Nicht nur Götter sind hungrig

Auf Taiwan: kulinarische Exkursion durch chinesische Küchen und Gasthäuser

Text und Fotos: Volker Mehnert

 

Taiwan kulinarisch Verkäuferin

Die Götter der Taiwaner müssen hungrig sein, denn im Longshan -Tempel von Taipeh tischt man ihnen üppig auf: Bananen, Ananas und Mangos, bergeweise Gemüse und sogar Reis und Nudeln in Plastikpackungen liegen als Opfergaben bereit (Foto unten rechts). Die Himmlischen sollen nicht darben, aber ob sie unter diesen Umständen die Zeit finden, sich mit den zahlreichen Petitionen der Gläubigen zu befassen, die diese beim Abbrennen ihrer Räucherstäbchen unablässig vor sich hinflüstern, sei dahingestellt. Kulinarisch immerhin dürften auf Taiwan auch für die Irdischen kaum Wünsche offen bleiben, denn die Insel ist ein fernöstliches Paradies für Feinschmecker. Sie bietet chinesische Kochkunst im Konzentrat und kann, zumindest gastronomisch, eine zeitraubende Reise durch das riesige Reich der Mitte ersetzen.

Taiwan kulinarisch Opfer im TempelAlle drei Schritte, so verkündet der chinesische Reiseführer, der sich seinen westlichen Gästen mit einer gewissen Koketterie als George vorstellt, gebe es auf seiner Insel einen Imbiss, alle fünf Schritte ein Restaurant. An deren Speisekarten aber könne man sich, selbst wenn man Chinesisch versteht, nur bedingt orientieren. Denn auf den Karten finden sich häufig hochtrabend blumige Namen, die die Gerichte umschreiben, sie aber nicht wirklich beschreiben. Was, bitte schön, soll der Uneingeweihte zum Beispiel unter einer „Hand Buddhas“, einem „Flügel des Phönix“ oder einem „Sprung des Buddha über die Mauer“ verstehen? Deshalb gibt Mister George den Fremden eine Faustregel an die Hand, wie sie sich in der Angebotsfülle zurechtfinden können: Man folge einfach dem Lärm; je lauter das Geschrei, desto mehr Leute sind im Lokal und desto besser ist das Essen.

Im Restaurant Din Tai Fung muss es folglich köstlich sein: Denn in dieser Kultstätte des Dim Sum, der kleinen Klößchen und Teigtaschen, ist der Lärm ohrenbetäubend. An großen Tischen schnattern die Gäste in höchstmöglicher Lautstärke, Geschirr wird mit lautem Geklapper aufgetischt und abgeräumt, dazwischen rattert die Registrierkasse, und die Kellnerinnen brüllen sich über diesen Geräuschpegel hinweg die Bestellungen zu. In dem riesigen, schmucklosen Saal geht es zu wie in einem Ameisenhaufen: Gäste aller Altersgruppen, vom Kleinkind bis zur Greisin, kommen und gehen, stehen vorher in einer langen Schlange palavernd und geduldig wartend vor der Eingangstür und hören auch beim Verlassen des Lokals nicht auf zu reden und zu gestikulieren.

Aus Politik wird kulinarischer Eintopf

Taiwan kulinarisch GötterbeschwörungHinter einer Scheibe sind rund zwanzig Köche mit flinken Bewegungen am Werk. Die Kellnerinnen - fünfzig, sechzig, man kann ihre Zahl nur ahnen - wuseln nach einem undurchschaubaren Plan durcheinander und schaffen immer neue Körbe mit leckeren Klößchen heran, die pikant zubereitet und gefüllt sind mit Huhn oder Gemüse, Schweinefleisch oder Garnelen. Sojasoße und hauchdünne Ingwerfäden stehen auf jedem Tisch zum weiteren Würzen bereit. Unablässig lächelnd füllen die schmuck uniformierten jungen Damen den Gästen ihre Teetassen auf; sie sind beständig in Bewegung und zeigen trotz der Hektik keinerlei Anzeichen von Schwitzen oder Ermüdung. Und der Geschmack der Speisen hält tatsächlich, was der Lärm verspricht.

Die kulinarische Vielfalt auf Taiwan ist ein Produkt der politischen Umwälzungen im zwanzigsten Jahrhundert. Zwei Millionen Flüchtlinge, die 1949 zusammen mit dem Kuomintang-General Chiang Kai-shek vor den siegreichen kommunistischen Truppen auf die Insel flüchteten, brachten aus allen Teilen des Landes ihre regionalen Spezialitäten und Rezepte mit. Was sich dort auf Abertausenden von Quadratkilometern verteilt, versammelt sich hier auf einer Insel, die nicht größer ist als Holland. Man findet zunächst die taiwanische Küche der Ureinwohner, die eher schlicht daherkommt, viel Fisch verwendet und deren besondere Spezialität kleine Aale mit Erdnüssen und eingelegtem Kohl sind. Vertreten ist selbstverständlich auch die kantonesische Küche, die mit ihren süß-sauren Gerichten lange Zeit die westliche Vorstellung von chinesischer Kochkunst geprägt hat. Weit verbreitet ist die fujianesische Variante, deren mächtiger Eintopf aus Fisch, Schweinefleisch, Huhn und Ente zu den berühmtesten Gerichten des Landes zählt.

