Die Erweckung der Namib

Unterwegs in Namibia

Text und Fotos: Beate Schümann

Gelb, violett, weiß und magentarot. Ein farbiges Blütenmeer aus Glockenlilie, Morgenstern, Veilchen und Zistrosen bedeckt den sonst ausgedörrten Boden. Statt Ödnis und Dürre eine blühende Landschaft. „So viel Regen wie in diesem Jahr gab es schon lange nicht mehr,“ sagt Marc Dürr. „Plötzlich sind Blumen da, die ich vorher nie gesehen habe“, schwärmt der routinierte Trekkingguide. Und er kennt sich aus. Millionen Samen warten oft Jahrzehnte geduldig unter der Oberfläche auf diesen Moment, dass ein Regentropfen fällt. Kommt er, ist nichts mehr, wie es war.

Namibia - Namib Wüste - gelbblühender Morgenstern

Gelb blühender Morgenstern

Die älteste Wüste der Welt

Für viele ist die Wüste wüst und leer. Für Marc steckt sie voller Geheimnisse und Wunder. Das Bild der Trockenheit mag täuschen, aber sie birgt eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt, die sich auf wundersame Weise an die lebensfeindliche Natur angepasst hat. Der sonnengebräunte 38-Jährige im Safaridress versteht ihre Sprache wie nur wenige. Seine Heimat ist die Namib, die älteste Wüste der Welt. Vor neun Jahren erfand der gebürtige Namibier, dessen Eltern 1962 aus Hamburg einwanderten, den Tok Tokkie Trail im NamibRand Naturreservat. Zuvor hatte er sein Politikstudium abgebrochen. Namibias Flora und Fauna interessierten ihn mehr. Dafür ging er in die Wüste.

Namibia - Namib Wüste

Das NamibRand Naturreservat liegt am östlichen Rand dieses 2000 Kilometer langen und 160 Kilometer breiten Wüstenstreifens zwischen Angola und Südafrika. Dort hatte der deutschstämmige Geschäftsmann Albi Brückmann seit 1984 überweidetete Schaffarmen gekauft, um das Land der Wüste zurückzugeben. Heute ist das Reservat mit 160.000 Hektar der größte private Naturpark im südlichen Afrika. Zäune wurden beseitigt, Farmhäuser abgetragen. Die Wildnis regenerierte sich. Mittlerweile leben hier wieder Oryxantilopen, Kudus, Strauße, Steppenzebras und sogar Giraffen. Sogar Leoparden, Wildkatzen, Schakale und Löffelhunde tauchen auf. Das Reservat finanziert sich mit der Vergabe von Tourismuslizenzen. Auch Marc hat eine für seine mehrtägigen Tok Tokie Trails.

Namibia - Namib Wüste - Marc Dürr mit Grille

Marc Dürr mit einer Grille

Die Wüstenwanderung ist voller Entdeckungen. Marc bleibt immer wieder stehen, weil er etwas sieht. Unter dem silbern glänzenden Buschmanngras entdeckt er einen Kalaharitrüffel, eine kulinarische Spezialität. Im zerfaserten Straußengras liegt ein grapefruitgroßer Kürbis: Verlockend, aber giftig! Perfekt getarnt, ortet Marc einen „Lebenden Stein“, eine Heuschrecke genau so braun wie der Stein, auf dem sie sitzt. „Ein Oryx auf viertel zwölf!“ Mit erhobenen Hörnern stapft der Bulle unbeirrbar durch das Gras. In einem Kameldornbaum hängt das riesige Nest einer Siedelwebervögelkolonie wie ein praller Wassersack. Bis zu 250 Paare und Jungvögel nisten in den dunkeln Tunneln aus Grasgeflecht. Eine willkommene ideale Nahrungsstation für die Kapkobra oder den Zwergfalken, die einsteigen und sich gütlich tun.
Woher der Duft kommt? Da, der Wilde Rosmarin. Oder dort, dieser weiß blühende Busch: Crotalaria oder Wüstenparfüm, das süß verlockt, sich aber mit gleich zwei Sorten Gift vor Pflanzenfressern schützt: eines greift die Leber an, das andere das Herz. Von den Blättern des Wundertees geht eine Wacholderwolke aus. Aus dem Balsamstrauch, eine Commifora und Myhrrenart, steigen Zitrusaromen auf; er kommt jahrelang ohne Wasser aus, weshalb er von Einwanderern den Namen „Kanniedood“ bekam - nicht tot zu kriegen. Alles kleine Wunder.

Der „klopfende Käfer“

Endlich ein Tok Tokkie, nach dem Marc die Trails benannt hat. Beim Laufen klopft der bläulich-schwarze Käfer mit seinem Körper auf den Boden: „tok tok“. Über mit speziell beschichteten Flügel hat er die Fähigkeit, Wasser gezielt zu leiten. Deshalb wurde er vor einigen Jahren zu Forschungszwecken an die Universität von Kalifornien gebracht. Das hydrophile Prinzip der Käferflügel könnte die Kühlung von Computerchips revolutionieren. Und noch ein Überlebenskünstler, der Kopfstandkäfer. Er steht morgens auf den Dünenkämmen Kopf, um die Nebelnässe, winzige Tröpfchen Feuchtigkeit, in seinem Körper aufzusaugen.

