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Kirchen, Klöster, Heiligtümer
Kolumbiens Hochland

 Text und Fotos: Andreas Drouve

"Ein böser Zauber bei uns Kolumbianern lautet so: Kommt man als unverheiratetes Paar auf den Monserrate, wird man den Partner oder die Partnerin in Zukunft nicht ehelichen", sagt Stadtführerin Emma und lacht. Gut, dass ich allein gekommen bin und keine weiteren Bindungsabsichten pflege.

Der heilige Berg von Bogotá

Kolumbien - Monserrate

Drei Wegvarianten führen auf den Monserrate (1), den heiligen Hausberg der Hauptstadt Bogotá: zu Fuß, per Gondel oder Standseilbahn. Unsere Wahl fällt auf die Seilbahn. In fünf Fahrminuten kämpft sie sich aus dem Hochlandbecken hinauf und entlässt uns in dünner Höhenluft. 3127 Meter zeigt das Schild hinter der Endstation an. Das letzte Wegstück führt per pedes über den Kreuzweg hinauf, vorbei an Trompetenblumen, über denen Kolibris schwirren. Der Ursprung des modernisierten Heiligtums reicht ins Jahr 1640 zurück, als sich die spanischen Kolonialmachthaber entschlossen, in Anlehnung an das Heiligtum Montserrat in Spaniens Region Katalonien ebenfalls ein Sanktuarium für die "Schwarze Jungfrau" ins Leben zu rufen. Allerdings wurde noch im 17. Jahrhundert - wenn man so will - die Mutter vom Sohn verdrängt. Denn nicht mehr Maria steht seither im Fokus, sondern ein Bildnis des "Señor Caído", des auf dem Leidensweg gefallenen Christus, ein Werk des Bildhauers Pedro de Lugo y Albarracín. Aus der Skulptur spricht ein intensiver Schmerzensausdruck. Der Christus soll menschliches Haar tragen.

Dank für die Aufenthaltserlaubnis

Kolumbien - Monserrate - Kirche

Sonntags ist Hauptwallfahrtstag auf den Monserrate. Dann wieseln Fotografen vor den Treppen umher. Dann hat die Schneise der Andenkenläden und Restaurants Hochkonjunktur. Stillere Fleckchen finden sich an der Rückfront der Kirche, wo Gläubige mit Filzschreibern kurze Dankes- und Bittnachrichten auf dem Stein hinterlassen. "Herr von Monserrate, danke für das Häuschen, das wir durch deine Fürsprache haben", lese ich. "Mach', dass meine Augen, meine Nerven gesunden", hat Andrés gebeten. Nebendran sind ganze Wände mit Erinnerungstäfelchen bedeckt, mehrheitlich aus Marmor, ebenfalls voller Botschaften. Luis Fernando aus New York bedankt sich beim Christus von Monserrate für die Aufenthaltserlaubnis in den USA, Olga für die Begleitung ihrer Tochter "auf dem rechten Weg".

Grandioses Panorama und befremdlicher Eindruck

Kolumbien - Bogota - Kathedrale am Hauptplatz

Grandios ist das Panorama vom Monserrate. Gut 500 Höhenmeter tiefer und über Hunderte Quadratkilometer breiten sich die Häusermassen von Bogotá aus. Banken, Hochhaushälse, die ärmeren Viertel im Süden. Mit scharfem Auge mache ich die Kathedrale am Hauptplatz aus, den Präsidentenpalast, das architektonische Zuckerbäckerwerk der Salesianerkirche. Gespannt sehe ich weiteren Entdeckungen von Sakralbauten in Kolumbiens Hochland entgegen, nicht ohne mich mit einem befremdlichen Eindruck vom Monserrate zu verabschieden. Hinter dem Eingangsportal zum Heiligtum, beim Weihwasserbecken - man mag es kaum glauben! - hängen Müllbehälter mit separater Sammlung für Glas, Papier, organische Abfälle.

