Kein Ungeheuer im Loch Ness

Schottland vom Wasser aus entdecken

Text und Fotos: Dagmar Krappe

Unterwegs in Schottland: Mit “Lord of the Glens” durch den Kaledonischen Kanal und zu den Inneren Hebriden im Atlantik.

Schottland - Inverie auf Knoydart - Festmacher Ian und Struan Robertson

Festmacher Ian und Struan Robertson in Inverie

Schiffe haben es Struan angetan. Sobald sich eines über den Meeresarm „Loch Nevis“ dem Küstenort Inverie (1) nähert, läuft er mit seinem Vater hinunter zum Anleger und hilft, das Boot am Pier zu vertäuen. Ein Schiff ist auch die einzige Möglichkeit, den 80-Einwohner-Ort, in dem der zehnjährige mit seinen Eltern und seiner Schwester Anna lebt, zu erreichen oder auch mal der Ruhe und Einsamkeit zu entfliehen. Nach Inverie auf der Halbinsel Knoydart im Nordwesten Schottlands führen weder Autostraßen noch Schienen. Nur ein 25 Kilometer langer Fußmarsch ist eine unbequeme Alternative, um ohne Wasserfahrzeug in den nächst gelegenen Ort zu gelangen. Struans Vater Ian diente einst bei der britischen Armee. „Ich bin viel in der Welt herumgekommen“, erzählt der 69-Jährige: „Kenia, Singapur, Zypern und zwei Jahre Iserlohn im nordrhein-westfälischen Sauerland waren meine Stationen.“ Danach wählte Ian die Abgeschiedenheit. 21 Jahre lang betrieb er in Inverie den entlegendsten Pub des britischen Festlands, „The Old Forge Inn“. Trotz der isolierten Lage ist das Dorf eine multikulturelle Gemeinde: Deutsche, Holländer, Belgier, Polen und Neuseeländer zählen zu den Bewohnern, da sie wie Ian Robertson und seine Frau Jackie von der grünen, friedlichen Landschaft ohne Mobilfunknetz fasziniert waren. „In Inverie leben alle, weil sie wollen, nicht weil sie müssen“, meint Ian: „Einmal im Monat geht es zum Großeinkauf nach Inverness an die Ostküste. Drei bis vier Stunden mit dem Auto quer durch die Highlands. Dort übernachten wir, genießen etwas Kultur und arbeiten unsere Einkaufliste ab.“

Schottland - Inverie - The Old Forge Inn, entlegendster Pub des britischen Festlands

The Old Forge Inn, entlegendster Pub des britischen Festlands

Am späten Nachmittag wird Struan der „Lord of the Glens“ beim Anlegen helfen. Das blau-weiße Schiff im Stil einer Jacht ist vor fünf Tagen in Inverness (2) im Kaledonischen Kanal gestartet. „Zwischen 1803 und 1822 ließ der schottische Ingenieur Thomas Telford den Kanal errichten, der die Nordsee mit dem Atlantik verbindet und Schiffen die lange Fahrt um Schottlands stürmischen Norden ersparen sollte“, erklärt Bordreiseleiterin Konstanze Tack: „Zur Zeit der „Highland Clearance“, als Menschen aus dem schottischen Hochland vertrieben wurden, damit die Großgrundbesitzer mehr Platz für ihre Schafzucht hatten, diente das Bauprojekt auch der Schaffung neuer Arbeitsplätze.“ Nur ein Drittel des 97 Kilometer langen Kanals ist künstlich erschaffen. Er verbindet die vier Seen Dochfour, Ness, Oich und Lochy miteinander. Ihre Höhenunterschiede werden mit 29 Schleusen ausgeglichen. Doch die erhoffte wirtschaftliche Bedeutung blieb aus. Heute ist der Kaledonische Kanal eine von Schottlands Touristenattraktionen.

Nur wenige Kilometer von Inverness entfernt liegt das Schlachtfeld Culloden. Am 16. April 1746 fand hier das letzte Gefecht auf britischem Boden statt. Der Jakobiter Charles Edward Stuart („Bonnie Prince Charlie“) startete mit seiner Armee gegen die britischen Regierungstruppen, mit dem Ziel, wieder einen eigenen König in Schottland zu haben. Unabhängig von Britannien und Irland zu sein. Doch das Vorhaben endete innerhalb weniger Stunden in einem grausamen Gemetzel im damals unzugänglichen, moorigen Gebiet. Schottland erkannte daraufhin die englischen Könige an.