Namibia - Namib Wüste

Denn der Morgentau ernährt alle Lebewesen der Küstenwüste. Nicht Regen, sondern Nebel ist die wichtigste Feuchtigkeitsquelle. Ein Phänomen der Namib, das nur noch von der Westsahara und der Atacama in Peru bekannt ist. Sie alle liegen an der Westküste der Kontinente, wo sich aus dem Zusammenspiel von warmer, feuchter Luft und dem kalten antarktischen Benguelastrom dichte Nebelschwaden bilden. Der Seewind treibt den Küstennebel ins Landesinnere, wo Pflanzen und Tiere sie ihn zu kleinen saugfähigen Tropfen kondensieren.

Langsam wird es dunkel. Der Himmel füllt sich am Horizont mit den unterschiedlichsten Rottönen. Der Abendwind weht den würzigen Duft der Savanne auf die Bergkuppen, die wegen ihrer hufeisenartigen Form „Horseshoe“ genannt werden. Im Camp sind die Feldbetten für die Nacht unter dem Sternenzelt schon aufgestellt. Jeder hat ein kleines geschütztes Dünental für sich, einen Tisch für den Rucksack, einen Hocker für Brille und Handtuch und einen Ständer mit Waschsack. Das ist in der Wüste echter Komfort. Das Schönste vor dem Einschlafen ist das Sterne zählen.

Namibia - Namib Wüste - Feldbetten unter dem Sternenhimmel

Feldbetten unter freiem Himmel

Noch vor Sonnenaufgang kommt Marc mit einem Tablett Tee und Kaffee an die Schlafsäcke bringt. Es ist kühl, und über den Graswiesen liegt noch ein sanfter weißer Nebelschleier. Franz und Niklas servieren unter einer großen Akazie ein ausgiebiges Frühstück mit Orangensaft, selbstgebackenem Brot, Käse, Joghurt, Müsli und Kaktusfeigengelee.

Mit aufgefüllten Wasserflaschen startet die Gruppe. „Mal sehen, was in der letzten Nacht los war“, sagt der sonnenverbrannte Mann. „Der Sand ist die Zeitung der Wüste.“ Dort war eine Wüstenspringmaus auf der Flucht. Die Panzerkettenspuren stammen von Schwarzkäfern, die Wellen von einer sich seitwärts bewegenden Schlange. Hier hat ein Skorpion gekämpft und dort hat eine Eidechse eine Grille gefangen. News der letzten Nacht, auch Todesanzeigen.

Die Geheimnisse nehmen kein Ende. Von der hohen Sossuspoort-Düne aus sind im Tal seltsame Kreise zu sehen. Kahle Stellen im Gras, dicht an dicht, kreisrund und gut ein Meter Durchmesser. Mysterös, aber Ufos und Kultstätten wollen die Rätselnden ausschließen. „Es gibt viele Theorien“, sagt Marc, „aber keine zuverlässige.“ Als wahrscheinlichste gilt, dass jeder Kreis einer Termitenkolonie die gesamte Grassaat um ihren Bau herum gefressen haben. Aber bewiesen sei nichts.

Namibia - Namib Wüste - seltsame Kreise im Gras

Seltsame Kreise im Gras

Diese Nacht steht das Camp am Schafsberg. Die Sonne ist schon halb verborgen. Aber auf den Kuppen liegt noch ein rotgoldener Schimmer. Marcs Helfer haben die Ausrüstung, Lebensmittel und Getränke unter der großen Akazie gebracht, und das Abendessen steht schon auf dem Feuer. Nachts stellt Marc sein Teleskop auf. Was für ein Sternflimmern. Das Kreuz des Südens ist noch leicht zu finden. Doch Marc zeigt geduldig die „Giraffe“, den schwierigen „Skorpion“ aus siebzehn Sternen und den „Schmetterling“. Beim Einschlafen huschen noch so viele Sternschnuppen über den Himmel, dass keine Wünsche mehr offen sind.

Die Roten Dünen

Namibia - Namib Wüste - Sossusvlei

Früher Aufbruch. Nach gut drei Stunden passiert der Jeep das Tor bei Sesriem zu Sossusvlei, eine der Hauptsehenswürdigkeiten Namibias: Die Roten Dünen. Das Geheimnis liegt im Tsauchab Riviers, der seit Jahrtausenden versucht, das Meer zu erreichen. Doch 55 Kilometer kurz davor stoppt ihn eine große Dünenlandschaft. Zurück bleibt eine weite Lehmsenke, das Sossusvlei. Ein Meer aus Sand, das bis zu 300 Meter Höhe erreicht.

Namibia - Namib Wüste - Sossusvlei

Bei Ankunft steht die Sonne schon flach. Langsam überzieht sie die Dünen mit einem zartroten Schimmer. Der feine Quarzsand beginnt zu glühen. Die Farben fangen tanzen an, Rot, Ocker, Gelb, Orange, Violett, Braun und Schwarz. Ein Spiel von Licht und Schatten, fesselnder als jeder Krimi. Trotzdem gilt es, die Uhrzeit zu bedenken. Denn um 17 Uhr wird das Tor geschlossen. Wer bleiben muss, hat die Dünen, die Weite und das ganze Sternenzelt für sich allein.

Namibia - Namib Wüste - Sossusvlei

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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