Uruguay im Überblick
Viele meinen, die schönste Art sich Uruguay zu nähern, sei die Fahrt auf einer der schnellen Fähren, die aus dem brodelnden Buenos Aires auf dem Rio de la Plata ins eher beschauliche Montevideo hinüberpreschen. Wir nehmen statt dessen den geruhsameren Landweg aus dem fruchtbaren nordostargentinischen Tiefland und überqueren den Grenzfluß Río Uruguay auf dem Puente Internacional „José Gervasio Artigas“ – so benannt nach einem uruguayischen Nationalhelden, dessen heroische Reiterstandbilder unzählige Plätze beherrschen.
Der den Gauchos nachgesagte unbändige Freiheitswille und Mut machte den „Gaucho-Caudillo“ Artigas in den Jahren nach 1810 zum erfolgreichen Anführer im uruguayischen Freiheitskampf gegen die spanische Kolonialherrschaft.
Strandidylle
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Paysandú oder wie man die Grenzstadt auch gerne tituliert: „Heróica Paysandú“ spielte dabei eine entscheidende Rolle. Sie und das weiter nördlich an dem Fluß, der dem Land den Namen gab, gelegene Saltobeherbergen in ihrem Hinterland ein halbes Dutzend berühmter „Termas“, heiße Quellen, Gesundbrunnen für eine Vielzahl kleinerer und größerer Gebrechen, bestens ausgestattet und unter einheimischen Urlaubern sehr beliebt.
Die weiten Ebenen und sanften Hügelketten östlich der Städte am Río Uruguay sind Gaucholand! Hier grasen Millionen Rinder, Schafe und Pferde unter der Obhut verwegen aussehender Reitergestalten, die zum traditionellen Lebensgefühl der Uruguayos gehören wie die Cowboys zum amerikanischen Westernfeeling. Und das seit 1603, als erstmals eine Schiffsladung mit Zuchtrindern und Pferden angelandet wurde. An die 15 Mio. ha macht das Weideland aus und mittendrin in den dünn besiedelten Graslandschaften liegen die Estancias (Landgüter), die oft noch aus der Kolonialzeit stammen. Sie sind massiv aus Stein gebaut, weisen kleine Kapellen und Brunnen auf und immer häufiger auch komfortable Innenausstattungen, denn viele Estancias haben den Tourismus für sich entdeckt. Hier wird man mit bodenständiger Kost verwöhnt und wer das Abenteuer sucht, darf die Gauchos bei ihrer Arbeit begleiten, natürlich auf dem Rücken eines der prächtigen Criollo-Pferde, ausdauernden, robusten und umgänglichen Arbeitstieren, die einem Amateur-Gaucho jede Ungeschicklichkeit geduldig nachsehen.
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Der Río Negro durchfließt im Schneckentempo diese Weidelandschaft, durch Dämme gebändigt und zu den drei großen Seen Rincón del Bonete, Baygorria und Palmar aufgestaut. Sie liefern Energie und haben sich als Wassersportparadies und Eldorado für Angler einen Namen gemacht. Doch zurück zum Río Uruguay und seinen kleinen Städten, wo die Unabhängigkeitsbewegung ihren Anfang nahm. Fray Bentos, Carmelo und La Agraciada gehören dazu. Sie liegen an der „Ruta 21“, die am gigantischen Mündungstrichter des Rio de la Plata in der alten Siedlung Colonia del Sacramento endet. 1680 von Portugiesen als Gegengewicht zum spanischen Buenos Aires am gegenüberliegenden Ufer gegründet, war sie hart umkämpft zwischen den beiden Kolonialmächten, strategisches Faustpfand, bedeutender Handelsplatz und Schmugglernest zugleich. Als Kleinod portugiesischer und spanischer Kolonialarchitektur wurde die älteste von Europäern in Uruguay gegründete Stadt 1995 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen
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Die „Ruta 1“ berührt auf ihrem Kurs von Colonia del Sacramento nach Montevideo das Städtchen Nueva Helvecia, einst von Schweizern gegründet, sowie Colonia Valdense, wo sich Waldenser aus dem italienischen Piemont ein neues Zuhause schufen. Kaum in Montevideos schachbrettartiges Straßensystem eingetaucht, scheint es dem Besucher, als ob alle Straßen zum Strand führten – und so ganz abwegig ist das nicht, wird doch nahezu die gesamte Wasserseite der Stadt von viel besuchten Sandstränden gesäumt: von der Playa Ramirez im Westen bis zur Playa Carrasco im Osten. Mag das Wasser auch schmutzig erscheinen, keine Sorge, es sind nur aufgewühlte Sedimente. Man kann sicher baden, die Strände sind sauber – Montevideo ist (auch) ein Seebad.
