Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther
Ein Blick auf den Stadtplan verdeutlicht, dass Kristiansand ähnlich wie Mannheim oder wie Kolonialstädte in Lateinamerika auf einem Schachbrettgrundriss erbaut wurde. Im Gegensatz zu Mannheim jedoch finden wir in der südnorwegischen Stadt Straßennamen und keine Buchstaben mit Ziffern, die in Mannheim das jeweilige Planquadrat des Stadtgrundrisses bezeichnen. Doch der rechte Winkel ist in Kristiansand nicht zu übersehen. Kein Wunder also, dass der Stadtkern der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegründeten Stadt Kvadraturen heißt. Also, herzlich willkommen in der norwegischen Quadratstadt.
Festungsrotunde
Die steinernen Zeugnisse aus der Zeit der Stadtgründung sind fast alle verschwunden, sieht man einmal von der kleinen Festung Christiansholm ab. Bauherr dieser Festungsrotunde war der dänische König Frederik III., denn als man die kleine Festung in Wassernähe baute, war der dänische Monarch zugleich das Oberhaupt von Norwegen. Zunächst stand der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtete Festungsbau auf einer Insel, die mit einer 100 Meter langen Brücke mit dem Festland verbunden war. Nach der Verfüllung des „Seekanals“ besteht seit dem 19. Jahrhundert eine unmittelbare Landverbindung zur Rotunde, deren Mauern eine Stärke von fünf Metern aufweisen. Nur einmal, im Jahr 1807, wurde aus den Festungskanonen geschossen, als sich englische Kriegsschiffe Kristiansand zu nähern versuchten. Acht bronzene Kanonen erinnern bis heute an die Tage, als noch eine 89 Mann starke Besatzung auf der Rotunde nach dem sich vom Meer nähernden Feind Ausschau hielt.
Ein weiteres Festungswerk, die allerdings außerhalb von Kristiansands Kernstadt befindliche Batterie Vara, stammt aus einer anderen Zeit. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht begann in der deutschen Besatzungszeit der Bau dieser Batterie, um das Eindringen englischer Kriegsschiffe in den Skagerrak zu verhindern. Verantwortlich für den Bau der Batterie, die u. a. mit vier Kanonen – jede mit einer Reichweite von 55 Metern – bestückt war, war die Organisation Todt. Eingesetzt wurden beim Bau der Anlage nicht nur Arbeitskräfte der Organisation Todt, sondern selbstverständlich auch Kriegsgefangene. 1952 wurde der letzte Schuss in der Batterie Vara abgegeben. Danach wurde die militärische Anlage aufgegeben.
Konservativ und lutherisch
Der neogotische Dom in Kristiansand
Im Zentrum der als konservativ geltenden Stadt befindet sich der Dom, der Sitz des lutherischen Bischofs ist und im Stil des Historismus des 19. Jahrhundert erbaut wurde. Das neogotische Gotteshaus steht vis-a-vis vom Rathaus am Øvre Torg, in dessen Mitte ein Springbrunnen unablässig sprudelt. Dies scheint keine ungewöhnliche Konstellation in der Stadtarchitektur, denkt man an Städte wie Osnabrück und Bremen, wo städtische und geistliche Macht sich gleichsam Auge in Auge gegenüberstehen. Die Macht des Bischofs ist zwar nicht mehr die zu Zeiten der Reformation, aber auch heute noch interveniert der Bischof beim Leiter des Sørlandets Kunstmuseums, wenn ihm die eine oder andere avantgardistische Kunstpräsentation allzu provokativ erscheint. Zu Füßen des Doms stößt man nicht nur auf den Wergelangspark, sondern auch auf die alte Lateinschule, die nach dem großen Brand von 1734 in klassizistischem Stil erbaut wurde und bis 1982 als Domschule diente.
Unablässig sprudelnder Springbrunnen
Junge Kunst der Gegenwart
Nur Schritte entfernt befindet sich in einer ehemaligen Schule das Sørlandets Kunstmuseum, dessen Schwerpunkt auf norwegischer Gegenwartskunst liegt. Dabei ist die Intention des Hauses, nicht in die Fußstapfen der traditionellen Kunstgeschichte zu treten, sondern in provokativer Absicht kontroverse Ausstellungen zu organisieren. Auch die Sammlungspräsentation weicht von dem klassischen Konzept einer chronologischen oder thematischen Hängung ab, setzt lieber Kontrapunkte und konfrontiert Kunst der 1920er Jahre mit der der Gegenwart. Fotokunst ist im Dialog mit Gemälden und plastischen Arbeiten zu sehen. Auch die tiefe Verbeugung vor dem White Cube als Hülle der Kunstpräsentation ist nicht die Sache des Hauses. Junge norwegische Kunst wird angekauft, auch von regionalen Künstlern. Zu den etablierten Künstlern des Landes, die das Museum dem Publikum vorstellt, zählt Bjarne Melgaard – auch in Deutschland ist dieser kein Unbekannter. Neben der Malerei und Zeichnungen sind es Melgaards Videoarbeiten, die sich der S/M- und der Black-Metal-Musikszene widmen, die als überaus provokativ empfunden werden.
