Paraguay im Überblick

Unterwegs im Uralt-Bus durch den tiefen Süden Paraguays. Aus dem Radio schmalzen Lieder von Herz und Schmerz, in die blechernen Klänge mischt sich der Steinschlag gegen den Unterboden. Die ruppige Straße streckt sich durchs Grün, der aufgewirbelte Staub legt sich auf Mais- und Sojafelder, Rinderweiden und wiederaufgeforsteten Eukalyptus. Plötzlich ist Schluss, die letzten Kinder steigen fröhlich lärmend aus, von den Schnulzen erlöst. Der Fahrer lächelt dem Fremden zu und nickt. Will heißen: Endstation, Jesús.

Mädchen aus Areguá in Paraguay

Mädchen aus Areguá in ihren traditionellen Trachten

Ein typisch paraguayisches Dorf mit Häusern aus Ziegeln, Holz und Wellblech, ein paar lange Straßenzüge und nach unserem Maßstab vor allem eines: bitterarm. Wer auf dem harten Grund ein vom Schlaf- getrenntes Kochhaus gebaut, Maniok gepflanzt hat und sich mehr als ein freilaufendes Huhn hält, zählt zu den Reicheren. In Jesús steht die Hitze, hier sprechen die meisten ausschließlich Guaraní und kein Spanisch, hier sitzen die Paraguayos auf Stühlchen aus Metallgestänge und Plastik im Schatten vorm Haus und beäugen das Leben. Nicht ohne Kalebasse für den tereré in der Hand, jenen kühlen Kräuter- und Nationalaufguss, den man bis zum schlürfenden Ende durchs Metallröhrchen zieht und der einen - da er praktisch nichts kostet - auch in den schwersten Zeiten über Wasser hält. Monumentalität, wie sie hinter der Biegung am Ende des Dorfes auftaucht, wirkt hier und heute befremdlich. Aus dem Wiesengrün ragen mächtige Wände aus rostroten Ziegeln - die alte Kirche der Mission von Jesús de Tavarangue. Sie ist ein Juwel im kulturgeschichtlichen Erbe der alten Jesuitenmissionen (reducciones), von denen sich einst 30 über den Grenzraum Paraguay-Argentinien-Brasilien verteilten und bis zu 200.000 Indios zusammenführten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts begannen die Jesuiten ihr dortiges Missionierungswerk, das "heilige Experiment" ihres Ordens, um die vielfach titulierten "Wilden in der Neuen Welt" zu bekehren. Verblendet vom Glauben ans Eldorado und getrieben von unermesslicher Gier, hatten ein Jahrhundert zuvor die Beutezüge der Konquistadoren begonnen. Nun stand eine friedvollere Eroberung an, die "conquista espiritual", die "geistige Conquista". Die von Spaniens König Philipp III abgesegnete Christianisierung vollzog sich vor der Kulisse weitgehend unberührter und von Wasseradern zerschnittener Urwaldgebiete, in denen vielerorts das Boot als einziges Transportmittel diente. Die Padres führten die verstreut lebenden Guaraníes in großen Siedlungen zusammen und ans politisch-soziale Leben in christlicher Gemeinschaft heran. San Ignacio Guazú, rund 230 Kilometer südöstlich von Asunción in einem Gebiet aus Zuckerrohrfeldern und Weiden gelegen, war die erste Jesuitenmission im heutigen Paraguay, während die reducción Santísima Trinidad - rund 15 Kilometer von Jesús de Tavarangue entfernt und 30 Kilometer nordöstlich von Encarnación gelegen - erst 1706 begründet wurde.

