Portugal

Wandel im Alentejo

Text und Fotos: Beate Schümann

 

Im portugiesischen Alentejo spielt sanfter Tourismus seit vielen Jahren eine zentrale Rolle. Doch in der fragilen Landschaft lauern viele Interessenkonflikte.

Burgdorf Monsaraz, Alentejo, Portugal

Burgdorf Monsaraz

Die Festung Monsaraz ist auf einem hohen Hügel am Guadiana, dem Grenzfluss zwischen Portugal und Spanien, erbaut. Der mittelalterliche Burgring umschließt eine Handvoll weißgekalkter Häuser mit roten Dächern und breiten Schornsteinen, vier Kirchen, Bougainvilleas in Gassen und Winkeln. Auf den begehbaren Festungsmauern schweift der Blick zwischen den Zinnen hindurch in die Umgebung. Im Westen erstrecken sich Ebenen mit Olivenhainen und Weizenfeldern, im Osten weitet sich die blau glitzernde Seelandschaft von Alqueva wie ein Ozean. Das Ufer ist länger als die Atlantikküste Portugals.

Burgdorf Monsaraz mit Friedhof und Alqueva-Stausee, Alentejo, Portugal

Burgdorf Monsaraz mit Friedhof und Alqueva-Stausee

Der vom Guadiana gespeiste Stausee wurde vor zwanzig Jahren angelegt. Ein 250 Quadratkilometer großes Becken entstand, der wohl größte künstliche See Europas. Strände wurden angelegt, Jachthäfen, Surf-Spots, Basen für Heißluftballons und zwei Sternenparks. Im Umfeld führen Wander- und Reitwege zu prähistorischen Menhiren und Hügelgräbern, die die Flutung überlebten oder umgesetzt wurden.

In den vergangenen Jahren hat die Region gleich mehrere Auszeichnungen für sanften Tourismus bekommen. 2016 gewann Portugal sogar den europäischen Preis für nachhaltigen Tourismus. Konkret wurde damals das Schutzgebiet Dark Sky Alqueva im Alentejo zur Beobachtung des Nachthimmels ausgezeichnet. Doch die Existenz des Stausees ist zwiespältig zu sehen.

Heißluftballon über dem Alqueva-Stausee, Alentejo, Portugal

Heißluftballon über dem Alqueva-Stausee

„Der See hat viel Gutes gebracht“, sagt André Casinha vom Monsaraz-Tourismus. Im trockenen Alentejo habe er die Landwirtschaft angekurbelt und den Tourismus belebt. „Er hat die Menschen aber auch gespalten“, sagt der 28-Jährige. Denn der Stausee habe eine alte Kulturlandschaft zerstört und greife ins ökologische Gleichgewicht ein. „Die gestiegene Feuchtigkeit hat neue Pflanzenkrankheiten gebracht“, erklärt Casinha. Die riesige Wasserfläche sorge aber auch dafür, dass es kaum Luftverschmutzung gibt. Deshalb kann man die Sterne in der Nacht so gut beobachten.

Wer im Burgdorf wie António Malta eine Immobilie besitzt, baut sie zur Herberge oder zum Restaurant um. In der Rua de Santiago, ganz in der Nähe des Inquisitionsmuseums, erbte der 34-jährige Physiotherapeut drei nebeneinanderliegende Gebäude und wandelt sie in eine Pension mit acht Zimmern um. „Der Alqueva hat uns Hoffnung gegeben“, sagt er.

Das Glück des einen ist der Schaden des anderen. In den Fluten verschwanden nicht nur Kulturdenkmäler, sondern auch das historische Dorf Aldeia da Luz. Nur wenige hundert Meter vom versunkenen „Dorf des Lichts“ entfernt, wurde das Ersatzdorf namens Luz aufgebaut. Die Kirche wurde versetzt, ebenso der Friedhof.

Burgdorf Monsaraz, Alentejo, Portugal

Bewohner des Burgdorfs Monsaraz

„Der Stausee brachte Wasser, aber nicht die versprochenen Arbeitsplätze“, sagt João Pedro in der Dorfkneipe Tasca Bar. An der Wand hängt ein großes Poster vom ursprünglichen Dorf, das melancholisch stimmt. „Profitiert hat hier die Agrarindustrie“, sagt der Lehrer aus Lissabon, dessen Frau in Aldeia da Luz geboren ist; sie besuchen Verwandte. Vierhundert Häuser seien damals gebaut worden. Nicht einmal die Hälfte ist noch bewohnt. Die Bewohner sind weggezogen. „Das Dorf hat seine Identität verloren“, sagt er.