Nicht nur ein Windjammer
Mit dem City-Train durch Kristiansand
Kristiansand mit seinen beiden „Stadtteilen“ Kvadraturen und Posebyen ist ohne Probleme zu Fuß zu erkunden. Wer möchte, kann auch den weißen City-Train besteigen und eine Sightseeing-Tour durch die Stadt unternehmen. Diese schließt auch den Besuch des Fischmarktes auf Langmannsholmen ein. Unweit von hier machen die Kreuzfahrtschiffe, aber auch die Riesenfähren aus Dänemark fest. Bisweilen liegt auch das Segelschiff „Sørlandet“ am Kai. Auf diesem 65 Meter langen, 1927 erbauten Windjammer wurden bis 1973 Schiffsjungen an Bord genommen und zu Matrosen ausgebildet. Unterdessen kümmert sich eine Stiftung um dieses Vollschiff, das die erste große Fahrt 1933 zur Weltausstellung nach Chicago unternahm. Heute ist der Zweck des Seglers, Landratten das Leben an Bord zu ermöglichen und das Hochseesegeln näher zu bringen.
Segelschiff „Sørlandet“
Wer durch die Rathausstraße schlendert, hier befindet sich auch die Tourismusinformation, wird Jugendstil entdecken und gleich um die Ecke auf die Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts stoßen. Kühl wirkt der aus Beton gegossene, an der Stirnwand durch eine Glasfront durchbrochene Kubus des Agder-Theaters, in dem „Hamlet“ ebenso auf dem Spielplan steht wie im Figurentheater eine Komödie von Hendrik Wergeland. Kunst am Bau scheint auch in Norwegen ein Thema zu sein, betrachtet man die mit dunkelbraunen und rostbraunen Kreissegmenten sowie orangegelben und grauen Quadern überzogene Längswand des Theaterbaus.
Blick auf das Agder-Theater
Kunst auf Schritt und Tritt
Nähert man sich der Wasserfront, so stößt man in einer kleinen Grünanlage auf eine kauernde Bronzeplastik, die von Patina überzogen ist. Nur Schritte entfernt reitet ein Jüngling mit einem Lachen im Gesicht auf einem Bären – eine Skulptur von Arne N. Vigeland. Überdimensioniert ist die Vase aus Keramik, die vor einer modernen Wohnanlage am Wasser ihren Platz gefunden hat. „Amphora für Kristiansand“ nannte Kjell Nupen seine Keramik von 1994. Selbst bei durchaus kühlen Temperaturen vergnügen sich unweit einige Jungen am kleinen Badestrand. Unser Blick schweift über die Bucht und den Uferbereich, wobei unsere Augen an einem skulptierten Rehbock und einer Rehkuh hängen bleiben, gleichfalls Kunst im öffentlichen Raum.
„Amphora für Kristiansand“ nannte Kjell Nupen seine Keramik von 1994
Lachs, Garnelen und anderes Meeresgetier
In einem der Hafenbereiche von Kristiansand liegt der Fischmarkt. Er ist überaus überschaubar. Garnelen und Krebse, aber auch Stockfisch gehen über den Ladentisch. In Bassins warten Lachse darauf, einen Käufer zu finden. Gleiches gilt für die Hummer, denen man die Scheren zusammengebunden hat. Restaurants wie Bolgen & Moi Kristiansand oder die Pizzarestaurant-Kette Dolly Dimples gehören zum Erscheinungsbild von Fiskebrygge. Bei schönem Wetter genießen die Restaurantbesucher ihr Essen auf den Terrassen an der Wasserfront.
Fischmarkt-Hallen in Kristiansand
Posebyen ist nicht nur Weiß
Jenseits der Festungsstraße erstreckt sich Posebyen, oftmals als weiße Stadt bezeichnet. Ja, ein Großteil der mit Schindeln umhüllten Häuser erstrahlt in Weiß, aber auch ein Ocker und ein Mausgrau mischt sich unter die weißen Fassaden. Fünfachsig oder vierachsig sind die ein- bis zweigeschossigen Gebäude, die zum geschlossenen Ortsbild beitragen. Schnurgerade sind wie auch anderswo in Kristiansand die Straßen angelegt. Vor einigen Häusern wächst ein Rosenstock mit sattroten Rosen.
