Eine Reise – drei Jahreszeiten

Im Wohnmobil durch Kanada von Vancouver nach Jasper

Text und Fotos: Axel Scheibe

Kanada - Wohnmobil vor Bergkulisse

„Das darf doch nicht wahr sein!“ Mein Reisebegleiter im Alkovenbett unseres Wohnmobils sieht etwas verstört aus, während er durch das kleine Fenster seines „Schlafzimmers“ hinaus schaut. „Da draußen liegen 20 cm Schnee!“ Der Kalender zeigt den 13. September und dabei nicht einmal einen Freitag. Wir stehen auf einem der Komfortstellplätze des Tunnel Mountain Campground im kanadischen Banff und sind perplex. Klar, jeder, der im Herbst zu einer Tour in den Norden startet, ist auf die eine oder andere Wetterüberraschung eingestellt. Aber müssen es wirklich gleich Schnee und Frost sein? Immerhin ist es gerade erst Mitte September. Ich kann meinen Freund verstehen. Zwar ist er leidenschaftlicher Reisemobilurlauber, doch immer stand für ihn fest: „Wintercamping – nein danke!“ Und nun hatte es ihn, besser gesagt uns, so richtig erwischt. Während uns gestern ein unangenehmer Dauerregen auf der Fahrt von British Columbia nach Alberta begleitete hatte und auch beim gemütlichen Glas Wein am Abend leises Trommeln aufs Dach nicht zu überhören war, ist über Nacht Winter geworden. Und das so richtig. Was tun? Immerhin ist unser Besichtigungsprogramm für Alberta auf die herbstliche Natur ausgerichtet. So wie es zurzeit draußen aussieht, werden wir uns aber wohl vorerst auf die Museen, besser in die Museen von Banff stürzen müssen und sicher auch die Gelegenheit nutzen, in den Geschäften der Stadt, so wie tausende andere Touristen, nach den richtigen Mitbringseln für die Daheimgebliebenen Ausschau zu halten.

Kanada - 15-09-01	Weiße Überraschung auf dem Tunnel Mountain Campground

Weiße Überraschung auf dem Tunnel Mountain Campground

Ehe es soweit ist, noch bevor uns Frost und Schnee in Empfang nehmen, motivieren wir uns mit einem kleinen Blick zurück: Gerade mal eine reichliche Woche ist es her, dass uns der Flieger von United Airlines über Chicago kommend auf dem Flughafen der kanadischen Metropole Vancouver abgesetzt hat.

Wie erhofft und erträumt empfing uns am Flughafen nicht nur der Transferfahrer von Holiday Home Cars sondern ein Spätsommertag vom Feinsten. Die Sonne strahlte mit uns um die Wette, das Thermometer hatte sich jenseits der 20 Grad Marke eingepegelt und nach reichlich 20 Minuten standen wir gemeinsam mit Edmund Kunke, dem Chef von Holiday Home Cars, vor unserem fahrenden Hotel, das uns die nächsten knapp drei Wochen begleiten sollte. 24 Fuß lang, komfortabel eingerichtet, für zwei Mann ideal. Dass die Einweisung in Deutsch geschah, war selbstverständlich, denn nicht nur der Besitzer ist Deutscher, er kam vor sieben Jahren nach Kanada, sondern auch seine Mitarbeiter kommen aus der alten Welt. Dabei bietet Holiday Home Cars einen ungewöhnlichen Service. Man kann die erste Nacht nach dem langen Flug auf dem Firmengelände bereits im eigenen Wohnmobil verbringen. Und das kostenlos. Dazu gibt es am nächsten Morgen noch ein gemütliches Frühstück und dem ausgeschlafenen Start in den Urlaub steht nichts mehr im Weg. „Nach dem Flug und mit neun Stunden Zeitverschiebung im Gepäck sollte kein Tourist noch am Ankunftstag starten,“ unterstreicht Edmund Kunke, der mit seinen 65 Mietmobilen zu den kleinen der Branche gehört. „Andere Vermieter verlangen deshalb vor der Übergabe oder raten es ihren Kunden zumindest dringend, eine Nacht im Hotel zu verbringen. Bei uns kann man gleich einziehen. Und warum sollte ich diese Nacht extra berechnen? Dazu gibt es keinen Grund. Das Fahrzeug wird ja nicht bewegt.“