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Gemeinsam mit der Mission von Jesús de Tavarangue zählt Santísima Trinidad zum Weltkulturerbe der Unesco. An beiden Stätten gibt es recht eindrucksvolle Ruinen und die markante Grundstruktur der wehrhaften reducciones zu sehen. Rund um den riesigen Zentralplatz gruppierten sich die Anlaufstellen des Alltags: die Kirche, die Schule und die Werkstätten, in denen manche Indios zu Meistern der Steinmetzkunst erwuchsen. Historischen Quellen zufolge muss die Hauptkirche von Trinidad einst die schönste aller Missionen gewesen sein. Den reducciones drohte stets zerstörerische Gefahr. Die steigende Wirtschaftskraft der Dörfer, mit Fleiß und Schweiß von Guaraníes und Jesuiten hart erkämpft, zog Neid und Zorn der kolonialen Oberschicht auf sich. Zudem drangen immer wieder skrupellose weiße Sklavenjäger, die bandeirantes, und andere dubiose Gestalten in die Gebiete der Friedensinseln im Dschungel vor. Alleine die reducción von Jesús de Tavarangue sah sich zu vier Standortwechseln gezwungen. Erst 1759 begannen die Arbeiten an der jetzigen Kirche, doch das Ende war nicht fern. Spaniens Krone fürchtete um ihre Macht und potenzielle Untertanen, genährt durch Gerüchte wie die einer "Verschwörung der Jesuiten" und eines "unabhängigen Staates in Südamerikas Dschungeln". Die Folge: die von Spaniens König Karl III 1767 befehligte Ausweisung der Jesuiten, während man die Guaraníes endgültig den spanischen Behörden unterstellte. Manche flüchteten zunächst zurück in die Wälder, andere ergaben sich willenlos ihrem Schicksal. Wer die reducciones von Jesús und Trinidad besucht, nimmt am besten in Encarnación Quartier, einer geschäftigen 60.000-Einwohner-Stadt an den Ufern des Río Paraná.

Ypacaraí-See

Am Ypacaraí-See

Die Geschichte und Zeugnisse der reducciones gehören zum Spannendsten, was Paraguay zu bieten hat - doch das ist natürlich nicht alles! Alleine im näheren Umkreis der Hauptstadt Asunción zieht es Besucher in den Wallfahrtsor Caacupé mit seiner großen Basilika, in die Töpferorte Tobatí und Areguá sowie an den Ypacaraí-See mit seiner 1881 von Deutschen gegründeten "Sommerhauptstadt" San Bernardino und den dort versprengt liegenden Stränden. Der See ist von grünen Hügeln umzogen, maximal 22 Kilometer lang und sechs Kilometer breit. Auch in Areguá findet man einen populären Strand. Einen gesonderten Ausflug ab Asunción ist der 125 Kilometer südöstlich gelegene Parque Nacional Ybycuí wert. Der kleine Nationalpark blättert sich als tropisches Pflanzenparadies auf, verfügt über ein ausgewiesenes Wegenetz und lockt mit relativ leicht zugänglichen Wasserfällen, Flüsschen und Naturpools.

Der Hauptstadtalltag in Asunción präsentiert sich als lebendiger, bunter Freiluftbasar. Was mit all den Straßenständen und fliegenden Händlern auf Auswärtige farbenprächtig wirkt, aber in Wahrheit nichts weiter wiederspiegelt als bittere soziale Not und den Kampf ums tägliche Überleben. Die Armut bleibt ständiger Begleiter in der mutmaßlich auf über eine Million Bewohner angewachsenen Hauptstadt. Sie schluckt einen hohen Teil der Landflüchtigen und verkraftet ihn kläglich. Selbst wenige hundert Meter vom Präsidentenpalast entfernt sieht man Verschläge aus Pappe und Wellblech. Überall wimmelt es von Klein- und Kleinstverdienern: Obst- und Getränkeverkäufer an Ampeln, Händler mit rollenden Hot-dog-Ständen und Kinder, still geduldet von den Busfahrern, die sich und ihre winzige Bauchladenfracht an den Ticketgittern der Stadtbusse vorbeizwängen und lauthals Kaugummi, Kulis und Cola anpreisen. Ein unglaubliches Getümmel herrscht rund um den Mercado Pettirossi, einen täglichen Megamarkt mit Waren für alle Geschmäcker, Geldbeutel und Notwendigkeiten: Ledertaschen und Büstenhalter, Gürtel und Schuhe, Schmuck und Fernseher, Hemden und Sonnenbrillen, Mikrobikinis und handgedrehte Zigarren.