Und was noch? Verwaltungszentrum natürlich und kultureller Mittelpunkt des Landes und Fokus aller bedeutenden Wirtschaftsaktivitäten. Dabei fehlt der eineinhalb Millionen-Metropole die berüchtigte Hektik lateinamerikanischer Megacities fast völlig. Sie verblüfft vielmehr mit einer Zurückhaltung, einem altmodischem Charme, fast schon kleinstädtisch anmutender Ausstrahlung in ihren etwas heruntergekommenen Vierteln voller Gründerzeit- und Art Deco-Fassaden, ramponierter Kolonialbauten und schriller Fehlversuche, die Moderne im Stadtbild zu etablieren. Der Altstadt (ciudad vieja) würde ein generöser Investor mit einem Faible für Kolonialarchitektur guttun so wie man den Mercado del Puerto vor dem Verfall retten konnte, der einmal ein Bahnhof werden sollte, dann Markthalle war und heute das florierende gastronomische Herz der Stadt ist, wo man sich nicht nur an den legendären Riesensteaks delektieren kann, sondern auch Gebrutzeltes von Nandu, Nutria und Wasserschwein kosten sollte, begleitet von einem der uruguayischen Spitzenweine. Und spätestens hier sollte man nun endlich den Mate-Tee probieren, Nationalgetränk nicht nur in Uruguay, auch in Paraguay, Argentinien und im südlichen Brasilien. Zur Mate-Prozedur gehört der Tee (yerba) aus den getrockneten und zerriebenen Blättern des Ilex paraguariensis, das Gefäß (mate) für den Aufguß, ein dünnes Metallrohr (bombilla) mit einem Sieb am Ende, das wie ein Strohhalm genutzt wird und eine doppelwandige Thermoskanne mit heißem Wasser.
Und es ist nichts Ungewöhnliches, wenn plötzlich Tango-Melodien ans Ohr dringen, jedem Uruguayo eine musikalische Herzensangelegenheit und nicht etwa nur den Argentiniern. Ihr Streit über den Ursprung des Tangos schwappt zwischen Montevideo und Buenos Aires hin und her und sorgt auch schon mal für diplomatische Demarchen. Zumindest scheint sicher: das erste als „Tango“ zu bezeichnende Musikstück wurde 1886 in Montevideo komponiert und der berühmteste aller Tangos „La Cumparsita“ soll 1917, so will es die Überlieferung, von Gerardo Matos Rodríguez in Ermangelung von Papier auf eine Serviette im Restaurant La Giralda an der Plaza de la Indepencencia gekritzelt und wenig später in einer Baracke uraufgeführt worden sein. Die Geburtsstätte der Tango-Hymne „Cumparsita“ mußte 1928 dem Palacio Salvo weichen, jenem kolossalen 26-stöckigen Hochhausturm voller Erker, Türmchen, Bögen, für nicht wenige Kritiker Inbegriff des Häßlichen in der Architektur, für die Einheimischen freilich heißgeliebtes Wahrzeichen der Stadt – mangels besserer Alternativen, wie Spötter meinen.