Ausgangspunkt Vancouver

Kanada - Vancouver

Blick über Vancouver mit Hafen

Wir hatten gleich am Anfang zwei Tage für Vancouver eingeplant. Eine gute Entscheidung, und das nicht nur, weil uns das Wetter weiter mit sommerlichen Temperaturen verwöhnte. Die Stadt gehört einfach dazu, wenn man im Westen Kanadas auf Tour geht. Viel gereiste Globetrotter zählen sie zu den schönsten Städten der Welt. Kein Wunder. Wenige Hafenstädte können auf eine so malerische Kulisse verweisen und noch weniger Metropolen vereinen auf so engem Raum großstädtisches Flair, kleinstädtischen Charme und urwüchsige Wildnis.
Dabei kann man in DownTown gut auf sein Auto verzichten. Wir stellten es unweit der berühmten Totem-Pfähle im Stanley Park ab und erkundeten Park und Innenstadt zu Fuß. Wer „pflastermüde“ wird, greift auf die historischen Busse zurück, die zwischen dem Park und der Innenstadt pendeln. Der Kreuzfahrtschiffhafen rund um den Canada Place gehört dort ebenso zu den Anlaufstellen wie der Coal Harbour Seewalk entlang der Bucht, die Howe Street und natürlich der traumhafte Panoramablick über Stadt und Hafen vom Harbour Centre Tower. Letzterer bietet übrigens eine nicht ganz alltägliche Form von Eintrittkarten. Steht man sonst in der Welt bei Besuchen von Fernsehtürmen mit tollen Blicken zumeist vor der Frage, bezahle ich den teuren Zutritt für einen Besuch bei Tageslicht oder liegt mir mehr an Fotos vom nächtlichen Panorama? In Vancouver gibt es Tageskarten. Der doppelten Fahrt in luftige Höhen steht also nichts im Wege. Eher kleinstädtisch geht es auf der beliebten Ausflugsinsel Granville Island zu, die mit kleinen Booten zu erreichen ist. Dagegen kommt man in die wilden Naturparks im Norden am besten mit dem eigenen Fahrzeug.  Doch kein Problem. Selbst für unser recht langes Gefährt fanden wir Parkplätze. War es im Capilano Canyon Park das Lachszuchtzentrum mit seinen gläsernen Lachstreppen, auf denen wir die Lachse beim Weg flussaufwärts verfolgen konnten, stand im Lighthouse Park der erste Kontakt zur wildromantischen Natur im Mittelpunkt.

Kanada - Vancouver

Panoramablick mit Kreuzfahrtschiff

Auf nach Alberta!

Während viele Touristen von Vancouver aus den direkten Weg nach Norden über Whistler nehmen, hatten wir beschlossen, nordöstlich über Kamloops, Salmon Arms und Revelstoke in Richtung Alberta zu fahren, eine Route, wie sich im Nachhinein bestätigte, reich an interessanten Stopps und voller grandioser, ungezähmter Natur.

Kanada - Minter Gardens

Blumenkunst in Minter Gardens

Vorerst, wir hatten unsere „Zelte“ in Vancouver abgebrochen und die Stadt nach einigen Dutzend Kilometern hinter uns gelassen, war es im Minter Gardens auch Natur, die uns in ihren Bann zog. Jedoch bestens gezähmte, sprich mit hoher gärtnerischer Kunstfertigkeit und Fantasie gestaltet. Eigentlich hatten wir ein halbes Stündchen für den Stopp eingeplant, denn so rechte „Garten-Narren“ sind wir beide nicht. Aber weit gefehlt, selbst solche Banausen wie wir brauchten fast zwei Stunden, um all das zu bestaunen und auch zu genießen, was die Gärtner hier gezaubert hatten. Dass uns dabei erneut ein warmer Sommertag begleitete, machte den Tag so richtig komplett und als wir dann am Abend an einem malerischen See im Monck Provincial Park unser Lagerfeuer entzündet hatten, war klar, so konnte es weitergehen.