Taiwan kulinarisch Motorroller

Verkehrsmittel Nummer 1: der Motorroller

Nicht fehlen darf die pikante Küche aus Szechuan, die großzügig mit Pfeffer und Chilischoten umgeht und bei der Fleisch und Fisch mit Vorliebe eingelegt und mariniert werden. Die mit süßlichen Geschmacksnoten versehenen Gerichte aus Schanghai sind ebenso vertreten wie die Gastronomien des Nordens und der Mongolei, in denen Nudelgerichte, Klöße und Teigtaschen überwiegen, weil in diesen Breiten kein Reis wächst. Nicht zuletzt mögen die Taiwaner auch die Küche der Japaner; deren fünfzigjährige Herrschaft während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hat auf der Insel bis heute ihre Spuren hinterlassen.

Hochstimmung schon bei der Vorspeise

Taiwan kulinarisch ToursiengruppeTrotz der Orientierungshilfe durch den Geräuschpegel - ohne einheimischen Führer ginge man vermutlich an den besten Restaurants vorbei. Denn die meisten sind versteckt in den grauen Konglomeraten aus Mietskasernen und unscheinbaren Bürohäusern, aus denen sich Taipeh und die anderen Großstädte auf der Insel zusammensetzen. Auch im Schatten von „Taipeh 101“, dem architektonischen Prestigeobjekt und derzeit höchsten Wolkenkratzer der Welt, vereinen sich vornehmlich triste Plattenbauten zu ebenso tristen Stadtvierteln. Irgendwo dort verbirgt sich auch das Restaurant Tie Mu Chen, spezialisiert auf Mongolisches Barbecue.

Mister George geleitet seine Schützlinge eine schmale, kahle Treppe hinauf ins zweite Stockwerk eines nichtssagenden Gebäudes, und je höher man kommt, desto stärker wird der Lärmpegel. Die Qualität des Essens dürfte also außer Zweifel stehen, auch wenn sich der Speisesaal in äußerst schäbigem Zustand präsentiert. Vereinzelte Lampions baumeln in einem misslungenen dekorativen Versuch von der Decke, ein einsames Gemälde mit einer chinesischen Landschaft hängt an der Rückwand. Auch hier sitzen die Gäste an großen, runden Tischen, mindestens acht bis zehn Personen sind es jeweils, Großfamilien, Geschäftspartner, Arbeitskollegen. Allein oder zu zweit müsste man sich in dieser Umgebung völlig verloren vorkommen, fände gar keinen passenden Tisch.

Taiwan kulinarisch Garküche

Rätselhafte Zeichen für köstliches Essen

Mit rohem Fleisch und Gemüse, alles hauchdünn geschnitten, versorgt man sich an einem riesigen Büffet und trägt alles zu einem der zahlreichen Grillmeister, die das individuell zusammengestellte Gericht in Sekundenschnelle auf heißen Steinplatten garen. Auf den Tischen stehen außerdem dampfende Suppentöpfe, das Nachtisch-Büffet ist zu jeder Zeit umlagert. Die Gäste scheinen völlig aufgekratzt: Wo in unseren Breiten nach einem Festessen mit viel Alkohol die Stimmung endet, beginnt sie hier bei einer alltäglichen Abendmahlzeit schon mit der Vorspeise.

Im fernöstlichen Schlaraffenland

Taiwan kulinarisch Straßenmarkt

Auf dem Straßenmarkt ...

Dass ein kleiner Imbiss auf einem taiwanischen Nachtmarkt manches Gericht in einem feinen Restaurant herausfordern kann, ist eine These von Mister George, die sich leicht bestätigen lässt. Als einer der besten des Landes gilt der Markt Guanghua in der Hafenstadt Kaohsiung. Ein langer Straßenzug ist dort ausschließlich reserviert fürs Essen, und die Auswahl an Lebensmitteln ist überwältigend. Jeden Abend, wenn die Sonne untergegangen ist und die tropische Hitze ein wenig nachlässt, öffnen die Verkäufer ihre Speisekammern, ihre Küchen und improvisierten Gastwirtschaften unter freiem Himmel, und jeder Passant wird zum Teilnehmer an einem alltäglichen Bankett des Überflusses.