Die lange Dorfstraße endet am See wie in einer Sackgasse. Am Ufer wurde 2003 das hochmoderne Museum da Luz im schicken Design errichtet. Dokumentarfilme erzählen von Räumung und Flutung und wie tausende uralte Olivenbäume, Rebstöcke, knorrige Kork- und Steineichen gefällt, die Schafe fort getrieben und an den Friedhof ein Trauerkranz gehängt wurden. Die Bewohner verließen ihr Dorf in der Hoffnung auf blühende Landschaften am anderen Ort.

Auf der Fahrt zur alentejanischen Küste ist die Verwandlung der Landschaft nicht zu übersehen. Wo früher die weiten Ebenen mit alten Baumbeständen, Schafherden und schwarzen Schweinen waren, stehen jetzt junge, maschinentaugliche Pflanzungen aus Rebstöcken und Olivenbäumen in militärischer Ordnung. Der Stausee versorgt sie mit Wasser.

Küste des Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, Portugal

Küste des Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina

Im Westen schützt der 75.000 Hektar große Naturpark Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina die Natur. Ein Küstenstreifen aus schroffen Felsen, sandigen Buchten, Riffen, Lagunen, Dünen und einem empfindlichen Ökosystem. Südlich von Lissabon, stürzt die Steilküste sechzig Meter in die Tiefe und verschwindet im Meer. Nur noch einen Schritt weiter und der Wanderer, der im Naturpark unterwegs ist, kippt selber über den Klippenrand. Also: Vorsicht.

Küste des Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, Portugal

Küste des Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina

Normalerweise kommt er aber so nah an die Klippen gar nicht heran. Der markierte Weg liegt weiter abseits, nicht nur zum Schutz der Wanderer, sondern auch der Lackzistrosen, Wacholderbüsche, des wilden Thymians, der seltenen Hasenglöckchen oder der Brillenschötchen in den Dünen. Wo einander Land und Meer so spektakulär begegnen, entstand vor zehn Jahren die Rota Vicentina, zwei parallele Weitwanderwege. Der „Fischerweg“ führt im Naturpark von Porto Côvo an der Küste entlang nach Lagos, ein Trail von 226 Kilometern. „Historischer Weg“ heißt die 263 Kilometer lange Route von Santiago do Cacém durch das Binnenland bis zum Leuchtturm vom Cabo de São Vicente.

Ruheplatz auf dem Fischerweg der Rota Vicentina im Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, Portugal

Ruheplatz auf dem Fischerweg

„Wir haben die Rota Vicentina damals entwickelt, um den Naturtourismus zu fördern“, erklärt Rudolfo Müller, Ende 50 und einer der Mitbegründer. Inzwischen wurden die Strecken erweitert, besser ausgeschildert und Quartiere angeschlossen. „Es kommen immer mehr Gäste, die sich für diese einmalige Landschaft und das Leben in den Dörfern interessieren“, freut sich der gebürtige Schweizer.

Rudolfo Müller, Mitbegründer des Weitwanderweges Rota Vicentina, auf dem Fischerweg an der Küste im Parque Natural Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, Portugal

Rudolfo Müller, Mitbegründer des Weitwanderweges Rota Vicentina

Besonders der beliebte „Fischerweg“ führt durch den Naturpark Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, der 1995 gegründet wurde, um die fragile Steilküste, die seltene Flora und Fauna vor der Hotelbebauung zu schützen. Doch jetzt wird sie von industrieller Landwirtschaft bedrängt. Bei Zambujeira do Mar haben sich die Gewächshäuser für Himbeeren und Heidelbeeren bereits im Naturpark ausgebreitet und Strandbuchten wie die Praia da Amália und Carvalhal erreicht. „Statt in einer geschützten Dünenlandschaft finde ich mich in einer Plastikwüste wieder“, empört sich Annette Spiering über die flächendeckenden Anlagen aus langen, mit weißen Planen bedeckten Tunnel für rote Beeren. „Und das im Naturpark", sagt die Hamburgerin schockiert.