Wer es sich leisten kann, läßt die Stadtstrände hinter sich und steuert auf der „Ruta Interbalnearia“, der Bäderstraße, einen der zahllosen Badeorte östlich von Montevideo an. Schon nach wenigen Kilometern ist die Costa de Oro erreicht, dann Atlántida und Piriápolis, beschattet von Eukalyptus-Bäumen, Pinien und Mimosen, alle ein wenig „old-fashioned“ mit ihren Strandpromenaden und Wandelhallen. Dann Punta Ballena, wo sich der uruguayische Künstler Carlos Páez Vilaro mit einem Traumhaus in maurischem Stil auf einem Kliff hoch über der See verewigte und schließlich Punta del Este, Südamerikas bekanntestes Seebad, Treffpunkt der mondänen Welt des Subkontinents besonders in den Hochsommermonaten Dezember bis Februar. Dann jagt hier ein Event das nächste und die Einwohnerzahl steigt von 30.000 auf 200.000. Aber auch das ist „Punta“: gar nicht weit von dem Strand, an dem sich Lateinamerikas Jetset vergnügt, beherbergt die Felseninsel Isla de Lobos eine der größten Robbenpopulationen der südlichen Hemisphäre. Wohl an die 200.000 Tiere teilen sich das 43 ha-Terrain und bringen hier jährlich über 35.000 Junge zur Welt. Weitere Kolonien leben auf den Inseln vor Cabo Polonio weiter nördlich.
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Jenseits von „Punta“ türmen sich Dünen auf, wachsen Pinienhaine, sind die Sandstrände endlos und die Badeorte bescheidener: Punta del Diablo etwa oder La Paloma und La Pedrera. An einigen exponierten Küstenabschnitten stehen hohe Plattformen für die Beobachtung der artenreichen Meeres- und Küstenvogelwelt. Uruguays ornithologischer Reichtum erklärt sich aus seiner geographischen Lage – immerhin nennt man den Subkontinent auch „Kontinent der Vögel“. Und noch ein anderes Schauspiel wiederholt sich jedes Jahr zwischen Juli und November an dieser Küste: die Heimkehr der Wale. Die hölzernen Türme sind dann ganz besonders begehrte Aussichtsplattformen, wenn sich in den ruhigen Gewässern die Wale zur Paarung einfinden, ihre Jungen zur Welt bringen und aufziehen.
An der Küstenstraße lohnen zwei Festungen den Besuch, beide aus dem 18. Jahrhundert stammend, als die Kolonialmacht Portugal hier im Südosten Uruguays noch das Sagen hatte. Santa Teresa, die eine, liegt in einem Nationalpark, der auf 3.000 ha über 2 Mio. einheimische und exotische Bäume beherbergt und das Gelände um San Miguel, der anderen, hat sich zu einem tierreichen Reservat entwickelt.
Beide Parks und weitere Schutzzonen in dieser als „östliche Feuchtgebiete“ bezeichneten Region sind zum großen UNESCO-Biosphärenreservat Bañados del Este zusammengefaßt worden, einem Komplex bemerkenswerter Ökosysteme von enormer biologischer Vielfalt – ein Mosaik aus Wattzonen, Mündungsgebieten, Sumpfland, Lagunen, Süßwasser- und Salzwasserseen, Dünen und Grasland. Flamingo und Schwarzhalsschwan, Ibiss und Weißbrauenweihe sind hier zuhause, Wasserschweine und Ameisenbären, Ottern und Nutrias. Die vom Aussterben bedrohte Gelee-Palme (Butia capitata) hat hier ihr letztes Rückzugsgebiet, „Palmares de Castillos“, auf einer Fläche von mehr als 70.000 ha und das Symbol des Landes und seiner Gauchos, der Ombú-Baum, dessen weitausladende Schirmkrone schon aus großer Entfernung zu erkennen ist und Schatten verspricht, weshalb man ihn auch bella sombra = schöner Schatten nennt, dieser überzeugte Solitärbaum, kommt hier – einzigartig auf der Welt – als Wald aus vielen hundert Bäumen (BosquedeOmbúes) vor.
Eckart Fiene