Schottland - Ruine Urquhart Castle am Loch Ness

Urquhart Castle am Loch Ness

Auf den „Lochs“ kann es bei Regen und Wind schon mal hoch hergehen wie auf einem stürmischen Meer, hatte Kapitän Anthony Reading beim Begrüßungsdinner beiläufig erwähnt. Doch am nächsten Mittag fallen keine dicken Regentropfen vom Himmel, sondern Sonnenstrahlen lassen Sterne auf dem blauen, spiegelglatten Wasser tanzen. Mit sechs Knoten (11 Kilometern pro Stunde) steuert Reading die „Lord of the Glens“ über den rund 230 Meter tiefen und zweitgrößten See Schottlands: Loch Ness (3).

Schottland - Kapitän Anthony Reading auf der Brücke

Kapitän Anthony Reading auf der Brücke

„Auf 36 Kilometern haben wir jetzt Gelegenheit, Nessie zu sehen“, scherzt Bernd aus München. Zusammen mit Wolfgang aus Stuttgart hat er Position auf dem vorderen Aussichtsdeck bezogen, um mittels Fernglas den See auszuspähen. Im Jahre 565 soll „das Ungeheuer von Loch Ness“ das erste Mal gesichtet worden sein. Ein Jahrtausend lang blieb es dann verschwunden. Inzwischen wurden um die 4.000 Sichtungen registriert. Größtenteils von der Ruine „Urquhart Castle“, die sich gerade an Steuerbord gegen den blauen Horizont abzeichnet. Plötzlich ein kurzes Rucken. Aber offenbar haben sich nur die Schiffsmotoren „verschluckt“. Eine Chance, einen Blick auf Nessie zu erhaschen, bietet schließlich nur der Souvenirshop in Fort Augustus. In allen Größen grinst das Ungeheuer mit Schottenmütze bekleidet aus den Regalen. Spannender im verschlafenen Nest ist die Schleusentreppe mit fünf hintereinander gereihten Schleusen. Jede von ihnen hebt oder senkt das Wasser des Kanals um 2,4 Meter. Eine Stunde dauert die komplette Durchfahrt.

Schottland - 5-er Schleusentreppe in Fort Augustus

5-er Schleusentreppe in Fort Augustus

Während die 47 Gäste sich auf den Weg ins „Robert-Louis-Stevenson“-Restaurant zum Drei-Gänge-Dinner begeben, hat die „Lord of the Glens“ direkt hinter der „Himmelsleiter“ festgemacht. Im Jahr 2000 wurde das 1985 in Griechenland gebaute Schiff im spanischen Bilbao für den Kaledonischen Kanal aufgemotzt. 27 geräumige mahagoni- und cremefarbengetäfelte Zweibettaußenkabinen verteilen sich über drei Decks. Im obersten Stock gibt es die „David-Livingstone-Lounge“ mit Bar und Panoramablick. Zwei kleine Aussichtsdecks befinden sich am Bug und Heck. Bodenständig und unkonventionell ist die 18-köpfige internationale Crew. Dafür sorgt allen voran Bordmanager Brian Copland. Wenn es sein muss, auch im karierten Schottenrock, um die Ode an den Haggis (Spezialität aus Innereien vom Schaf und Hafermehl) zu zelebrieren.

Schottland - "Lord of the Glens" bei Fort Augustus

"Lord of the Glens" bei Fort Augustus

Am folgenden Morgen startet die „Lord of the Glens“ zur zweiten Etappe durch den Kanal. Zwischen Loch Oich und Loch Lochy manövrieren Kapitän Reading und sein Erster Offizier James Forbes das Schiff voll konzentriert durch eine 2,5 Kilometer lange, schmale Baumallee, die Laggan Avenue. Kiefern, Eschen, Erlen, Birken, Weiden und Vogelbeerbäume säumen den Kanal über weite Strecken. Auch Rhododendren und Glockenheide entfalten ihre lila Blütenpracht im vom Golfstrom geprägten Klima.

Schottland - Glenfinnan Viadukt bei Fort William über das der Harry Potter Zug fuhr

Glenfinnan Viadukt bei Fort William über das der Harry Potter Zug fuhr

Bei Banavie nahe Fort William schält sich Großbritanniens höchster Berg aus einer Wolkenwand, der 1.343 Meter hohe Ben Nevis. „Jedes Jahr am ersten Sonnabend im September findet ein Rennen auf den Berg und zurück statt“, berichtet Konstanze Tack: „An dem Tag regnet es immer.“ Heute lacht der Himmel. Bestes Fotowetter. Doch der Wasserstand in „Neptun’s Staircase“ mit acht hintereinander liegenden Schleusenkammern erlaubt den Passagieren leider nicht innerhalb der Schleusentreppe auszusteigen. So bleibt ihnen nur, die eineinhalbstündige Durchfahrt von Deck aus zu beobachten.