Taiwan kulinarisch Freiluftrestaurant

... schmeckt´s am besten

Die Händler offerieren an ihren Ständen und Buden Heißes und Kaltes, Getrocknetes und Geräuchertes, Mariniertes und Frittiertes, auf dem Grill oder im Wok Gegartes: Berge von Bohnen, Linsen, Gemüse, Kohl und Früchten; Schnecken, Krebse, Algen, Muscheln und lebendige Fische; Lebern, Nieren, Gedärme, Hirn, Rinderzungen und gegarte Schweinehaxen; Hühnerfüße, halbe Enten, ganze Enten, Gänsehälse. Hier werden Geflügelspieße und Würstchen gegrillt, dort wird Fisch filetiert, nebenan Obst aufgeschnitten, Sushi gerollt. Suppen oder Reisgerichte stellen sich die Kunden aus den angebotenen Zutaten selbst zusammen. Man wähnt sich in einem fernöstlichen Schlaraffenland.

Taiwan kulinarisch TempelSzenenwechsel von der Stadt aufs Land: Nach Alishan kommen die Taiwaner eigentlich nicht des Essens wegen. Die nebelverhangene Berglandschaft im Zentrum der Insel ist für sie vielmehr der Inbegriff von Romantik und künstlerischer Inspiration. Am frühen Morgen begeben sie sich deshalb mit einer antiquierten Schmalspurbahn, die schon von den Japanern gebaut wurde, auf zweieinhalbtausend Meter Höhe, um von dort aus den Sonnenaufgang zu beobachten. Doch auch in dieser Hochburg des Tourismus sind die Mahlzeiten selbst in den einfachen Hotelrestaurants erstaunlich delikat. Am Vorabend der ersehnten und mythologisch überhöhten Morgenröte serviert man einen kulinarischen Reigen aus Huhn mit Chili-Soja-Soße, Chinakohl in einer unergründlichen, aber köstlichen Lake, geschmortes Schweinefleisch mit roten Zwiebeln, süß-sauren Staudensellerie mit Knoblauch und das taiwanische Leibgericht, die winzigen Aale mit Erdnüssen.

Teetrinken ist ein Ritual

Kulinarische Ansprüche erfüllt man auch in dem abgelegenen Dörfchen Lugu, mitten im Anbaugebiet des Tung Ting Oolong-Tees, der zu den gefragtesten Teespezialitäten Asiens gehört. Dieser dunklere, halbfermentierte Bruder des grünen Tees gedeiht hervorragend an den Hängen des Alishan-Gebirges. Ein Wiesel, angebunden mit einem Halsband, begrüßt dort den Gast am Eingang des Restaurants Al San. Unweigerlich kommen dem Fremden bei diesem Anblick ein paar abgeschmackte Vorurteile über die Ingredienzien chinesischer Gerichte in den Kopf.

Doch alle ketzerischen Gedanken aus der westlichen Gerüchteküche blamieren sich einmal mehr angesichts der Köstlichkeiten, die von der Köchin kurz darauf zum Mittagessen serviert werden. Sie heißt Li-sha Ling, was soviel bedeutet wie wunderschöner Regenbogen, und sie macht ihrem Namen mit einer schillernden Auswahl leckerer Speisen alle Ehre: Reis mit Bambus und Teeblättern, Betelnussblüten in Pflaumensauce, glasiertes Huhn mit Honig und Teeblättern, frittierte grüne Teeblätter mit Süßkartoffeln. Frau Ling praktiziert eine ländliche und dennoch anspruchsvolle Küche, die auf klassischen chinesischen Rezepten aufbaut und sie mit den regionalen Produkten des Teeanbaugebietes ergänzt und verfeinert.

Taiwan kulinarisch Gegrilltes

Anschließend erteilt Fräulein Tang von der Tee-Kooperative eine Lektion im richtigen Aufbrühen eines Oolong-Tees: Das Wasser kocht sie in einem Tontopf, lässt es dann ein wenig abkühlen und benutzt es erst einmal zum Anwärmen der Kanne und der Tassen. Dann füllt sie ein Drittel der Kanne mit den großen, krausen Teeblättern, gießt heißes Wasser darüber und lässt das Gebräu genau fünfundvierzig Sekunden lang ziehen. Sie rührt noch einmal kurz um und gießt diesen ersten Aufguss in den Spülstein. Die Teeblätter sind jetzt aufgegangen und bereit, ihren intensiven Geschmack abzugeben. Dafür wird die Kanne noch einmal aufgegossen und die Flüssigkeit schon nach wenigen Sekunden in die winzigen Tassen verteilt. Die Anzahl der weiteren Aufgüsse und die jeweilige Zeit zum Ziehen des Tees hängt von der Art und der Qualität der Blätter ab. „Teekochen kann jeder“, sagt Fräulein Tang, „eine Teezeremonie aber ist eine Kunst, die der Schulung bedarf.“ Und so gehört Tee in China traditionell nicht nur zu den sieben Notwendigkeiten des Lebens, sondern ist auch Hauptbestandteil eines Rituals, das zu besonderen Anlässen zelebriert wird und dabei ganz eigene Förmlichkeiten erfordert.

Taiwan kulinarisch Stadtverkehr

 

Reiseinformationen

Taipei Tourism Office, Friedrichstr. 2 - 6, 60323 Frankfurt, 069/610743, E-Mail info@taiwantourismus.de, www.taiwantourismus.de

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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