Gewächshäuser für rote Beeren nahe der Praia da Amália bei Brejão, Alentejo, Portugal

Gewächshäuser für rote Beeren nahe der Praia da Amália bei Brejão

„Die Gewächshäuser vertreiben uns die Touristen“, klagt Luisa Rebelo, die ein kleines Hotel bei Brejão nahe dem Strand besitzt. Seit Jahren beobachtet sie, wie sich die Plantagen unkontrolliert in den Naturpark hinein wuchern, sogar bis vor ihre Haustür. „Der Staat duldet das“, sagt sie. Wenn Portugal wenigstens profitieren würde, so die engagierte Frau, die ebenfalls zu den Mitbegründern der Rota Vicentina gehört. „Doch es kommen multinationale Unternehmen, sie bezahlen nur ein Prozent Steuern, bringen in großer Zahl ausländische Erntearbeiter her, versprühen Pestizide und verlassen die Region, wenn die Böden ausgelaugt sind.“

Wanderer auf dem Fischerweg der Rota Vicentina, dem Fernwanderweg durch den gleichnamigen Naturpark im Südwesten Portugals

Wanderer auf dem Fischerweg der Rota Vicentina

Auch Umweltschutzorganisationen wie Quercus oder Zero klagen über die Missachtung von Vorschriften und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. „Noch gilt der Küstenstreifen als überwiegend gut geschützt“, sagt die Naturparkführerin Carla Cabrita, die seit zwölf Jahren Wanderungen anbietet. Es sei jedoch ein fundamentaler Missstand, dass es an einer Strategie für die ökonomische Nutzung fehle. Das Beerengeschäft bedrohe ein Paradies.

Wanderer auf einem Trilho dos Pescdores, einem Fischerweg der Rota Vicentina an der Küste entlang. Der Fernwanderweg führt durch den gleichnamigen Naturpark im Südwesten Portugals

Wanderer auf einem Trilho dos Pescdores, einem Fischerweg der Rota Vicentina an der Küste entlang

Wandert man auf der Rota Vicentina bei Azanhas do Mar weiter südwärts, versöhnen andere Bilder. Lackzistrosen glitzern in der Sonne. Unterhalb der Klippe tobt der schäumende Atlantik. Immer wieder zieht er den Bauch ein und spuckt eine volle Ladung Wellen aus. Die Gischt spritzt an den dunklen Steinwänden hoch, die wie geschichteter Blätterteig aussehen - geformt vor hunderttausenden von Jahren. Aus dem Wasser ragen hohe Felsen, auf deren Spitzen im Frühjahr Weißstörche brüten. „Das gibt es nur hier“, sagt Rudolfo Müller fasziniert, der seit mehr als vierzig Jahren an der alentejanischen Westküste lebt. Auch wenn sich die Landschaft stark verändert habe, so Müller, sobald er die Störche wieder an der Steilküste sehe, sei er zufrieden.

Ein Storchennest auf einem Felsen im Meer, das gibt es nur an der portugiesischen Südküste bei Zambujeira do Mar. Der Wanderer, der auf dem Fischerweg der Rota Vicentina unterwegs ist, kann das beobachten. Alentejo, Portugal

Ein Storchennest auf einem Felsen im Meer, das gibt es nur an der portugiesischen Südküste

 

Informationen

Anreise

z.B. mit der TAP Portugal, die mehrmals pro Woche von den großen deutschen Flughäfen nach Lissabon fliegt, www.flytap.com.

Unterkunft

Ecork Hotel, Évora, www.ecorkhotel.com.

Herdade dos Delgados, www.herdadedosdelgados.pt/en.

Casa da Seiceira, Brejão, www.casadaseiceira.com.

Weitere Quartiere im Umfeld der Rota Vicentina: www.rotavicentina.com/de/alojamentos-2/

Transfers und Gepäcktransport auf der Rota Vicentina: Vicentina Transfers, www.vicentinatransfers.pt

Essen und Trinken

Restaurant Alecrim, Estremoz, www.alecrimestremoz.pt.

Restaurant Herdade do Esporão, Reguengos de Monsaraz, www.esporao.com/en/winetourism/herdade-do-esporao/herdade-do-esporao-restaurant/

Auskunft

Turismo do Alentejo, www.visitalentejo.pt/de. Rota Vicentina, www.rotavicentina.com.

 

Website der Autorin: www.beate-schuemann.de

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseveranstalter Portugal bei schwarzaufweiss

 

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