Im besten Land der Welt

Die berühmte Elf-Städte-Tour durch das niederländische Friesland im Sommer

Text und Fotos: Ulrich Traub

Giet it oan? Geht es los, fragt man sich in Friesland aufgeregt, wenn nach Jahren die Kanäle wieder einmal zugefroren sind. Tausende Eisläufer fiebern diesem Tag entgegen. Sie wollen die rund 230 Kilometer lange Elfstedentocht durch elf historische Orte zurücklegen. Dabei ist es doch im Sommer viel schöner, sagt sich dagegen der Nicht-Friese. Und aktiv sein, kann man obendrein.

Niederlande - Deich in Friesland

Los geht es seit einigen Jahren auch in der wärmeren Jahreszeit. Dann machen sich unzählige Hobbysportler auf, die traditionelle Elf-Städte-Tour durch Friesland, die nördlichste Provinz der Niederlande, zu meistern. Der Aktivurlauber hat die Qual der Wahl. Setzt er die Segel oder sich selbst in ein Paddelboot oder doch lieber aufs Fahrrad? Soll er die Inline-Skates anschnallen oder sich per Pedes auf den Weg machen? Bequemere Zeitgenossen wählen ein Motorboot, das man ohne Führerschein mieten kann, oder verschaffen sich mit dem Auto einen ersten Eindruck.

Der Rundkurs verbindet typisch altholländische, pardon altfriesische Orte, was noch lange nicht dasselbe ist, behaupten jedenfalls die stolzen Friesen, die ihre Heimat in ihrer eigenen Sprache als „it bêste lân fan d’ierde“, als bestes Land der Erde, besingen. Die elf Städte – vom winzigen Sloten mit seinen nicht mal tausend Einwohnern bis zur lebhaften Provinzhauptstadt Leeuwarden – erhielten alle schon im Mittelalter das Stadtrecht und waren im 17. Jahrhundert, das in den Niederlanden das goldene genannt wird, durch Handel wohlhabend geworden – wofür sich in den Ortsbildern noch manches Indiz finden lässt.

Niederlande - Kanal in Friesland

Kanal in Friesland

Der rote Faden, der die Orte verbindet, ist ein blaues Band. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Friesland wie ein Flickenteppich mit hohem Blauanteil ausschaut. Große Teile des Landes wurden im Laufe der Jahrhunderte dem Meer abgerungen, wodurch auch zahlreiche Binnengewässer entstanden sind. Ein Netzwerk von Kanälen lässt so Europas größtes Gebiet untereinander verbundener Seen entstehen. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich die Boote an den Knotenpunkten stauen. Dann warten die Freizeitkapitäne im Schlauchboot und auf der Kommandobrücke der Motoryacht geduldig darauf, dass sich die Ziehbrücke oder die Schleusentore öffnen. Manchmal bedarf es einiger Münzen, die man in einen an einer Angelschnur heruntergelassenen Strumpf stecken muss. Nein, sonderlich eilig hat es hier niemand.

Niederlande - Friesland - Wassertor

Wassertor

Die Landschaft legt eine gemächliche Art der Fortbewegung nahe. Das Weitläufige ist hier das Spektakuläre. Ein modischer Begriff wie Entschleunigung lässt sich bei einer Reise durch Friesland leicht mit Leben füllen. Gestresste Großstadtgemüter finden schnell Entspannung. Und wenn man vielleicht etwas überrascht feststellt, dass weiße Segel das Grün der Weiden durchpflügen, dann hat man keine Sinnestäuschung, dann ist lediglich ein Wasserlauf in der Nähe – was eigentlich immer der Fall ist.

Niederlande - Friesland - Wegweiser Schlittschuh-Museum in Hindeloopen

Wegweiser für das Schlittschuh-Museum

An den Winter mit Sportlern auf zugefrorenen Kanälen denkt man auf seiner individuellen Elf-Städte-Tour eigentlich weniger. In Hindeloopen (1) am Ijsselmeer aber ist er zum Dauergast geworden. In dem Bilderbuch-Hafenstädtchen führen fast alle Wege zum Friesischen Schlittschuh-Museum, das Gauke Bootsma in einem der charakteristischen Grachtenhäuser, in denen früher die Seeleute lebten, mit viel Liebe zum Detail eingerichtet hat. Der rüstige Senior erzählt mit großem Enthusiasmus vom Eislaufen. „Das ist unser Volkssport, auch wenn wir ihn aufgrund des Klimawandels immer weniger ausüben können.“

Vor genau hundert Jahren fand die erste Elfstedentocht statt, der nur 14 weitere folgen sollten. Auch im Jubiläumsjahr konnte der Marathon nicht gestartet werden. „Zum hoffentlich nicht letzten Mal gelang dies 1997“, erinnert sich Bootsma. Zum Glück gibt es sein ganzjährig geöffnetes Museum, das an die Tradition dieses legendären Marathons auf Kufen erinnert.

Niederlande - Gracht in Freisland

Auch ohne Schlittschuhe erreicht man den Nachbarort Stavoren (2) in kurzer Zeit – etwa mit einer Wanderung über den Deich. In der ältesten der friesischen Städte ist der südlichste Punkt der Route erreicht. Hier, wo die Straßen enden und die Kanäle ins Ijsselmeer münden, fühlt man sich ein bisschen wie an einem allerdings sehr beschaulichen Ende der Welt. Bevor es ins Landesinnere nach Ijlst (3) geht mit seiner romantischen, von Linden gesäumten Gracht, an der sich kleine Gärten aneinander reihen, lässt man sich gerne noch ein Weilchen auf einer Café-Terrasse in Stavoren nieder, genießt den (Ijssel-)Meerblick und spürt beim Schiffchenzählen kaum, wie die Zeit dahinstreicht.

Niederlande - Friesland - Franeker

Historischer Bau in Franeker

In Stavorens nördlichem Gegenstück, dem Festungsstädtchen Dokkum (4), soll Bonifatius beim Versuch, die heidnischen Friesen zu bekehren, ermordet worden sein. Gut, dass die heutigen Bewohner der hübschen von Grachten, Bollwerken und Mühlen geprägten Stadt friedliebendere Zeitgenossen sind. Von Dokkum führt die Tour über Harlingen (5), die einzige Stadt an der Nordsee, nach Franeker (6), wo auf ganz spezielle Weise zu erleben ist, wie reich diese Gegend einst war. Im 18. Jahrhundert hat der betuchte Wollkämmer Eise Eisinga sein Wohnzimmer zu einem gigantischen Planetensystem umgebaut. Es ist das älteste noch funktionierende Planetarium der Welt. Man kann es kaum glauben, auch im ruhigen Friesland bewegen sich die Planeten im selben Tempo um die Sonne wie in anderen Gefilden.

Niederlande - Friesland - Leeuwarden

Leeuwarden

Zurück in Leeuwarden (7) findet man indes ein deutliches Zeichen dafür, dass hier die Uhren ein bisschen anders gehen. Da steht doch tatsächlich eine Kuh vor dem Bahnhof – als Statue: Symbol für die bäuerliche Prägung dieser Region. Während man sich auf seiner individuellen Elf-Städte-Tour durch das Blau und Grün dieser stillen Landschaft treiben lässt, wird nicht nur der Bootsmann froh sein, das die Kanäle nicht zugefroren sind. Nichts für ungut, Gauke Bootsma.

 

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