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Sturm überm Schwarzen Meer

Eine Flusskreuzfahrt von Odessa nach Kiew

Text und Fotos: Dagmar Krappe

Um die Ukraine zwischen Odessa und Kiew kennen zu lernen, ist ein Flusskreuzfahrtschiff das geeignete Fortbewegungsmittel, auch wenn es mal stürmisch werden kann.

Ukraine - Kreuzfahrt Odessa - Kiwe - MS „General Watutin“
MS „General Watutin“

Windstärke 6 auf dem Schwarzen Meer. Das bedeutet zweieinhalb Meter hohe Wellen, ein schwankendes Schiff, Seekrankheit. Letzteres zumindest bei einem guten Drittel der 280 Passagiere an Bord von MS „General Watutin“. An Schlaf ist nicht zu denken. Am Bug des 1986 auf der Elbe-Werft im mecklenburgischen Boizenburg gebauten Schiffes schaukelt es am heftigsten. Hoch oben schwanken die Sterne. Unten knarrt und rüttelt das Schiff. „Ihr müsst einen festen Punkt anvisieren“, rät Uwe aus München: „Das hilft!“ Erst mal einen finden, wenn alle Sterne tanzen und ansonsten stockdunkle Nacht herrscht.

Ukraine - Odessa - Oper
Oper in Odessa

Wieso kommt der erste Herbststurm in diesem Jahr schon mitten im Sommer? Dabei hatte die zehntägige Kreuzfahrt durch die Ukraine vor zwei Tagen bei wolkenfreiem, blauen Himmel begonnen. Im Hafen von Odessa (1). In der Nähe der legendären „Potemkin-Treppe“. Aber so spektakulär wie erwartet, ist die graue Steintreppe nicht. Oberleitungen der Eisenbahn, eine Art Stadtautobahn, ein Gewirr von Zu- und Abfahrten verschandeln das Panorama vom Hafen aus. Vor 216 Jahren gab Zarin Katharina II. den Erlass zum Bau der Metropole. Glücklicherweise wurde unter der Stalin-Ära nicht alles Edle und Plüschige platt gemacht und in Plattenbauten umgewandelt. Zwischen Primorskij-Boulevard, Oper und Deribasivska-Straße reihen sich frisch herausgeputzter Restaurants, Kneipen und Hotels aneinander.

Ukraine - Haus in Odessa
Haus in Odessa

Die Sonne brennt. Es ist fast windstill, weshalb Karl aus Trier überhaupt nicht verstehen kann, warum das Schiff einen Tag länger als geplant im Hafen bleiben muss. 24 Stunden später wünschen sein Magen und er, sie hätten Odessa niemals verlassen. Am Bug des Schiffes spritzt die weiße Gischt des Schwarzen Meeres unaufhörlich über die Reling.

Das Schiff ist nicht das modernste. Die Kabinen sind einfach und im 70er-Jahre-Stil eingerichtet: zwei Klappbetten, ein Schrank und eine kleine Toiletten-Duschkabine. Ein hochmoderner oder verschnörkelt verchromter Luxusdampfer würde auch nicht passen in einem Land, das noch lange nicht da ist, wo es einmal hin möchte. Das trotz zahlreicher sichtbarer Renovierungen und westlicher Ladenketten häufig noch ungeschminkt und grau wirkt. Hier stimmen Schiffsambiente und Umgebung. „Wir wollen nicht nur interessante Orte in der Ukraine zeigen, sondern auch eine familiäre Atmosphäre vermitteln“, erzählt Kreuzfahrtleiterin Julia Dadvani.

Krim - Lenin-Denkmal in Jalta
Lenin-Denkmal in Jalta

Das Gute an Seekrankheit im Vergleich zu einem Magen-Darm-Virus ist, man hat nicht tagelang damit zu tun. Sobald man festen Boden unter den Füßen hat, ist alles vergessen. Am Grafenkai von Sewastopol warten schon die Busse zur Entdeckungstour über die Krim. „Bis 1992 war Sewastopol „eine verbotene Stadt“. Nur für Angehörige der russischen Schwarzmeerflotte zugänglich“, erklärt Stadtführerin Ljuba: „2.000 Denkmäler gibt es aus der Sowjetzeit.“ Es bleibt nur Zeit für fünf. Dann geht es weiter durch den Süden der Insel. Kiefern, Eichen, Buchen, Wachholder und kahle Felsen säumen die gut ausgebaute Straße. Tief unten gurgelt das Meer. Teure Villen und Sanatorien schimmern durch die Bäume. Der Bus stoppt neben einer Reihe von Souvenirläden. Die Flasche Krimsekt gibt’s für sechs Euro. Laut Ljuba soll er wirklich von der Insel sein.