Zu den größten Gebäuden von Posebyen gehört in der Gyldenløvegata 56 das Haus der Blaukreuz-Vereinigung. Ursprünglich wurde das von einem Oberstleutnant erworbene Haus mit seinen 16 Zimmern und drei Küchen für rauschende Feste genutzt, ehe es in ein Soldatenquartier umgewidmet wurde. Seit 1915 ist das Haus im Besitz der Blaukreuzler, einer Organisation, die sich seit 1906 mit Suchtprävention und -behandlung befasst. Im Blåstua kafè nebenan werden preisgünstige Mittagessen serviert, sei es Labskaus oder Fischsuppe. Fast einen halben Block nimmt in der Elvegata das ursprünglich am Ende des 17. Jahrhunderts erbaute Pflegeheim ein. Das heutige Bauwerk stammt allerdings aus der Zeit nach dem Stadtbrand von 1859. Zunächst diente der Komplex als Kaufmannsladen und herrschaftliche Bleibe des „Königs der Elvestraße“, ehe die Stadt das Grundstück übernahm und ein Pflegeheim einrichtete.
Natur und Geschichte
Weit außerhalb des Stadtquadrats befinden sich der Botanische Garten rund um Gimle Gård und das West-Agder-Freilichtmuseum. Gimle Gård diente als Sommerresidenz eines Großkaufmanns, der seinen repräsentativen Landsitz zwischen 1797 und 1807 erbauen ließ. Ein formaler Rosengarten, der nun wiederhergestellt ist, ist Teil des Anwesens.
Die letzte Bewohnerin übergab dieses Haus mit seiner ausgeprägten Kolonnadenfront 1982 der Stadt Kristiansand, die den Zustand der Räume seither unverändert gelassen hat. So kann der Besucher die Spuren der vielen Bewohner entdecken, die hier ihre Sommerfrische genossen, so auch Else Gram. Neben dem „klassizistischen Herrenhaus“ existiert auch noch eine Rotunde, die als Reithalle genutzt wurde. Rund um das Anwesen findet man als Teil des Botanischen Gartens nicht nur ein Arboretum mit Japanischer Zeder, Riesentanne, Metasequoia und Arakauria, sondern auch exotische Kübelpflanzen wie australische und südamerikanische Myrtaceen, u. a. Feijoa sellowiana, sowie Akazien. Im ehemaligen Landhausgarten gedeihen Haselnuss, Linde, Eiche und Buche. Einen Staudengarten gibt es ebenso zu bestaunen wie eine Heidelandschaft mit Wacholder und Ericasorten.
Ein Exemplar der Sukkulenten
Die größte norwegische Sukkulentensammlung unter einem schützenden Glasdach ist der ganze Stolz des Gartens, wie Per Arne Åsen, der Leiter des Botanischen Gartens, versichert. Neben der nur nachts ihre Blütenpracht entfaltenden Kakteenart Peniocereus greggii („Königin der Nacht“) entdecken wir so genannte Lebende Steine, aber auch Parodia tafiensis, Opuntien und in Mexiko beheimatete Goldkugelkakteen. Gärten von der Wikingerzeit bis in die Neuzeit mit Beinwell, Liebstöckel, Rainfarn, Zitronenmelisse und anderen Heilkräutern sowie einen Rosengarten, in dem Rosen von den Gehöften der Gegend zusammengetragen wurden, runden die Gartenvielfalt von Gimle Gård ab.
Natur museal
Im Naturkundemuseum ist nicht nur eine ansehnliche Sammlung von Mineralien zu bestaunen, sondern auch ein Naturalienkabinett und alte Feuchtpräparate aus musealen Anfangszeiten, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. Mit Siebenmeilenstiefeln kann der Besucher durch die Erdzeitalter eilen und sich in Dioramen die neuzeitliche Tierwelt Norwegens anschauen, Robben ebenso wie Bären, Wölfe oder Biber und Alk in ihrem jeweils „inszenierten Umfeld“. Das Highlight der Sammlung ist die „Elle und Speiche“ eines Grönlandwals, der vor Kristiansand geborgen wurde.
Abschließend sei noch auf das West-Agder-Freilichtmuseum mit seinen sehenswerten Häusern aus dem Kristiansand des 19. Jahrhunderts hingewiesen.
Reiseveranstalter Norwegen bei schwarzaufweiss
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Nein, nicht nur Hamburg lockt mit einer post-post-modernen Hafencity, auch Trondheim hat längst eine Hafencity, in der Alt und Neu aufeinandertreffen, hier die alten Hafenschuppen, dort teure Lofts und Appartements. In den Hafenbecken liegen längst keine Trawler mehr, sondern teure Jachten. Riesige Kreuzfahrtschiffe, die über den Trondheimfjord gefahren sind, machen am Kreuzfahrtterminal fest. Dann ist Landgang angesagt, und Passagiere trotten in Scharen zum Nidaros-Dom, zur wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit der Stadt und zugleich Ziel von Pilgern, die von Selanger (Schweden) oder Oslo aus auf dem Sankt-Olavs-Pilgerweg unterwegs waren.
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Pilgern ist in. Pilgern ist eine Reise zu sich selbst. Der berühmteste aller Pilgerwege ist der Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien. Er hat Konkurrenz bekommen. Am anderen Ende Europas. 1997 wurde in Norwegen der fast tausend Jahre alte Olavsweg zu neuem Leben erweckt. Seit seiner Ernennung zum europäischen Kulturweg steht er nun im selben Rang wie der Jakobsweg.
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