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Willkommen in Zilles Welt
Ein Prosit auf Berlins alte Kneipen

Text und Fotos: Ulrich Traub

Die Immobilienpreise in Berlin sind in Bewegung und zwar nur in eine Richtung: nach oben. Wechselt der Hauseigentümer, steigt die Miete, ohne Rücksicht auf Verluste. Im letzten Jahr bekam das auch ein Traditionslokal zu spüren. Das "Gambrinus" am Oranienburger Tor in Berlin-Mitte gab auf - nach 118 Jahren. Nicht die erste Kneipen-Institution, die schließen musste.

Berlin - Heimat einiger Altberliner Lokale: Das Nikolaiviertel, Berlins Mini-Altstadt, wurde zu DDR-Zeiten erst vernachlässigt, dann restauriert
Heimat einiger Altberliner Lokale: Das Nikolaiviertel, Berlins Mini-Altstadt,
wurde zu DDR-Zeiten erst vernachlässigt, dann restauriert

Wie fast überall kämpfen auch in der Hauptstadt die alten Lokale einen schier aussichtslosen Kampf gegen Form- und Trendgastronomie. Soweit die schlechte Nachricht, die gute lautet: Es gibt sie noch, die Destillen und Restaurationen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Wirtschaften, wie Heinrich Zille sie gekannt und gezeichnet hat. Viele sind es nicht mehr. Aber die wenigen lohnen jetzt mehr denn je einen Besuch. Wer weiß, wie lange die Molle (berlinerisch für Pils) noch aus den Zapfhähnen läuft.

Im Gegensatz zum ranschmeißerisch grellen Look der neuen Gastrowelt wirken die Altberliner Kneipen alles andere als aufdringlich. An einer Traditionswirtschaft wie dem "Diener" (1), hinter den S-Bahnbögen am Charlottenburger Savignyplatz gelegen, könnte man glatt vorbeigehen. Dass sich hinter den vergitterten Fenstern mit den eher gedeckt weißen Gardinen ein Kultlokal versteckt, ahnt man nicht.
Wer den schweren, dunkelbraunen Eingangsvorhang zur Seite geschoben hat, betritt eine Kneipenbühne, auf der sich seit Jahrzehnten Stars und Sternchen mit Otto Normalverbraucher gut verstehen. Einen Tisch reservieren und gut-bürgerlich speisen, kann man auch ohne Promi-Status. Bei uns sind alle gleich, scheint das Kneipen-Credo zu lauten.

Berlin - Hier trifft Otto Normalverbraucher die Promis - auf Augenhöhe:   Der "Diener" beim Savignyplatz ist eine bürgerliche Institution
Hier trifft Otto Normalverbraucher die Promis - auf Augenhöhe:
Der "Diener" beim Savignyplatz ist eine bürgerliche Institution

Bis nach dem 2. Weltkrieg hieß das 1896 eröffnete Lokal "Tattersall". Der Name stammt aus dem Englischen, wo ein Zeitgenosse im 18. Jahrhundert eine Reithalle unter seinem Namen, Tatters-all, eröffnet hatte. Angeschlossene Schanklokale für Kutscher und Reiter wurden "Tattersall" genannt - auch in Berlin, wo die Stallungen an der S-Bahntrasse lagen, hinter der Gaststätte.
1954 übernahm der Box-Europameister Franz Diener das Lokal, und das Publikum änderte sich. Neben Box-Legenden wie Max Schmeling und Joe Lewis schätzten auch Stars wie Kirk Douglas und Harry Belafonte, Harald Juhnke, Peter Ustinov oder Helmut Newton das unkomplizierte Flair der Kneipe, die seitdem kaum verändert worden ist. Die unzähligen Fotos an den Wänden des "Diener Tattersall" sind so etwas wie ein Who's Who des Berliner Nachtlebens.

Berlin - Hereinspaziert: In Berlins ältestem Lokal ließen es sich schon Gerhard Schröder und Jacques Chirac schmecken. Seit 1621 wird in der "Letzten Instanz" ausgeschenkt
Hereinspaziert: In Berlins ältestem Lokal ließen es sich schon Gerhard Schröder und
Jacques Chirac schmecken. Seit 1621 wird in der "Letzten Instanz" ausgeschenkt

Das älteste Lokal Berlins liegt unweit des Alexanderplatzes etwas versteckt in der Waisenstraße. Die vier Altbauten um das Gasthaus sind die letzten Zeugen des 17. Jahrhunderts weit und breit. "Zur Letzten Instanz" (2) heißt das Etablissement nicht erst, seitdem sich hier Juristen aus dem nahen Gericht treffen. Hier sollen Streitereien unterschiedlichster Art ein einvernehmliches Ende gefunden haben, liest man in der Chronik des Hauses, dessen Geschichte als Branntweinstube bis ins Jahr 1621 zurückreicht.
Auf der Karte dominiert Berliner Küche - originell verpackt. Als "Anwaltsfrühstück" wird ein Salat aus Drillingen und Birne zu Lammwürstchen gereicht. Das Eisbein verbirgt sich hinter der "Zeugenaussage" und in der "Verhandlungspause" gibt's eine Bulette, ohne die eine Speisenkarte eines Altberliner Gasthauses nicht vollständig wäre. Die Prominenz hat die gemütlichen Stuben um den 200 Jahre alten Kachelofen schon zu DDR-Zeiten entdeckt.