Las-Vegas-Feeling unter der Erde

Kolumbien - Salzkathedrale in Zipaquirá

Im Hochland nördlich von Bogotá führt die Reise zunächst nach Zipaquirá (2) mit seiner Salzkathedrale. Es ist eines der modernsten und ungewöhnlichsten Gotteshäuser Lateinamerikas. Tonne für Tonne aus dem Salzberg über Zipaquirá ausgehöhlt und spektakulär ausgeleuchtet, wird es als "ein in Stein gemeißeltes architektonisches Wunder" vermarktet. Besucher sammeln sich an der Schranke zum Zugangsstollen, bis eine Gruppe zusammengekommen ist. Dann geht es in Begleitung eines Guide durch den bohlengestützten Eingang, geschluckt von Kolumbiens Unterwelt. Über den festgetretenen Erdweg weht uns ein Luftzug entgegen. Es riecht nach Schwefel, im Hintergrund flammen erste Kunstlichter auf. "Einen Kilometer, dann sind wir da", stimmt Führer José auf einen langen Zugang ein, der nicht frei von Beschwernis und Kurzatmigkeit ist. Immerhin bewegt man sich auf mehr als 2700 Metern unter niedrigen Decken durch luftfeuchtes Klima. Alles läuft auf den unterirdischen Bau aus den Neunziger Jahren zu, gesäumt von Seitentunneln von siebzig, achtzig Metern Tiefe. Unablässig setzen fluoreszierende Farben den schrundigen Fels und große, moderne Kreuze aus Salz märchenhaft in Szene. Wie in raschen Filmschnitten wechseln Blau und Grün und Pink. Hastig verschwimmen Farbtöne und Lichteffekte ineinander, die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Glaubensinjektionen und Kitsch. Las-Vegas-Feeling unter der Erde. Ein irritierendes, leitmotivisch überstrapaziertes Fantasy-Schauspiel. Einzigartig und seltsam beeindruckend bleibt es in den Tiefen trotzdem.

Kolumbien - Salzkathedrale in Zipaquirá

Das Wunder von Chiquinquirá

Über Ubaté mit einer leuchtweißen, neogotischen Basilika führt die Route nach Chiquinquirá (3). Unterwegs sehe ich Erdbeer- und Kartoffelfelder, Gewächshäuser mit Tomaten, den See von Fuquene, Reifenwerkstätten. Ein Schild am Straßenrand besagt, dass der Herr mit dir ist ("El Señor está contigo"). Und das schadet nicht zu wissen bei jenem Fahrstil, den Kolumbianer an den Tag legen. Durchgezogene Linien in der Mitte der Fahrbahn scheinen Steuerhalter regelrecht zu Überholvorgängen anzustacheln, manche Ausweichmanöver rauben den Atem. In Chiquinquirá laufen alle Fäden auf das Marienheiligtum zu. Lebendig hält sich das "Mirakel der Jungfrau von Chiquinquirá", das sich der Tradition zufolge 1586 ereignete, als ein verblasstes Ölgemälde der von Antonius und Andreas beflankten Rosenkranzjungfrau wie von Wunderhand seine prächtigen Farben zurückgewann. Der Altarraum bewahrt das Allerheiligste, die Kuppel ist blau-weiß-golden ausgemalt. Bei meinem Besuch klingelt irgendwo ein Handy in den heiligen Hallen. Eine Dame mittleren Alters durchwühlt in Panik ihre Tasche und drückt auf den "Off"-Knopf. Auf dem Freiplatz vor der Basilika bieten Bauchladenhändler Rosenkränze und kleine Muttergottesbildnisse an.

