Teufelchen schüren das Feuer

Bulgarien ist anders. Offener geben sich die Dörfer, rücksichtsvoller die Autofahrer, statt "multumesc" dankt man "blagodarja" und die Zeit ist womöglich noch ein wenig früher stehen geblieben: Auf den Heufeldern sind Sensen, Rechen und Leiterwagen im Einsatz, die jedes deutsche Bauernmuseum zieren würden. Geblieben aber ist uns die Sonne - ein Kontinentalklima zeigt, was es draufhat. Da wird jedes Picknick, das Zwetan, der bulgarische Begleiter, vor seinem VW-Bus aufbaut, zu einer kleinen Orgie der Lust: Laszives Stöhnen beim Biss in Nektarinen, genüssliches Schmatzen über Wassermelonen, hingebungsvolle Seufzer: „Ich hab es noch nie so geliebt - das Wasser!"

Rumänien Donau Badeanstalt

Und jetzt: ein erfrischender Sprung ins Wasser!

Hoch oben am Hang, einen Halbstundenmarsch durchs Unterholz von der Straße entfernt, versteckt sich unter einer Felswand das Klösterchen Bistrezki. Im 13. Jahrhundert gegründet, wurde es zweimal zerstört und wieder aufgebaut. Heute wuchert Gras auf dem Steindach, Ziegen nutzen die Ruine als Unterschlupf. An den Wänden der Kirche aber wird noch immer jüngstes Gericht gehalten: Teufelchen schüren das Feuer, ein Fisch verschluckt einen Unhold, ein schuppiger Drache windet sich - verblasste Malerei aus dem 19. Jahrhundert.

Rumänien Donau Kirchturm

Überwuchertes Christentum

In Vraza erwartet uns Ilja Alexandrov, rüstiger Alpinist der ersten Stunde, der die silbrige Wand der Vratztata-Schlucht 1961 als erster durchstiegen hat. Heute gibt es hundert Routen, ein Drittel davon hat Ilja entwickelt. Noch mehr Helden in Berkovica, wo das Defilee der werktätigen Massen unter Führung des Genossen Lenin weiterhin unverzagt auf den Fassaden im Zentrum stattfindet, während die realen Vertreter des Proletariats auf Bänken im Park ihre Zeit totschlagen. Jeder dritte, vierte, so genau weiß man es nicht, hat keine Arbeit.

Rumänien Donau Tonpuppe

"Bulgarisches Voodoo"?

Ivan Vasov, der "Patriarch der bulgarischen Literatur", lebte eineinhalb Jahre in Berkovica. Der Dichter war Richter, sein Haus ist Museum und zeigt Illustrationen seines berühmten Romans "Gramada", der Geschichte des verhassten Steuereintreibers Zeno, den die Leute symbolisch steinigten. Im Eintrittspreis ist auch der Besuch des ethnographischen Museums enthalten, und so etwas, bedeutet die Führerin streng, lässt man nicht einfach verfallen. Fürwahr: Neben Töpfen, Tellern und Trachten lernen wir die Germans kennen, eine Art bulgarischer Voodo-Figuren: Gilt es Regen zu erflehen, werden die Tonpuppen in einer großen Prozession herumgeführt und anschließend beerdigt. Ah, wieder dazugelernt - zur Belohnung stopft die Dame uns am Ende die Taschen mit grünen Äpfeln voll.

Klostersuppe mit weißen Bohnen

Gegen Nachmittag aber, jeden Nachmittag, geraten wir in Abenteuerlaune. Wie wird es diesmal sein, heut´ nacht? Wo und wie werden wir uns wohl betten? Ein buntes Allerlei haben wir kennengelernt in diesen Tagen: Die stilvolle Jagdhütte direkt an der Donau und das leergeräumte Elternschlafzimmer in den Banater Bergen. Stickigheiße Zimmer mit zugenagelten Fenstern und wohlgekühlte Räume in der Luxusherberge, ganz unerwartet im unscheinbaren Orsova. „Verschiedene Geschäfte" haben deren Besitzer im armen Rumänien schwerreich gemacht, während Valeri Loukanov wiederum, Inhaber des Hotels "Rade" in Vraza, sein Geld als Sandstrahler in Deutschland verdient hat und aus tiefempfundener Dankbarkeit gleich das Wappen von Bremen in seinem Hof anbringen ließ.

