Das Geheimnis vergessener Zeitalter

Auch Herr Luong in Ban Men, einem Dorf der Schwarzen Tay, und sein zufälliger Besucher Herr Than, Hauptmann a.D. der Volksarmee, freuen sich über die Besucher, die die Schwiegertochter auf der Dorfstraße getroffen und in das Stelzenhaus hereingebeten hat. Gern zeigt er die Urkunde, die seine Familie als "vorbildlich" ausweist und die Bücher in der Schrift seines Volkes, gern gießt er schon mal einen Maniokschnaps ein, und gern fahren sie mit den Weißen zur "Festung", die daran erinnert, wie im 18. Jahrhundert Schwarze Tay und Vietnamesen gemeinsam gegen die Chinesen kämpften. Eine kräftige Nudelsuppe, hausgebrautes Bier dazu, ein paar Postkarten aus Deutschland - am Ende scheinen die beiden Herren lediglich ein wenig enttäuscht, dass ihre Gäste so gar nicht zu bewegen sind, sie zu den "Heißen Quellen" zu begleiten - obwohl dort doch bloße Damen freudig mitplanschen.

Vietnam Heldenfriedhof

Der Heldenfriedhof in Dien Bien Phu

Endlich erreichen wir Dien Bien Phu. Hier wurden am 7. Mai 1954 die französischen Kolonialherrn geschlagen und für immer vertrieben. Gelber Sonnenhut und blassblaue Aggaratum blühen auf dem hart umkämpften "Hügel A1", vom Heldenfriedhof dröhnen Nachrichten und Volksmusik hoch zu den Laufgräben und Tunnels. Rund um das nagelneue, pünktlich zum 50. Jahrestag eingeweihte Kriegerdenkmal aber - drei Bronzesoldaten mit MP, Fahne und Kind - , rascheln leere Zigarettenschachteln und Nudelsuppenschalen, Granitplatten sind zerbrochen, das Geländer abgekippt - "zu schnell gebaut", sagt Bo lakonisch, und auch ein bisschen beschämt, "weil man eben fertig werden musste."

Vietnam Schildermaler

Schildermaler in Dien Bien Phu

Seit dem Ende der Feierlichkeiten im Mai ist Dien Bien Phu wieder eine geruhsame Stadt, mit weit mehr Fahrrädern als Mopeds, nur vereinzelten Autos - aber nagelneuen Ampeln mit Sekundenanzeige bis zum Umschalten. Zwischen glasblitzenden Geschäften für Klimaanlagen und Badezimmerkacheln hauen und glätten Tischler knorrige Wurzelstöcke zu vielbeinigen Tischen, Schildermaler pinseln an einer der riesigen Tafeln zum nächsten Jubiläum, Tamarisken spenden Schatten und auf dem Markt riecht es nach ranzigem Fett und gärenden Durian-Früchten. Immer wieder aber einmal, zwischen plärrenden CD-Spielern, Lederjacken mit rotem Stern und nachgemachten Ray-Ban-Brillen leuchtet es auf: ein lila Halstuch, eine türkisgrüne Bluse, ein bunte Perlenapplikation. Die Menschen der Minderheiten stechen hervor, und immer scheint es, als schwebe über ihnen, wie Joseph Conrad einmal schrieb, "das Geheimnis vergessener Zeitalter."

Weiter nach Saigon

Sie könnten im "Indochine" beginnen. Mit etwas Glück werden Sie von Heimatklängen begrüßt: "Seemann, lass das Träumen". Wenn Sie dann Pech haben, platziert man Sie neben der Küche, in der alle paar Minuten der Dunstabzug losheult wie ein Turbojet. Keine Chance für die drei jungen Damen, die die Frühlingsrollen mit musikalischer Folklore untermalen. Heute abend sind Sie eingeladen, ein achtgängiges Menü erwartet Sie, mit hübschen Kleinigkeiten wie "Krabbenfleisch um Zuckerrohr gewickelt", "Krabbenscheren mit Tamarindensoße" und "Gegrilltes Hähnchen mit rotem Tofu". Speisen Sie auf eigene Rechung, legen Sie für "Rindfleisch mit Honig" umgerechnet 2,50 Euro hin, die mit Schweinehack gefüllten Tintenfische schlagen mit 3,50 Euro zu Buche - das "Indochine" ist ein Mittelklasse-Restaurant: Für rund zehn Euro haben Sie am Ende gut, wenn auch nicht außerordentlich originell gegessen. Einheimischen Schnaps suchen Sie vergebens. Stattdessen Whisky, Cognac, Calvados.

Vietnam Imbiss

Imbiss in Saigon

Doch nun zieht es Sie hinaus ins nächtliche Saigon, hinein in den nie abreißenden Strom der "Honda Dream II", "Yamaha amore massimo classico" und "Suzuki Viva". Hunderte, Tausende von Mopeds und Rollern gleiten an Ihrem Taxi vorbei. Coole Jungs und giggelnde Mädchen, die Vorzimmerdiva in schwarzem Nadelstreif und der zahnlose alte Mann mit Bananenstaude auf dem Sozius, Maschine um Maschine rollt vorbei, fädelt aus, fädelt ein, das scheinbare Chaos funktioniert wie nach einem geheimen Schaltplan, gesteuert von unsichtbaren elektronischen Impulsen - kurz nur verhält der Corso auf Rädern an der Ampel, um mit neuer Kraft loszuschießen wie ein Fluss durchs gerade geöffnete Wehr.