Kanada - Lok im Eisenbahn- und Forstmuseum in Revelstoke

Historische Lok im Eisenbahn- und Forstmuseum in Revelstoke

Doch ganz so hat es dann leider nicht funktioniert. Zwar schien am nächsten Morgen noch die Sonne, doch die Temperaturen zeigten sich schon herbstlich, als wir in Salmon Arm vor der Bäckerei Rahn hielten. Ein Geheimtipp war es, der uns zu diesem Stopp veranlasste. Deutsches Brot, deutsche Brötchen und leckeren Kuchen sollte es hier geben. Wir wurden nicht enttäuscht. Der Bäckermeister aus Brandenburg, der vor wenigen Jahren mit Frau und drei Kindern den großen Schritt in die Ferne wagte, hatte nichts von seinem Können verlernt. Nah dem Schaumgummi-Brot der letzten Tage eine willkommene Abwechslung und auch für den Sonntagnachmittagskaffee war vorgesorgt. Regen begleitete uns nach Revelstoke, einem Kleinstädtchen mit Charme, einem Eisenbahn- und einem Forstmuseum sowie mächtigen Bären (aus Bronze) an der Fußgängerzone.

Im Glacier National Park

Kanada - Im Glacier National Park

Impression aus dem Glacier National Park

Schon am nächsten Tag hatten wir wieder Glück. Herrliche Herbsonne folgt uns auf dem kurzen Weg in den Glacier National Park und blieb uns drei weitere Tage treu. So stand einigen Wanderungen nichts im Wege. Ob entlang der alten Eisenbahntrasse oder auf gut beschilderten Trekkingpfaden bis hinauf in die Gletscherwelt, so hatten wir uns Canada im Herbst vorgestellt und so wollten wir es genießen. Auch der Jetbootfahrt auf dem Columbia River unweit von Golden wurde zu einem Naturerlebnis pur. Weißkopfseeadler zogen ihre Bahnen und die weißen Gipfel der Berge spiegelten sich in den blauen Wellen des Stroms.

Kanada - mit dem CanyonJet auf dem Columbia River bei Golden

Mit dem CanyonJet auf dem Columbia River bei Golden

Bis wir nun plötzlich im tiefsten Winter aufgewacht sind. Der örtliche Radiosender tröstet schlecht. Zwar soll der dichte Schneefall im Laufe des Tages aufhören, doch Temperaturen unter dem Gefrierpunkt werden wohl auch in den nächsten Tag unsere Begleiter sein. Was solls, wir stellen das Programm um. Als erstes zieht es uns in die Museen des touristischen Hauptortes Banff. Da stehen Indianer ebenso im Mittelpunkt wie Flora und Fauna sowie Rückblicke auf die ersten weißen Siedler.

Kanada - Im Indianermuseum in Banff

Im Indianermuseum in Banff

Schließlich lassen wir uns aber vom Wetter nicht mehr aufhalten und gehören zu den ganz besonders „harten“  Touristen und besteigen die Banff Gondola, um per Seilbahn noch etwas tiefer ins winterliche Kanada einzudringen. Die nächsten Tage führen uns zum weltbekannten Lake Louise und zum etwas abseits davon gelegenen, weniger bekannten, trotzdem noch schöneren Moraine Lake. Die Fahrt über den Icefields Parkway in Richtung Norden mit Zwischenstopp am Columbia Icefield wird begleitet von trüben Aussichten und tief liegenden Wolken. Schade.

Kanada - Moraine Lake

Blick auf den Moraine Lake

Angekommen in Jasper zeigen sich erste Sonnenstrahlen, so dass uns das kleine Örtchen deutlich freundlicher empfängt als seine Schwester im Süden. Der nächste Morgen, wir haben eine sternklare Nacht auf dem Whistler Campground vor den Toren der Stadt verbracht, wird zum Wendepunkt. Wieder hängen tiefe Wolken über dem Land. Wir sind mutig und fahren mit der Jasper Tramway, einer modernen Seilbahn, hinauf bis auf fast 2.500 Meter Höhe und damit in die Sonne. Glitzernd weißer Schnee und das nach unten durch die Wolkendecke abgeschnittene Panorama der Rockys. Ein Wintertraum in weiß, der sich, zurück in der Stadt und auf dem Weg zum Maligne Lake, begleitet von der beginnenden Laubfärbung zu einem Herbstraum verwandeln sollte.

Kanada - Eisiger Morgen und blauer Himmel hoch über Jasper

Eisiger Morgen und blauer Himmel hoch über Jasper

Whistler – rund 800 km liegen hinter uns. Wir durchfuhren den Mount Robson Park und konnten sogar einen kurzen Blick auf den höchsten Berg der kanadischen Rockys werfen. In Little Rock entschieden wir uns für die Straße 24 durch ein Seengebiet, von dessen abwechslungsreicher Landschaft im Wechsel zwischen lieblichen Seen und dramatischen Bergkulissen wir vorher noch nie gehört hatten. Zwischen Lillooet und Whistler verzweifelten wir fast an der nicht enden wollenden Kurvenzahl, die uns immer wieder bergauf und bergab führte und nicht zuletzt dafür sorgte, das der Spritverbrauch des Wohnmobils sich wieder rekordverdächtigen 30 Litern je 100 km näherte.

