Ein blaues Wunder

Bei Mohammad und Fatima im marokkanischen Chefchaouen

Text und Fotos: Rainer Heubeck

 

Chefchaouen - Marokko

Mohammad hat zwar nur noch wenige Zähne in seinem Unterkiefer, doch auf einen ordentlichen Anstrich lässt der marokkanische Maler nichts kommen. Mit einer Farbrolle in der Hand streicht er eine Mauer in hellem Blau, genauer gesagt, er frischt die Farbe der bereits hellblau gefärbten Mauer etwas auf. „Früher war unsere Stadt weiß, aber als die marokkanischen Juden aus Spanien zu uns kamen, da brachten sie diese Tradition mit“, glaubt Mohammad. Doch ganz sicher ist diese Theorie nicht.

Chefchaouen - Marokko

Fatima Hamich, die nicht allzu weit von Mohammads Mauerwerk entfernt ein Souvenirgeschäft betreibt, hat anderes gehört, weiß aber auch nicht genau, warum Chefchaouen im Rif-Gebirge die womöglich blauste Stadt der Welt ist. „Ein Teil der Leute sagt, das Blau hilft, Insekten fernzuhalten, ein anderer Teil meint, die Häuser und Straßen wurden blau gefärbt, um den Tourismus zu fördern“, mutmaßt Abdul Karim, Fatimas Sohn. Sicher ist, der Chefchaouener Farbenrausch lockt Touristen aus aller Welt, an den Wochenenden finden sich hier aber auch zahlreiche marokkanische Ausflügler. „Vor dreißig Jahren“, so beteuert Fatima Hamich, „gab es noch keine Souvenirgeschäfte hier, da haben die Läden vor allem Obst und Gemüse verkauft.“ In ihrem Geschäft, so erklärt sie, seien zu dieser Zeit vor allem Kopftücher feilgeboten worden. Trotz der zahlreichen Besucher sei Chefchaouen jedoch weiterhin konservativ und sicher - und sie hoffe, dass das auch so bleibt.

Chefchaouen - Marokko

Denn konservativ und gläubig, das war die Stadt seit jeher. Bis 1920 war Nichtmuslimen der Besuch der nordmarokkanischen Stadt sogar untersagt. „Chefchaouen war eine von zwei heiligen Städten in Marokko, die für Nichtmuslime verboten waren, weil dort heilige Männer begraben sind, die als Nachfahren Mohammeds angesehen werden“, erläutert Mohamad Chamaly, der seit Jahren Rundreisen durch Marokko begleitet. „Die Stadt ist eine Pilger- und Wallfahrtsort, ähnlich wie Fatima in Portugal, Santiago de Compostela in Spanien oder Maria Laach in Deutschland“, ergänzt Chamaly. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war ein Besuch in Chefchaouen für ärmere Marokkaner zum Teil sogar ein Ersatz für die vorgeschriebene Wallfahrt nach Mekka.

Chefchaouen - Marokko

Heute prägen die Stadt noch immer ihre zahlreichen Moscheen, die größte davon ist die Grande Mosque an der Plaza Outa el-Hammam, aber die Zahl der Souvenirgeschäfte dürfte inzwischen deutlich größer sein als die der Gotteshäuser. Die neuen Besucher kommen nicht mehr wegen den Gräbern muslimischer Heiliger, sondern wegen der faszinierenden Blautönen, die in der ganzen Stadt anzutreffen sind. Blaue Türen, blaue Fensterrahmen, blaugestrichene Häuser, blaues Pflaster, blaue Wände – und zum Teil sogar blaue Grabsteine.

Chefchaouen - Marokko

Das Blau schütze vor dem bösen Blick, ähnlich wie das Blaue Auge oder die Hand der Fatima, so lautet eine weitere Theorie – doch eigentlich ist es auch gar nicht so wichtig, warum sich in der Stadt die verschiedensten Blauschattierungen finden, denn schön anzusehen sind sie allemal. „Bevor die Touristen gekommen sind, waren die Gassen sehr staubig und nicht gepflastert“, erinnert sich Fatima Hamich, die vor gut dreißig Jahren in die Stadt eingeheiratet hat. Die ersten ausländischen Besucher, die in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hierher reisten, lockten womöglich weniger die steilen Gassen mit den blaugefärbten Häusern, sondern das Marihuana und Haschisch aus dem Rif-Gebirge, das lange Zeit als der Drogenhotspot des Landes galt.

