San Marino im Überblick

1861, als das gerade aus der Taufe gehobene Königreich Italien die winzige Republik von San Marino mit seinem nunmehr geeinten Territorium fast schon bedrohlich umschloss und nicht nur in Europa das republikanische Ideal am Boden lag, kam den Capitani Reggenti eine verwegene Idee. Wohl gab es noch die republikanisch gesinnten Schweizerischen Eidgenossenschaften, auf die sie zählen konnten, aber jenseits des Atlantiks sahen sie einen mächtigeren Bundesgenossen.

1861 – das war auch das Jahr des Amtsantritts von Abraham Lincoln als 16. Präsident der USA. In ihrem Glückwunschschreiben an Lincoln ließen die Repräsentanten der Serenissima Repubblica di San Marino durchblicken, dass sie eine weltweite Allianz der Anhänger republikanischer Ideale für geboten hielten und sie fügten hinzu: „Wir sind sicher, Sie werden beglückt sein, einem Volk die Hand schütteln zu können, das bei aller Kleinheit und Armut Ihnen eine freie Regierungsform vorweisen kann, die auf vierzehn Jahrhunderte zurückblickt (…) und als Zeichen unserer Hochachtung und herzlichen Bruderschaft verleihen wir dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika die Staatsbürgerschaft der Republik von San Marino.“ „Great and Good Friends“, schrieb Lincoln zurück, „obwohl Euer Herrschaftsgebiet klein ist, zählt Euer Staat dennoch zu den am meisten geehrten in der ganzen Geschichte (…) er hat unter Beweis gestellt, das eine auf republikanischen Prinzipien basierende Herrschaft Sicherheit und Beständigkeit hervorbringt...“

Batumi, Georgien

San Marino und Monte Titano
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Und so waren viele voll des Lobes, Napoléon wie auch Amerikas zweiter Präsident John Adams, der amerikanische Diplomat George Washington Erving, für den die Republik eines der „sechs Wunder“ war, das allein eine Reise nach Italien rechtfertigte oder nehmen wir George Sand, die San Marinos Tradition pries, Verfolgten Zuflucht zu gewähren, oder den Novellisten Franz Freiherr von Gaudy, der „sich doch fast wünschen möcht`, dass die Grenzen dieses Eldorados mit unübersteiglicher chinesischer Mauer umgeben würden, um auf Schillers Frage Edler Freund, wo öffnet sich dem Frieden, wo der Freiheit noch ein Zufluchtsort? auch nach Jahrhunderten mit San Marino antworten zu können.“ Nur Montesquieu, der scharfsinnige Rechtsphilosoph, lästerte ungerührt, die Republik sei es nicht wirklich wert gewesen, sich über sie den Kopf zu zerbrechen. Das sei der einzige Grund dafür, dass sie so lange überlebt habe. . .

Batumi, Georgien

Altstadtgassen
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Auch das World Heritage Committee der UNESCO würdigte 2008 in seiner Begründung für die Aufnahme von San Marino Città und Monte Titano in die Welterbeliste die lange und erfolgreiche Geschichte des Gemeinwesens als eine freie Republik. Befestigungsanlagen, Häuser, Kirchen und Kapellen, Türme und Mauern repräsentierten – so die Laudatio – ein historisches Zentrum, das ohne Unterbrechung bewohnt war und seine institutionellen Funktionen kontinuierlich bewahrt habe. San Marino verkörpere den freien Stadtstaat, dessen Vorzüge und Eigenarten weit über den Ort hinaus politische Debatten befruchtet haben und häufig in Literatur und Kunst thematisiert worden seien.