Kolumbien - Basilika in Chiquinquirá

Kreuzgang mit Blütenpracht

Ein Stück ostwärts von Chiquinquirá liegt Villa de Leyva (4), ein Kolonialort mit riesigem Hauptplatz, kopfsteingepflasterten Gassen und einem überraschenden Stück Sakralkultur: dem Kloster der Karmeliter, 1911 begründet. Offizielle Öffnungszeiten gibt es nicht, doch eine freundliche Anfrage am Empfang hilft weiter. Und schon öffnet sich der Eintritt in den Kreuzgang, der in eine Blütenpracht aus Bougainvilleen in Lila und Violett, aus Rosenstöcken und Weihnachtssternen eingetaucht ist.

Kolumbien - Villa de Leyva

Der Zauber von Kreuzgangstimmung setzt sich zwanzig Fahrminuten entfernt im Dominikanerkloster Santa Ecce Homo (8) fort. 1620 gegründet, haben es die Dominikaner heute quasi aufgegeben. Zu hoch waren die Unterhaltungskosten für den riesigen Gebäudekomplex. Kein Wunder, es sind nur noch zwei Dominikaner, die in einem Haus gegenüber leben. Einzig die Kirche wird gelegentlich von ihnen genutzt, der begrünte Kreuzgang als Hort der Einkehr steht Besuchern offen. Im Zentrum trete ich an den Ziehbrunnen heran, in der Nachmittagssonne wirft der baumelnde Wassereimer seinen Schatten. Nicht weit davon hat der für die Pflege des Innenbereichs beauftragte Gärtner gerade seine Schubkarre abgestellt und wird sich gleich - so steht es zu ahnen - mit einer Ladung Insektenvernichtungsmitteln an den Pflanzen zu schaffen machen. Grund genug, vorübergehend abzudriften und einen Blick in die angrenzenden Räume mit ihrem Museumsinventar aus historischem Handwerks- und Landwirtschaftsgerät zu werfen.

Kolumbien - Dominikanerkloster Santa Ecce Homo

Eines der schönsten Bergklöster Südamerikas

Abstecher führen mich ab Villa de Leyva in die Provinzhauptstadt Tunja (5) mit ihrer überreich dekorierten Rosenkranzkapelle in der Kirche Santo Domingo und nach Ráquira (6), einen Töpferort, wo die Hausfassaden überall in buntesten Tönen erstrahlen. Der Farbreichtum setzt sich in der Dorfkirche fort, deren Hochaltar in Rot- und Grüntönen ausgemalt ist.

Kolumbien - Ráquira

Ein mit Kiefern und Eukalyptus besetzter Höhenzug trennt Ráquira vom Taleinschnitt des Río Gachaneca. Dort stoße ich auf knapp 2300 Metern zum Monasterio de Nuestra Señora de la Candelaria (7) vor, einem der schönsten Bergklöster Südamerikas. In der Gegend begannen sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Höhlen Einsiedler zurückzuziehen, die der aus Spanien stammende Augustiner Mateo Delgado einte und im Jahre 1604 das erste Kloster der Augustiner-Rekollekten in Amerika gründete. Gegenwärtig ist es Refugium für spirituelle Übungen und Heimat von vier Padres und sieben Novizen. Einen von ihnen treffe ich im beschaulicheren der beiden Kreuzgänge, wo rundherum an den Wänden großformatige Gemälde Szenen aus dem Leben des Augustinus zeigen. Juan heißt der Novize, ist 27 und stammt aus Kolumbien selber. "Nur zwei von uns Novizen kommen aus Brasilien", sagt er. Vor sieben Jahren habe er den Weg zu Gott gefunden, das sei "etwas Unerklärliches" gewesen, er habe einfach "eine innere Stimme" gespürt. Wie er im Candelaria-Kloster lebe? Denkbar einfach. In einer Zelle mit Pritsche und Matratze und Tisch. "Aber ohne Computer und ohne Handy", betont er. Ich bitte ihn um ein Foto. Er willigt ein. Dass er am linken Handgelenk eine Digitaluhr trägt, entdecke ich erst bei der Bildauswertung daheim. Ein kleines Zeichen des Fortschritts in der Abgeschiedenheit.

Kolumbien - Monasterio de Nuestra Señora de la Candelaria

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