Chefchaouen - Marokko

Inzwischen sind die kiffenden Hippies weitgehend von fotografierenden Asiaten abgelöst worden, doch ruhig und entspannt geht es in den Gassen noch immer zu. „In Deutschland haben Sie Uhren, in Marokko haben die Menschen Zeit“, beteuert der Reiseführer Mohamad Chamaly. Und Zeit sollte man für einen Besuch der 42 000-Einwohner-Stadt durchaus mitbringen. Denn hier gibt es nicht zwei oder drei Highlights, die man schnell abhaken könnte – vielmehr ist die ganze Stadt eine einzige Sehenswürdigkeit, ja, ein einziges blaues Wunder.

Chefchaouen - Marokko

 

Informationen

Reisezeit

Zu empfehlen ist ein Besuch in der Zeit von Februar bis November. In den Wintermonaten kann es in der im Rif-Gebirge gelegenen Stadt zuweilen recht kalt werden.

Übernachten

Zentral gelegen ist das familiäre Hotel Dar Chefchaouen, Moulay Ali Cherif Street, 124 BAB Souk, 91000 Chefchaouen, Tel. +212 5 39 98 99 10, E-Mail chefchaouentravels@gmail.com, http://darchefchaouen.ma. Stilvoll und luxuriös ist das Lina Ryad & Spa, Avenue Hassan I, quartier andalous, Chefchaouen, Tel. 0645069903, E-Mail : linaryadetspa@gmail.com, www.linaryad.com.

Ausgehen/Essen

Am und um den Place Outa el Hammam finden sich zahlreiche Cafés, Restaurants und Teehäuser. Populär ist das Restaurant Morisco (51, Place Outa el Hammam. Tel. 212 5398-82323), in dem typische marokkanische Spezialitäten serviert werden              

Infos

 Marokkanisches Fremdenverkehrsamt, Graf Adolf Strasse 59, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/370551m www.visitmorocco.com

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Marokko

Von dem 1999 verstorbenen König Hassan II. stammt der Ausspruch "Marokko ist wie ein Baum, dessen Wurzeln in Afrika verankert sind und dessen Blätterkrone bis nach Europa reicht". Tatsächlich ist das Schicksal Marokkos, des "äußersten Westens" (Maghreb al Aksa), aufs engste mit der nur 13 km breiten Straße von Gibraltar verknüpft, die Afrika und Europa einander nahe bringt.

Kurzportrait Marokko

Mehr lesen ...

Marokko: Radtouren zu Königsstädten, Berberdörfern und weiten Landschaften

Aladins Wunderlampe muss es auch hier geben. Dreimal reiben, fertig ist der wahr gewordene Wunsch: Versteckte Paläste, ausufernde Gärten in der Wüste, plätschernde Mosaikbrunnen. Dunkle Samtkissen, die glutrote Sonne hinter raschelnden Palmen, dazu Datteln, Nuss und Mandelkern.

Marokko per Rad

Mehr lesen ...

Mitten ins Märchen des Maghreb. Marokkos Königsstädte

Zauber des Maghreb. Das klingt märchenhaft, verheißungsvoll, sinnlich. So, als wären alle Wege in Marokko mit Abenteuern, fantasiereichen Verführungen und zarten Überraschungen gepflastert. Zauber des Maghreb heißen Studienreisen zu den vier Königsstädten. Der Name weckt Bilder von märchenhaftem Reichtum, genüsslichem Palastleben der Paschas, wo man die Beine hochlegt, sich von Palmwedlern, Mundschenken und verschleierten Schönheiten verwöhnen lässt und Langeweile nie unerträglich wird. Wo man nur an der Kupferlampe reiben muss und alle Wünsche sogleich in Erfüllung gehen.

Marokko - Königsstädte

Mehr lesen ...

Eine Tour durch die Altstadt von Fes

Marokkos drittgrößte Stadt Fes beherbergt eine der größten arabischen Altstädte der Welt: ein Gewirr aus bis zu 1000 Jahre alten Gassen auf rund sechs mal drei Kilometern. Verkehrs- und Transportmittel sind Handkarren und Lastesel. Für Autos sind die Wege zu schmal. Bewohner und Staat haben nicht genug Geld, um die baufälligen Häuser zu sanieren. Trotz Stützmauern und anderer Rettungsversuche stürzen immer wieder Gebäude ein. Die Fundamente ziehen Wasser. Die alten Dächer werden undicht. Die wahre Schönheit der Medina erschließt sich jenseits der schlichten, grau-beigefarbenen Mauern, die man von den Gassen aus sieht. Prachtvolle Innenhöfe, so genannte Rijads, verziert mit uralten Mosaiken, Brunnen und Holzschnitzereien erinnern an die Zeit, als Fes das geistige und religiöse Zentrum Marokkos war.

Marokko - Fes

Mehr lesen ...