Ossetien

Rocca-Guaita-Turm
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So gab es bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts auf dem Monte Titano fest etablierte Institutionen und Dokumente aus dieser Zeit bezeugen die Unabhängigkeit. Auch der bauliche Kern der Gemeinde existierte schon: Der Rocca Guaita-Turm, einer der drei Festungstürme auf den Felsgipfeln des Monte Titano, ein erster Stadtwall war errichtet worden und eine Kirche. Eine zweite Stadtmauer entstand im folgenden Jahrhundert. Sie umschloss ein weit größeres Territorium und auch die beiden anderen Türme, Rocca Cesta und Montale, wurden jetzt errichtet sowie Kirche und Kloster des San Francesco. Ein dritter Mauerring mit drei neuen Toren entstand Mitte des 15. Jahrhunderts. Er vergrößerte abermals das Stadtgebiet und markiert heute die Grenzen des historischen Zentrums. Die Mauer wurde im 16. Jahrhundert verstärkt und erhielt auch zwei Bastionen. Etwa zur gleichen Zeit, aber außerhalb der Stadtmauer, errichtete der franziskanische Bettelorden der Kapuziner sein Kloster und Santa Chiara, ein weiteres Kloster, entstand, das heute das Museum der Emigration und die Universität von San Marino beherbergt. Ins 19. Jahrhundert fallen die Bauten der neoklassischen Basilika (Baubeginn 1825) und des Palazzo Pubblico, des Regierungspalastes, der in den Jahren 1884-1894 im neugotischen Stil erbaut wurde.

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Kirche San Francesco
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Einige der Bauwerke auf der engen Westflanke des Monte Titano wollen wir uns etwas genauer ansehen: Zunächst die Türme, die den drei Gipfeln des Bergzugs die Krone aufsetzen. Man erreicht den ersten, Rocca Guaita, über den Treppenweg Salita alla Rocca. Der Turm wächst auf dem bloßen Fels in die Höhe, hat mächtige Mauern und eine Vielzahl von raffinierten Verteidigungseinrichtungen. Seine Anlage war groß genug, um in früheren Zeiten der Bevölkerung bei Belagerungen der  Stadt sicheren Schutz zu gewähren. Einige Bereiche des Turms dienten bis 1970 als Gefängnis. Über den Passo delle Streghe (Hexenpass) gelangt man zum zweiten Turm, Rocca Cesta. Er steht auf dem höchsten Punkt des Monte Titano. Die Turmplattform in 756 m Höhe ist der höchste Punkt der Republik. In seinen Mauern ist das Museum für alte Waffen untergebracht. Etwa 535 Objekte aus mittelalterlichen Zeiten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts sind zu bestaunen – Rüstungen, Lanzen, Speere, Arkebusen und andere frühe Feuerwaffen, Pfeil und Bogen, Armbrüste. Vom Cesta führt die Salita al Montale, ein gepflasterter Pfad, zum Montale, dem dritten Turm. Er ist für das Publikum nicht zugänglich, aber die zehn Minuten Wegstrecke hierher versprechen atemberaubende Ausblicke.

Staatsziel: Freiheit und Unabhängigkeit

Als der heilige Marinus 366 starb, sollen seine letzten Worte „Ich lasse euch zurück als frei von beiden Menschen“ gewesen sein. Die Überlieferung hat den rätselhaften Ausspruch auf die beiden mächtigsten Menschen jener Zeit, Kaiser und Papst, bezogen. Marinus hatte deren allgegenwärtigen Machtanspruch immer bekämpft und sah am Ende seines Lebens seine Gemeinde auf einem guten Weg, die mühevoll errungene Freiheit und Unabhängigkeit dauerhaft bewahren zu können.

754, im Jahr der berühmten „Pippinschen Schenkung“, 885 und 951 sprechen Dokumente von der Existenz der sanmarinesischen Gemeinde, berichten über Landzuwachs und den Bau von Festungsanlagen. 1243 werden zum ersten Mal Consules erwähnt, die Vorgänger der heutigen Capitani Reggenti und 1448 wird San Marino erstmals als Republik bezeichnet. Schon 1463, nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Herrschergeschlecht der Malatesta von Rimini, konnte San Marino sein Gebiet auf die heutige Größe erweitern. Kleinherrscher in der Nachbarschaft und der Vatikan versuchten wiederholt, sich der kleinen Republik zu bemächtigen, die aber dank ihrer starken Kastelle und der hervorragenden strategischen Lage alle Angriffe abwehren konnte. 1599 wurde jene Verfassung ausgearbeitet, die in ihren Grundzügen noch heute Gültigkeit besitzt. Selbst Rom „knickte“ ein und garantierte 1602 die staatliche Integrität des kleinen Landes, bekräftigte die Garantie 1631 und erneut 1740. Während Napoleons Italienfeldzug 1797, überbrachte sein Gesandter Gaspard Monge den Capitani Reggenti eine Botschaft Napoleons, in der er ihr Staatswesen lobte und ihnen die Erweiterung ihres Territoriums durch einen Seezugang vorschlug. Doch die Capitani waren strikt dagegen, fürchteten sie doch ihre Unabhängigkeit zu verlieren und in die Napoleonischen Kriege hineingezogen zu werden. Der Franzose nahm ihnen das nicht übel, vielmehr bestärkte er sie in ihrem Freiheitswillen und ließ als Zeichen der Freundschaft 1.000 Zentner Getreide anliefern. Auch sollten vier Kanonen aus Napoleons Heeresbeständen die Sanmarinesen erfreuen, doch auf dem Weg zum Monte Titano verschwanden sie spurlos.