Krim - Liwadija-Palast
Liwadija-Palast

Kurz darauf steht die Gruppe an historischen Stelle im Liwadija-Palast bei Jalta (2). Vor dem runden Tisch, an dem Churchill, Roosevelt und Stalin im Februar 1945 über das Schicksal Deutschlands und Europas entschieden. Das Kurbad Jalta: Auf dunklen Kieseln räkeln sich dicht gedrängt schweißtriefende Körper in der Sonne. Die Promenade ist vollbespickt mit Kunst und Kitsch. Portraitmaler, Wahrsagerinnen und Fotografen warten vor ihren Ständen auf Kundschaft. Für das entsprechende Geld kann man sich als Katharina II. oder Peter der Große vor Pappmaché-Kulisse ablichten lassen. Einen original-amerikanischen Burger gibt es an der nächsten Ecke gegenüber dem Lenin-Denkmal, falls jemandem die ukrainischen Teigtaschen (Wareniki) am Abend nicht schmecken sollten.

Kalinka-Folklore
Kalinka-Folklore

Der Sturm hat sich gelegt. Die Rückfahrt übers Meer zum Dnjepr-Delta verläuft ruhig. Das Dreigänge-Menü mundet wieder. Ab Cherson (3) geht es in Ausflugsbooten mit Kalinka-Folklore für ein paar Stunden durch die Seitenarme des großen Stroms. Natur links. Natur rechts. Zweige hängen tief. Seerosen recken ihre Köpfe. Kleine Datschen schimmern hinter Schilf und Obstbäumen. Einige Bewohner haben ihre Angeln ausgeworfen. Mit 2.280 Kilometern Länge ist der Dnjepr nach Wolga und Donau der drittlängste Fluss Europas. Fünf Schleusen und Stauseen passiert MS „General Watutin“ vom Delta bis Kiew. Wälder, Wiesen und Industrieschlote größerer Städte säumen das Ufer. Die Schleuse Saporoschje ist mit 36 Metern Höhenunterschied die größte. Mehr als eine halbe Stunde dauert die Durchfahrt. Während ein riesiger Lenin unentwegt vom Ufer herüber grüßt. In der Gegend um Saporoschje (4) ließen sich im 15. und 16. Jahrhundert Kosaken nieder. Auf der davor liegenden Insel Chortitsa, der größten von 215 Inseln im Fluss, wird das Leben der tollkühnen Männer in einem Museum und im Freilichttheater gezeigt.

Chortisa - Kosaken
Kosaken

Kiew (5), die Mutter aller russischen Städte, kommt näher. Kleinere und größere Villen zeugen vom Reichtum einiger weniger. Ihnen folgen Hochhausghettos bis zum Horizont. Beim Anblick des goldverzierten Höhlenklosters klicken die Kameras. Kiew ist die Stadt der Kirchen, ob restauriert, wieder aufgebaut oder ganz neu errichtet. Ob russisch- oder ukrainisch-orthodox. Goldene Kuppeln leuchten von der Sophien-Kathedrale, dem Michaelis-Kloster, der Andreas-Kirche oder der Wladimir-Kathedrale. Hotels, Boutiquen, Restaurants, Bars, Coffee-Shops prägen das Bild der Prachtstraße „Kreschtschatik“. Doch bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 250 Euro wird auch ein Cappuccino für 2,90 Euro bei „Kofe & Tschai“ oder „Double Coffee“ zum Luxusgegenstand. Bei 80 Euro Rente ist sein Genuss undenkbar. Am Ende des Boulevards liegt der Unabhängigkeitsplatz. Eingerahmt von Repräsentativbauten aus sowjetischer Zeit. Hier fand im Jahre 2004 die „Orange Revolution“ statt.

Kiew - Sophien-Kathedrale
Sophien-Kathedrale

Der vorletzte Abend. Tagelang haben die Bordreiseleiterinnen mit Freiwilligen Lustiges, Besinnliches, Ballett- und Tanzeinlagen eingeübt. Nicht nur Karls Augen glänzen, als der gemischte Chor das "Watutin"-Lied nach der Melodie „Mein Vater war ein Wandersmann“ anstimmt. Das meinte Kreuzfahrtleiterin Julia also mit familiärer Atmosphäre. Vor ein paar Tagen tobte noch das Meer. Jetzt tobt der Saal.

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