Slumbilder voller Staub und Müll und Bretterbuden nimmt man am nordöstlichen Stadtrand in der Comunidad Indígena Maká auf, einer ethnischen Gemeinschaft, in der die letzten verbliebenen tausend Nachkommen eines einst stolzen und tapferen Volkes aus den trockenen Buschlandschaften des nördlichen Chaco leben. Ein kleines Willkommen-Schild zeigt, dass die Maká an Gäste gewöhnt sind. Was nach der Ankunft von Fremden folgt, ist ein Ablauf von Riten, der ambivalente Gefühle aufwirft. Der Führer durchs Maká-Dorf kommt und erklärt die Konditionen für die Besucher-Runde: fünf Dollar Trinkgeld für die colonia und ein zusätzliches für ihn selber, Stammestänze und Personenfotos kosten extra, Zusatz-Aufschlag für barbüsige Frauen und Männer in Trachten. Der Guide führt Besucher zur kleinen Schule, zur Krankenstation und zum Fußballfeld von "Atlético Maká". Staatliche Unterstützung? "Hängt von der Regierung ab", sagt er, "die letzte hat mit Licht und Trinkwasser geholfen, bei der jetzigen tut sich nichts." Zum Schluss, am Ausgang der umzäunten comunidad, steht ein für beide Seiten beschämendes Schauspiel an. Die Dorfältesten haben sich zu einer Reihe formiert, dicht an dicht, in Fotopose. Um ihre Hälse liegen bunte Ketten, um ihre Hüften und im Haar Kränze aus Straußenfedern. "So", sagt der Führer, "jetzt kannst du auswählen, wen du ablichtest. Und gib dem Ältesten das Geld."

Gänzlich andere Welten eröffnen sich im abgeschiedenen Nordwesten des Landes, dort, wo die stechende Hitze des Chaco steht. Eben dorthin, rund 500 Kilometer oder zehn Busstunden von Asunción entfernt, verschlug es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche verfolgte Mennoniten aus Deutschland und Osteuropa. Unter unglaublichen Kraftanstrengungen bauten sie sich in den unwirtlichen Gegenden eine Existenz auf und gründeten Orte wie Loma Plata (1927/28), Filadelfia (1930) und Neu-Halbstadt (1947/48). Von Beginn an setzten sie auf Land- und Viehwirtschaft und gründeten Kooperativen. Filadelfia, Hauptort der Kolonie Fernheim und der vielleicht typischste Mennonitenort Paraguays, liefert Milchprodukte ins ganze Land; die Milchverarbeitung kann besichtigt werden. In Filadelfia fühlt man sich wie in einem deutschen Dorf. Samt Sprache, Radlern, Gesundheitsschuhträgern und Vorsicht-Schüler-Schildern. Die zentrale Verkehrsachse ist nach Paul von Hindenburg (1847-1934) benannt. Heute beläuft sich die Zahl der Mennoniten in Paraguay auf stattliche 35.000.

Salto del Monday

Der Salto del Monday ist der größte Wasserfall des Landes

Noch tiefer als Filadelfia steckt der Parque Nacional Defensores del Chaco im Chaco drin, ein 780.000 Hektar großer Nationalpark, der in manchen Jahren allenfalls 100 Besucher verzeichnet. Was dem Schutz der ausgedehnten Trockenbuschvegetation und den Lebensräumen von Pumas und Tapiren zu Gute kommt. Ansonsten verteilen sich weitere wichtige Schutzgebiete über das ganze Land. So wie der Parque Nacional Caaguazú (270 Kilometer südöstlich von Asunción; Lebensraum von 150 Vogelarten, umfasst Teile der Caagazú-Kordillere) und der Parque Nacional Cerro Corá (440 Kilometer nordöstlich von Asunción; subtropische Wälder und Savannen, Flussgebiete, Lebensraum von Affen, Tukanen und Tapiren). Kleine Naturschönheiten bekommt man auch nahe Ciudad del Este zu Gesicht, einer gigantischen und wenig erbaulichen Warenumschlagsstadt im äußersten Osten. Lohnende Ziele sind der etwa 20 Meter hohe Monday-Wasserfall und das Monumento Científico Moisés Bertoni, ein Stück subtropischer Forst an den Ufern des Río Paraná. Noch lohnender ab Ciudad del Este: ein Besuch des gigantischen Wasserkraftwerks von Itaipú sowie ein Abstecher über die Grenze zum Naturwunder der zu Brasilien und Argentinien gehörigen Iguazú-Wasserfälle.

Andreas Drouve




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