Kaum hatte der Wiener Kongress 1815 die Unabhängigkeit San Marinos bestätigt, nahm der Zustrom politischer Flüchtlinge dramatisch zu. 1849 bat ein prominenter Bittsteller um Einlass und er kam nicht allein. Italiens Nationalheld Giuseppe Garibaldi, nach dem Zusammenbruch der kurzlebigen Römischen Republik auf der Flucht vor papsttreuen österreichischen und französischen Truppen, fand mit 1.500 Getreuen Aufnahme. Bei Nacht und Nebel und mit nur 150 Mann setzte er die Flucht fort, die ihn für einige Jahre in die USA verschlug. Nach Italiens Einigung (1861) behielt San Marino als einziges Territorium seine Unabhängigkeit, die durch eine ganze Serie von Verträgen mit dem neuen Königreich abgesichert wurde. In beiden Weltkriegen blieb San Marino neutral, was im Zweiten Krieg nicht immer von den Krieg führenden Staaten (Deutschland, Alliierte) beachtet wurde. Das kleine Land nahm 100.000 Flüchtlinge auf, löste schon im Juli 1943 seine eigene faschistische Partei auf, ging auf Linkskurs und war von 1945 bis 1957 das einzige Land Westeuropas mit einer kommunistisch-sozialistischen Regierung. Danach waren wechselnde Koalitionen an der Macht. 1986 kam es zum „historischen Kompromiss“, der Christdemokraten und Kommunisten gemeinsam auf die Regierungsbank brachte. Ihre Koalition hielt bis 1992. Seitdem gibt es wieder Regierungen aus wechselnden Partnern.

1988 trat San Marino dem Europarat bei, 1992 wurde der Kleinstaat in die UNO aufgenommen.
  Und noch zwei wichtige Daten: 2008 erhielt das historische Zentrum von San Marino Città und der Monte Titano den Status eines Weltkulturerbes der UNESCO und – fast noch wichtiger – 2009 wurde das Land aus einer anderen Liste gestrichen, aus der „grauen Liste der Steuerparadiese“ der OECD.


Man betritt die Stadt durch die Porta San Francesco. Dem heiligen Franziskus von Assisi sind auch die sich anschließende Kirche und das Kloster geweiht. An seinem Kreuzgang wurde 1966 ein Museum mit Pinakothek eingerichtet. Es gibt sakrale Gegenstände und Meistergemälde des 15. und 16. Jahrhunderts zu besichtigen, darunter Werke von Tizian und Guercino. Die Via Antonio Grafo führt nun hinauf zum Mittelpunkt der Stadt, auf die Piazza della Libertà. Auf dem Platz fällt die entschlossen voranschreitende „Freiheit“ des Bildhauers Stefano Galletti ins Auge. Die „Freiheit“ - sie wurde 1876 von  der Gräfin Otilia Heyroth Wagener gestiftet – trägt das Staatswappen, die drei Türme, als Krone auf ihrem Haupt. Unter ihrem Piedestal verbergen sich uralte Zisternen, die einst die Städter mit Wasser versorgten. Am Rande der Piazza, die sie hier auch „Pianello“ nennen, erhebt sich  der von dem römischen Architekten Francesco Azzurri entworfene Palazzo Pubblico, die Machtzentrale der kleinen Republik, die in den Jahren 1884 – 1894 aus Kalksteinen des Monte Titano von lokalen Handwerkern hochgezogen wurde. Seine reich gestaltete, von drei gotischen Spitzbögen gestützte Fassade zeigt die Wappen der Republik und die der acht anderen Ortschaften des Landes. Wie der Hauptbau weist auch der Glockenturm mit seinen Zinnen und Konsolen ein wenig Verteidigungsarchitektur auf, die freilich nur der Zierde dient. Oberhalb der Turmuhr erkennt man drei Reliefs, die heilige Agathe, Marinus und Leo darstellend. Über eine imposante Treppe erreicht man den Ratssaal, in dem das 60-köpfige Parlament der Republik tagt. Die Räumlichkeiten können besichtigt werden und auch die Dachterrasse ist zugänglich, allein schon wegen des fabelhaften Ausblicks tief in die Region Emilia-Romagna hinein unbedingt lohnend.
Hinter dem Regierungspalast liegt die Cava  dei  Balestrieri, wo alljährlich am Nationalfeiertag, dem 3. September, die sanmarinesischen Armbrustschützen und Fahnenschwenker sich im Wettkampf messen.