Berlin - Als Filmkulisse beliebt: Die Vergangenheit als Ausschank einer Likörfabrik ist im "Hoeck" in Charlottenburg noch sichtbar
Berlin - Als Filmkulisse beliebt: Die Vergangenheit als Ausschank
einer Likörfabrik ist im "Hoeck" in Charlottenburg noch sichtbar

Ein besonders schönes Beispiel für historisches Interieur ist das "Hoeck" (3)in der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg, abseits der Touristenpfade. Auf die Likörfabrik von Wilhelm Hoeck, auf deren Probierstube von 1892 das Lokal zurückgeht, verweisen Fässer und Likörflaschen, die einen respektablen Blickfang hinter der Theke darstellen. Eine große Likör- und Spirituosenauswahl versteht sich hier von selbst. Alte Spezialrezepturen warten auf entdeckungsfreudige Zecher.
Der Standard-Look der Altberliner Kneipen, dunkle Tische und Stühle vor holzgetäfelten Wänden, deckenhohe Büffets hinter der Theke und allerhand historische Zeugnisse, findet sich auch im "Hoeck". Das hat mit Retroschick nichts am Hut, sondern ist schlicht und einfach alt und mit einer Patina überzogen, bei der Kneipenfans das Herz aufgeht. Auch Filmregisseure lieben dieses Ambiente.
Das "Hoeck" trat schon in diversen Serien auf - etwa in "Der letzte Zeuge" oder "Liebling Kreuzberg". Eine Zille-Zeichnung von 1916, die im Schankraum hängt, zeigt, dass sich hier kaum etwas verändert hat in den letzten hundert Jahren.

Berlin - Alte Fotos, ein Zille-Brief und ein Sparschrank: Das "Metzer Eck" am Prenzlauer Berg ist ein Relikt neben Bars und Restaurants im Szeneviertel
Berlin - Alte Fotos, ein Zille-Brief und ein Sparschrank: Das "Metzer Eck" am
Prenzlauer Berg ist ein Relikt neben Bars und Restaurants im Szeneviertel

Auch im "Metzer Eck" (4) am Prenzlauer Berg, das gerade seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hat, findet sich ein echter Zille: ein Brief, den der Künstler und Kneipenfreund an den Wirt geschrieben hat. Er hängt zwischen alten Fotos, Stichen und Dokumenten neben dem großen Kasten mit den Sparfächern, in die immer noch Münzen geworfen werden. Hier sollen sich Klaus Maria Brandauer und Campino über die Inszenierung ihrer "Dreigroschenoper" ausgetauscht haben. Den Stammgästen im dunkelstbraunen Schankraum wird's einerlei gewesen sein. Im gastronomisch eher überversorgten Prenzlberg ist eine Eckkneipe wie das "Metzer Eck" heute eine echte Rarität.

Berlin - Lehrer Lämpel und Besucherin (beim Studium der Speisenkarte): Impression aus dem Kreuzberger Wirtshaus "Max und Moritz"
Berlin - Lehrer Lämpel und Besucherin (beim Studium der Speisenkarte):
Impression aus dem Kreuzberger Wirtshaus "Max und Moritz"

Auch Kreuzberg ist nicht gerade arm an Ausgehangeboten, aber gleich drei Berliner Kneipenlegenden haben den massiven Veränderungen im Kiez standgehalten beziehungsweise immer wieder aufs Neue und im alten Stil ihr Glück versucht. Wer Lust auf einen langen Abend hat, fängt im "Max und Moritz" (5) mit einer Kreuzberger Molle an, dem süffigen Bio-Bier. Im großen Saal unter den Jugendstil-Oberlichtern trifft sich heute wieder die berühmte Kreuzberger Mischung aus Multi und Kulti. Dass hier die Alternative Liste gegründet wurde, kann man sich gut vorstellen.

Gleich um die Ecke, am früheren Mauerstreifen, liegt die "Henne" (6), wo das beste Hähnchen der Stadt serviert wird. Aber nicht deshalb trägt das Lokal seinen Namen, sondern . . . Aber das lesen Sie am besten in der Hauschronik, die es in der "Henne" wie in manch anderem Altberliner Wirtshaus gibt. "Zur kleinen Markthalle" (7) geht es auf die andere Straßenseite. Und auch hier will man gerne etwas länger verweilen. Kein Musikgedudel und kein Fernsehbild-Geflimmer lenken ab. Stimmengewirr und das Geräusch von anstoßenden Gläsern - Kneipenfreund, was willst du mehr. Ja, Kreuzberger Nächte können immer noch lang sein.

Übrigens hat das "Gambrinus" ein neues Domizil gefunden - auch in Mitte, in einem über 100 Jahre alten Souterrain-Lokal an der Ecke Krausnick-/Oranienburger Straße, nur ein paar Minuten vom alten Standort entfernt. Jetzt heißt das Traditionslokal "Gambrinus trifft Bacchus" (8). Ein bisschen muss man sich doch dem veränderten Trinkverhalten der Gäste anpassen.

Berlin - Runde Eckkneipe: das "Sophieneck", Altberliner Kneipentradition in Berlin-Mitte
Runde Eckkneipe: das "Sophieneck", Altberliner
Kneipentradition in Berlin-Mitte

Reiseinformationen

Informationen

Berlin Tourismus: 030/25002333, www.visitberlin.de

Lesetipp

"Berliner Jahrhundertkneipen" von Clemens Füsers (Texte) und Gudrun Olthoff (Fotos), Lehm-stedt Verlag, 2011.

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