Vietnma Nachtleben

Nachtleben in Saigon

Das "112 Coffee" auf der Nguyen Hue, direkt neben dem nächtlich angestrahlten Rathaus, ist derzeit eine der Top-Adressen für vietnamesische Live-Musik. Eintritt frei, ein Kellner weist Ihnen einen Platz oben auf der Galerie zu, mit gutem Blick auf die kleine Bühne. Dort arbeitet sich vor einem Hintergrund aus Bambusgestrüpp, über das Lichtersterne huschen, eine sechsköpfige Band mit Gitarren, Synthesizer und Bongos ab. Und die engelsgleiche Teufelsgeigerin lässt die Saiten glühen.

Vietnamesische Melodien

Große Gefühle branden auf, Sänger und Sängerinnen wechseln, ebenso wie Paso Dobles, Rumbas und hingebungsvolle Balladen. Es muss einfach um Liebe gehen, um fehlinvestierte Leidenschaft und brennende Herzen, und selbst die zwei in Unehren ergrauten Hells-Angels, die einzigen Ausländer neben Ihnen, schniefen schon beinahe in ihre Gläser. Das vietnamesische Publikum dagegen, in der Mehrzahl Paare zwischen zwanzig und dreißig, nimmt die Gefühlswallungen gelassen, der Beifall ist kurz. Tatsächlich klingt es gar nicht so unterschiedlich, ob Sun Thi Ya und Mo Danh oder Andrea Berg und Hansi Hinterseer Liebesdinge verhandeln - erstaunlich westlich hört sich das vietnamesische Schlagergut an, unerwartet melodiös und überraschend glatt.

Vietnam Saigon Straßenverkäuferin

Straßenverkäuferin in Saigon

Schräg gegenüber liegt das "Rex", in den Sechzigern Hauptquartier der Amerikaner, auf dessen weiter Dachterrasse die Kriegsreporter sich klug machten und dumm soffen. Schwere Eisenstühle auf Waschbetonplatten zieren den "Top Garden", eine Wand voller Orchideen und ein weißer Kunststoff-Elefant, der einen Stuhl besteigt. Rot leuchtet "Sheraton" vom Dach gegenüber, weiß blinkt "Welcome" und blau "Saigon". Gern kommen "Los Llamados", drei pomadige Herrn von den Philippinen in schwarz-weiß gepunkteten Hemden, an den Tisch, obwohl sie gerade ihr Programm beendet haben, und versichern mehrstimmig: "Yes, you were wonderful tonight". Worauf die Mutter aus Illinois am Nebentisch rasch noch "Love will keep us alive" bestellt - eine Hommage an ihren erwachsenen Sohn gegenüber.

Vietnam am Fluss

Am Saigon River

Es ist 23 Uhr, die Straßen haben sich geleert, "Honda Wave", "Yamaha Jupiter" und "Suzuki Smash" sind in Kellern, Vorgärten und Fluren angepflockt. Wer jetzt noch auf zwei Rädern unterwegs ist, hofft auf gehmüde Touristen, die sich ein wenig ausnehmen lassen. Nachtleben findet nur noch in vier Wänden statt.

Streichelzarte Luft

Die vielgerühmte, ach was: legendäre Disco "Apocalypse now", haben Ihnen Ihre Gewährsleute versichert, rutsche munter den absteigenden Ast hinunter: Nur noch Touristen! Sie versuchen es stattdessen mit "Dong Kanoi". 80.000 kostet der Eintritt, ein Getränk ist im Preis enthalten. Brechend voll scheint die Halle im Lichtgewitter, wer unbedingt tanzen will, schlenkert eine Hand über dem Kopf. Aus den Boxen dröhnt "Sounds of San Francisco" von den Global DJs. Wieder landen Sie auf der Balustrade, auf den Barhockern vor ihnen teilen sich junge vietnamesische Männer mit ausrasierten Nacken wortlos eine Flasche Cognac und übersehen aufs geflissentlichste den jungen Angestellten im blauen T-Shirt, der immer wieder mit frischem Eis herbeiwieselt: Wird wohl doch nichts mit der Aufnahme in die Gang!

Vietnam Tempel

Ein Tempel in Saigon

Sie verlieren sich sachte wippend im Rhythmus, betrachten die wogende Tanzfläche, auf der nicht getanzt wird, gönnen sich ein weiteres "Tiger" für 55.000 Dong, entdecken versprengt in der Menge gerade mal zwei jüngere Ausländer und kommen beim Anblick einiger besonders leerer Gesichter auf den Gedanken, dass Schönheit allein auch in Saigon kein abendfüllendes Programm darstellt.

Vietnam Saigon Rathaus

Das Rathaus von Saigon

Ihre Freunde wollen weiter. Im Betonschlauch des "Lost in Saigon" werden sie später vorwiegend auf Touristen stoßen, und sich anschließend im "Sahara" entschieden allzu anhänglicher junger Damen erwehren müssen. Sie selbst sind müde und schieben sich zwischen den drängenden Körpern hinaus in die nun ausgestorbene Stadt. Streichelzart ist die Luft um zwei Uhr nachts in dieser Dezembernacht. Ein letzter Spaziergang, hoch zu Notre Dame, hinein in die Avenue Le Duan, wo Ihr Hotel liegt. Misstrauische Blicke von Wachleuten, dann ein überraschter Gruß. Gute Nacht, Ausländer. Guten Morgen, Saigon.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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