rumänien Donau Ikonen

Handel mit religiösen Insignien

Bei Mönchen aber haben wir noch nicht übernachtet. Das Klissurski-Kloster ist eine weitläufige Anlage im Grünen, mit Kirche und Kapelle, einem Bauernhof und mehreren zweistöckigen Wohnblöcken. Ihre geschnitzten Geländer und die luftigen Veranden - eigenartiger Stilmix aus Spanisch-Kolonial und Alpenlandfolklore - weisen auf die Architektur der "bulgarischen Wiedergeburtszeit" im 19. Jahrhundert hin. Von den einst 50 Mönchen sind zwei geblieben, die mehrmals am Tag so hingebungsvoll wie stimmgewaltig Choräle anstimmen. In den einstigen Zellen der Brüder aber nächtigen die Touristen, als hätten sie ebenfalls das Gelübde auf Armut abgelegt: Braune Holzfußböden, weiße Wände, drei Stahlrohrbetten mit durchgelegenen Matratzen, die einem die Selbstgeißelung ersparen. Sowie zwei Überraschungen: Ein Waschbecken, ein Klo und eine Dusche passen tatsächlich auf vier Quadratmeter Raum. Und: Es gibt heißes Wasser.

Rumänien Donau Kletterpartie

Zu steil für den Sattel

Draußen vor dem Tor werden Ikonen, Kinderpistolen und Eis verkauft, an besonderen Tagen, dem Geburtstag der Schutzherrn Kyrill und Method etwa, reisen bis zu 5000 Besucher an. Rumen Georgiev Bonev, der die Gaststätte und das Hotel gepachtet hat, serviert eine kräftige Klostersuppe mit weißen Bohnen. Und nach der dritten Flasche Traminer breitet sich eine sehr unklösterliche Fröhlichkeit aus - bei den immer noch mit Gesundheit Gesegneten, wie bei den Siechen, Lahmen, Geschundenen.

Kopf hoch, Julka!

14 Tage sind wir insgesamt unterwegs, zwischen 50 und 80 Kilometer am Tag. So viele Ikonen, so viel Joghurt zum Frühstück, so viele Flüsse für ein schnelles Bad. Tschiprovzi erreichen wir am späten Nachmittag, die Stadt, in der sich im 17. Jahrhundert die Menschen immer wieder gegen die türkischen Besatzer erhoben. Uns empfängt Tschiprovzi friedlich, in Gestalt mehrerer erwartungsvoller Damen - unserer Gastgeberinnen. Ganz Tschiprovzi lebte einst vom Bergbau - und das wirklich gut. Jetzt ist die Mine pleite und Tschiprovzi lebt mehr schlecht als recht.

Rumänien Donau Heutransport

Transportwesen traditionell ...

Julka, die resolute Frau in den besten Jahren, hat sich vorgenommen, so etwas wie dörflichen Tourismus in Tschiprovzi aufzubauen. Und dann tischt sie auf: Schopskasalat mit Schafskäse, Hähnchen mit Bratkartoffeln, ihren persönlichen "Mischmasch" aus Paprika und Käse. Hinterher Wassermelone und Torte und noch einen Rakia, und dann bringt sie uns zur Dorfkneipe, wo schon Kollegen und Kolleginnen mit ihren Wirtinnen sitzen und alle durcheinanderreden, von gefüllten Paprika und Fleischklößchen, Kartoffelsalat und frischen Heidelbeeren, und von Gesprächen, die mit Händen und Füßen und Herz und viel Neugier geführt wurden.

Rumänien Donau Zapfsäule

... und etwas moderner

Für den nächsten Morgen hat Julka eine kleine "Produktshow" organisiert. Mehrere Frauen im Dorf weben die Wollteppiche mit den Mustern, die an kaukasische oder indianische erinnern, und doch von hier aus dem 16. Jahrhundert stammen. Wer will, darf auch selbst mal an den Webstuhl. Als am Ende aber nur zwei der Besucher auch kaufen, den kleinsten Unterleger zudem, kommt es sie doch hart an und es gräbt sich ein bitterer Zug um ihren Mund.

Rumänien Donau Abendstimmung

Abendlicher Abschied von der Donau

Und deshalb soll mit Julka diese Reise zu Ende gehen, auch wenn da noch die roten Sandsteinfelsen von Belogradtschik wären, die aussehen wie Bären, Madonnen und Raketen und auch so heißen, das Mädchen mit Salz und Brot in Zwetans Hotel und die Höhlenmalereien von Magura - Kopf hoch, Julka aus Tschiprovzi, auch wenn die Sache mit dem Tourismus sich nicht so einfach anlässt. Und auch du, Adriana aus Hermannstadt: Es geht weiter. Viel zu schön, eure Länder, als dass sie auf Dauer einfach übersehen werden könnten.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

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