Jewtown mit dem letzten Gemeindemitglied Fred Roshell, Jg. 1927

Damals erschossen britische Spezialtruppen den Bürgermeister und brannten die Innenstadt nieder, weil sich die Corker nicht mehr unter das Joch der Kolonialherren fügen wollten. Später mussten die Steuerzahler seiner Majestät den Wiederaufbau finanzieren. Ein englisches Gericht hatte bestätigt was alle in Cork längst wussten: Der Stadt war großes Unrecht geschehen. Selbst das Rathaus, das sich seit 1936 wieder wie eine Miniaturausgabe des Washingtoner Capitols im schwarzbraunen Wasser des Lee spiegelt, mussten die Briten wieder aufbauen. Spätestens seit dem erfolgreichen irischen Unabhängigkeitskrieg trägt Cork stolz den Namen „Rebel Town“.

In Irland, heißt es, ist jedes vierte Haus eine Kirche und jedes dritte eine Kneipe. In Cork sind es ein paar Kirchen weniger und einige Kneipen mehr. Voll sind die Pubs fast alle und fast immer. Im „Thirsty Scholar“, dem „durstigen Schüler“ nicht weit von der 150 Jahre alten, im Tudor-Stil erbauten Universität, lauschen junge Leute aus aller Welt den beiden Fiedeln und der Gitarre. Die Instrumente scheinen mal zu streiten, sich mal zu umgarnen.

Eigenwillig, fröhlich, gesprächig

Die Musiker sind kaum älter als ihre Zuhörer. Zwei Männer und eine Frau, alle Anfang zwanzig. „Diese Musik musst Du spüren. Da gibt es keine Noten, nichts ist in Stein graviert“, erklärt John, der junge Fiedelspieler. Er war auf einer irischen Schule. Dort wird in der alten Nationalsprache Gälisch unterrichtet und die irische Musik ist Teil des Lehrplans. An den hier Sesiún genannten, spontanen Auftritten in den Corker Kneipen liebt er die Freiheit beim Spielen. „Jeder hat seinen eigenen Stil und das ist gut und richtig“.

Cork - St. Finbarres Kathedrale

St. Finbarres Kathedrale

Auf der anderen Seite des Lee, im Schatten der alles überragenden neugotischen Kathedrale des Heiligen Fin Barre, suchen junge Leute ihren eigenen Stil in der bildenden Kunst. Am Crawford College of Art and Design, der Kunsthochschule, studieren sie Bildhauerei, Malerei und Zeichnen. „Wir wachsen hier gemeinsam. In aller Ruhe können wir uns frei ausprobieren und entwickeln“, schwärmt Anne. Mit 31 ist die kurzhaarige, kräftige Frau eine der ältesten unter den Absolventinnen, die auf dem großen Abschlussfest ihre Arbeiten zeigen.

Cork - Kunstakademie

Kunstakademie Cork: "You Shine" Abschlussarbeit von Annette Dinan

In ganz Irland sind die Corker mit ihrem singenden Dialekt als fröhlich und gesprächig bekannt – und als eigenwillig. 1985 wählten sie aus Wut auf die Regierenden einen rebellischen Analphabeten in den Stadtrat. Sie sammelten Geld, damit sich ihr neuer Ratsherr ein Gebiss machen lassen konnte und finanzierten ihm seine erste Reise jenseits der Stadtgrenze: zur exilirischen Gemeinde in den USA.

Vier Uhren, vier verschiedene Zeiten

Das alte Cork der „kleinen Leute“ findet man noch in der Nordstadt Shandon jenseits des Lee. Lange ist es her, dass hier die Bauern aus ganz Irland ihre Produkte zum größten Buttermarkt Europas brachten. Ein Museum erinnert an die Zeit, als die streng kontrollierten Shandoner Butterfässer in alle Winkel des britischen Weltreichs geliefert wurden. In die Markthallen sind inzwischen ein Kunsthandwerker und das Institut für Tanz und Choreografie eingezogen.

Geblieben sind die kleinen, verwitterten Puppenstubenhäuschen, die sich unter den „Lügner mit den vier Gesichtern“ ducken. So nennen die Corker den Kirchturm, dessen vier Uhren alle eine unterschiedliche Zeit anzeigen. Auf seinem Dach glänzt statt eines Wetterhahns ein goldener Lachs, der an die Zeiten der Lachsfischerei im Lee erinnert.

Cork - Kirche in Shandon

„Lügner mit den vier Gesichtern“

Auf dem Abschlussfest der Kunsthochschule verkauft Helen aus Schweden zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Cristina selbstgemachte Porzellannasen, das Stück für 9 Euro 99. Erst interessiert sich kaum jemand für die filigranen Kunstwerke mit dem Gummiband. Doch später im Spailpin Fainac tragen viele ein Porzellannäschen im Gesicht. Nach einer Stunde sind die handbemalten Stücke ausverkauft.

Cork - Kunststudenten mit Porzellannasen

Porzellannasen auch auf der Abschlussfeier am Crawford Art College

In dem Pub mit dem unaussprechlichen gälischen Namen gegenüber der letzten einheimischen Schwarzbierbrauerei feiern die Studenten zusammen mit jungen Leuten aus ganz Europa, Japan und Nordamerika ihren Abschluss.

 

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