Schottland - Lord of the Glens vor der Laggan-Schleuse zwischen Loch Oich und Loch Lochy

"Lord of the Glens" vor der Laggan-Schleuse zwischen Loch Oich und Loch Lochy

In Corpach öffnet sich die letzte Doppelschleuse. Über den Loch Linnhe schippert der „Herr der Schluchten“ Richtung Atlantik. Der Touristenort Oban (4) ist das Tor zu den Inneren und Äußeren Hebriden. Auf der Insel Mull heißt es eintauchen in die Welt der Clans. „Clan bedeutet Kinder und kommt vom gälischen Wort Clann“, weiß Konstanze Tack: „Ab dem 12. Jahrhundert schlossen sich im bergigen Hochland größere Gruppen zusammen, die über den Familienverband hinaus gingen.“ Seit mehr als 700 Jahren ist das „Duart Castle“ Hauptsitz des MacLean Clans. Derzeit wird das Schloss vom 28. Oberhaupt bewohnt.

Schottland - Schloss Duart Castle auf der Insel Mull

Schloss Duart Castle auf der Insel Mull

Fichten und grüne Farne, die so hell leuchten, als habe jemand unter ihnen ein Licht angeknipst, prägen das Eiland. Schafe und zottelige Hochlandrinder dösen auf mit weißen Gänseblümchen und gelben Butterblumen übersäten Weiden. Die 32 Paar See- und Steinadler halten sich versteckt. Auf der vorgelagerten Insel Ioana landete 653 der Heilige Columba aus Irland, der erfolgreichste Missionar in Schottland. 50 schottische, irische, norwegische und französische Monarchen sollten auf dem Friedhof neben der Iona Abtei begraben sein. Darunter auch der berüchtigte MacBeth. Eine Kopie des „Book of Kells” ist im multimedial gestalteten Abtei-Museum zu sehen. Um 800 entstand das Buch auf Insel. Während der Wikingereinfälle wurde es nach Irland gebracht, weshalb sich das Original im Trinity College in Dublin befindet.

Schottland - Iona Abbey auf der Insel Iona

Iona Abbey auf der Insel Iona

Nach der abendlichen Vorstellung des Programms für den nächsten Tag durch die Bordreiseleiterin entscheiden die Passagiere einstimmig, die Insel Eigg nicht anlaufen zu lassen. „Einst gehörte Eigg wie viele andere Hebriden-Inseln Großgrundbesitzern. In den 1970er und 1990er Jahren erwarben nacheinander zwei Privatleute, ein englischer Millionär und ein deutscher Künstler, das Eiland. Beide brachten den Einheimischen mehr Schlechtes als Rechtes“, so Konstanze Tack: „Schließlich kauften die Inselbewohner das Land, das seitdem vom „Isle of Eigg Heritage Trust“ verwaltet wird. Dieses Ereignis wird einmal im Jahr mit viel Bier und Whisky gefeiert, so dass alle Einwohner volltrunken sind.“ Also schaukelt die „Lord of the Glens“ am nächsten Morgen an Muck, Eigg und Rum vorbei nach Canna (5), dem kleinsten Eiland der Inselgruppe der „Small Isles“ („kleine Inseln“).

Schottland - keltische Kirche auf Canna

Keltische Kirche auf Canna

Seit 1981 gehört das verträumte Canna dem National Trust von Schottland, einer gemeinnützigen Vereinigung, die Schlösser und andere geschichtsträchtige Orte betreut. Eine Kirche, eine Kapelle, ein keltisches Kreuz, ein paar Bauernhöfe, Kaninchen, Schafe, Hochlandrinder, ein Postamt mit roter Telefonzelle, ein Café, feinster, heller Sandstrand, dümpelnde Fischerboote und ganz viel Grün - das ist Canna. Auf der Rückfahrt entlang der Insel Skye springen zwei Delphine neben dem Bug aus dem Wasser. Seehunde räkeln sich auf einer Sandbank. Nach Skye rettete Jakobiterin Flora MacDonald 1746 „Bonnie Prince Charlie“ nach seiner Niederlage in Culloden, bevor er für immer nach Frankreich entschwand. Armadale Castle war einst der Herrensitz des MacDonald Clans. Doch schon seit Mitte des19. Jahrhundert ist es größtenteils nur noch eine Ruine inmitten eines 16 Hektar großen Gartens mit exotischen Bäumen, Sträuchern und Blumen.

Als sich das Schiff der Halbinsel Knoydart nähert, warten „Festmacher“ Struan und sein Vater bereits am Hafen von Inverie. Einer der philippinischen Matrosen wirft ihnen das Tau zu. Mit leuchtenden Augen legt Struan es um den Poller am Kai. Wie die meisten Dorfbewohner spazieren die Passagiere der „Lord of the Glens“ nach dem Abendessen zum „Old Forge Inn“, um ein „Caledonia Best“ zu genießen, bevor die Sonne hinter den grasgrünen Bergen am Loch Nevis untergeht.

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