Olympiastadt Whistler

Kanada - Whistler

Whistler

Doch wir haben es geschafft. Whistler liegt vor uns, die Stadt der olympischen Spiele 2010. Wir haben Zeit genug um die Stadt zu erkunden, die vor einigen Jahrzehnten auf dem Reisbrett entstanden ist und trotzdem den Charme eines gelungenen  Erholungsortes ausstrahlt. Natürlich muss man mit der Seilbahn auf den Berg fahren, natürlich sollte man sich zu Fuß auf den Weg machen. Besonders die Angebote von ZipTrek Ecotours darf man sich nicht entgehen lassen. Wir entscheiden uns gleich für beide. Erst geht es über die längsten FlyingFox Bahnen, die wir je gesehen haben. Wir fliegen in schwindelnder Höhe quer durch den Wald. Dann folgen wir den Pfaden des Trecks, der hoch oben in den Wipfeln mächtiger Bäume über schmale Stege und schwankende Brücken führt. Backroads heißt die Agentur, mit der wir am nächsten Morgen unserer Kanada-Tour einen würdigen Abschluss bieten wollen. Mit dem Paddelboot durch den Fluss der goldenen Träume und dann auf dem Mountain Bike zurück zum Wohnmobil-Park. Es wäre zu schön gewesen. Dauerregen erinnert uns daran, dass der Herbst auch sehr nass sein kann. Eine kurze und trotzdem sehr feuchte Probetour im Kanu und schon sitzen wir im Auto. Es geht zurück nach Vancouver zu Edmund Kunke. Der Rückflug wartet.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseveranstalter Kanada bei schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Kanada

Zehn Millionen Quadratkilometer, die vom Polarmeer bis zu subtropisch wirkenden Sykomorenwäldern reichen; mehr als 30 Nationalparks, von denen allein der Woods Buffalo National Park in Alberta größer ist als die Schweiz: Kanada ist seit jeher der Inbegriff von Wildnis und endloser Weite.

Kurzportrait Kanada

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Hummer, Lachs und Lappentang. Nicht nur für kanadische Gaumen eine Delikatesse

In den Gewässern vor der Küste der Provinz New Brunswick findet man sie: die riesigen im Meer verankerten Tanks mit Zuchtlachsen, die Hummerfischer, die ihre Fangkörbe ausbringen und kontrollieren, ob der ausgelegte Köder Hummer in die Falle gelockt hat, und die mit Lappentang und anderen Algen übersäten Felsenküste der Insel Grand Manan.

Hummer, Lachs und Lappentang in Kanada

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Mit dem Zug durch das zweitgrößte Land der Erde

Charlotte ist glücklich. Sie und ihr Mann Brian stammen aus Florida. Vor 14 Stunden haben sie mit 300 weiteren Passagieren in Toronto das Flaggschiff der kanadischen Bahngesellschaft VIA Rail, den Canadian, bestiegen, um auf rund 4.600 Kilometern das zweitgrößte Land der Welt (nach Russland) zu durchfahren. Einmal von Ost nach West durch fünf Provinzen. Von Toronto am Ontario See, dem kleinsten der fünf Großen Seen, nach Vancouver am Pazifik.

Kanada per Zug

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Pedalbetriebene Zeitreise. Montréal mit dem Rad entdecken

Bruno Lajeunesse hängt an dieser Stadt. Und er zeigt seinen Mitfahrern während der dreistündigen Radtour durch Montréal, warum seine Heimatstadt für ihn der schönste Platz der Welt ist. Bei der ungemein kurzweiligen Tour durch die kanadische Millionenmetropole präsentiert er nicht nur die markantesten Bauwerke, sondern zeigt sein ganz persönliches Montréal, führt zu den Stätten seiner Jugend, zu Plätzen abseits der Touristenpfade. Die Tour de Montréal ist eine pedalbetriebene Zeitreise durch die Geschichte und eine Hommage an die Olympiastadt von 1976 zugleich. Eine Tour, die neben bekannten Sehenswürdigkeiten auch das andere, das weniger touristische Leben der zweitgrößten französischsprachigen Stadt der Welt umfasst.

Montreal mit Rad

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