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Basilika und San Pietro
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Im oberen Teil der Città entstand unter der Leitung des Bologneser Architekten Antonio Serra die Basilica di San Marino auf den Fundamenten einer frühchristlichen Kirche. Das im neoklassischen Stil erbaute Gotteshaus mit einem Portikus aus korinthischen Säulen wurde 1855 geweiht. Für die Sanmarinesen ist es ihre Hauptkirche, in der auch die sterblichen Überreste des heiligen Marinus verwahrt werden. An die Basilika lehnt sich die winzige Kapelle San Pietro an, wo nach der Legende in einer Apsisnische Marinus seine Schlafstätte aufgeschlagen hatte.

Wer war der heilige Marinus?

Die im 9. oder 10. Jahrhundert aufgeschriebene Heiligenvita zeichnet das Bild eines Christen in der Zeit der Verfolgungen unter Roms Kaiser Diokletian. Der spätere Begründer und Namensgeber von San Marino stammte nach den Recherchen der Chronisten von der zum Imperium Romanum gehörenden Insel Rab an der dalmatinischen Küste. Mit seinem Gefährten Leo, Christ und Steinmetz wie er selbst, begab er sich Ende des 3. Jahrhunderts auf Geheiß des Diokletian auf die andere Seite der Adria, um in Rimini bei der Wiedererrichtung der zerstörten Stadtmauer Hand anzulegen. Dass sich Marinus und Leo in ihrem neuen Umfeld als Verkünder des Evangeliums betätigten, war für die Spitzel und Aufpasser des Christenverfolgers Diokletian ein Affront. Was darauf folgte, ist unbekannt. Die Überlieferung berichtet, Marinus sei später von dem ersten Bischof Riminis, Gaudentius, in Anerkennung seines seelsorgerischen Eifers zum Diakon geweiht worden und Leo zum Priester. Der Bischof habe sie dann ins Landesinnere geschickt, Leo auf den Berg Feretro und Marinus auf den Monte Titano.

„Jenseits der historischen Fragen, deren Vertiefung nicht unsere Aufgabe ist“, wie Papst Benedikt XVI. in einer Predigt anlässlich seines Besuchs in San Marino am 19. Juni 2011 erläuterte, „liegt uns daran zu sagen, dass Marinus und Leo in den Kontext dieser Wirklichkeit des Ortes (…) neue Perspektiven und Werte brachten. So waren sie ausschlaggebend für die Entstehung einer Kultur und einer Zivilisation, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, Bild Gottes und deshalb Träger von Rechten, die jeder menschlichen Gesetzgebung vorausgehen“. Die Überlieferung erzählt von einer Kapelle, schließlich einem Kloster, die unter der Anleitung des Marinus auf dem Monte Titano erbaut wurden, um die sich eine kleine Gemeinde von Gläubigen scharte. Diese Vorgänge müssen sich im Jahre 301 abgespielt haben, das traditionell als legendäres Gründungsjahr der Republik San Marino  gedeutet wird. Am 3. September 366 soll Marinus gestorben sein. Aus dem Jahr 511 stammt das erste Dokument, das die Existenz eines Klosters auf dem Monte Titano belegt.

Nicht weit von der Piazza della Libertà liegt die Bergstation der Seilbahn. In zehn Minuten ist man unten im großen Dorf Borgo Maggiore mit seiner großartigen Piazza Grande, auf der immer donnerstags ein bunter, traditionsreicher Markt stattfindet. Nach dem Bummel durch die Marktgassen und einem letzten Blick auf den beeindruckenden Palast nebenan und die Kirche del Suffragio geht die Fahrt weiter in die „Entroterra Riminese“, in das verlockende Hinterland von Rimini.

Eckart Fiene




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